indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Mittwoch, 18. August 2004

Bundesliga

Er schiebt die Mängel im System auf Ottmar Hitzfeld

Andreas Burkert (SZ 18.8.) will ein Foul Felix Magaths an Ottmar Hitzfeld erkannt haben: “Dass ihm in München nicht auf Anhieb alles gelingt, ist dem neuen Cheftrainer spätestens vergangenen Samstag klar geworden, als sich der Titelfavorit mühsam zu einem 1:1 gegen die im Olympiastadion gewöhnlich aussichtslose Berliner Hertha quälte. Bei der Ursachenforschung ist Magath nun allerdings einen ungewöhnlichen Weg gegangen – er schiebt die Mängel im System zu keinem unbedeutenden Teil auf seinen Vorgänger Ottmar Hitzfeld. In einem Bild-Interview klagte Magath jetzt, Hitzfeld habe „sechs Jahre den Stil geprägt, aber ich habe ganz andere Vorstellungen“. Er bevorzuge den offensiven Stil, „man muss aktiv auf Tore aus sein“, doch die Mannschaft habe dies unter Hitzfeld verlernt. „Die Mechanismen sind eingefahren“, urteilt Magath, „in den letzten Jahren hieß es doch immer: Abwarten, irgendwann schießen wir schon das Tor.““

Ascheplatz

Interview mit Rudi Assauer

11Freunde-Interview mit Rudi Assauer über sein Verhältnis zu jüngeren Managern und sein Berufsbild – die 11Freunde vermissen bei vielen Vereinen eine Vereinsphilosophie

Ein Interview mit Rudi Assauer in 11 Freunde (August)

11F: Neben Uli Hoeneß, Michael Meier und Ihnen gibt es viele junge und neue Gesichter auf den Manager-Posten der Bundesliga. Wie sieht es mit dem Verhältnis untereinander aus?
RA: Das ist gut bis sehr gut. Selbstverständlich ist es zu den einzelnen Managern auch unterschiedlich, aber in welchen Bereichen ist das nicht der Fall? Wenn man mit siebzehn anderen Menschen zu tun hat, da gibt es immer welche, mit denen man besser auskommt, und manche, mit denen man nicht so gut auskommt. Das ist im Fußball nicht anders als im normalen Leben. Aber grundsätzlich kann man sagen, dass das Verhältnis zwischen den Managern stimmt.
11F: Schauen Sie als „alter Hase“ auch manchmal auf einen jungen Kollegen und denken: „Mensch, der macht seine Sache aber richtig gut“?
RA: Es gibt einige Kollegen, die in ihren Vereinen sehr gute Arbeit geleistet haben, und vor denen habe ich auch den nötigen Respekt.
11F: Manche Vereine scheinen aber nicht viel von dem Manager-Posten zu halten und lassen den Trainer diese Arbeit gleich mit erledigen [of: Wer denn in Deutschland?]. Was halten Sie von diesem Modell?
RA: Gar nichts! Das gibt ständig Interessenkonflikte. Ich halte es beispielsweise für sehr schlecht, dass ein Trainer weiß, was die Spieler verdienen, genauso im umgekehrten Fall. [of: Welcher umgekehrter Fall?] Da bekämpft man sich im Prinzip gegenseitig.
11F: Sie waren vor Ihrer Zeit als Manager lange Jahre Bundesliga-Profi, haben dazu aber ein Banklehre hinter sich gebracht. Ist es für einen Manager heutzutage besser, wenn er aus dem Fußball oder aus der Wirtschaft kommt?
RA: Das muss man strikt unterteilen. Es gibt nicht viele Wirtschaftsleute, die auch genügend Fußball-Sachverstand haben. Was nützt es, wenn man wie wild Zahlen drehen kann, aber keine gute Truppe zusammenkriegt? Andererseits nutzt der beste Fußball-Sachverstand wenig, wenn dem Verein die Wirtschaftskraft flöten geht. Das sollte man also trennen, dass sich jemand aufs Geschäft und jemand auf den Fußball konzentriert.

Die WamS hat vor zehn Tagen Rudi Assauer Deutlicheres entlockt

Vielerorts herrscht über die Corporate Identity des eigenen Klubs völlige Unklarheit

„Kaum ein Job im Profifußball hat sich in den letzten Jahren so verändert wie der des Managers“, schreiben Philipp Köster & Robert Mucha (11 Freunde, August): „Gänzlich desaströs gerieten die Kommunikationsstrategien der Borussia jedoch, als erste Gerüchte über finanzielle Schieflagen beim BVB durch die Gazetten waberten und die Führungsetage darauf hin nur scheibchenweise für Klarheit sorgte. Stattdessen wurde gemauert und fintiert. Die Öffentlichkeitsarbeit der Dortmunder übernahmen die findige Journalisten der SZ und des kicker. Zweifellos ein Supergau der Unternehmenskommunikation. Das Dortmunder Desaster beleuchtet ein ganz grundsätzliches Problem der Managergilde. Denn die Öffentlichkeitsarbeit der Manager sollte sich eine ganz neue Perspektive geben. Findet jedenfalls Hannovers Ex-Trainer Ralf Rangnick, dessen Konflikte mit dem streitbaren Manager Ricardo Moar über mehrere Wochen die Gazetten füllten. „Der Manager eines Bundesligisten ist nicht mehr nur Scout und Verhandlungsführer, wie sich etwa Moar in Hannover gesehen hat. Der Manager sollte den Verein nach innen und außen interessiert repräsentieren und gewährleisten, dass mit einer Stimme gesprochen wird“, fordert Rangnick. „Jeder innerhalb und außerhalb des Vereins muss wissen, mit wem und mit welcher Vereinsphilosophie man es zu tun hat.“ Vielerorts herrsche über die Corporate Identity des eigenen Klubs völlige Unklarheit. „Gerade einmal bei zwei Klubs, dem SC Freiburg und Bayern München, weiß jeder, was er bekommt, wenn er ins Stadion geht. Fast der ganze Rest der Liga hat keine klar definierte Vereinsphilosophie, die auch so nach außen kommuniziert werden könnte, um neue Zuschauer zu werben.“ Eine Aufgabe wie aus dem Marketing-Lehrbuch, weniger für einen Fußball-Fachmann.“

of: Wie immer sehr lesenswert, die 11 Freunde – wenn sie doch nur auf Füllwörter verzichten würden.

Deutsche Elf

Ödes Einerlei

Unfassbar! Hat Rudi Völler trainieren lassen wie in der A-Klasse, wie die FR lapidar und in Nebensätzen feststellt? „Jürgen Klinsmann räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein“, Völler etwa nicht? / Klinsmanns „erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben“ (FAZ) / Klinsmanns ABC der Unternehmenskommunikation: „mit Schlüsselaussagen in die neue Ära“ (FAZ) u.a.

Ödes Einerlei

Wie bitte?! Das kann doch nicht sein! Stimmt das etwa, was Frank Hellmann (FR 18.8.) über Rudi Völler und Michael Skibbe schreibt? Hellmann verglicht das Training Klinsmanns und Löws mit dem Training ihrer Vorgänger „So etwas hat man im Trainingsbetrieb der deutschen Nationalelf lange nicht gesehen: Spielformen und Passfolgen, Kommandos und Korrekturen, Übungen mit festen Positionen. Klinsmann, das ist nach zwei erfrischenden Einheiten offensichtlich, räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein, auch wenn es der 40-Jährige selbst bei der Rolle des Betrachters belässt. Der Bundestrainer erklärt die gemeinsame Stoßrichtung: „Wir haben es uns zu Herzen genommen, das schnelle Kurzpassspiel zu verbessern.“ Und nicht nur das. „Es ist anstrengender geworden“, sagen die Nationalspieler. Man verbringt mehr Zeit auf dem Rasen als vor der Playstation. Unter der Führung von Rudi Völler war der sportliche Aufwand arg limitiert, der Aufenthalt bei der DFB-Elite ideal, um viel zu regenerieren und wenig zu trainieren. Zwei intensive Einheiten an einem Tag? Undenkbar. Einstudieren von Spielzügen mit festen Positionszuteilungen? Anstrengende Zweikampfschulung auf engem Raum? Laute Schelte vom Trainerstab? Gab es nicht. Das Duo Klinsmann/Löw lässt länger trainieren (gerne 90 Minuten), intensiver und abwechslungsreicher. Dahinter steckt eine Philosophie, wie Klinsmann erläutert: „Jedes Trainergespann hat eine eigene Auffassung: Bei uns ist die Trainingsarbeit sehr wichtig, wir wollen hohe Konzentration und Motivation.“ Und auf Erfordernisse des Hochgeschwindigkeits-Fußballs eingehen. „Alle Übungen werden ,full speed‘ gemacht“, verlangt der Bundestrainer, „im hohen Turnus, um diesen Rhythmus auch im Spiel zu gehen“. Es gilt, einen Stil zu kreieren, den die Nationalteams aus Tschechien, Holland oder Spanien aus dem Effeff beherrschen. Die Deutschen (noch) nicht. Deren zurückgetretener Teamchef, im Gegensatz zu Klinsmann nicht im Besitz des Trainerscheins, befleißigte sich eines Trainingsprogramms aus der Mottenkiste: Bestehend in der Regel aus vier viertelstündigen, stets wiederkehrenden Bestandteilen: Warmlaufen mit integriertem Gymnastikanteil, Kreisspiel (mit integriertem Völler), Torschusstraining (Aufsicht Skibbe) und Abschlussspiel auf halbem Platz (Begutachtung Völler/Skibbe). Ziemlich ödes Einerlei. Selbst als Völler dazu überging, die Einheiten geheim zu halten, änderte sich kaum etwas. Dietmar Hamann verriet hinterher: „Wir haben nichts anders gemacht als sonst.“ Aber anders als in der Ära Erich Ribbeck übten Hamann und Kollegen aber keine Kritik. Weil auch Fußballer Gewohnheit wie Bequemlichkeit schätzen, hat niemand aufbegehrt. Selbst die ständigen Begleiter der DFB-Elite nicht – Rudi war Kult.“

