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WM 2018

WM 2018 – Wer räumt jetzt was auf?

Kai Butterweck | Freitag, 29. Juni 2018 1 Kommentar

Heute im Presse-Rampenlicht: Joachim Löw, Angela Merkel, Mesut Özil und ein trauriger Brauerei-Chef

Das vorzeitige WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft sorgt nicht nur in der Fankurve für schlechte Stimmung. In der Kantine der Berliner Focus-Redaktion steht eine köchelnde Sportpolitik-Suppe auf dem Herd: „Fatalisten sehen das WM-Aus schon als Omen: Jetzt stürze auch Merkel – und die Regierung. Deutschland ist erstmals in einer WM-Vorrunde ausgeschieden – und wird politisch instabil. Das ist neu. Merkel und Löw, das stand bisher auch für „Wir schaffen das“. Beide haben diesen Satz schon gebraucht. Merkel in Bezug auf die Flüchtlinge, Löw auf das Weiterkommen in Russland. Beide lagen sie irgendwie falsch.“

Es ist nur Fußball

„Deutschland braucht einen Neuanfang ohne Jogi Merkel“, fordert Frühstücksfernseh-Experte Claus Strunz. Christian Spiller (Zeit Online) hält dagegen: „Sportlichen Erfolg oder eben Misserfolg auf die Politik oder den Zustand eines Landes zurückzuführen, ist absurd. Es ist nur Fußball, Freunde. Dass das deutsche Vorrundenaus zeitlich genau auf die Regierungskrise im Land fällt, ist Zufall. Warum die Folgen der Flüchtlingsfragen daran schuld sein sollen, dass Julian Brandt den Ball nur an den Pfosten schießt, müsste mal jemand erklären. Auch was ein vermeintlich gespaltenes Land dafür kann, dass Joshua Kimmich zu oft seine Position verlässt.“

Mögen die Deutschen keine turbulenten Zeiten? Armin Lehmann (Tagesspiegel) beschäftigt sich mit flächendeckender Angst: „Es ist einfach nicht möglich, neue, zukunftsweisende Autos zu bauen, es ist nicht möglich, alle Ressourcen sinnvoll in die Bildung zu stecken, Digitalisierung ist noch immer ein mit Angst betrachtetes Projekt. Und diese Angst ist auch der Grund, warum wir sehr lange Kanzlerschaften haben und womöglich auch lange Amtszeiten von Bundestrainern. Merkel und Löw hatten die Chance, in Würde abzutreten. Für Löw ist sie verpasst, für Merkel ist es sehr fraglich.

Bräunlich blubbernder Nationalstolz

Trotz fußballerischer „Bestwerte“ (im Vergleich zu seinen Mitspielern) wird Mesut Özil nach der Pleite gegen Südkorea als Alleinverantwortlicher an den Pranger gestellt. Paul Linke (Berliner Zeitung) ist entsetzt: „Menschen, die taktische Winkelzüge nicht durchschauen, die keinen Sinn haben für die Schönheit dieses Spiels, und Menschen vor allem, die Fußball als Ersatzspielfeld für bräunlich blubbernden Nationalstolz und dumpf daher geplapperten Rassismus begreifen, haben die Schuldfrage nach der Niederlage gegen Südkorea bereits geklärt. Unterstützt werden sie von Politikern und sogenannten Experten, von Journalisten und Fotoredakteuren, die auf der Suche nach einem Symbolbild schnell bei Özil fündig geworden sind.“

Ralf Wiegand (SZ) hält den Ball flach: „Die Nationalmannschaft ist Elite, ist Establishment, sie ist in ihrer Vielfalt aber auch ein Ergebnis dieses weltoffenen Landes. Das ist, trotz aller Künstlichkeit des modernen Hochglanzfußballs, viel wert. Selbstverständlich wird jetzt alles in Frage gestellt werden, der Bundestrainer, der Abwehrchef, der torlose Angreifer – das ist Teil des Spiels. Aber in all diesen Debatten wäre es wünschenswert, wenn das Fairplay bewahrt würde. Ist nur Fußball. Das wäre Größe in der Niederlage.“

Christoph Fuhr (ÄrzteZeitung) hat schlechte Nachrichten für alle Hobby-Bundestrainer: „Der Absturz der Nationalmannschaft habe so kommen müssen, behaupten sie, er sei logisch, zwangsläufig, vorhersehbar gewesen. Warum genau, erschließt sich nicht – ein Sammelsurium an zum Teil wirren, widersprüchlichen Theorien. Es geht jetzt darum, den Absturz der deutschen Elf mit Sinn und Verstand zu analysieren. Das passiert nun mal beim DFB. Pseudo-Experten mit einem Faible fürs Schwadronieren werden das ertragen müssen.“

Das Scheitern der Nationalmannschaft hat auch für die hiesige Wirtschaft schwerwiegende Folgen. Ruth Herberg (FR) steht vor den Toren der Veltins-Brauerei und blickt in traurige Gesichter: „ Besonders die Bierbranche rechnet damit, dass ihr 40 Millionen Euro an möglichem Mehrumsatz durch die Lappen gehen. Bei einem Weiterkommen des deutschen Teams hätte es in der zweiten WM-Hälfte erfahrungsgemäß ein zusätzliches Absatzpotenzial von etwa 400 000 Hektoliter für die hiesige Braubranche gegeben.“

Halswirbel, Nasenbeine und die Strandpromenade in Sotschi

Bei Lukas Rilke (Spiegel Online) ist und bleibt die WM-Freude ungebrochen: „Das „Erdogate“ war eigentlich schon zu WM-Beginn zur Genüge besprochen, danach ging es vor allem um Halswirbel, Nasenbeine und die Strandpromenade in Sotschi. Da liefern andere Nationen besseren Stoff, allein Neymars Frisuren und Argentiniens Zoff zwischen Lionel Messi und Trainer Jorge Sampaoli garantieren erstklassige Unterhaltung. Vom Videobeweis mit all seinen Spielarten ganz zu schweigen. Und wenn der Videobeweis schon unterhaltsamer ist als das Spiel der deutschen Nationalmannschaft, dann ist es wahrscheinlich wirklich nicht so schlimm, dass es ohne Deutschland weitergeht.“

Japan steht im Achtelfinale. Aber nur, weil Senegal zwei gelbe Karten mehr kassierte. „Fair Play-Wertung“ nennt das die Fifa. Christian Helms (Spiegel Online) ist alles andere als begeistert und kommt mit einem interessanten Alternativ-Vorschlag um die Ecke: „Die punkt- und toridentischen Teams treffen sich noch einmal dort, wo im Fußball nun einmal die Wahrheit liegt: auf dem Platz. Entscheidungsspiel. Möge der Bessere gewinnen. Aber der enge Terminplan? Der lässt das doch gar nicht zu, oder? Ach, was! Dann muss der Veranstalter eben nach dem Ende der Gruppenphase drei oder vier Tage freihalten – für just solche Fälle.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “WM 2018 – Wer räumt jetzt was auf?”

  1. Charly
    Freitag, 29. Juni 2018 um 12:58

    „Heute im Presse-Rampenlicht: Joachim Löw, Angela Merkel, Mesut Özil und … .“

    Zu empfehlen seien in diesem Zusammenhang die ersten 4 Absätze aus der Feder von Kai Pahl:

    https://www.allesaussersport.de/archiv/2018/06/29/screensport-am-freitag-315/

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