indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Dienstag, 12. April 2005

Bundesliga

Eigengewächse

Daniel Theweleit (SpOn 11.4.) verweist auf das Modell Stuttgart: „Erwin Staudt bringt ungewöhnliche Methoden in die Fußballwelt. Seit er da ist, wird in Stuttgart mit „Balanced Score Cards“ gearbeitet, die der Wirtschaftsmann mit den Karten beim Minigolf vergleicht. „In der einen Spalte steht die Zahl der Hindernisse, in der anderen, wie viele Schläge man gebraucht hat“, erklärt er. „Wir vergleichen in der Score Card circa 100 Kennziffern, Stellschrauben wie Umsatz, Ertrag, Mitgliederzahl, Dauerkarten, Zuschauerschnitt, Sponsoring, Merchandising-Einnahmen. Wir machen uns über alles Gedanken, wir vergleichen auch den Erfolg unserer Jugendarbeit mit der Konkurrenz.“ Ein effektives Controlling kann als große Neuerung in der Branche gelten. Von Fußball hat Staudt jedoch wenig Ahnung. Dafür gibt es Sportdirektor Herbert Briem und den Geschäftsführer Sport, Jochen Schneider. Kennt die jemand? Wie das Gerüst der Mannschaft lassen sich diese beiden Mitarbeiter unter dem schönen Begriff Eigengewächs einordnen. Der VfL Wolfsburg musste monatelang nach einem Sportdirektor suchen – um dann Thomas Strunz zu präsentieren.“

NZZ: Marcelinhos erratische Darbietungen in Berlin

Montag, 11. April 2005

Allgemein

Ein großer Spieler, der sich klein macht

Matthias Wolf (FAS 10.4.) versucht vergeblich, Jari Litmanen ein Wort zu entlocken: „In ganz Europa gründeten sich Fanklubs für ihn, den seine Landsleute bei der Wahl der berühmtesten Finnen auf Platz 42 wählten. Ihm ist ein eigener Song gewidmet, neunmal war er in seiner Heimat Fußballer des Jahres. Ein großer Spieler, der sich jetzt an der Ostsee klein macht. Die Mitspieler schildern ihn als einen Mann ohne Allüren, bescheiden – und leise. Daß der Künstler anders ist als die meisten Kicker von der Küste, zeigt sich auch nach dem Duschen. Der Rest kommt meist in Ballonseide aus der Kabine, er als einer der letzten durchgestylt, im feinen Zwirn. Sein Domizil in Warnemünde hat den Meerblick inklusive. Privat liebt er es exquisit.“

Interview

Mourinho hat mich menschlich enttäuscht

Ottmar Hitzfeld mit Michael Ashelm (FAS 10.4.)
FAS: Sie haben offen Kritik am Kollegen Mourinho vom FC Chelsea geübt. So kennen wir den Gentleman Hitzfeld gar nicht. Was war der Grund?
OH: Das war einfach meine Meinung. Sportlich gesehen ist Mourinho ein super Trainer, und er hat großartige Erfolge. Aber er hat mich menschlich enttäuscht.
FAS: Es gehört doch zum Zeitgeist in diesem Geschäft, Aggressivität offen zur Schau zu stellen. Ist das nicht der Trend?
OH: Ich sehe da keinen Trend. Ich sehe das nur bei Mourinho. Die anderen Trainer der Champions League haben sehr große menschliche Qualitäten, die sie auch zum Ausdruck bringen. Da hat Mourinho noch Nachholbedarf. (…)
FAS: Welche Anforderungen müßte Ihr nächster Arbeitgeber erfüllen?
OH: Ich will jetzt nicht spekulieren und es völlig offenlassen, ob ich eine Spitzenmannschaft übernehme, vielleicht ein Abenteuer wage in Japan oder China oder eine Nationalmannschaft trainiere. Das kann man nicht hypothetisch durchspielen. Ich habe mich immer auf mein inneres Gefühl verlassen, ob mir ein Angebot zusagt.
FAS: Wie viele Angebote haben Sie bisher abgelehnt?
OH: Im zweistelligen Bereich. Es gibt immer Anfragen, von überall her.
FAS: Auch Real Madrid?
OH: Ja, die auch.
FAS: Wie stark wurde versucht, Sie zu gewinnen?
OH: Der Lear-Jet stand schon zum Abholen bereit.