of: Zitat Hellmann: „Klinsmann räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein“, Völler etwa nicht? Das wäre eine Schande, eine fette Schlagzeile, ein Skandal! Eine Pleite auch der Berichterstatter! Sollte das stimmen, was Hellmann über das Training Völlers schreibt – warum erfahren wir erst jetzt davon? Sollte es stimmen, hätten viele Journalisten während der EM ihren Auftrag vernachlässigt. Warum lese ich Zeitung? Wenn Völler und Skibbe tatsächlich trainieren lassen wie in der A-Klasse, müssen wir (zunächst) nicht über Reformen, Nachwuchsförderung und Ausländerklauseln im deutschen Fußball diskutieren. Und alle Welt klagt über die Rückständigkeit Deutschlands Taktik und Technik… Bitte schreib irgendjemand, dass das alles nicht wahr ist!

Erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben

„Klinsmann knallhart“, findet Michael Horeni (FAZ 18.8.): “Das mit nationalem Prestige aufgeladene Ereignis Weltmeisterschaft gerät schon vor der ersten sportlichen Arbeitsprobe auch zu einem Projekt Klinsmann. Abgesehen von der Veränderungsdynamik an der Spitze des deutschen Fußballs – der DFB kam mit seinen ersten drei Bundestrainern 55 Jahre aus, mit den letzten drei werden es bestenfalls acht Jahre sein –, hat der neue Chef in seinen ersten Tagen beim DFB ein erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben vorgelegt. Der 40 Jahre alte Schwabe mit kalifornischer Businessprägung hat mit jugendlichem Lächeln und kalter Saniererattitüde nach seiner Vorstellung vor knapp drei Wochen schon jetzt mehr strukturelle Veränderungen eingeleitet als seine beiden Vorgänger in ihren gesamten Amtszeiten. Wie aus dem Lehrbuch des Managers begann er unmittelbar nach Amtsantritt mit den Grausamkeiten – denn später lassen sie sich kaum mehr durchsetzen. (…) Die geringsten Veränderungen, abgesehen von den Nachnominierungen in der Not, hat der Bundestrainer bisher im Kader der Nationalmannschaft vorgenommen. Durch den scharfen Klimawechsel nach der Ära von Liebling Völler sind allerdings auch schnell erfolgreiche Vorstellungen der Nationalmannschaft nötig, um dem Trainerneuling Klinsmann Spielraum und Akzeptanz für seine Reformen zu verschaffen. Bei den Testspielen bis zur WM steht schon viel auf dem Spiel.“

Im deutschen Fußballvolk herrschte eine Stimmung wie einst unter den Jakobinern in Frankreich

Philipp Selldorf (SZ 18.8.) erinnert an die Premiere Rudi Völlers: „Die Pressekonferenz vor dem Premierespiel kostet ihn nicht mehr Mühe als der erste Auftritt vor den Augen der Nation bei seiner Vorstellung als Bundestrainer. „Medienkompetenz“ müsse der neue Mann haben, sagte vor einigen Wochen der DFB-Chef Mayer-Vorfelder, als er die Auswahlkriterien erfüllte. Die Bedingung erfüllt Klinsmann. Im überfüllten Saal „Vierjahreszeiten“ des Intercontinental, mitten in der Stadt, gibt Klinsmann in fließender, teils kräftig schwäbelnder, teils mit Amerikanismen durchsetzter Rede Auskunft, das Podium entert und verlässt er mit dem demonstrativen Schwung, den Politiker im Wahlkampf vorzuführen pflegen. Das Charisma seines Vorgängers Völler beruhte auf Bodenständigkeit und Ehrlichkeit; Klinsmann besitzt Charme und eine frische, beinahe jugendliche Ausstrahlung, die ihn locker und freundlich wirken lässt. (…) Es ist wie damals, als Rudi Völler begann. Im deutschen Fußballvolk herrschte eine Stimmung wie einst unter den Jakobinern in Frankreich – das glorreiche 4:1 gegen Spanien schafften genau jene Fußballer, die nach der Heimkehr von der EM als Versager und Gesindel verflucht worden waren.“

Mit Schlüsselaussagen in die neue Ära

Klinsmann beherrscht scheinbar das ABC der Unternehmenskommunikation – Michael Horeni (FAZ 18.8.): “Die sportlichen Renovierungsarbeiten allerdings, die Klinsmann mit seinem Assistenten Joachim Löw in Angriff nehmen will, sind weitaus mühseliger zu bewerkstelligen als eine Hotelumbuchung. „Wir haben zwei, drei ,Key Messages an die Mannschaft herausgegeben“, sagt der Bundestrainer, was sehr professionell, sehr amerikanisch und sehr modern klingt. Vor seiner Premiere wolle er sein Team daher nicht mit „acht oder zehn Punkten“ behelligen, sagte Klinsmann. Denn er beabsichtigt, mit den Schlüsselaussagen den grundsätzlichen Wandel in der neuen Ära, die mit dem WM-Titel enden soll, deutlich zu machen. Nach Klinsmann bedeutet das erstens: aggressiv nach vorne spielen. Zweitens: mehr Schnelligkeit im Paßspiel entwickeln. Drittens: viel Bewegung ohne Ball. Das waren augenscheinlich nicht die Fähigkeiten und Stärken der Deutschen bei der Europameisterschaft, und auch nicht in den Jahren zuvor.“

Dienstag, 17. August 2004

Internationaler Fußball

Cliquenbildung hatte dem englischen Rekordmeister schon früher geschadet

Der FC Liverpool hat einen neuen Trainer, Rafael Benitez, aber einen Stürmer weniger, Michael Owen – Martin Pütter (NZZ 17.8.): „Die Ironie daran ist, dass Owen an der Spitze einer Reihe von Spielern stand, die von der Klubführung auf der Suche nach einem Nachfolger des entlassenen Gerard Houllier um Rat angefragt worden waren. Owen soll beeindruckt gewesen sein von Benitez‘ Arbeit in Valencia – nun ist eben er das zweite Opfer des frischen Windes, den der neue Chef in den FC Liverpool bringen will. Der erste Abgang hatte Danny Murphy betroffen, der zu Charlton Athletic gegangen ist. Der Wechsel des Mittelfeldspielers muss dabei auch im Zusammenhang mit Owen gesehen werden. Benitez war interessiert daran, einen Liverpooler Kern von Spielern zu sprengen, zu denen neben Murphy und Owen auch noch der Verteidiger Jamie Carragher sowie der Nationalspieler Steven Gerrard gehören. Cliquenbildung hatte dem englischen Rekordmeister schon früher geschadet. In einer der ersten Amtshandlungen als alleiniger Manager war Houllier darauf ausgegangen, die einflussreiche Spielergruppe um Jamie Redknapp (nun bei den Tottenham Hotspur), David James, Robbie Fowler und Steve McManaman (alle drei mittlerweile bei Manchester City) aufzubrechen. Owens Wechsel bietet Benitez und Liverpool auch eine grosse Chance. Unter Houllier war das Spiel der Mannschaft zu durchsichtig und eindimensional geworden, zu sehr auf Michael Owens Schnelligkeit ausgerichtet und generell zu defensiv, zu vorsichtsbetont ausgerichtet. Wer den Stürmer unter Kontrolle bekam, hatte Liverpool der Torgefährlichkeit beraubt. Ob es Benitez gelingt, mehr Varianz in das Offensivspiel zu bringen, wird sich im Verlauf der Saison zeigen.“

