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Bundesliga

Klub saniert: Mannschaft tot – Henkes Entlassung, Jäggis Rücktritt

Oliver Fritsch | Montag, 21. November 2005 Kommentare deaktiviert für Klub saniert: Mannschaft tot – Henkes Entlassung, Jäggis Rücktritt

Klub saniert, Mannschaft tot

Ein Thema verdrängt alle anderen Fußballgeschichten vom Wochenende, etwa den gelungenen Einstand Hans Meyers: René Jäggi entlässt Michael Henke und tritt selbst zurück. „Beben am Betzenberg – Jäggi versetzt Kaiserslautern in einen Schockzustand“, schreibt die FAZ. Die Journalisten besingen Stimmung und Zukunft des Klubs in Moll, doch sie klagen auch an. Besonders bitter klingt der Refrain: typisch Kaiserslautern, ein Ort der Missgunst, „der Gereiztheit und der Selbstüberschätzung“ (FAZ), auch des Gegeneinanders. Viele Kommentatoren folgen dem Argument Jäggis und verweisen auf den schädlichen Einfluss des „Umfelds“, besonders häufig auf den Spielerberater und Basler-Schwager Roger Wittmann (Rogon AG). Jäggi, der vom Stammtisch viele Schmähungen, aber wenige Argumente zu hören bekommt, siehe und höre Mario Basler im DSF und in der Boulevardpresse, Jäggi also wird vorgehalten, sich zu sehr auf Geld und Wirtschaft konzentriert zu haben; seinen Mangel an Fußballwissen, zumindest seine Bedeutung, habe er unterschätzt und einen Experten an seiner Seite nicht geduldet. Bei den Krakeelern klingt die Kritik so: „Versager! Alles falsch gemacht!“. Die argumentierende Presse rechnet Jäggi zumindest an, dass er Kaiserslautern entschuldet habe: „Klub saniert, Mannschaft tot“ (FTD). Manche Autoren loben Jäggis Konsequenz, zurückzutreten. Warum auch nicht? Hätte er es beim Trainerrauswurf belassen, seinem dritten innerhalb von gut anderthalb Jahren, hätte sicher einige Schlaumeiern ihn dazu aufgefordert, gefälligst selbst den Hut zu nehmen.

Er geht – alle Achtung!

Martin Hägele fehlt. Wir hätten gerne gelesen, was er zu der Chose geschrieben hätte, doch Hägele, eine Art Kaiserslautern-Ethnologe, ist nicht mehr Journalist, sondern Angestellter des FC Bayern. Von ihm hätten wir sicher einen analytischen Blick in die Vereinsgeschichte erhalten; Jan Christian Müller (FR) schließt diese Lücke, betont Jäggis Leistung und die Schuld von dessen Vorgänger Atze Friedrich samt Kollegen: „Ehe nun der Legendenbildung von Leuten wie Mario Basler Glauben geschenkt wird, sei klar gesagt: Sollte der 1. FC Kaiserslautern am Ende der Saison erwartungsgemäß absteigen, wäre das in erster Linie eine um drei Jahre verspätete Konsequenz aus dem Größenwahn der Vorgänger des erfolgreich erfolglosen René C. Jäggi.“ Andreas Burkert (SZ) beschreibt Kaiserslautern als ein Dorf der Intrige: „Ohne Jäggis rigiden Sparkurs befände sich der Verein längst nicht mehr auf der Landkarte des Profifußballs. Doch dem Talent zu Intrige und Populärkritik wird ja inzwischen beim FCK mehr Bedeutung beigemessen als Laktatwerten, (…) Er geht. Alle Achtung. Den bedauernswerten Menschen in Kaiserslautern wird das vermutlich nicht viel helfen. Denn der FCK hat jetzt vielleicht eine weitere Reizfigur vertrieben. Nicht aber sein Leitmotiv in Krisenzeiten, das sie in der Pfalz wohl für eine Art Folklore halten. Es lautet: jeder gegen jeden.“ Christian Eichler (FAZ) zollt Jäggi Respekt und nennt seinen Fehler: „Jäggi hat sich als guter Sanierer und schlechter Stratege erwiesen. Eine gängige Erfahrung aus dem Wirtschaftsleben: Daß derjenige, der ein marodes Unternehmen rettet, selten auch dazu taugt, es neu auszurichten. Im Fußball ist das ähnlich: In einer Abwehrschlacht werden andere Typen verlangt als im Aufbauspiel. Jäggi bewältigte die finanziellen Lasten, aber nicht die atmosphärischen. Nun zeigt er eine seltene Fähigkeit in einer Branche, in der bei Mißerfolg stets Trainerstühle wackeln, nie Managersessel: Fehler erkennen, Folgerungen ziehen. Und zwar für sich selbst. Damit wäre er nicht das schlechteste Vorbild für seinen Berufsstand: nicht immer nur den Trainer entlassen, auch mal sich selbst. Oder gleich beide.“

