indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2014

WM 2014 – Bis(s) in die nächste Runde

Kai Butterweck | Donnerstag, 26. Juni 2014 6 Kommentare

Der Beiss-Eklat um Luis Suarez schlägt in der Presse weiterhin hohe Wellen. Außerdem: Klinsi lässt die Amis tanzen, Abschied von Manaus und brasilianische Hochs und Tiefs

Die ganze Fußballwelt beschäftigt sich derzeit mit Uruguays Beiss-Wiederholungstäter Luis Suarez. Werner Bartens (SZ) bittet den FC Liverpool um Mithilfe: „Der FC Barcelona hat vor Jahren Klein-Messi die Wachstumshormone bezahlt. Könnte der FC Liverpool nicht die Begradigung des Überbisses von Luis Suárez übernehmen und damit Schaden von ihm und seinen Gegnern abwenden? Mit korrekt stehenden Zähnen würde Uruguays Stürmer laufende Gegner kaum erwischen. Eine Klammer reicht. Es muss ja nicht die Komplettverdrahtung oder ein Maulkorb sein.“

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Jemand, der Hilfe braucht

Christian Eichler (FAZ) begleitet den Stürmer zur „Couch“: „Bei aller Empörung darf man nicht übersehen, dass Luis Suárez selbst ein Opfer ist – ein Opfer seiner nicht zum ersten Mal aufgetretenen Unfähigkeit, aufgestauten Druck im Spiel und aufgebaute Aggression gegen Gegner auf kontrollierte Weise abzubauen. Das kostet ihn nun womöglich seine Karriere. Oder den besten Teil davon. Nach der WM wird der bis Dienstag gefragteste Stürmer der Welt ein Außenseiter sein. Jemand, der Hilfe braucht.“

Thorsten Giersch (Handelsblatt) richtet sich an die Fans: „Egal wie sie in der Causa Suarez entscheidet – die Fifa kann die Werte des Fußballs nicht retten. Dafür steckt sie selbst knietief im Sumpf und hat keinerlei Deutungshoheit mehr. Wir Fans müssen die Akteure zwingen, nach unseren Regeln zu spielen. Wir müssen faires Verhalten mehr bejubeln als faule Siege. Und die Daumen drücken, dass Spieler wie Suarez und Trainer wie Tabarez nicht Weltmeister werden.“

Tobias Hock (ran.de) wartet mit Spannung auf die Fifa-Entscheidung: „Ein Referee trifft seine Entscheidungen mit der Pfeife und mit den Karten. Und Rodriguez hat bei Suarez zwar gepfiffen, aber die Karten eben stecken lassen. Natürlich hat er den Biss nicht gesehen, sonst hätte er ja einen Platzverweis ausgesprochen. Suarez hat unten geschoben und oben gleichzeitig zugeschnappt – der Unparteiische hat die Szene als Ganzes wahrgenommen und leider falsch bewertet.  So wäre eine Sperre für Suarez zwar gerecht, aber nicht den Regeln der FIFA entsprechend.“

Das kleine amerikanische Sommermärchen

Heute Abend trifft die deutsche Nationalmannschaft auf die Mannen von Jürgen Klinsmann. Johannes Kuhn (SZ) schwärmt vom bisherigen Auftreten der US-Amerikaner: „Das kleine amerikanische Sommermärchen hat viele Gründe. Da wären: der Hobby-Fußball, der in den Jugend-Ligen und Uni-Sportplätzen schon lange eine geschlechtsübergreifende Erfolgsgeschichte ist. Die große Gemeinde der Einwanderer aus Mittel- und Lateinamerika, die dem Spiel verfallen ist und diese Liebe in die Straßen trägt. Die PR-Kampagne rund um das US-Team, die darin gipfelte, dass ESPN einen Dokumentarfilm über das WM-Abenteuer ausstrahlte, bevor das Turnier überhaupt begonnen hatte.“

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Tobias Jochheim (Zeit Online) weiß mit welchem Namen die wachsende Fußballbegeisterung in den USA verknüpft ist: „Maßgeblich dafür verantwortlich ist ausgerechnet Klinsmann, der ehemalige König der verhassten Schwalben. Er verbindet eine Aura deutsch-europäischer Fußballkompetenz mit kalifornischem Sunnyboy-Charme. Der Präsident des US-Fußballverbands, Sunil Gulati, schwärmt, Klinsmann mache den Fans den Sport schmackhaft wie keiner je zuvor.“

Wahnsinniger Genuss

Boris Herrmann (SZ) verabschiedet sich von der WM-Stadt Manaus: „Rein rational betrachtet grenzte es tatsächlich an Wahnsinn, die WM hierher zu bringen. Das teure Stadion und der bestenfalls halbfertige Flughafen trieben diesen Dritte-Welt-Ort in einem Zweite-Welt-Land noch ein Stückchen weiter an den Rand des Ruins. Aber rein emotional betrachtet leben solche Turniere eben auch von ihrer wahnsinnigen Note. Und es kann nicht bestritten werden, dass die WM-Gäste diese Note genossen haben. Die meisten.“