Bundesliga

Beiden hat dieses Spiel so gutgetan wie den Zuschauern

VfL Bochum-Bayer Leverkusen 2:2

Ein gutes Spiel hat Richard Leipold (FAZ 17.8.) gesehen – und zwei gute Neue: “In Leverkusen war Christoph Preuß ein Jahr lang ein Perspektivspieler ohne Perspektive gewesen. Dennoch hat der Dreiundzwanzigjährige sich seine unbekümmerte Art bewahrt, Fußball zu spielen. Davon profitiert nun sein neuer Arbeitgeber, der VfL Bochum. Bei seiner Heimpremiere im Ruhrgebiet, ironischerweise gegen Bayer Leverkusen, zeigte Preuß, was in ihm steckt. Als dritter Stürmer ins Spiel geschickt, gab es für Preuß nur eins: „Den Kopf ausschalten und Gas geben, bis zum Umfallen.“ In einem nach der Pause faszinierenden Spiel ist ihm beides trefflich gelungen. Gestört hat Preuß nur das Ergebnis. 2:2, das war aus Bochumer Sicht zu wenig, gemessen am läuferischen und kämpferischen Aufwand, den der längst auch spielstarke VfL betrieben hat. Lange hatte es so ausgesehen, als würden Risiko und Investitionsfreude der Bochumer mit einer Dividende von drei Punkten belohnt. Beim Stand von 2:1 wähnten sie sich schon als Sieger, übersahen aber, daß die Leverkusener auch an weniger guten Tagen jederzeit in der Lage sind, ein Tor zu schießen. (…) Beim Wiedersehen mit seinem früheren Arbeitgeber nahm er genau die Position ein, die in Bochum lange Paul Freier ausgefüllt hatte, der seit Saisonbeginn für Bayer 04 kickt. Im Gegensatz zu seinem Nachfolger braucht Freier viel Zeit und Zuspruch, um sich an seinen neuen Klub und seine neue Rolle zu gewöhnen. Die Rückkehr ins Ruhrstadion symbolisierte auf kuriose Weise, wie der Fünfundzwanzigjährige seinen Platz sucht. Nach schwachen Leistungen als Ersatzspieler nominiert, setzte er sich zunächst auf die Bochumer Bank, bis er von einem Leverkusener Kollegen umgeleitet wurde. Als er kurz nach der Pause eingewechselt wurde, zeigte aber auch Freier, daß sein Orientierungssinn ihn nicht ganz verlassen hat. Der Nationalspieler gefiel durch seine Ortskenntnis auf dem rechten Flügel. Freier so gut wie lange nicht, Preuß noch besser: Beiden hat dieses Spiel so gutgetan wie den Zuschauern.“

Wie ein Abziehbild des Teams aus dem Vorjahr

Christoph Biermann (SZ 17.8.) reicht Peter Neururer das Rasiermesser: „Ein wenig albern war die Aktion schon, und Neururer, so erzählte er, hatte sich am Sonntagmorgen sogar kurz überlegt, seinen Schnauzbart abzurasieren. Der Hauptsponsor des VfL Bochum ließ nämlich vor der Partie zehntausend Anklebe-Schnäuzer verteilen und forderte die Zuschauer im Ruhrstadion zu einem Neururer-Lookalike-Contest auf. Aber bis zur Rasur ging der Trotz des Bochumer Cheftrainers dann doch nicht, er hängt schließlich an seiner Gesichtbehaarung. Nach dem 2:2 war sowieso von einem ganz anderen Ähnlichkeitswettbewerb die Rede, den Neururers Mannschaft deutlich gewonnen hatte: den mit sich selbst. Fünf Spieler hatten den Klub im Sommer verlassen, sieben neue plus zwei Nachwuchsspieler waren hinzugekommen, und trotzdem spielte der VfL bei seinem Heimdebüt wie ein Abziehbild des Teams aus dem Vorjahr.“

VfL Wolfsburg-SC Freiburg 0:1

Von Achim Lierchert (FAZ 17.8.) liest man: „Während die einen Geschichte schreiben wollten, landeten die anderen einen beinahe als historisch empfundenen Sieg. Verkehrte Welt in der Volkswagen Arena, wo der VfL über 80 Minuten spielbestimmend war und am Ende doch verlor. Dabei hatten sich die Wolfsburger nach dem 2:1-Sieg zum Auftakt in Dortmund nichts mehr gewünscht, als nach Punkten zu Tabellenführer Werder Bremen aufzuschließen und damit erstmals in den Wolfsburger Bundesligajahren mit zwei Siegen nacheinander in die neue Fußballsaison zu starten. Dem war der SC Freiburg vor. Mit dem ersten wirklich vielversprechenden Angriff, fünf Minuten vor dem Abpfiff, sicherte sich der Sportclub das schmeichelhafte 1:0. Auf einem fremden Platz war dies der erste Bundesligasieg der Breisgauer seit dem 21. Oktober 2001, als man 2:0 in Dortmund gewann.“

Ein sid-Spielbericht aus der FR

Bundesliga

Bruch zwischen Trainer und Klubführung

„Nun ist nichts mehr übrig geblieben von der Hamburger Aufbruchstimmung“ (NZZ) – alle lieben Jürgen Klopp und sein Werk: „Der FSV Mainz 05 entlarvt die Erstklassigkeit als sagenhaft aufgeblasenes Kasperletheater“ (SpOn)

Der Hamburger SV verliert in Mainz, seine Zuversicht und seinen Teamgeist, berichtet Marko Schumacher (NZZ 17.8.): „Nun ist nichts mehr übrig geblieben von der Aufbruchstimmung, die vor dem Saisonstart geherrscht hatte, als spektakuläre Neuzugänge in Hamburg anheuerten und eine veritable Euphorie entfachten. Vom Einzug in die Champions League war damals die Rede. Die Ursachenforschung läuft, da die Stimmung nach der Niederlage in Mainz gekippt ist. Im noblen Klub aus dem Norden versucht jeder so gut es geht, seine Haut zu retten. Die Verantwortungsträger stehen jedenfalls allesamt massiv in der Kritik, bei den Fans ebenso wie in den Medien. Dem Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer wird bereits vorgeworfen, sich bei der Zusammenstellung der neuen Mannschaft vertan zu haben. Rund 10 Millionen Euro hatte er im Sommer investiert, um die Nationalspieler Emile Mpenza, Benjamin Lauth und Daniel van Buyten an die Alster zu lotsen. „Wir brauchen mehr Qualität als Quantität“, gab Beiersdorfer als Parole aus und verkleinerte konsequent das Kader. Nicht eingeplant hatte er, dass prompt einige Verletzungen folgten und die Personaldecke deshalb mittlerweile viel dünner ist, als sie sein dürfte. Dem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann wiederum, einem Hobbyfussballer, nehmen Trainer und Anhang übel, dass er den Captain und zentralen Defensivspieler Tomas Ujfalusi nach Italien ziehen liess. 7,5 Millionen Euro legte die Fiorentina für den tschechischen Nationalspieler auf den Tisch. In der Innenverteidigung des HSV allerdings herrscht seitdem ein munteres Durcheinander. Einen Ersatzmann hatten Hoffmann und Beiersdorfer nicht in der Hinterhand, die Hierarchie in der Mannschaft wurde entscheidend geschwächt. Der Transfer Ujfalusis gegen Toppmöllers Willen offenbarte den Bruch zwischen Trainer und Klubführung.“

Der FSV Mainz 05 entlarvt die Erstklassigkeit als sagenhaft aufgeblasenes Kasperletheater

Jürgen Klopp hat viele euphorische Anhänger; auch Steffen Gerth (SpOn) singt eine Ode: „Eine Lizenz hat er bis heute nicht. Aber ein abgeschlossenes Hochschulstudium als Diplom-Sportlehrer und so viel Originalität und intellektuellen Esprit, wie der Bundeshilfstrainer und Sakkoträger Jogi Löw niemals besitzen wird. Mit Klopp wurde aus den biederen rheinhessischen Zweitligastatisten ein Fußballverein, dessen Einzug in die erste Bundesliga eigentlich von allen anderen 17 Vereinen sofort rückgängig gemacht werden müsste. Denn der FSV Mainz 05 entlarvt diese ganze Erstklassigkeit als sagenhaft aufgeblasenes Kasperletheater (…) Klopp hat vor dem alles entscheidenden Zweitligaspiel in der vorigen Saison zwei Buchstaben an die Kabinentür geschrieben. Ein „J“ und ein „A“. JA! Und als sie dann aufgestiegen waren, hat Klopp dieses Ja in sämtliche Mikrofone gebrüllt, die man ihm unter die Nase gehalten hatte. „Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa.“ Er versteht es, die Komplexität des Hochleistungssports zu verbinden mit der einfachen Motivationssprache von Spitzenathleten. Wenn Klopp nämlich sagt: „Wir sind geil auf diese Liga“, dann entspricht es eben genau dem Gefühl, das seine Profis empfinden. Und wie es Menschen der Stadt empfinden, seitdem ihre Mannschaft plötzlich mitspielen mit den großen Clubs dieses Landes. Für ihn sei dieses Spiel einfach ein sagenhaftes Erlebnis – schnell und geil. „Ich spiele Fußball, seit ich fünf Jahre bin, er bietet die Möglichkeit zu gewinnen, sich zu messen, er ist Wettkampf. Fußball ist eine Chance, sich völlig auszuleben. Aber auch eine Chance, Menschen zu unterhalten. Letztlich ist die Unterhaltung der Menschen die einzige Daseinsberechtigung für den professionellen Fußball.“ Für so eine Einstellung sollte man Klopp dankbar sein. Sie verdrängt zwar nicht solche freudlosen Fanatiker wie Oliver Kahn, für den Fußball spielen eine Art Kampfauftrag bedeutet und so wichtig ist wie die Arbeit eines Feuerwehrmanns oder Piloten. Aber sie belegt, dass man mit viel Liebe zum Sport etwas Wunderbares schaffen kann. Denn in Mainz rennen die Menschen ins Stadion, weil sie Lust haben auf 90 Minuten Rasanz ohne diese professionelle Gehabe und Kalkül.“

Deutsche Elf

Viele, aber nicht nur richtige Signale

Jürgen Klinsmanns Personalentscheidungen erreichen breite Resonanz: „schleichende Entmachtung Oliver Kahns“ (FR) / „es wirkt, als ob Klinsmann vor seiner Ouvertüre viele, aber nicht nur richtige Signale setzt“ (SZ) / Rüffel für Torarttrainer Sepp Maier u.v.m.