Trümmerhaufen hinterlassen

Oliver Trust (StZ) kritisiert Jäggi hart: „Jäggi hat einen sportlichen Trümmerhaufen hinterlassen. Der einstige Macher des FC Basel hat es versäumt, sich kompetente sportliche Ratgeber ins Boot zu holen, um den angeschlagenen Kahn FCK wieder flott zu kriegen. Letztlich ist Jäggi an der eigenen Selbstüberschätzung und der hartnäckigen Weigerung, sich anerkannten Fußball-Fachleuten anzuvertrauen, kläglich gescheitert.“ Tobias Schächter (taz) lenkt den Blick auf den Trainer: „Auch Henke muss sich Fehler ankreiden lassen. Spätestens nach dem debakulösen Auftritt bei der Heimniederlage gegen Mainz 05 verlor er den Überblick und ließ jede Geradlinigkeit in seiner Personalpolitik vermissen. Neunmal in den letzten Spielen wechselte er das Personal. Zwar klingt es angesichts der 13 Jahre, die Henke als Assistenztrainer von Ottmar Hitzfeld gearbeitet hatte, wie ein Widerspruch, wenn man feststellt: Der Trainer ist vor allem an seiner Unerfahrenheit gescheitert. Zu schnell reagierte er bei seiner ersten Cheftrainerstation im Profifußball auf Fehlleistungen des größtenteils unterdurchschnittlichen Personals und brachte so viele Spieler der ohnehin untereinander zerstrittenen Mannschaft zusätzlich gegen sich auf. Was bei starken Kadern mit internationalem Zuschnitt wie in Dortmund und München ein adäquates Mittel zur Leistungssteigerung ist, geriet im kaum bundesligatauglichen Ensemble des FCK zum Bumerang. Endgültig an Autorität verloren hatte er, als er einen gegnerischen Spieler als ‚Scheiß-Ossi’ beschimpfte. Henke, der im Umgang mit der Presse immer sachlich und gefasst blieb, ließ in der mannschaftsinternen Ansprache mitunter cholerische Züge erkennen. Für zusätzliche Unruhe sorgte auch die Entlassung von Ciriaco Sforza. Der Routinier hatte Jäggi auf die Anti-Henke-Haltung im Kader aufmerksam gemacht und die Ablösung des Trainers gefordert.“ Die FAZ spottet: „Nicht jeder, der mal bei den Bayern war, nimmt die Erfolgs-Aura mit.“

FR-Interview mit Jäggi
Welt-Interview mit Henke

Borussia Dortmund – Hertha BSC Berlin 2:0

Neue, alte Identität

Hoch im Kurs bei Fans und Redakteuren: das junge Team Borussia Dortmunds und Trainer Bert van Marwijk. Die FAZ notiert entzückt: „Jugendstil statt Champagnerfußball: Borussia erzeugt wieder Wärme“. Richard Leipold schätzt die Arbeit des Trainers: „Neben Smolarek ist der Trainer derzeit der am meisten gefeierte Mann. Van Marwijk hat dem Publikum nicht nur gezeigt, wie schön Jugendfußball sein kann. Mit seiner ruhigen Art des Krisenmanagements hat er dem BVB wieder ein Stück seiner Identität zurückgegeben, die irgendwo zwischen Börsenparkett und Fußballplatz verlorengegangen schien. Das gefällt dem Volk, vor allem wenn der Ertrag dieser Geisteshaltung so groß ist wie zuletzt. Die Dortmunder Einkommensmillionäre sind wieder bereit, sich zu quälen für ihre immer noch üppigen Gehälter. Das ist das, wofür die Fans gern ihr Eintrittsgeld bezahlen, zumal im Ruhrgebiet. Der Champagnerfußball der Ära Niebaum hatte sie besoffen gemacht und einen schlimmen Kater hervorgerufen. Die Rückbesinnung auf die traditionellen Tugenden, verbunden mit dem Elan vorzüglich (und intelligent) kickender Teenager wie Kruska und Sahin, könnte mehr Wärme erzeugen als die Geldverbrennung, die noch lange nachwirken wird.“

