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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2014

WM 2014 – Mittendrin statt nur dabei

Kai Butterweck | Mittwoch, 18. Juni 2014 1 Kommentar

Seit der WM 2006 amüsiert sich die Presse über Bilder einer vor Ort mitfiebernden Angela Merkel. Auch in Brasilien drückt die Kanzlerin wieder fleißig die Daumen. Außerdem: Schaumige Grenzen, leere Stühle, feiernde Amerikaner und ein Gefangener mit einem Grinsen im Gesicht

Beim Auftaktspiel der deutschen Mannschaft springt Kanzlerin Angelika Merkel viermal vor Freude in die Luft. Peter Ahrens und Rafael Buschmann (Spiegel Online) wissen warum: „Mittlerweile ist die Nationalmannschaft ein Werbeträger par excellence, Merkel weiß das, Merkel nutzt das. Unvergessen, wie sie im Sommermärchen-Kinofilm von 2006 vor der Mannschaft auftauchte und aus dem Kreis der Millionäre als Erstes der Wunsch nach Steuersenkungen laut wurde. Für die Nationalspieler gehört sie seitdem dazu. Und der Kanzlerin haben dieser Auftritt, ihr Jubeln auf der Tribüne, viele Sympathiepunkte eingebracht. Die Popularität Merkels, die bis heute anhält, hat mit den Tagen der Fußball-WM in Deutschland ihren Anfang genommen.“

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So einer könnte keinen Fußballspieler inspirieren

Für den britischen Gastautoren Kit Holden (Tagesspiegel) käme der Kabinen-Besuch eines David Cameron fast schon einer Katastrophe gleich: „Wo Merkel die Mutter der Nation ist, wirkt Cameron eher als schnoddriger älterer Bruder. Ein nerviger Typ, der nur wegen seines Geburt an die Macht kam. Man hört ihm niemals zu, aber er ist trotzdem immer da, jammert trotzdem immer sinnlos über seine „Big Society“ und seine Regeln für das Trampolinspringen im Garten, während alle anderen Kinder längst in Richtung Xbox abgehauen sind. So einer könnte keinen Fußballspieler inspirieren.“

In der Schweiz amüsiert sich Peter B. Birrer (NZZ Online) über das Freistoßspray: „Mit einer schaumigen, weißen Flüssigkeit zeichnen die Schiedsrichter auf dem Rasen an, wo der Freistoß auszuführen ist, und vor allem, bis wohin die Spieler zurückzuweichen haben. Achtung, weiße Linie, bitte nicht überschreiten. Das führt zu Aktionen, in denen die teuren, farbigen Schuhe der Fußballmillionäre übersprayt zu werden drohen. Aber vielleicht wagen die es wegen der Linie tatsächlich weniger, Zentimeterweise nach vorne zu tippeln. Vielleicht lautet am Ende die Bilanz nur: etwas viel Schaum für wenig.“

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Christoph Borschel (Hamburger Morgenpost) klärt auf: „Das Spray wird in Argentinien hergestellt. Der Hersteller verspricht: Es ist biologisch abbaubar und harmlos für den Rasen. Tatsächlich erinnert die Flüssiggas-Mischung auch in seiner Konsistenz an Rasierschaum – auf Wasserbasis. Je nach äußeren Bedingungen dauert es 45 bis 120 Sekunden, ehe das Spray sich buchstäblich in Luft aufgelöst hat.“

Irgendwann werden die Chefs der Großkonzerne alleine im Stadion sitzen

Die Fifa spricht im Vorfeld der Partien immer wieder gerne von ausverkauften Stadien. Mit Beginn der Übertragungen wird jedoch klar: Viele Tribünenplätze bleiben unbesetzt. Christian Hackl (standard.at) geht der „Lüge“ auf den Grund: „Dass bei manchen Partien viele Plätze in den Stadien leer bleiben, ist eines der Rätsel, das die Fifa vielleicht gar nicht lösen möchte. Karten werden weltweit verlost, viele Gewinner zahlen und lassen sie dann verfallen. Weil die Reise von Tulln nach São Paulo gefährlich ist und halt doch das Budget überschreitet. Auch jenes der Freunde und Verwandten. Die Sponsoren wiederum wollen ihre Kontingente eher erhöht als reduziert wissen. Wer zahlt, schafft an. Irgendwann werden die Chefs der Großkonzerne alleine im Stadion sitzen, geschützt von einem Polizisten.“