Seite 1 – Klaus Hoeltzenbein (SZ 17.8.) schildert Klinsmanns Personalentscheidungen: „In jedem Handbuch für den modernen Manager steht gleich in Kapitel eins, womit ein neuer Job zu beginnen ist: Grausamkeiten sind sofort zu begehen. Folglich hat Jürgen Klinsmann die größte Grausamkeit, die bei der Übernahme einer Nationalmannschaft vorstellbar ist, am ersten Arbeitstag mit der deutschen Elf verkündet. Am Montag wurde der langjährige Kapitän abgesetzt. Oliver Kahn, seit Juni 2001 damit beauftragt, allen voran aufs Spielfeld zu laufen, ist fortan nur noch einer unter vielen. (…) Sturm und Drang hat der 40-Jährige versprochen, er will der Nationalelf einen Stil vermitteln, der seinem Naturell entspricht. Klinsmann war ein Stürmer, ein Geist der Offensive. Er stand für eine Sehnsucht nach Toren, die Mannschaft, die er übernimmt, hatte die Langsamkeit für sich entdeckt. Erwartet wird vom neuen Bundestrainer der Bruch mit alten Hierarchien und eine Verjüngung auf vielen Positionen. Die ersten Nachrichten aber sind widersprüchlich. So hat Klinsmann nur zwei Debütanten berufen (den Bremer Frank Fahrenhorst und Robert Huth von Chelsea London), nominiert wurde jedoch auch wieder Thomas Linke. Ein solider Abwehrspieler, aber schon 34 Jahre alt. „Bei mir zählt nur Leistung, egal, ob einer 18 oder 40 Jahre alt ist“, begründet Klinsmann die Rückholaktion. Das mag dem Augenblick genügen, ermutigend für die Jugend ist die Personalie nicht. Und so wirkt es, als ob Klinsmann vor seiner Ouvertüre viele, aber nicht nur richtige Signale setzt.“

Jan Christian Müller (FR 17.8.) kommentiert den Wechsel des Kapitäns: “Der Bundestrainer begibt sich mit seiner wagemutigen Entscheidung, den Torwart zu entmachten, auf dünnes Eis. Denn er ist ja nicht so naiv zu glauben, dass so nicht weitere Unruhe im derzeit ohnehin unruhigen Umfeld entsteht. Schließlich ist Kahn kein normaler Fußballprofi in diesem Land. Er ist es gewohnt, aus einer Position der Stärke zu handeln und zu halten. Diese Position nimmt ihm Klinsmann nun ganz bewusst. Auch wenn die Probleme im deutschen Fußball, wie Kahn zurecht anmerkt, woanders liegen. Der neue Bundestrainer ist angetreten, Strukturen aufzubrechen. Käpt‘n Kahn hat sich in der Vergangenheit nicht selten verbal über die Mitspieler gestellt und ist damit bei denen alles andere als gut angekommen. Das wird nun nicht mehr passieren. Künftig kann sich aber auch niemand mehr hinter dem großen Blonden verstecken.“

Das wird in Zukunft nicht mehr passieren. Der Torwarttrainer muß Neutralität wahren

Sepp Maier darf nicht mehr Protegé Oliver Kahns sein, meint Klinsmann – Michael Horeni (FAZ 17.8.): “Von einer Entmachtung und Demontage Kahns wollte natürlich niemand aus der neuen Führung sprechen. Aber gerade Manager Oliver Bierhoff, von dem Kahn das Amt vor drei Jahren übernommen hatte, kennt aus eigener Erfahrung die Wirkung dieses symbolischen Akts. Kahn, der Held der WM 2002 mit Titanenstatus, muß sich bei Klinsmanns „Projekt WM 2006″ offensichtlich wieder einreihen unter die normalsterblichen Nationalspieler. Der Trainer ging dabei noch einmal auf die „Thematik Rotationsprinzip“ ein. Was er an Klarstellungen mitzuteilen hatte, dürfte Kahn auch nur bedingt gefreut haben. „Kahn ist die Nummer eins, Lehmann die Nummer zwei, und Hildebrand muß sich ranarbeiten“, sagte Klinsmann „zur Grundkonstellation“. Aber die Brisanz liegt, wie immer, im Detail. „Jens ist in der Herausfordererrolle, Olli muß seine Platz verteidigen.“ Seinen Platz verteidigen – das kommt für Kahn schon fast einer Majestätsbeleidigung gleich. (…) Für ordentlich Reibungshitze hat der Bundestrainer jedenfalls schon vor der Premiere gesorgt. Maier mußte sich von der neuen Führung für ein Interview in der „Welt“ rüffeln lassen, in dem der Torwarttrainer Kahn zur Nummer eins erklärte, das Rotationsprinzip als falsch bezeichnete und Kahns Ärger darüber artikulierte. „Das wird in Zukunft nicht mehr passieren. Der Torwarttrainer muß Neutralität wahren“, sagt Bierhoff. Der Bundestrainer machte unmißverständlich deutlich, daß „Gedanken in sportlicher Hinsicht mit mir oder mit Jogi und nicht über Dritte ausgetauscht werden“. Maier habe dies akzeptiert.“

Philipp Selldorf (SZ 17.8.) schaut Oliver Kahn ins Gesicht: „Oliver Kahn hat man schon entspannter erlebt als auf dem Trainingsplatz und später bei der Pressekonferenz im Hotel, wo er das Debattenthema Torwartrotation als „aberwitzig und absolut lächerlich“ geißelte. Man hätte jetzt zwar meinen können, dass er vor allem deswegen so unverhältnismäßig wütete, weil ihm Klinsmann mitgeteilt hatte, dass in Zukunft Michael Ballack Kapitän der Nationalmannschaft ist. Aber davon wollte Kahn selbstredend nichts wissen. „In gewisser Weise erleichtert“ sei er, dass er das ihm vor drei Jahren verliehene Amt los sei, behauptete Kahn – ähnlich klingt es, wenn ein abgewählter Premierminister sagt, dass er sich auf die nächsten Jahre Oppositionsarbeit freue und entsprechend gab auch Jürgen Klinsmann seinen Eindruck wieder: „Oliver Kahn hat das top-professionell aufgenommen, erste Klasse.“ Proportional zur schlechten Laune des alten Amtsinhabers ist die Stimmung bei Jens Lehmann gestiegen.“

Der Platzhalter wird bissig, wenn er sein Revier verteidigt

Frank Hellmann (Tsp 17.8.) ergänzt: „Wie gewagt es ist, dem nur noch in Teilen des Teams akzeptierten Egomanen Macht zu entziehen, wurde an dessen Verhalten auf das von Klinsmann kürzlich propagierte Rotationsprinzip deutlich. So reflexartig er mittags beim Torwarttraining die Schüsse pariert hatte, so reaktionsschnell verteidigte er zwei Stunden später verbal seine Position. „Die Diskussion ist aberwitzig und absolut lächerlich“, schimpfte Kahn, „wir haben einige andere Probleme im deutschen Fußball.“ Und keine, bitteschön, zwischen den Pfosten. „Die Diskussion wird bald verstummen. In einem halben Jahr wird kein Wort mehr darüber verloren, wer im Tor spielt.“ Im Selbstverständnis des Torwart-Titanen kann es nur er selbst sein. „Ich bin topmotiviert, habe meine Leistung bei der EM gebracht und in den Länderspielen meist gezeigt, dass man sich auf mich verlassen kann.“ Der Platzhalter wird bissig, wenn er sein Revier verteidigt.“

Montag, 16. August 2004

Ball und Buchstabe

Die Renaissance des Medizinballs

Der Borussen-Park ist zwar schön, aber „wer 90 Minuten Fußball sehen will, sollte am besten einen Tag vorher anreisen“ (FTD) – die Renaissance des Medizinballs (SZ)

