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EM 2016

EM 2016 – Partymuffel und Pickelhauben

Kai Butterweck | Donnerstag, 7. Juli 2016 Kommentare deaktiviert für EM 2016 – Partymuffel und Pickelhauben

Vor dem zweiten EM-Halbfinale zwischen Frankreich und Deutschland beschäftigt sich die Presse mit Platzhirschen, Partybremsen und Grusel-Chören

Am Abend steigt in Marseille das zweite Halbfinale zwischen Gastgeber Frankreich und Deutschland. Christof Kneer (SZ) träumt von spielentscheidenden Standards: „Die deutsche Nationalelf ist sehr gründlich ins Halbfinale eingezogen, sie hat zwar Fehler gemacht, aber keinen zweimal, und auf fast beängstigende Weise hat sie alles, was in einem Spiel mal schief lief, im nächsten Spiel wieder begradigt. Die deutsche Elf war auf alles vorbereitet, sogar auf die Italiener. Wenn man sich nun – selbstverständlich ebenfalls gründlich – auf die Suche nach dem letzten, bisher noch verborgenen Potenzial dieser Mannschaft macht, dann landet man bei jenen Standardsituationen, mit denen man auch mal ein Spiel, das sich einem verweigert, auf seine Seite zwingen kann.“

In Deutschland war Kroos lange verkannt

Julien Wolff und Lars Gartenschläger (Welt) überreichen Toni Kroos das Zepter: „Seit zwei Jahren spielt er bei Real, wird in Spanien sehr geschätzt. Die Madrilenen sind sich einig: Seit Bernd Schuster hat kein Blonder mehr so gut zu Real gepasst. In Deutschland war Kroos lange verkannt. Beim FC Bayern nehmen sie ihm bis heute übel, dass er im „Finale dahoam“ vor vier Jahren im Elfmeterschießen nicht antreten wollte. Obwohl er die beste Schusstechnik der gesamten Mannschaft hatte. Der FC Chelsea gewann. Und weil er auch in anderen wichtigen Spielen nicht immer überzeugte, hieß es immer mal wieder: Das ist (noch) kein ganz Großer. Vergangenheit.“

Matti Lieske (Berliner Zeitung) befasst sich mit Frankreichs Torwart Hugo Lloris: „Viel wird für die Franzosen von Lloris abhängen, der einer der ruhigsten und unauffälligsten Vertreter seiner Zunft ist. Längst bekleidet der 29-Jährige das Kapitänsamt, und zwar so lange wie niemand vor ihm, weder Michel Platini, noch Zinédine Zidane und auch nicht Didier Deschamps, den Lloris während der EM überholte. 54 Mal hatte der heutige Trainer die Binde getragen, der Torhüter steht vor seinem 57. Match als Kapitän.“

Freiburger Kaffeekränzchen

Marko Schumacher (Stuttgarter Zeitung) beschäftigt sich mit der Zukunft des Bundestrainers: „Löw hat nach Brasilien weitergemacht – nicht nur weil er der erste Bundestrainer werden könnte, der nach dem WM-Pokal auch die EM-Trophäe gewinnt, sondern auch weil er die Freiheiten seines Amts, die nach Brasilien noch größer geworden sind, zu schätzen weiß. Er hat monatelang frei, kann in Freiburg im Kaffeehaus sitzen und in Berlin über rote Teppiche laufen. Er hat sich ein Apartment am Potsdamer Platz als Zweitwohnsitz zugelegt und genießt das süße Leben in der Hauptstadt. Es gibt daher keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Löw die deutsche Elf auch zur WM 2018 führen wird, egal wie die EM zu Ende geht.“

Jan Christian Müller (FR) steht mit schlechten Nachrichten im Gepäck vor den Toren des Mannschaftshotels der Franzosen: „Deutschlands Fußballauswahlen sind in allen Epochen Spezialisten dafür gewesen, sich als ungebetene Gäste zu präsentieren, sich in fremden Häusern breit zu machen und die Gastgeber rauszuwerfen. Seit der durch eine groteske Fehlentscheidung eingeleiteten 2:4-Finalniederlage 1966 in Wembley gegen England haben DFB-Teams neunmal gegen Ausrichter von Welt- oder Europameisterschaften gespielt – und neunmal gewonnen. Sechsmal davon platzten Titelbegehren gastgebender Nationen erst in den Halbfinals, zuletzt das sagenumwobene 7:1 der deutschen Mannschaft in Belo Horizonte gegen Brasilien. Allemagne, das Land der Partymuffel in Stollenschuhen.“

Märsche, Schlager, Schlachtrufe

Oliver Fritsch (Zeit Online) steht vor der deutschen Fankurve und erschaudert: „Der Deutsche singt, was er kann: Märsche, Schlager, Schlachtrufe, die Betonung stets auf der 1. Mit Synkopen und Jazz erreicht man nun mal nicht die Champs-Élysees. Der neueste Hit der Schlaaand-Fans ist Die Nummer Eins der Welt sind wir! Schade, dass sie dazu ihre Pickelhauben nicht aneinanderschlugen.“

Daniel Raecke (Spiegel Online) sieht mit dem Zweiten besser: „16,4 Millionen Menschen in Deutschland haben laut Statistischem Bundesamt einen „Migrationshintergrund“. Das sind mehr als 20 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik. Bei großen Fußballturnieren aber spielt das für viele Medien keine Rolle. Gerade in der ARD sprechen inzwischen zahlreiche Kommentatoren und Moderatoren von „wir“, wenn es um die deutsche Nationalmannschaft geht. Das ist aus mehreren Gründen problematisch, auch weil jede Distanz aufgegeben wird, wenn Medien sich als Teil der deutschen Mannschaft begreifen.“

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