Auch Georg Leppert (FR) beschäftigt sich mit leeren Stadienplätzen: „Erfahrenen WM-Besuchern fällt bereits nach den ersten Spieltagen der Vorrunde auf: Vor den Spielstätten wird weit weniger mit Tickets gehandelt als bei den vergangenen Turnieren. Der Markt scheint sich noch weiter ins Internet verlagert zu haben als 2010 in Südafrika. Das mag mehrere Gründe haben. Zum einen steht vor den Stadien stets ein großes Polizeiaufgebot, und Schwarzhandel ist verboten. Zum anderen haben die Verkäufer offenbar die Angst vor Angeboten bei Ebay oder privaten Ticketportalen verloren. Vor allem vor der WM 2006 war viel die Rede von Testkäufern im Auftrag der Fifa, die den Handel eindämmen wollten. Tatsächlich dürfte es diese Leute nie gegeben haben.“

Von Seattle bis Miami: Die Amerikaner sind nach dem Auftaktsieg ihrer Mannschaft im Fußball-Fieber. Sebastian Boll (FR) versinkt in euphorischen Medienberichten: „Matchwinner John Brooks zierte am Dienstag die Titelseite sowohl der New York Times als auch des Wall Street Journals. Die Abendnachrichten auf allen Netzwerken und Kabelkanälen brachten lange Segmente aus Brasilien und von den Public-Viewing-Zonen im ganzen Land. Das Spiel war laut erster Erhebung das am meisten gesehene Fußballspiel in der US-Fernsehgeschichte. 15 Millionen US-Amerikaner schalteten ein. Und Vize-Präsident Joe Biden ließ es sich nicht nehmen, den Spielern in der Kabine persönlich zu gratulieren.“

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Verlässliche Leistungsträger sind wie immer die englischen Anhänger

Philipp Köster (Tagesspiegel) nimmt derweil das allgemeine Fan-Verhalten in den Stadien unter die Lupe: „Verlässliche Leistungsträger sind wie immer die englischen Anhänger, deren Team zwar gegen Italien verlor, die gleichwohl im sumpfigen Stadion von Manaus beeindruckenden Lärm veranstalteten. Was vielleicht auch daran lag, dass sich die britischen Fans zuvor gegen die allgegenwärtige Hitze und die Dengue-Fliege mit reichlich Alkohol imprägniert hatten. Was dazu geführt hatte, dass auf den von den Engländern reihenweise gemieteten Flussdampfern der eine oder andere vorzeitig über Bord ging und schlagartig ernüchtert wieder an Bord geholt werden musste.“

Während die halbe Nation dieser Tage vor dem Fernseher hockt, liegt einer der wohl besessensten Fußball-Experten Deutschlands in der Krankenstation der JVA Landsberg. Die Rede ist von Uli Hoeneß. Der Steuersünder hat jedoch Glück. Warum? Josef Wirnshofer (taz) wagt einen Blick über die hohen Gefängnismauern: „Auf der Krankenstation geht’s ein wenig lockerer zu, als in den anderen Trakten. Hoeneß‘ Zimmer dort hat die Größe einer Vier-Mann-Zelle, teilen muss er es sich nur mit einem weiteren Häftling. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Zellen haben sie dort auch warmes Wasser. Vor allem aber gibt es dort eins: Kabelfernsehen. Und Kabelfernsehen ist dieser Tage gleichbedeutend mit WM schauen. Rund um die Uhr kann Hoeneß die Spiele verfolgen. Mitfiebern, mitjubeln, Thomas Müller beim Toreschießen zusehen – zumindest vorm Fernseher.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “WM 2014 – Mittendrin statt nur dabei”

  1. Pumukel
    Mittwoch, 18. Juni 2014 um 22:42

    Peter Ahrens und Rafael Buschmann empfehle ich mit Verlaub eine Psychotherapie. Wie man Vertrauen in Menschen erlernt, (die es mindestens z.T. ehrlich und gut meinen).
    Sollten Sie dennoch steif und fest daran festhalten wollen, dass Merkels Auftritt nur eine Inszenierung ist, dann sind Sie, so behaupte ich, bedauernswerte Gestalten, die sich durchaus die Frage gefallen lassen sollten, wieso man bei so einer misstrauischen Haltung dann überhaupt noch schreibt und lebt in diesem Land! Allein wegen dem Geld? Na bravo!

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