Wer 90 Minuten Fußball sehen will, sollte am besten schon einen Tag vorher anreisen

Bernd Müllender (FTD 16.8.) warnt vor einem Besuch in Gladbachs Borussen-Park: „Das neue Stadion, ein vergleichsweise preiswerter 87-Millionen-Bau für knapp 54 000 Menschen, ist ein rechtes Schmuckstück und hat wegen seiner spinnenartigen äußerlichen Optik längst seinen Spitznamen weg: „Tarantula vom Niederrhein“. Es soll mit neuen Einnahmemöglichkeiten eine Art steinerne Garantie sein auf dem Weg „in neue Dimensionen“, wie Vereinspräsident Rolf Königs sagt. Kein Abstiegskampf mehr, keine finanziellen Engpässe – und in ein paar Jahren wieder im Europapokal spielen. Das Stadion bietet einige Überraschungen: Schon dass es Nordpark heißt, obwohl es weit draußen im Gladbacher Westen liegt, umgeben von Bauernhöfen mit Kuhweiden und Strohballen in Dörflein, die Gerkerath heißen und Kothausen. Eng, steil und laut wie die Schalke-Arena ist das Innere der Spinne, dafür sind die Durchsagen ein halliger Akustikbrei, schlicht unverständlich. Und der Rasen, ausgerechnet das Wichtigste, ist so stumpf und holprig, dass Trainer Holger Fach nachher kopfschüttelnd die Augen verdrehte und mit den Armen Wellenbewegungen machte – derart eben sei das Geläuf. „Und wie der Ball da hoppelt…“ Am schlimmsten aber ist die desaströse Verkehrsanbindung. Vor diesem Spiel steckten viele Zuschauer in stundenlangen An- und Abreisestaus. Zwei Treffer waren in der Anfangsviertelstunde schon gefallen, da kamen immer noch Hunderte Zuschauer außer Atem auf die Tribünen geeilt. Alle moserten, die einzige Autobahn verstaut, die Innenstadt dicht, die Polizei unfähig, Verkehrsinfarkt, Parkplatzsuche. „Wer das geplant hat, gehört geköpft“, schimpfte einer. (…) Als nächster Gegner kommt Meister Bremen. Nur: Wer für sein Geld volle 90 Minuten Fußball sehen will, sollte am besten schon einen Tag vorher anreisen.“

Hartz IV ist angekommen bei den Fußball-Profis

Klaus Hoeltzenbein (SZ 16.8.) schaut in den Ballschrank: „Einige hatten ihn noch im Regal, andere müssen ihn sich nun über den Fachhandel besorgen. Dabei könnte es zu Lieferengpässen kommen, denn der Medizinball feiert ein Comeback, ein viel beächztes. Früher war er ein einfacher mit Tierhaaren gefüllter Vollball aus abgewetztem Leder oder dickwandigem Gummi, auch heute noch wird er nur mit Gütesiegel präsentiert: „Robuste Qualität!“ Allerdings kommt diese aus dem Chemielabor, das neue, griffstabile Oberflächenmaterial heißt nun Ruton. (…) Ein leichteres Modell könnte vielleicht Christian heißen, nach Christian Ziege, der am Samstag zu sehen war, wie er sich mit einem dicken Kühlverband am Oberschenkel für Borussia Mönchengladbach bis zum Abpfiff schleppte. Später sagte er: „In der heutigen Zeit müssen ja alle Leute in allen Schichten kämpfen, da muss man auch mal auf die Zähne beißen.“ Wie die Spieler des 1. FC Köln. Freitagabend hatten diese wacker in Burghausen verloren, Samstagmorgen um neun bereits bat Trainer Huub Stevens zur strafenden Gymnastik. Mittenmang dabei: der Medizinball. Bei 1860 München, einem zweiten Erstliga-Absteiger, der bald wieder hoch will, förderte der Schock des 1:3 in Aue noch raschere Reaktionen, Trainer Rudi Bommer ordnete in der Nacht der Rückkehr für zwei Uhr quälende Steigerungsläufe an. Dies sind Reflexe, die arg demonstrativ wirken, die aber eines zu zeigen scheinen: Hartz IV ist angekommen bei den Fußball-Profis.“

Bundesliga

Stillstand der Münchner Ästheten

der 2. Bundesliga-Spieltag im Pressespiegel: „wie flexibel wäre der FC Bayern, würde er seine Ressourcen ausschöpfen“ (FAZ) / Mehmet Scholl ist wieder da (SZ) – die Rostocker haben das Toreschießen verlernt, die Bremer nicht – nur Sieger beim Spiel Nürnberg gegen Stuttgart – Mainz ist glückselig, Hamburg verärgert u.v.m.

Hansa Rostock-Werder Bremen 0:4

So lange wir nicht treffen, wird hier der Name Max herumgeistern

Wer soll Rostocker Tore schießen, Matthias Wolf (BLZ 16.8.)? „Wie soll man es anders werten als einen verzweifelten Hilferuf? Da steht ein Angreifer mit hängenden Schultern in den Katakomben des Ostseestadions und sagt: „Ich glaube, wir brauchen noch einen Stürmer.“ Magnus Arvidsson hat das von sich gegeben. Die Zeit des Schönredens an der Küste ist damit vorbei. Zwei Spiele, null Tore, so lautet die ernüchternde Bilanz. Alle vermissen sie Martin Max, den 20-Tore-Mann aus der Vorsaison, der zwar noch einen Vertrag bis 2005 bei Hansa hat, diesen aber nicht erfüllen will. Das schmerzt. Wie nun auch Juri Schlünz einräumt. Der Trainer hatte den Kritikern der defensiven Einkaufspolitik wochenlang eingeredet, Hansa sei auch ohne den bundesligamüden Max stark besetzt. „So lange wir nicht treffen, wird hier der Name Max herumgeistern“, sagte er.“

Den Bremern geht es anders – die FAZ (16.8.): „Neidisch blicken nicht nur die Rostocker auf Werder. Trainer Thomas Schaaf sagt, er habe mit den derzeit gesetzten Klose und Klasnic, sowie Charisteas und Valdez vier gleichwertige Angreifer: „Wenn ich einen rausnehme, ist da kein Qualitätsverlust.“ Klasnic nennt die Konkurrenz „sehr fruchtbar“. Er sei nur „einer von vielen. Wir müssen bei jedem Training hart kämpfen, um dann auch zu spielen.“ Derzeit, vermutet er, habe er auch die Nase vorne, weil er die EM nur auf der Bank verbrachte: „Da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken.“ Angelos Charisteas hingegen, Griechenlands Held, durfte nur eine Viertelstunde spielen. Wie groß die Rivalität ist, läßt sich daran ablesen, daß er auch auf vielfaches Drängen kein Wort des Lobes über den Kollegen Klasnic verlieren wollte. Statt dessen kündigte er an: „Wenn ich längere Zeit im Training bin, habe ich meinen Stammplatz.“ Der Abgang der Tormaschine jedenfalls scheint verwunden. Ob Klasnic der neue Ailton werden könne, wurde Allofs gefragt. „Nein“, sagte er, „er ist Klasnic, und das ist gut so. Es war ungerecht, wie wenig wegen Ailton Ivans Anteil am Titelgewinn gewürdigt wurde.““

Demoralisierend

Javier Cáceres (SZ 16.8.) ergänzt: „Wüsste man es nicht besser, man hätte meinen können, Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf huldige der Opulenz. Denn gemessen am Ruf der Bescheidenheit, in dem die Bremer stehen, bewegte sich das, was Schaaf bei Werders Gastspiel in Rostock zelebrierte, am Rande der Protzerei: Da stand es schon 3:0 für Werder, und an der Bande ließ Schaaf Nelson Haedo und Angelos Charisteas auflaufen, um sie für Miroslav Klose und Ivan Klasnic einzuwechseln. Eine komplette Sturmreihe gegen die andere, wie beim Eishockey. Aber im Rostocker Ostseestadion mit einem Full-House an Stürmer-Assen herumzuwedeln, das ist zurzeit so, als würde man in die Eckkneipe gehen und vor einem abgewrackten Fuseltrinker auf Entzug alle Moet-Flaschen des Lokals auf Ex killen. Demoralisierend.“

Bayern München-Hertha BSC Berlin 1:1

Wie flexibel wäre der FC Bayern, würde er seine Ressourcen ausschöpfen

„Stillstand der Münchner Ästheten“, erkennt Elisabeth Schlammerl (FAZ 16.8.) in der ersten Halbzeit: „Die Bayern sind in der Umgewöhnungsphase. „Wir haben noch Probleme, umzuschalten auf das, was der Trainer verlangt“, gibt Scholl zu. Dabei ist das so schwer zu verstehen auch wieder nicht: Die Spieler sollen sich einfach nur mehr bewegen. Das haben in der ersten Hälfte aber vor allem die Berliner getan und sind deshalb schon nach einer Viertelstunde verdient durch das Tor von Marcelinho in Führung gegangen. „Wir wollten uns nicht verstecken“, sagte Hertha-Trainer Falko Götz. Und das sei geglückt. Allerdings nur eine Halbzeit lang. Ein paar deutliche Worte und die Hereinnahme von Santa Cruz brachte die Berliner aus dem Konzept. Daß im Münchner Mittelfeld dann mit Scholl einer die Initiative übernahm und Akzente setzte, mit dem nach langer Verletzungspause am wenigsten zu rechnen war, zeigt, wie flexibel der FC Bayern wäre, würde er seine Ressourcen ausschöpfen.“