Ball und Buchstabe

Es ist viel leichter, Sünden zu büßen, als sie zu unterlassen

Dirk Schümer (FAS 10.4.): „Bei den Partien der Champions League wurde an den Papst nicht nur mit einer allgemeinen Schweigeminute erinnert. Im frommen Mailand, dessen Erzbischof Tettamanzi als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge gilt, reckten grimmige Fans ein Transparent hoch: „Karol, die Tore des Himmels stehen weit offen“. Beim defensivstarken italienischen Fußball, der die Tore stets so weit wie möglich dichthält, ist das ein Riesenkompliment. Ob sich freilich Fans und Sportler, die so fromm tun, auch vom moralischen Vorbild des Papstes anregen lassen? Bald nach der Schweigeminute für Johannes Paul II. gerieten die Mailänder Fans handgreiflich aneinander, ohne einander mit christlicher Sanftmut die andere Wange hinzuhalten. (…) Es ist viel leichter, Sünden abzubüßen, als sie zu unterlassen.“

Unterhaus

Sehnsucht nach Aufregung

Wird Huub Stevens in Köln bleiben? Christoph Biermann (SZ 11.4.) glaubt nein: „Dass es beim FC eine Sehnsucht nach Aufregung und Verrücktheit gibt, hat der Arbeiter Stevens entweder nicht verstanden oder es widerspricht ihm zutiefst. So wurden im Laufe der Saison kaum einmal Sprechchöre für den Trainer angestimmt, und wahrscheinlich würde inzwischen sogar Jubel losbrechen, gäbe Wolfgang Overath den Abschied des Holländers bekannt. Wahrscheinlich wäre das Publikum inzwischen sogar überrascht, wenn Stevens auch in der kommenden Saison in Köln auf der Bank sitzen würde. Zu oft hat er sich inzwischen so diffus zu seiner Zukunft geäußert, dass man es irgendwann nur noch als verschwiegene Ankündigung seines Rücktritts verstehen konnte.“

Bundesliga

Die größte Leistung

Peter Penders (FAZ 11.4.) lenkt den Blick auf Bert van Marwijk: „Bei allem Respekt – selbst wenn Felix Magath mit den Bayern noch die Champions League gewinnt, selbst wenn Ralf Rangnick mit Schalke den Titel holt, oder wenn Jürgen Klopp und Uwe Rapolder mit Mainz und Bielefeld die Klasse halten: Vielleicht hat ihr Dortmunder Trainerkollege Marwijk unter den besonderen Umständen die größte Leistung vollbracht. Denn derzeit ist die Borussia nur noch drei Punkte vom sechsten Platz entfernt. Wenn sie in Dortmund darauf im Dezember ihr letztes Geld gesetzt hätten, wären sie nun ein paar Schulden los. Angesichts des bekanntgewordenen Geschäftsgebarens wundert es fast, daß niemand darauf gekommen ist.“

In den Grundfesten erschüttert

Oliver Trust (Tsp 11.4.) beschreibt Schalker Frust: „Die gesamte Schalker Fußballfamilie stellte bisher Gültiges in Frage. Im Kollektiv warf man hinderlichen Ballast von den Schultern, um fortan wenigstens noch als Außenseiter ohne Erwartungsdruck das Minimalziel Champions League erreichen zu können. Um den Titel müsse man sich „in dieser Verfassung keine Gedanken machen“, sagte Ralf Rangnick. Wie ein Schlag, der den ganzen Verein in seinen Grundfesten erschütterte, hatten die drei Tore Kuranyis gewirkt.“

