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WM 2014

Bauchtrainer bekommt sein Fett weg

Erik Meyer | Mittwoch, 9. Juli 2014 Kommentare deaktiviert für Bauchtrainer bekommt sein Fett weg

Der deutsche Finaleinzug kann nur in historischen Kategorien bewertet werden, darin sind sich alle Kommentatoren einig. Kann es für Brasilien noch schlimmer kommen?

Peter Heß (FAZ) kommentiert „Die unheimlichen Sieben“: „Die Deutschen deckten in diesen Minuten alle ihre spielerischen Möglichkeiten auf, die sie im Turnier bisher nur angedeutet hatten. Nach Müllers Türöffner nach einem Eckball wurden die Tore von Klose, Kroos (2) und Khedira weltmeisterlich herausgespielt. Die Spielzüge im brasilianischen Strafraum hatten die Qualität eines chirurgischen Eingriffs.“

Ebenfalls mit medizinischen Metaphern aber martialischer formuliert verarbeitet Lars Wallrodt (Welt Online) die Geschehnisse: „Mit bestialischer Schönheit zerlegte die deutsche Mannschaft die Selecao. Pass um Pass schnitt wie ein Skalpell in das Fleisch der Brasilianer. Die Sambaparty wurde nicht beendet, sie wurde siebenfach gesprengt.“

Das Wunder von Belo Horizonte

Oliver Fritsch (Zeit Online) sucht nach Worten: „Es dürfen große Worte sein, denn der deutsche Sieg gegen den Gastgeber Brasilien in Belo Horizonte war nicht nur der höchste Halbfinalsieg aller Zeiten. Er war das sensationellste Resultat seit Langem, vielleicht seit allen Zeiten. Und er war das größte deutsche Fußballspiel seit dem Wunder von Bern 1954.“

In historischen Kategorien denken auch Rafael Buschmann und Peter Ahrens (Spiegel Online): „Die brasilianischen Fans hatten vor dem Turnier Angst, es würde wieder wie bei der letzten Heim-WM ausgehen: 1950 wurde Uruguay in Brasilien Weltmeister, eine bis heute unvergessene Schmach. Kein Anhänger der ‚Seleção‘ konnte sich vorstellen, dass es am Dienstagabend eine noch viel größere, bitterere Katastrophe geben würde.“

Und es könnte noch schlimmer kommen, erklärt Tjerk Brühwiller (NZZ): „Ausgelitten ist für die Brasilianer so oder so noch nicht. Die Demütigung könnte nämlich noch gesteigert werden. Sollte Argentinien ein mögliches Direktduell mit Brasilien gewinnen oder am Sonntag gar Weltmeister werden, würde die WM 2014 das brasilianische Trauma von 1950 wohl noch übertreffen.“

Thomas Kistner (SZ) diagnostiziert eine falsche Aufstellung als Ursache des Debakels: „Und während David Luiz, heillos übermotiviert im Glauben, er müsse hier alle Positionen gleichzeitig spielen, wie ein Derwisch übers Spielfeld flatterte, wird sich der Bayern-Verteidiger hinten wie bei einem Hallen-Kick vorgekommen sein: Allein gegen drei, vier Deutsche, die sich noch am Elfmeterpunkt freistehend den Ball zuschieben konnten. Als Scolaris Kahn absoff, war der Kapitän als Erster über Bord gegangen.“

Vor dem Halbfinale analysierte Christian Spiller (Zeit Online) noch die Popularität des brasilianischen „Bauchtrainers“: „Scolari kommt an, weil er eine gewisse alterslose Ruppigkeit mitbringt. Für die Jüngeren ist er der knuffige Alte mit dem Bauchansatz. Die Älteren erkennen in ihm ihr eigenes Zweifeln an der neuen Fußballwelt mit all ihren Kameras und Tweets und bunten Schuhen.“

Moderne Gladiatoren?

Dirk Gieselmann (Tagesspiegel) findet die Einspielfime zu den Mannschaftsaufstellungen misslungen: „Auf Geheiß der Fifa und ihrer inszenierungswütigen Regisseure mussten sich die Fußballer im Vorfeld des Turniers für zwei Sekunden filmen lassen, bewegte Porträtaufnahmen moderner Gladiatoren sollten es wohl werden. Sie drehten sich nach links, noch in der Drehung verschränkten sie die Arme vor der Brust und versuchten angestrengt, möglichst heldenhaft dreinzuschauen. So werden sie uns nun schon seit Anbeginn dieser WM jeweils nach den Nationalhymnen präsentiert, zweimal elf Männer – die aber gar nicht rüberkommen wie grimmige Berufskämpfer, sondern … anders.“

Der FIFA-Vertragspartner „Match Services“ soll in den illegalen Verkauf von WM-Tickets verstrickt sein, das hat die brasilianische Staatsanwaltschaft ermittelt. Vor diesem Hintergrund kommentiert Astrid Prange (Deutsche Welle): „Brasilien hat die Allmacht der FIFA gebrochen. Ihre neuen Kleider sind durchsichtiger als es ihr lieb sein kann. Die Kaiserin hat ausgeteilt, nun muss sie einstecken.“

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