Nicht nur die SZ (16.8.) freut sich über das Comeback Mehmet Scholls: „Große Momente kann man nicht in Zahlen ausdrücken. Die Firma IMP-Fußballdaten versuchte es nach dem 1:1 des FC Bayern gegen Hertha BSC: „Spieler mit den meisten Torschussvorlagen: M. Scholl (fünf).“ Das verriet nur einen kleinen Teil über die Rückkehr von Mehmet Scholl. Seit dem 13. September 2003 hatte er kein Bundesligaspiel mehr von Beginn an bestritten, aber er fügte sich ein, als sei er nie weg gewesen. Der Mittelfeldspieler dribbelte an den Berlinern vorbei, wie es die Zuschauer von ihm kannten, spielte gute Pässe, erarbeitete Freistöße, war für die Ecken zuständig. An diesem grauen Nachmittag hatte sich nicht viel Erbauliches ereignet, umso mehr freuten sich die Bayern über Scholl. (…) Die Journalisten warteten noch, aber Scholl kam nicht mehr. In den vergangenen Jahren hat sich der Mittelfeldspieler angewöhnt, die Öffentlichkeit zu meiden. „Ich muss nicht mehr ständig Auskunft geben, wie es mir geht“, hat er einmal gesagt. „Mal hat die Presse mich fertig gemacht, dann in den Himmel gelobt. Ich brauche beides nicht. „Also soll der an diesem Tag beste Bayern-Spieler hier vorsichtig gewürdigt werden: Scholls Comeback ist gelungen, und er war der Spieler mit den meisten Torschussvorlagen (fünf).“

Vertrag ist Vertrag

Bayern-Fans feiern, wenn überhaupt, nur Meisterschaften. Das sollten die Oberen nun wirklich wissen, Thomas Becker (FR 16.8.): „Den blödesten Job hatte die Schorsch Pfeifer Band. 13 Grad, Dauerregen und die fünf Burschen spielen vor exakt null Zuhörern im Münchner Riesen-Biergarten Nockherberg „Hang on Sloopy, Sloopy hang on.“ Vertrag ist Vertrag. Und der FC Bayern hatte sich nun mal vorgenommen, nach dem ersten Heimspiel der neuen Saison mit den Fans zu feiern. 7000 Liter Freibier hatte ein brauender Sponsor gestiftet, und als nach dem bescheidenen 1:1 nur der harte Kern der Südkurve zum Frei-Bierchen erschien, wurde die Tagesordnung spontan geändert: Freibier für alle und den ganzen Abend lang! Die Party war gesichert, stieg aber im Saal mit der Oktoberfest-Kapelle „Die Nockherberger“. Schorsch Pfeifer & Co. mühten sich derweil mit klammen Fingern draußen im Regen, nur ein paar fröstelnde Schankkellner als Zeugen. Das hatten sich die Fünf von der Tanzkapelle anders vorgestellt. Damit ging es ihnen genauso wie zwei Stunden zuvor dem neuen Bayern-Coach. „Das war weder für die Zuschauer, noch für die Spieler, noch für mich befriedigend. Das habe ich mir anders vorgestellt.““

1. FC Nürnberg-VfB Stuttgart 1:1

In Nürnberg steigt die Stimmung – Volker Kreisl (SZ 16.8.): „Am ersten Spieltag war das Nürnberger Team ja schon an die Tabellenspitze geschossen wie ein Heißluftballon, der am Boden einfach abgeschnitten wurde und nun weit oben manövriert werden muss. Die Fußballexperten sagten nun einerseits, die Platzierung bedeute noch nichts, andererseits fiel das Wort „Spitzenspiel“ in jeder Vorschau und Anmoderation. Das Frankenstadion war ausverkauft, die Nürnberger Anhänger stimmten sich laut singend und hopsend auf eine glückliche neue Zeit ein, und angesichts dessen brachte Wolfs Mannschaft seine eigentliche Leistung nicht vor dem Tor oder in berauschenden Kombinationen, sondern weiter hinten, in Abwehr und Mittelfeld. Sie rückte zusammen, auch als die Pässe vorne nicht mehr ankamen, hielt den Gegner auf Abstand vom Tor und bestätigte die ersten guten Eindrücke dieses Sommers. Sie holte in der Bundesliga einen Rückstand auf und gewann einen Punkt, dass so etwas auch möglich ist, war mittlerweile unbekannt in Nürnberg. Dass sich auch Stuttgarts Trainer Matthias Sammer als Sieger im Unentschieden fühlte, lag daran, dass er für den verpassten Sieg niemandem vom VfB die Schuld geben musste.“

Cacau kann gar nicht foulen

„Ein langes Bein, ein schreiender Recke und ein zerstörtes Spiel“ – Roland Zorn (FAZ 16.8.) erzählt das Geschehen: „Wenn er mal keine Lust mehr darauf hat, Fußball-Lehrer zu sein, wäre Schiedsrichter-Lehrwart vielleicht ein neues Karriereziel. Womöglich schriebe Matthias Sammer aber auch ein Buch mit dem Titel „Anpfiff“. Der Trainer der Spitzenmannschaft VfB Stuttgart jedenfalls ist sich wie zu guten alten Dortmunder Zeiten treu geblieben – mit allen Ereiferungskonsequenzen, die bei ihm dazugehören. Die Gelb-Rote Karte, die Uwe Kemmling, der Unparteiische dem Stuttgarter Torschützen Cacau vorhielt, rief bei Sammer, dem notorischsten Schiedsrichter-Kritiker aus der Bundesliga-Trainerschaft, völliges Unverständnis hervor. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagte der VfB-Trainer, „wenn das der Maßstab wird, nach normalen Fouls Karten zu verteilen, spielen wir in Zukunft sieben gegen sieben.“ „Durch den Platzverweis“, erkannte Wolfgang Wolf, der Trainer des bis dahin couragierten, spielfreudigen Aufsteigers, „ist das Spiel kaputtgegangen, und es dominierte die Taktik.“ „Heute waren wir und die Zuschauer die Leidtragenden“, kommentierte Sammer die Folgen des vorzeitigen Dienstendes für den früheren Nürnberger Cacau, dessen zwei Fouls tatsächlich eher harmlos ausschauten. „Cacau kann gar nicht foulen“, verteidigte der Trainer den scheuen Schützen. Der Brasilianer selbst wollte sich nicht von jeder Schuld freisprechen: „Da konnte man Gelb-Rot geben, auch wenn ich Hajto nicht treffen wollte.“ Der polnische Abwehrspieler, erfahren in den Rollenspielen von Täter und Opfer, wand sich, von Cacaus „langem Bein“ zu Boden gestreckt, gerade so lange auf dem neuen Rollrasen des Frankenstadions, bis Kemmling seine Karten gezückt hatte und Cacau gegangen war. „Hajto“, wunderte sich der Stuttgarter England-Heimkehrer Markus Babbel, „ist ein Baum von einem Mann und schreit da so herum. In England wird so was nicht gepfiffen.“ In der Bundesliga aber schon, und damit hatte Kemmling den schöneren Teil einer zunächst beschwingten Begegnung abgepfiffen.“

FSV Mainz 05-Hamburger SV 2:1

Eine neue Liga ist wie ein neues Leben

Christoph Biermann (SZ 16.8.) lässt sich von der Mainzer Begeisterung begeistern: „Diese Mobilisierungsquote hätte sogar einen nordkoreanischen Parteisekretär stolz gemacht, und entsprechend glücklich strahlte Harald Strutz, der Präsident von Mainz 05. „Wir haben mobilisiert, weil wir die rote Wand hinter uns stehen haben wollten“, sagte er, und wirklich hatten fast alle Zuschauer rote Trikots angezogen, oder rote Hemden, Jacken oder T-Shirts herausgekramt. Jeder im Stadion am Bruchweg schien sich rot gewandet zu haben – sieht man einmal von den Fans des Hamburger SV und der Polizei ab. „Unsere Zeit ist gekommen“, behauptete dazu ein riesiges Banner vor der Mainzer Fantribüne. Die Aufregung vor dem ersten Bundesligaheimspiel des FSV Mainz 05 war kaum zu überbieten, denn niemand wusste, was bei der „Expedition Bundesliga: Teil 1″ herauskommen würde, wie in der Stadionzeitung das Heimdebüt betitelt worden war. „Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“ hatte auf vielen roten T-Shirts des rheinhessischen Expeditionskorps gestanden. Doch in den ersten 45 Heimminuten sah es so aus, als ob das neue Leben ein freudloses wird. Denn zwischen dem HSV und den Gastgebern klaffte genau der Klassenunterschied, den die Mainzer mit ihrem Aufstieg überwunden glaubten. (…) „Wir haben in den letzten Jahren gelernt, dass uns so schnell nichts mehr umwirft – auch ein Rückstand nicht“, sagte Manager Christian Heidel in Anspielung auf die herzzerreißenden Nichtaufstiege der Vorjahre. Aber diese Behauptung bedurfte dringend einer Bestätigung in der höchsten Spielklasse. Sie kam nach der Pause, als der Aufsteiger genau die Art von Wiederauferstehung feierte, für die Trainer Jürgen Klopp eine Bedeutung weit über das Spiel hinaus behauptete. „Die zweite Halbzeit war entscheidend für die ganze Saison“ (…) Der Trainer wollte nicht, „dass die Zuschauer sich nur selber feiern, sondern der Funken von uns auf die Ränge überspringt“. Denn nett wollen sie zwar sein, ein Farbtupfer und gerne auch ein Karnevalsverein. Aber niedlich wollen diese Mainzer nicht wirken, sie meinen es ernst.“