Schwülstiger ging es nicht mehr

Matthias Wolf (FAZ 11.4.) ist von der Berliner Soap um Marcelinho genervt: „Zwei Tage lang hatte der schmollende Brasilianer gewartet, bis er sich entschuldigte – und eine Geldstrafe zahlte. Nun gliederte er sich wieder ein ins Familienleben. Dieter Hoeneß blickte zufrieden. Der Herrscher des Vereins hat mit harter Hand wieder mal alle auf Kurs gebracht im Biotop, wo angeblich seit dieser Saison nur noch Erfolg und Teamgeist Nährboden finden. Wen störte es da, daß die Nur-die-Liebe-zählt-Inszenierung allzu kitschig geriet? (…) Diesen Satz hätte er sich lieber sparen sollen: „Ich widme den Treffer Arne. Arne hat Charakter“, weil er „meine Entschuldigung nach meinem Fehlverhalten angenommen hat. Jetzt sind wir versöhnt.“ Schwülstiger ging es nicht mehr. Falko Götz schwärmte, er sei „sehr, sehr froh“, so einen Spieler zu haben. Das gilt bis zum nächsten Aussetzer des Exzentrikers, der ja nicht nur hart zuschlagen, sondern auch zu schnell fahren, zu lang schlafen, zünftig feiern und mehr Geld ausgeben kann, als er auf dem Konto hat.“

Morgenthau-Plan

Philipp Selldorf (SZ 11.4.) befasst sich mit der Entwicklung Bayer Leverkusens, die Welt zitierend: „„Bayer plant das Ende des attraktiven Fußballs in Leverkusen“. Das klingt nach einer Art Morgenthau-Plan der Firmenzentrale: technische Demontage, Rückkehr zu den primitiven Ursprüngen. Die Vorstellung wurde mit Recht als Zumutung empfunden, Teile der Anhängerschaft forderten sühnehalber ein Menschenopfer und suchten sich dazu Vereinschef Wolfgang Holzhäuser aus. Was für ein brisanter Zufall, dass an diesem Tag nach monatelanger Absenz der alte Volkstribun Reiner Calmund zu Besuch erschienen war. Auf das jahrelang durch aufregenden Sport und großes Spektakel verwöhnte Publikum wirkt Calmund wie der Repräsentant der goldenen Vergangenheit, Holzhäuser dagegen als Betriebswirt, der mit kalter Präzision den Verein abwickelt. Fair ist das nicht, aber seit wann sind Fußballfans fair? Holzhäuser darf keinen Beifall erwarten bei seiner Aufgabe, mit weniger Geld Calmunds sportliches Erbe fortzuführen. Man gewinnt den Eindruck, dass sich Bayer 04 vorsätzlich ins Mittelmaß zurückzieht.“

Unberechtigte Selbstzufriedenheit

Mauern auf dem Spielfeld, Angreifen nach dem Schlusspfiff – die neue Wolfsburger Strategie, meint Uwe Marx (FAZ 11.4.): „Der gute alte Catenaccio lebt. Und das nicht nur in Italien, wo sie diese Mauertaktik erfunden haben. In Mainz war jetzt die niedersächsische Variante zu sehen: Mut zum häßlichen Spiel, abwehren, was das Zeug hält, möglichst lange möglichst wenig angreifen, bloß kein Risiko eingehen – und dann zuschlagen. Die Torchancen zwei und drei in diesem unansehnlichen Spiel wurden zu den Toren eins und zwei genutzt. Wer 2:0 gewinnt, kann spielen, wie er will, er hat hinterher die Deutungshoheit. (…) Nach den jüngsten Rückschlägen war Selbstzufriedenheit verständlich. Berechtigt war sie nicht.“

Christian Tretbar (Tsp 11.4.) bemerkt dazu: „Der Streit um Thomas Brdaric ist wohl eine Projektionsfläche für das angespannte Verhältnis zwischen Erik Gerets und Thomas Strunz.“

