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EM 2016

EM 2016 – Kinderschreck Uefa

Kai Butterweck | Mittwoch, 6. Juli 2016 Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Kinderschreck Uefa

Die Uefa möchte Kinder von Fußball-Nationalspielern künftig nicht mehr auf den Spielfeldern der EM in Frankreich sehen. Die Presse ist fassungslos

Gackernde Kinder, die auf dem Rasen herumtollen und ihren hochbezahlten Vätern ein Lächeln ins Gesicht zaubern sind Geschichte. Die Uefa schiebt fröhlichen Familienzusammenkünften nach Spielschluss einen Riegel vor. Patrick Krull (Welt) fasst sich an den Kopf: „Da sitzen Funktionäre in einem stillen Kämmerlein, irgendeinen stört irgendetwas, also wird ein Beschluss gefasst. Vielleicht lenkt ein Kinderlächeln von den Werbebanden ab, vielleicht trägt es ein Markenshirt, das nicht zum Sponsorenpool der Uefa passt. Absurd? Nicht bei den abstrusen Regularien der Uefa! Fernsehbilder werden zensiert, Bannmeilen eingerichtet, unangenehme Vorgänge ausgeblendet. Nichts darf einen Schatten auf das Hochglanzprodukt EM werfen, nichts ablenken. Eine Show in einer künstlichen Welt, so ist es gewollt. Kein Platz für Unbefangenheit, für Freiheit, für Kinder – außer für die Kinder, die an der Hand der Spieler im Stadion einlaufen. Aber das geschieht zwangsweise, denn die bezahlt ein Uefa-Sponsor.“

Versagende Sicherheitskräfte

Benedikt Warmbrunn (SZ) beobachtet applaudierende EM-Greenkeeper: „Die Kinder auf den Plätzen Frankreichs, das waren ja Bilder, die der Uefa nicht gefallen konnten. Bilder, die das Versagen der Sicherheitskräfte dokumentieren. Bilder, die für Leichtigkeit und unverstellte Freude stehen, für etwas ganz anderes also als dieses Turnier in seinen meisten Momenten. Und Bilder, die alle französischen Rasenhüter entsetzen mussten. Denn hat schon einmal jemand erwähnt, welchen Schaden all diese Kinderfüßlein den ohnehin so ramponierten Grünflächen dieser EM zufügen können?“

Jan Feddersen (taz) winkt ab: „Dieses Fußballturnier ist also das, was es ganz traditionell immer war: ein homosoziales Männerprojekt, deren Mitglieder quasi vor, bei und nach der Arbeit zu sehen sind, aber nicht deren familiären Umstände. Trostlos, diese Renaissance der Traditionalisten.“

Die Sportredaktion der Augsburger Allgemeine regt zum Nachdenken an: „Kinder sind die Zukunft des Fußballs. Begeisterung für diesen Sport oder einen Verein, die im Kindesalter im Stadion entfacht wird, hält oft ein Leben lang. Denkt man die Argumentation der Uefa weiter, würde das bedeuten, dass Kinder Fußball-Stadien besser meiden sollten. Denn wenn diese nicht die sichersten Orte für sie sind, könnte man im Umkehrschluss zu der Erkenntnis gelangen, dass es dort gefährlich ist. Vielleicht wäre es sinnvoller, dort anzusetzen und Stadien wieder sicherer zu machen, als sie Kindern zu verbieten.“

Ein großer Gewinn für alle

Noch drei Spiele bis zum EM-Feierabend. Roland Zorn (FAZ) zieht bereits ein Fazit: „Teams wie Island und Wales mitsamt ihrer begeisterten Gefolgschaft erlebt zu haben spricht dafür, dieses EM-Format beizubehalten. Wenn sich immer wieder nur alte Bekannte treffen – siehe Champions League –, kann das auf Dauer langweilig werden. Neue Gesichter, neue Sieger, neue Typen, neue Länder: Den damit verbundenen Reiz beim Zuschauen verkörperten Wales und Island ideal. Sie haben Geschichte geschrieben und Geschichten geliefert. Fast bis zum Ende des Turniers. Ein großer Gewinn für alle.“

Im ersten Halbfinale treffen heute die Mannschaften von Portugal und Wales aufeinander. Jean Mikhail (Welt) beschäftigt sich mit Portugals Cheftrainer Fernando Santos: „Als halben Griechen hat sich Portugals Nationaltrainer Fernando Santos einmal selbst bezeichnet. Nicht nur weil er in den 2000er-Jahren munter zwischen portugiesischen und griechischen Vereinen hin- und herwechselt hatte, 2010 trat er auch die Nachfolge von Otto Rehhagel als griechischer Nationaltrainer an. An dessen EM-Triumph 2004 fühlen sich derzeit viele Zuschauer von Portugal-Spielen erinnert. Mit absolutem Minimalismus schafften es Santos, Cristiano Ronaldo und Co. ins Halbfinale des diesjährigen Turniers – ohne dabei auch nur ein einziges Spiel über 90 Minuten gewonnen zu haben.“

Die Berührungspunkte gehen weit über das Schießen von Freistößen hinaus

Sebastian Stier (Tagesspiegel) freut sich auf den Auftritt zweier Superstars: „Bale und Ronaldo sind Kollegen, keine Freunde, die sich respektieren und deren Karrieren mittlerweile eng miteinander verzahnt sind. Die Berührungspunkte gehen weit über das Schießen von Freistößen hinaus. Dieses Europameisterschafts-Halbfinale am Mittwoch zwischen Portugal und Wales ist in erster Linie ihr Duell und das Spiel ihre Geschichte. Die Geschichte zweier Männer, die einerseits unterschiedlicher kaum sein könnten und andererseits nicht ähnlicher. Die obsessiv ihre Laufbahnen verfolgen, sich von der Außenwelt abschirmen, aber mit einem gänzlich anderen Naturell ausgestattet sind. Der eitle Ronaldo, der mit den Mitspielern motzt, wenn diese ihm den Ball nicht maßgerecht in den Fuß spielen und Bale, der bei diesem Turnier stets den Eindruck erwecken will, nur Teil eines großen Ganzen zu sein.“

Am Donnerstag stehen sich dann Deutschland und Frankreich gegenüber. Ein weiterer Festtag für Manuel Neuer? Tobias Potratz (Zeit Online) kommt aus dem Schwärmen nicht mehr raus: „Torhüter können schnell unsterblich werden. In einem wichtigen Spiel zwei, drei Elfmeter halten. Schon haben sie ihren Moment, mit dem sie immer in Verbindung stehen. Bei Manuel Neuer ist das anders. Neuer ist kein Held für einen Moment, eine Parade. Neuer ist der Immer-Held. Am Samstag hielt Neuer gegen Italien zwar zwei Elfmeter und trug maßgeblich zum Weiterkommen bei. Als Held von Bordeaux gilt trotzdem ein anderer. Neuers Problem: Die Liste seiner Heldentaten ist einfach zu lang.“

Notorisch unterschätzte Überperformer

Jan Christian Müller (FR) schiebt zwei deutsche Leisetreter ins Rampenlicht: „Hector und Höwedes sind es gewohnt, an ihren Aufgaben zu wachsen. Der Bundestrainer setzt auf die beiden medial notorisch unterschätzten Überperformer. Hector hat in den Kalenderjahren 2015 und 2016 18-mal zur deutschen Startelf gehört. So oft wie kein anderer. Es hat nur fast niemand gemerkt. Höwedes hat in 20 Pflichtspielen für Deutschland keine einzige Niederlage miterlebt. Nur zwei Unentschieden.“

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