Wir sind alle enttäuscht und erschrocken

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 16.8.) notiert den Ärger der Verlierer: „Wie die Mannschaft, so der Trainer. Man geht auf Distanz. Die Fußballprofis des Hamburger SV halten Abstand zum Gegner, Übungsleiter Toppmöller spricht daraufhin so befremdet über sein Team, als führe kein Weg mehr zum gedeihlichen Miteinander. Toppmöller war mit Fug und Recht wechselweise „wahnsinnig“ oder „sehr enttäuscht“. Da kann man als Trainer schon die Fassung verlieren, wenn man mitansehen muß, wie fahrlässig die in der ersten Halbzeit hochüberlegenen Norddeutschen nach ihrer überfälligen Führung mit ihren Chancen umgehen. Und es genügen die beiden Treffer des eingewechselten da Silva, um den eben noch dominierenden HSV aus der Fassung zu bringen. „Ich kann ihn verstehen, wenn er sich nach so einer Leistung von den Spielern abwendet“, bezog der sich sonst eher bedeckt haltende HSV-Sportdirektor Beiersdorfer Stellung und legte nach: „Wir sind alle enttäuscht und erschrocken über das, was unsere Mannschaft hier heute abgeliefert hat. Unser Zweikampfverhalten war desolat. Es kann einfach nicht sein, daß Spieler von uns einen Zweikampf oder den Ball verlieren und dann hinterhertraben wie Esel.“ Nun sind die Mainzer, um im Bild zu bleiben, keine rasssigen Vollblüter. Aber willige, anstellige, alltagstüchtige Arbeitspferde. Ihre Heimpremiere in der Bundesliga hatten sie nervös und kleinmütig begonnen. Da war nichts zu sehen vom Hurra-Fußball, mit dem sie auftrumpfen wollten. „Aber dann hat sich die Mannschaft selbst einen Riesengefallen getan. Sie hat erlebt, daß es sich lohnt, wenn man selbst viel ins Spiel investiert“, sprach der erleichterte Fußball-Pädagoge Klopp. Auf den Rängen wurde jeder gewonnene Zweikampf so enthusiastisch bejubelt, als wäre ein Tor gefallen. Da spielte eine Elf mit Herz.“

Schalke 04-1.FC Kaiserslautern 2:1

Wer tröstet Ailton, Richard Leipold (FAZ 16.8.)? “Kurz vor dem Anpfiff hatte Ailton noch gestrahlt. Vor wenigen Tagen als erster Ausländer zu Deutschlands „Fußballer des Jahres“ gewählt, hatte er einen Pokal in Empfang genommen – wie so oft in letzter Zeit. Diese Ehre wurde ihm noch für seine Verdienste aus der vergangenen Saison zuteil, die er mit Werder Bremen als Meister, Pokalsieger und Torschützenkönig abgeschlossen hat. Aber was ist so eine Trophäe noch wert, wenn einem unersättlichen Stürmer wie ihm nach der feierlichen Übergabe so gut wie nichts mehr gelingt und die Mitspieler zumeist erfolglos versuchen, ihm die Bälle richtig vorzulegen?“

Borussia Mönchengladbach-Borussia Dortmund 2:3

Der Trainer hat super Ideen

Zwei mal im Rückstand und doch noch gewonnen: Der Dortmunder Trainer Bert van Marwijk siegt zum ersten mal, Jörg Stratmann (FAZ 16.8.): „Vor allem für Standhaftigkeit bei Rückschlägen gab es ein „großes Kompliment“ des neuen Chefs, der sein Konzept erstmals erfüllt sah: „Es ist auch wichtig, auswärts unser eigenes offensives, aggressives Spiel zu spielen.“ Die Mannschaft gab in Siegesstimmung das Lob gerne zurück. Schließlich, so ihr Sprecher Dede, sei das gute Spiel „ein Verdienst von van Marwijk“. Das bestätigte gerne auch der überragende Akteur dieses Tages, der Tscheche Tomas Rosicky, gegen dessen Übersicht, Ideen und vor allem temporeiche Dribblings die Gladbacher Abwehr kein rechtes Mittel fand. Dabei sei sein Mittelfeldstar, so betonte van Marwijk, erst seit drei Wochen wieder im Training. Aber das macht Rosicky offenkundig richtig Spaß. „Der Trainer hat super Ideen“, erzählte er, obgleich man natürlich noch am Anfang sei. „Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir alles kapiert haben“, sagte Rosicky. Doch wichtig sei gewesen, daß man nach der Niederlage ruhig geblieben sei oder, wie es van Marwijk nennt, „das Vertrauen behalten“ habe. Jedenfalls spüren Mannschaft und Trainer offenbar gleichermaßen, daß es vorangeht. Und daß sogar das ebenso kümmerliche wie geschäftsschädigende Aus im UI-Cup womöglich schneller als erwartet verdrängt werden kann. Zur fröhlichen Grundstimmung im neuen Stadion paßte dann auch, daß die Verlierer keineswegs ernüchtert oder kleinlaut das Feld verließen.“

Eine späte Wende im Fußballerleben des Luftikus?

Freddie Röckenhaus (SZ 16.8.) ist angetan von Gladbacher Kapitän: „Der Trendsetter für hoch strebende Gladbacher Ambitionen könnte Christian Ziege sein. Zwar schwante dem Gladbacher Anhang nichts Gutes angesichts einer dicken Oberschenkel-Kompresse, mit der der verletzungsanfällige Ziege in der zweiten Halbzeit spielte. Aber ansonsten präsentierte sich der lange als Mitläufer eingestufte Ziege als Führungsfigur der Gladbacher. Auch als Gladbach dem Dortmunder Vorsprung hinterher hechelte, biss sich Ziege als überragender Antreiber immer wieder durch. Möglich, dass sich da eine späte Wende im Fußballerleben des Luftikus Ziege abzeichnet.“

morgen auf indirekter-freistoss: die Sonntagsspiele in Bochum und Wolfsburg

Europas Fußball vom Wochenende: Ergebnisse – Torschützen – Tabellen NZZ

Bundesliga

Es lebe die Gegenwart

Dortmund, Hamburg und Schalke setzen auf die Tradition, Bremen und Mainz auf das Hier und Jetzt (SZ) – „Teambildung“ (FR), eine Erfolgsstrategie nicht nur für Kleine

Jörg Marwedel (SZ 16.8.) empfiehlt den Vereinen mehr Heute – und weniger Gestern und Morgen: „Die Vergangenheit ist im Fußball ein Kapital, mit dem sich durchaus rechnen lässt. Tradition wirft, wenn man es geschickt anstellt, eine ordentliche Rendite ab. Womöglich lassen sich mit alten Triumphen sogar neue Arenen erbauen, die ein rosarotes Morgen versprechen und zu riesigen Investitionen animieren. Weil ja auf diesen Bühnen keine Provinzchargen agieren sollen. So werden mächtige Erwartungen geschürt und Gegenwart und Zukunft zum Schwierigsten überhaupt – erst recht, wenn schon die schönen Siege von gestern teilweise zu teuer erkauft wurden. Zu besichtigen ist dieses Dilemma bei den Traditionsklubs Borussia Dortmund, Schalke 04, Mönchengladbach und dem Hamburger SV. Alle haben richtig geklotzt und besitzen nun ein prächtiges Stadion, in das die Massen hineinströmen wie einst in den Circus Maximus. Alle haben, wenn auch mit ungleichem Risiko, viele Millionen für noch teurere und vermeintlich bessere Artisten ausgegeben. Jetzt leiden sie in der Gegenwart unter einem Druck, der sie zu zerreißen droht. (…) Wie glücklich dürfen sich da zwei Klubs schätzen, die auf behutsame Weise aufgebrochen sind in die neuen Zeiten: Werder Bremen und Mainz 05. Den Bremern ist es gelungen, einen seltenen Dreiklang aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erzeugen. Mainz 05 schleppt keinerlei Ballast mit sich herum: Der Aufsteiger hat keine große Vergangenheit und vielleicht auch keine große Zukunft in der Beletage des Fußballs. Dafür genießen Fans, Trainer und Mannschaft einfach unbeschwert das Hier und Jetzt. Es lebe die Gegenwart.“