Lange Ungesehenes wieder in Schemen erkennbar

Bochum kommt in Fahrt – Christoph Biermann (SZ 11.4.): „Die Dinge haben eine erfreuliche Wendung genommen. Erleichtert kann man feststellen, dass Peter Neururer auf dem Weg dazu ist, wieder so verschwurbelt zu reden wie in seinen besten Tagen. Nachdem seine Rede angesichts des Elends immer knapper und präziser geworden war, plustert sich seine Sprache endlich wieder auf. „Ich könnte jetzt hochphilosophisch werden und sagen: Aus der Resthoffnung ist eine größere Resthoffnung geworden“. Nichts an seiner Äußerung war überhaupt mittel- oder niederphilosophisch, aber irgendwo am Ende des Bochumer Tunnels flackert das Licht einer zarten Hoffnung auf den Klassenerhalt und lässt lange Zeit Ungesehenes zumindest wieder in Schemen erkennen. „Wir sehen den Weg, den wir beschreiten müssen und der eindeutig mit Punkten gekennzeichnet ist.““

Trainerstimmen zum 28. Spieltag, sueddeutsche.de

Samstag, 9. April 2005

Internationaler Fußball

Den Wunderspieler, gibt es nur noch selten

Ronald Reng (BLZ 9.4.) beschreibt den Einfluss Ronaldinhos auf den FC Barcelona: „Was eine Ein-Mann-Elf war, ist nun eine Solidargemeinschaft der Künstler. Ronaldinho hat diese Saison neben dem verlässlichen Partner Xavi in Deco, Samuel Eto‘o und Guily drei neue hochklassige Kollegen, es ist ihr Zusammenspiel, das Gewebe aus ihren Direktpässen, die Synchronisation ihrer Bewegungen, was sie zur spektakulärsten Elf der jüngsten Jahre macht. Dafür musste Ronaldinho einen Teil seines Protagonismus opfern, selbst die Statistik belegt es: Vergangene Saison schoss er 22 Tore, diese bislang 9. Wo er sich an Einzelaktionen wie seinen Dribblings über den halben Platz berauschte, fügt er sich nun oft mit einem einfachen Pass ins Gesamtkunstwerk ein. Ronaldinho, den Wunderspieler, gibt es nur noch selten. Vielleicht hat er auch nicht die Form des Vorjahres – aber im Grunde ist es ein Fortschritt: Er ist ein Weltkassespieler geworden, der dafür sorgt, dass alle neben ihm auch wie Weltklasse wirken.“

Bundesliga

Die eigene Mannschaft stärken, die Konkurrenz schwächen

Richard Leipold (Tsp 9.4.) blickt auf das Schalker Spiel in Stuttgart: „Die Begegnung mit dem VfB ist auch ein Spiel um Kevin Kuranyi. Es ist kein Geheimnis, dass dessen Vertrag eine Klausel enthält, die ihm einen Wechsel erlaubt, wenn der VfB nicht mindestens Zweiter wird. Für Rudi Assauer wäre eine Verpflichtung nicht nur die Gelegenheit, die eigene Mannschaft zu stärken, sondern zugleich die Konkurrenz zu schwächen. Die Bayern arbeiten seit Jahrzehnten nach diesem Prinzip. Bei Werder Bremen ist es Assauer schon gelungen.“

Schwankungen

„Wie gut sind die Stuttgarter in dieser Saison wirklich?“, fragt Peter Heß (FAZ 9.4.): „Die Hauptschwierigkeit für den VfB liegt darin, daß er in der Offensive ziemlich abhängig von der Form Alexander Hlebs ist. Der vielleicht talentierteste Spieler der gesamten Bundesliga wandelt ständig zwischen Weltklasse und zweiter Liga. Der Weißrusse mit der Fähigkeit zum Besonderen spürt den Druck der Verantwortung. In seinem Drang zur Eigeninitiative findet er nicht immer das rechte Maß. Zwischen genialem Dribbler oder Regisseur und eitler Spielbremse liegt oft nur ein kleiner Schritt zuviel. Sind die Schwankungen Hlebs die Schwankungen des VfB?“