Und siehe da, das Volk war zufrieden

Nach dem Sieg gegen Kamerun herrscht zum ersten Mal richtige Begeisterung auf den brasilianischen Straßen. Sven Goldmann (Tagesspiegel) ist mittendrin: „Und siehe da, das Volk war zufrieden. Es feierte in den Bars und auf den Straßen und überall dort, wo sich ein Fernseher oder eine Leinwand fand. Zum ersten Mal herrschte die Atmosphäre einer tiefen Verbundenheit zwischen dem Brasilien auf der Straße und dem Brasilien auf dem Platz. Die Party ging weiter bis in die frühen Morgenstunden, und am Samstag soll sie ihre Fortsetzung finden. Im Estadio Mineirao von Belo Horizonte geht es im Achtelfinale gegen Chile, einen Gegner von ganz anderer Qualität. Die wilden Chilenen sticken sich keine Löwenköpfe auf ihre Trikots, um den Gegner zu erschrecken, sie haben da andere Mittel.“

In ganz Brasilien feiern die Fans. Nur in Brasilia herrscht Tristesse. Christoph Ruf (Spiegel Online) ist vor Ort: „Warum sollte man in einem Land, in dem in jedem Straßengrill Fußball gezeigt wird, auch in eine austauschbare Trabantenstadt namens Taguatinga fahren, nur weil dort der größere Bildschirm steht? Das ist, als würde man ein Berliner Fanfest nicht am Olympiastadion, sondern in Wansdorf im Havelland feiern. Auch das liegt 22 Kilometer vom Stadion entfernt.“

Los- und Wettkampfglück

Stephan Ramming (NZZ Online) holt euphorisierte Schweizer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: „Wenn sich die Schweizer nun mit stolzgeschwellter Brust auf den Achtelfinal gegen Argentinien freuen, heißt das nicht, dass sie sich auf Augenhöhe befinden mit Teams wie beispielsweise Italien, Spanien oder England, die allesamt ausgeschieden sind. Mit einer Portion Los- und Wettkampfglück, das ihr bereits in der Qualifikation hold war, verlängert die SFV-Auswahl nun ihren Brasilien-Aufenthalt in der Gesellschaft von Mannschaften, die an diesem Turnier bis jetzt mehr Reife und Qualität an den Tag gelegt haben.“

Derweil beschäftigt man sich in Österreich (standard.at) mit einem zufrieden lächelnden Sepp Blatter: „Titelverteidiger Spanien ist schon zu Hause, der viermalige Weltmeister Italien und England, Mutterland des Fußballs geheißen, sind ebenfalls gescheitert. Europa schwächelt bei der WM, die zur Copa America zu werden droht. Joseph S. Blatter kann das nur recht sein. Der Schweizer Präsident des Weltverbandes Fifa hat seine Machtbasis in den vergangenen Jahren konsequent außerhalb Europas aufgebaut.“

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Kommentare

6 Kommentare zu “WM 2014 – Bis(s) in die nächste Runde”

  1. augelibero
    Donnerstag, 26. Juni 2014 um 11:56

    Für Italien braucht man kein Mitleid zu empfinden. Das Beiß-Opfer Chillini ist selbst ein Serientäter in Foulspiel, Tätlichkeit und Unsportlichkeit. Man kann nur staunen wie die Schiedsrichter ihn bei dieser WM geschont haben – beste Bespiele: die Elfmeter-Fehlentscheidungen gegen Costa Rica und Uruguay. Auch in Sachen Brutalität steht er seinem Gegenüber Suarez in nichts nach. Man erinnere sich an das letztjährige CL-Halbfinale, als er Mandzukic mit Ellbogen oder Hand bei jedem Kopfball absichtlich ins Gesicht schlug. Sorry Italia, aber ein Land das Marco Materazzi gefeiert hat, müsste jetzt Suarez applaudieren und Chiellini kritisieren. Das wäre Sportsgeist von den Großmeister des Winning Ugly.

  2. Der wöchentliche Blick in die Bloglandschaft | Sports Insider Magazin
    Donnerstag, 26. Juni 2014 um 17:50

    […] Wer sich einen Überblick in Sachen Presse rund um die Weltmeisterschaft verschaffen möchte, dem sei „Indirekter Freistoß“ mit der entsprechenden Presseschau ans Herz gelegt. […]

  3. Pumukel
    Freitag, 27. Juni 2014 um 12:43

    Menschen mit gelebten Instinkten (Weinen, Beißen, Vollspann ohne Blick aufs Tor, etc.) erscheinen uns zunächst befremdlich, eher wild, dabei kommen sie womöglich dem ursprünglichen und eigentlichen Menschen viel näher.