Teambildung

Wie erreichen die Kleinen Erfolg, Jan Christian Müller (FR 16.8.)? “Als Folge der Kommerzialisierung und der zunehmenden Vereinnahmung des Profifußballs durch die Medien ist die Gefahr der Ablenkung größer denn je, ist die Teambildung für die sportlich Verantwortlichen zur mitentscheidenden Aufgabe geworden. Immer mehr Trainer haben das erkannt. So lässt sich erklären, dass gemeinsame Grenzerfahrungen als Saisonvorbereitung inzwischen bei vielen Bundesligisten auf der Tagesordnung stehen. Die Spieler von Mainz 05 schlugen sich tagelang im Dauerregen durch Schweden. Am Lagerfeuer kam es zu Gesprächen, die sich im Trainingsalltag nie und nimmer entwickelt hätten. „Je mehr man über den Mitspieler weiß“, sagt Trainer Jürgen Klopp, „desto größer ist der Respekt.“ Natürlich gibt eine solche Abenteuertour mitnichten eine Garantie für Siege. Aber es macht sie wahrscheinlicher. Im Mannschaftssport ist auf Sicht selbst mit hoch qualifiziertem Personal kein Erfolg programmiert, wenn die Gruppe in sich nicht funktioniert und darüber hinaus mit ihrem Anführer nicht harmoniert. Es hat zunehmend den Anschein, als sollte der Hamburger Trainer Klaus Toppmöller genau daran scheitern.“

Ascheplatz

Die DFL hatte der Borussia erst nach mehrstündigen Diskussionen eine Lizenz erteilt

„Borussia Dortmund verbessert sich sportlich, hat aber die Juli-Gehälter nicht wie verabredet überwiesen“, meldet Freddie Röckenhaus (SZ 16.8.): „Wie eine Reihe von Dortmunder Spielern reklamieren, waren die Juli-Gehälter bis Freitagnachmittag nicht auf den Konten eingegangen. Auch auf Proteste hin, etwa bei Sportmanager Michael Zorc und in der Finanzabteilung des Klubs, so ein Spieler, sei nichts geschehen. Es habe lediglich Beschwichtigungen gegeben. „Es passiert nicht zum ersten Mal“, so ein BVB-Profi gegenüber Journalisten, „aber so lange wie dieses Mal, ist das Geld noch nie ausgeblieben.“ BVB-Manager Michael Meier, am Freitag aus dem Italien-Urlaub zurückgekehrt, bestätigte, dass die Spieler bisher noch kein Juli-Gehalt auf ihren Konten hätten. Meier legte als Begründung für die säumige Zahlung allerdings eine interessante Theorie vor: Man habe bereits seit Januar 2004 die Gehaltszahlungen vom Monatsende auf die darauf folgende Monatsmitte umgestellt. Dies habe steuerliche Gründe. Der finanziell schwer angeschlagene Klub müsse dank einer über den 10. des Folgemonats hinaus verzögerten Gehälterzahlung stets auch erst einen Monat später die Lohnsteuern und Sozialabgaben für seine angestellten Profis abführen. „Das bringt uns einen Zinsgewinn“, gibt Meier als Begründung an. Dieser dürfte rechnerisch bei schmalen 30 000 Euro für das gesamte Jahr 2004 liegen. Angesichts eines Gehaltsetats für die Profis von 40 Millionen nicht gerade eine beeindruckende Summe. Dass die BVB-Spieler von einer solchen „Zahlungsumstellung seit Jahresbeginn 2004″ allerdings ausnahmslos nichts wissen, liege daran, so Meier, dass man „in der aufgeputschten Atmosphäre dies den Spielern vielleicht nicht richtig kommuniziert“ habe. „Wir haben gesagt: Ehe wir darüber lange diskutieren, machen wir das einfach so.“ Gegen Meiers erstaunliches Zinsmodell sprechen allerdings alle Spieleraussagen. Mehrere BVB-Profis sagen, dass sie „im Normalfall das Gehalt zwar immer zu spät“ bekämen – aber auch im laufenden Kalenderjahr 2004 wäre das Geld meistens zwischen dem 6. und 8. des Folgemonats auf dem Konto gewesen. Das würde Meiers Version ad absurdum führen. Die ganze Woche über soll, so mehrere Spieler übereinstimmend, das Ausbleiben der Juli-Gehälter tägliches Hauptgesprächsthema in der BVB-Kabine gewesen. (…) Es wird geschätzt, dass Borussia Dortmunds Schuldenlast zum Saisonende 2004 bereits bei kaum glaublichen 150 Millionen Euro angelangt sei. In der Halbjahresbilanz im Februar 2004 hatte der BVB offiziell 112 Millionen Schulden gemeldet. Allein im ersten Halbjahr der abgelaufenen Saison belief sich der Unternehmensverlust auf 29,3 Millionen Euro. Erfahrene Bänker glauben, dass der Klub in der Ende September zur Veröffentlichung anstehenden Jahresbilanz für das ganze Spieljahr 2003/2004 mindestens 50 Millionen Euro Verlust melden wird. Die DFL hatte der Borussia im Juni erst nach mehrstündigen Diskussionen eine Lizenz für die nun laufende neue Saison erteilt.“

Sonntag, 15. August 2004

Interview

Attraktive, offensive Grundausrichtung

Michael Ashelm (FAS 15.8.) spricht mit Joachim Löw über seine neue Aufgabe

FAS: Die Erwartungen sind groß nach der von Klinsmann verbreiteten Aufbruchstimmung. Was erwarten Sie vom Nationalteam?
JL: In den ersten Tagen muß man sich vor allem kennenlernen in persönlichen Gesprächen. Die Spieler erwarten aber von uns als neuem Trainerteam eine gewisse Vorgabe. Sie wollen wissen, wie die Zielsetzung kurzfristig sowie in Richtung Weltmeisterschaft 2006 aussieht.
FAS: Von den 19 für das Länderspiel nominierten Spielern waren 17 bereits im Europameisterschaftskader. Befürchten Sie nicht, daß diejenigen das schlechte EM-Abschneiden noch belastet?
JL: Mit dem ein oder anderen muß man sicher mental arbeiten und ihm klarmachen, daß eine neue Ära beginnt. Seit der EM ist aber eine lange Zeit vergangen, alle sind motiviert in die neue Saison reingegangen. Ganz aus den Köpfen gelöscht wird dieses Turnier nicht sein, aber es ist nicht unsere Aufgabe, es zu analysieren. Aber es gibt sicher Spieler mit fehlendem Selbstbewußtsein, die wir in der Nationalmannschaft in die richtige Spur bringen müssen, damit sie wieder an sich glauben.
FAS: Sie haben einen kleinen Kader von 16 Feldspielern für das Länderspiel gegen Österreich nominiert, aber alle drei EM-Torhüter. Wollen Sie mit der angekündigten Rotation im Tor den Konkurrenzdruck erhöhen, gar Reibungen erzeugen?
JL: Wir haben in Oliver Kahn und Jens Lehmann zwei Weltklassetorhüter und mit Timo Hildebrand einen Mann mit Perspektive. Es ist die Pflicht eines neuen Bundestrainers, jedem eine Chance zu geben in der Zeit ohne Qualifikationsdruck; auch um zu sehen, wie reagiert ein Spieler unter Streß. Das Torhüterthema wird einfach zu hoch gehängt. Diese Dynamik ist gar nicht nötig.
FAS: Aber die Dynamik zwischen Kahn und Lehmann war oft explosiv.
JL: Was in der Vergangenheit passiert ist, gilt nicht für Klinsmann und mich. Jetzt beginnt eine neue Phase.
FAS: Sie haben gleich eine attraktive, offensive Grundausrichtung versprochen. Machen Ihnen die Eindrücke von der EM in Portugal Hoffnung?
JL: Jürgen Klinsmanns und meine Philosophie ist es, daß wir risikofreudig und nach vorne spielen wollen. Dabei muß der Trainer Lösungen finden, die die Mannschaft umsetzen kann. Man darf jetzt nicht eine völlig neue taktische Ausrichtung erwarten, sondern wir wollen die Mannschaft schrittweise dorthin führen, wohin wir sie haben wollen.
FAS: Welche Schritte werden die ersten sein?
JL: Die werden vor dem Spiel gegen Österreich erst mal der Mannschaft vermittelt und die Karten nicht über die Presse auf den Tisch gelegt. Es ist klar, daß wir nicht gleich zu viele Dinge versuchen zu ändern, das ist zu komplex und gar nicht machbar.

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