BLZ: Hleb sieht seine Zukunft beim VfB Stuttgart

Es geht um maximalen sportlichen Erfolg bei Vermeidung der Insolvenz

Jörg Marwedel (SZ 9.4.) beobachtet die Entwicklung in Hamburg: „Der nächste Schritt auf dem Weg zurück in die internationale Klasse könnte schwierig werden. Der HSV, 1983 Europapokalsieger der Landesmeister, ist noch längst nicht wieder konkurrenzfähig mit den Größten der Branche. Einen Kraftakt wie im vergangenen Jahr, als man 11,5 Millionen Euro Ablöse in Benjamin Lauth, Daniel van Buyten, Emile Mpenza und Khalid Boulahrouz investierte, „können wir nicht wiederholen“, sagt Dietmar Beiersdorfer. Nur für punktuelle Verbesserungen sei Spielraum da. Das neue Stadion, nun im Besitz des HSV, ist nicht nur Segen, sondern auch Handikap. Während etwa Hertha BSC für zwei Millionen Euro Miete pro Jahr im Olympiastadion jede Glühbirne bei der Stadt anfordern kann, tragen die Hamburger außer am Unterhalt auch schwer am Kapitaldienst. Etwa sieben Millionen Euro habe man deshalb jede Saison weniger zur Verfügung als die Berliner, sagt Vorstandschef Bernd Hoffmann und rechnet das in die gültige Währung um: „Davon kann man zwei Klassespieler mehr bezahlen.“ Hoffmann, früher Chef bei der Marketingagentur Sportfive, hat im neuen Job radikal umdenken müssen. „Ich dachte immer, als Klubvorstand müsse das Ziel maximaler Gewinn sein, in Wirklichkeit geht es um maximalen sportlichen Erfolg bei Vermeidung der Insolvenz“, erzählt er. Ein flapsiger Satz mit hohem Wahrheitsgehalt.“

Indirekt bin ich über Sforza gestolpert

Die FAZ (9.4.) befasst sich noch einmal mit Kurt Jaras Ausstieg in Kaiserslautern: „Es ist mittlerweile selten, daß eine Trainerentlassung in der Bundesliga noch für Erstaunen sorgt. Dem 1. FC Kaiserslautern ist dieses Kunststück gelungen. Denn die üblichen Gründe – Erfolglosigkeit oder mangelhafter Kontakt des Trainers zu den Spielern – taugten diesmal nicht als erklärende Hinweise für das Ende einer Beziehung. Der Österreicher hatte in der Rückrunde eine bestenfalls durchschnittliche Mannschaft von den hinteren Regionen auf den elften Platz geführt. So hinterließ die „einvernehmliche Trennung“ viele offene Fragen, nicht zuletzt über das Verhältnis zwischen Jara und dem Klub mit seinen verschiedenen Strömungen. Zwei Tage nach seinem Abschied hat der Österreicher selbst ein paar Argumentationshilfen für das abrupte Ende nachgeliefert. Er machte Ciriaco Sforza mitverantwortlich für sein Scheitern als Trainer in der Pfalz. „Indirekt bin ich über ihn gestolpert“, behauptete Jara in einem Interview mit der Bild-Zeitung.“