    Stellt man ihnen nämlich den cleveren ‚Chiellini-Menschen‘ des überzivilisierten Europa oder der USA gegenüber, der seine Aggressionen durch geschickte Provokationen nach außen versteckt hält, weil er hinterhältig und linkisch agiert, was nicht minder schlimm ist, so sehe ich hier kein Suarez-Problem mehr, sondern eines, das aufzeigt, wie hart und egoistisch es inzwischen unter den Menschen zugeht. Auf dem Rasen und abseits davon. – Ein Ausdruck des vielerorts schwindenden Miteinanders, der zunehmenden menschlichen Egal-Haltung und der zunehmenden Bedeutung des Geldes und des Erfolgs.

    Die Fifa war gezwungen, zu handeln. Ja, sie kann das nicht akzeptieren. Aber Suarez sollte nicht einseitig zum Spielverderber stilisiert werden, sondern könnte mehr in eine General-Debatte einbezogen werden, etwa als Experte dienen, um diese Missstände im Fußball zu verbessern.

  4. Stefan Winter
    Samstag, 28. Juni 2014 um 11:15

    Sehr geehrter Herr Hock,

    beißen ist formaljuristisch eine gefährliche Körperverletzung und als Arzt darf ich Ihnen sagen, daß Bisswunden durch Menschen sehr ernst zu nehmen sind.
    Auf dem Fussballplatz ist es ein Vergehen, das mit einem Feldverweis und anschließender Sperre geahndet werden muss.
    Sollte der Schiedsrichter dieses nicht sehen, kann er es auch nicht ahnden. Sollte er im Rahmen eines Zweikampfes zwar ein anderes Foulspiel sehen, dabei aber eine grobe Unsportlichtkeit nicht wahrnehmen, wird das weitere Vorgehen bei entsprechendem Videobeweis durch eindeutige Fifa Richtlinien geregelt auf deren Zitierung ich hier verzichten möchte. Es gibt im Übrigen genügend Beispiele.

    Das macht auch Sinn, denn Fussballer haben, ebenso wie Journalisten Vorbildfunktion. Stellen Sie sich ein E Jugendturnier vor, bei dem ein Kind beim Kampf um den Ball einen Gegenspieler beißt und der Schiedsrichter bemerkt es nicht. Das gebissene Kind würde anschließend mit sichtbaren Bissspuren, weinend über den Platz laufen, diese dem Unparteiischen zeigen und der wiederum würde sich dann auf Ihren Kommentar berufen, abwinken und das Spiel weiterlaufen lassen. Geht Ihnen vielleicht ein Licht auf ?

    Warum schreibt ein Journalist wie Sie in diesem Zusammenhang also einen Artikel in dem er die Nichtbestrafung des uruguayischen Stürmers fordert ?
    Ihr Triebfeder kann nur darin liegen, durch eine jedem Verständnis von Fairplay entgegenstehende Haltung, Aufmerksamkeit zu erregen.
    Oder sie haben einfach schlecht recherchiert, sind Sie ein Schwätzer ?

    Als Liebhaber des Fussballspiels habe ich mich entschlossen, Ihren Kommentar als eine belustigende Selbstdarstellung des Verfassers zu sehen und darüber zu lachen, frage mich allerdings, was das auf ran.de zu suchen hat.

    Mit freundliche Grüßen

    Stefan Winter

    Von meinem iPad gesendet

  5. augelibero
    Montag, 30. Juni 2014 um 12:39

    Der WM-Ausschluss von Suarez kommt einer Sperre von vier Spielen gleich und ist verhältnismäßig. Die darüber hinaus gehende monatelange Komplettsperre ist unverhältnismäßig und widersinning.

    Auch wenn sich hier (s.o.) offenbar ein medizinischer Gerichtsachverständiger auslässt, es sei gesagt: Die paar Bissspuren sind nichts im Vergleich zu den Tritten und den möglichen Folgen (Brüche, Bänderisse – lange Pausen bzw. Karriereende) von Fouls à la Chiellini, die im Fußball immer noch zu schwach sanktioniert werden.

    Suarez, der von Abwehrspielern systematisch gejagd, provoziert und getreten wird, hat seine Nerven nicht immer im Griff. Das ist bedauerlich angesichts seiner Könnerschaft. Das eint ihn auch mit Könnern wie Zidane (2006) oder Maradona (1982).

    Ich verstehe die Künstler ebenso wie die Wadenbeißer. Beide gehören seit jeher zum Fußbball sei jeher. Daher sollte die FIFA eine Sanktion für ihren „fairen“ Wettbewerb aussprechen – den Rest aber der Premiere League und der UEFA überlassen.

    Die aktuelle Entscheidung ist völlig überzogen!

  6. Adele
    Freitag, 1. August 2014 um 01:07

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