Ascheplatz

Rattenrennen

Frank Hellmann (FR 9.4.) warnt: „Die Liga wendet etwa 500 Millionen Euro an Gehältern für Spieler, Trainer und Angestellte auf, pro Klub fließen damit im Schnitt rund 28 Millionen Euro ans Personal. Besonders die Champions-League-Anwärter klotzen auf diesem Sektor und veranstalten ein wahres Rattenrennen. Immer öfter entpuppt sich die Champions-League-Qualifikation auch als Fluch. Die Gefahr: Prämien und Vertragsverlängerungen kommen die Klubs teuer zu stehen. Und wenn sich der internationale Ruhm verflüchtigt hat, laufen die Fixkosten auf einem Niveau weiter, das allein mit dem Liga-Betrieb nicht mehr zu finanzieren ist. So kritisiert der anerkannte Analyst Peter-Thilo Hasler, „dass zu viele Manager immer mit dem ‚best-case-Modell‘ rechnen.“ Nur wenn sie alle Ziele erreichen würden, gingen die Bilanzen plus-minus-null auf. „Erst einmal sollten die Klubs Gewinn erwirtschaften, dann investieren. Noch immer wird der Spieler für teures Geld geködert, obwohl man ihn erst später bezahlen kann.““

Freitag, 8. April 2005

Champions League

Chelsea ignorierte den Stil seines Gegners

Roland Zorn (FAZ 8.4.) sieht Chelsea spielen und fordert von den Deutschen, aus der Lethargie zu erwachen: „Der FC Chelsea schlug ein höllisches Tempo an und attackierte die Münchner mit unentwegter Kampfbereitschaft. Dieser im Teamwork leidenschaftliche Eroberergeist schien manchen Star aus deutschen Gefilden derart überrascht zu haben, daß darüber die Fähigkeit, den Überblick zu behalten, oft genug verlorenging. Was in vertrauten Bundesliga-Gefilden immer wieder glückt – den Spielrhythmus bei Bedarf zu variieren, genug Zeit und Ruhe am Ball zu haben –, verfing in London nicht. Chelsea ignorierte den Stil seines Gegners und bestimmte selbst, wie der Ball zu rollen und zu fliegen hatte. Der Londoner Powerbeat könnte zum Trendsetter einer Saison werden, in der Deutschlands Klubs wieder einmal über die Rolle des europäischen Mitläufers nicht hinausgekommen sind. (…) Die Zeit der Nabelschau in der Bundesliga, die sich lieber über ihre neuen Stadien freut, statt mit neuer Spielfreude für sich zu werben, sollte allmählich vorbei sein. Neugier, Innovationsbereitschaft, Lernfähigkeit sind im auf vielerlei Weise stagnierenden Land des kommenden Möchtegern-Weltmeisters dringend notwendig, sollen in vollen Arenen Durchschnittsinszenierungen demnächst nicht mehr mit Spitzenprodukten verwechselt werden.“

Zweifel am sportlichen Niveau

Philipp Selldorf (SZ 8.4.): „Worin besteht das Werk von Felix Magath? So recht weiß das noch immer keiner. Auftritte, die den prägenden Charakter von Magaths taktischen Überlegungen und die besondere Substanz des Teams offenbarten, wollen nur wenige einfallen, stattdessen vier erstaunlich verwandte Niederlagen: Zweimal 0:1 gegen Juventus, zweimal 0:1 gegen Schalke. In dieser Bilanz der Spitzentreffen, aktualisiert durch das 2:4 in London, nähert sich der FC Bayern auf bedenkliche Weise dem Trauma der deutschen Nationalelf, die immer ein Lob für ihre Anstrengungen erhält, aber die Spiele gegen die großen Gegner nie gewinnen kann. (…) So mehren sich die Zweifel, ob der FC Bayern das sportliche Niveau besitzt, das er gewohnheitsmäßig für sich reklamiert.“

Kapital

Ralf Sotscheck (taz 8.4.) nennt die Gegenwärtigkeit José Mourinhos: „Der FC Chelsea spielt so diszipliniert wie ein Computer, der von Mourinho programmiert worden ist. Der hat übrigens Kapital aus seiner Uefa-Strafe geschlagen. Weil sich Mourinho von seinem Verein bei den Querelen im Stich gelassen fühlte, befürchtete man, dass er zum Sommer kündigen werde. So erhöhte Roman Abramowitsch Mourinhos Gehalt kurzerhand um eine 1 Million auf 5,2 Millionen Pfund im Jahr.“

FAZ: „Die Deutungshoheit nach dem Spiel wollten die Bayern sich nicht auch noch von der Überzeugungskraft der Fakten rauben lassen“

NZZ: Michael Ballacks „Theatralik“, also Michael Ballacks Schwalbe

Hang zur Dietrologie

Peter Hartmann (NZZ 8.4.): „Es sieht für Inter düster aus, die „Nerazzurri“, die Schwarzblauen, können einfach nicht meh[r gewinnen gegen Milan. Seit neun Spielen mittlerweile, seit über drei Jahren und, Zufall oder rotschwarze Magie – seit Pirlo mit den „Rossoneri“ spielt. Der Fall Pirlo ist exemplarisch für die Ungeduld des verschwenderischen Inter-Besitzers Massimo Moratti, der sich den Erfolg seit zehn Jahren zu kaufen versucht. Der schmächtige Ballkünstler kam 1998 mit 19 Jahren nach Mailand und wurde von den Trainern, die sich die Kabinentür in die Hand gaben, verkannt, obwohl er mit der U 21 Europameister wurde (er selber schoss die beiden Tore im Final gegen Tschechien). Er landete wieder in Brescia und, weil er noch Inter gehörte, als Manövriermasse in einem Tauschgeschäft bei Milan. Vielleicht hat auch nur sein Name gestört, Pirlo ist ein vulgäres Synonym für Penis (…) Die Entdeckung Pirlos erscheint manchen als höhere Fügung, wie die Findung des Dalai Lama. Italienische Sportjournalisten haben einen Hang zur „Dietrologie“, das heisst, Dinge hinter den Dingen zu suchen, aus Zahlen schwarze Magie abzuleiten. Ist Pirlo eine Wiedergeburt Gianni Riveras?“

Ball und Buchstabe

Keine Araber – keine Tore

Israelische Araber haben in letzter Zeit wichtige Tore für Israel geschossen; Moshe Zimmermann (SZ/Feuilleton 8.4.) beschreibt deren Symbolhaftigkeit: „Kaum etwas kann das Paradox der israelischen Gesellschaft besser illustrieren als diese Tore. Ein arabisches Mitglied der Knesset machte daraufhin den Vorschlag, den populären Spruch der israelischen Rechten, „Keine Araber – keine Terroranschläge“ (im Klartext: „Vertreibt alle Araber, um Terroranschläge zu verhindern!“), durch den Slogan „Keine Araber – keine Tore“ (für Israel) zu ersetzen. (…) Selbstverständlich gibt es auch hier einen deutschen Zusammenhang: In der israelischen Öffentlichkeit wird – wie auch intern in der Nationalmannschaft – unterstrichen: Es geht diesmal nicht nur um die WM-Vorrunde. Es geht darum, 2006 in Deutschland auftreten zu können. Die Fußballplätze Deutschlands sollen Austragungsorte einer anderen Art von Abrechnung mit der dunklen Vergangenheit werden.“

Fußballkonklave

Axel Kintzinger (FTD 8.4.) wartet auf weißen Rauch: „Ob Vereine wie Schalke oder eben Stuttgart in der europäischen Königsklasse etwas zu suchen haben, wäre ein schönes Thema für ein einzuberufendes Fußballkonklave, in dem Kicker-Kardinäle wie Max Merkel oder Udo Lattek für eine ähnliche Jugendlichkeit garantierten wie die Kollegen in Rom. Das diesjährige Auftreten der Bundesligisten auf europäischer Bühne liefert jedenfalls wenige Argumente für möglichst viele deutsche Teams in Champions League und Uefa-Cup. Da müssen wir sogar den hiesigen Branchenprimus aus München mit ins Gebet einschließen. Zurück nach Rom.“

Donnerstag, 7. April 2005

Interview

Ohne eine stabile Deckung kann man nicht offensiv werden

Felix Magath mit Roland Zorn (FAZ 6.4.)
FAZ: Der FC Chelsea bietet so etwas wie den Gegenentwurf zu Real Madrid. Dort stehen seit Jahren die Stars auf dem Platz im Blickpunkt, während man sich an die Namen der jeweiligen Trainer kaum noch erinnert. Beim Londoner Tabellenführer der Premier League spielen viele hervorragende Profis, die Starrolle aber besetzt allein Mourinho. Wie beurteilen Sie ein solches Konstrukt, in dem der Trainer die Inszenierung entwirft und einen Konzeptfußball anbietet, in dem über allem das große Ganze zählt?
FM: Ich bin insofern Fan von Mourinho, weil ich auf meinen vorhergehenden Stationen ähnlich agiert habe. Ich hatte natürlich nicht die Position, die Mourinho jetzt in Chelsea hat, der zu einem Klub gegangen ist, der in den vergangenen Jahren zwar viel Geld, aber wenig Erfolg hatte. Mourinho ist dorthin als Champions-League-Sieger gekommen. Das hat ihm eine Machtposition verschafft, deren Basis er sich beim FC Porto erarbeitet hat. Er weiß einen Weg, wie man erfolgreich ist.
FAZ: Neiden Sie ihm die anscheinend unbeschränkte Fähigkeit, alles, was im sportlichen Betrieb des FC Chelsea wichtig ist, selbst bestimmen oder mitbestimmen zu können?
FM: Ich neide niemand etwas, glaube aber, daß es notwendig ist für einen Trainer, der erfolgreich arbeiten will, soviel Einfluß wie möglich zu nehmen – zum Wohle des Vereins.
FAZ: Mourinho gilt auch als Meister der Mindgames, also von Psychospielchen, die der Stärkung der eigenen Mannschaft dienen, aber auch bis hin zur Verhöhnung des Gegners, anderer Trainer oder der Schiedsrichter führen können. Verfolgen Sie eine ähnliche Mindgames-Strategie wie Mourinho?
FM: Wie ein Trainer psychologisch arbeitet, bleibt jedem selbst überlassen. Wir hatten ja in Deutschland Christoph Daum, der ähnlich wie Mourinho auf dieser Klaviatur spielte. Aus meiner Sicht verbrauchen sich diejenigen, die sehr stark auf Psychomethoden setzen, schnell. Ich bezweifle, daß es das richtige Mittel ist, um längerfristig irgendwo zu arbeiten. Man muß immer noch eins draufsetzen, wenn man so arbeitet. Das geht nur eine bestimmte Zeit, und dann kommt man aus der Nummer nicht mehr raus. Deswegen ist es aus meiner Sicht zu gefährlich. (…)
FAZ: Führt der Weg zum großen Erfolg für Sie zuerst über eine starke, kompakte Defensive?
FM: So war es schon immer. Aus eigener Erfahrung als Spieler habe ich schon erlebt, daß eine Mannschaft nur dann richtig funktionieren und spielbestimmend sein kann, wenn die Kraft aus der Defensive kommt. Andernfalls ist eine Mannschaft nicht in der Lage, ihr Offensivpotential umzusetzen.
FAZ: Gilt das nur im Fußball?
FM: Das gilt in jedem Sport, in jedem Spiel. Ich spiele ja gern Schach. Wenn Sie da gleich mit den Bauern wegziehen, gewinnt auch der Großmeister keinen Blumentopf. Schach ist mit dem Fußball sehr gut vergleichbar. Beides wird auf einem begrenzten Spielfeld gespielt, und das Objekt der Begierde liegt in der Mitte. Beim einen ist es das Tor, beim anderen der König. Daraus ergeben sich gemeinsame Strategien. Für beide Spiele gilt: Ohne eine stabile Deckung kann man nicht offensiv werden. Das ist auch beim Boxer so, beim Tennisspieler ebenfalls. Es ist eine Grundregel des Sports wie des Lebens.

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