Die beste Hertha Berlins

Von Hertha ist Michael Jahn (BLZ) noch immer und schon wieder enttäuscht: „Hinter dem FC Bayern und Werder Bremen hat sich eine Lücke aufgetan, in die Hertha BSC längst hätte stoßen können – als dritte Kraft. Schalke 04 schwächelt trotz Millionen-Investitionen, Bayer Leverkusen ist von der Rolle des Bayern-Jägers weit entfernt. Dafür ist der Hamburger SV eingesprungen. Und Hertha BSC? Bislang hat es der Verein bei Absichtserklärungen belassen. (…) Was nützt es, die beste Hertha Berlins zu sein, aber deutschlandweit als grau, konturenlos, wenig greifbar zu gelten?“

Tsp: Hertha holt Rückstände selten auf, weil nur die Abwehr Führungsspieler hat

FSV Mainz – Eintracht Frankfurt 2:2

Michael Eder (FAZ) jauchzt: „Es war ein Derby zum Staunen, voller Kampf, Tempo und Leidenschaft, voller Fehler, aber auch voller Willen, alles wieder auszubügeln, was schieflief, kurzum: Es war eine Partie, wie man sie nicht alle Tage erlebt, nach der man aber weiß, warum dieses Spiel an manchen Tagen so faszinierend ist.“

BLZ-Interview mit Nikolce Noveski, Fabrikant von zwei Eigentoren

Arminia Bielefeld – Bayern München 1:2

Fitteste Mannschaft

Peter Penders (FAZ) ergründet den Bayern-Sieg rational: „Es ist nicht reines Glück, daß es den Bayern öfter als allen anderen Mannschaften gelingt, solche Partien auf der Zielgeraden noch zu wenden. Nach den vieldiskutierten Leistungstests der Nationalmannschaft ist viel über mangelnde Fitneß einzelner Spieler geredet und geschrieben worden, und nebenbei sickerte dabei auch durch, daß die Bayernprofis die besten Werte erzielten. Der Meister hat also nicht nur die personell beste, er hat ganz offenbar auch die fitteste Mannschaft. Und weil die Bundesligagegner ungeheuer viel rennen müssen, um die spielerische Überlegenheit der Münchner zu kompensieren, kommt es in den letzten Minuten beinahe zwangsläufig zu einer körperlichen Überlegenheit der Bayern, die dann aufgrund ihrer individuellen Klasse eben häufig spielentscheidend wird. (…) von Heesen hatte seine Mannschaft taktisch derart klug eingestellt, daß ihm der DFB die fehlende Trainerlizenz besser gleich mit der Post zustellen sollte. Er hat trotz allen Verletzungspechs ein Team geformt, das mittlerweile stärker auftrumpft als die vielbestaunte Elf der Vorsaison aus den Zeiten des Konzeptfußballs von Uwe Rapolder.“

BLZ: Philipp Lahm übersteht das 2:1 des FC Bayern ohne Schmerzen

Werder Bremen – VfL Wolfsburg 6:1

Auf der Suche nach dem perfekten Spiel

Den „sehenswertesten Fußball der Liga“ (FAZ) erleben die Chronisten in Bremen; Werder lässt aber auch nicht locker, nicht mal beim Stand von 4:1. Ralf Wiegand (SZ) protokolliert ein Hase-und-Igel-Spiel: „Was hätten VfL-Anhänger ihrer Elf schon vorwerfen können, außer am falschen Tag am falschen Ort gewesen zu sein? Immerhin waren sie Zeugen eines spektakulären Experiments geworden. Denn der SV Werder übte etwas, was es im Fußball zwar nicht gibt, dem die Bremer aber trotzdem sehr nahe kamen – das perfekte Spiel. Den Wolfsburgern hatte unglücklicherweise niemand mitgeteilt, dass sie als Versuchskaninchen engagiert worden waren. Entsprechend tollpatschig tapsten sie über den Rasen (…) Zwar haben die Bremer in dieser Saison schon Spiele 6:2, 4:3, 5:2 oder 5:1 gewonnen, aber inzwischen hat das Bremer Spiel auch noch die Leichtigkeit von Zuckerwatte angenommen. Mit erschreckend großer Selbstverständlichkeit stand gegen Wolfsburg überall dort, wo der Ball hinrollte, ein Bremer – während sich die Wolfsburger wie in einem Labyrinth fühlen mussten, in dem sich die unsichtbaren Wände auch noch wie von Geisterhand verschoben.“

1. FC Köln – Schalke 04 2:2

Tag des langen Gesichts

Christoph Biermann (SZ) schildert die Enttäuschung der Beteiligten über das Ergebnis und widerlegt eine Floskel: „Ein berühmtes Phantom der Sportberichterstattung ist der neutrale Beobachter. Dieser geistert gerne dann durch die Zeilen, wenn ein Spiel besonders rassig, spannend oder schön anzusehen war. Denn genau an solchen Spielen hat der neutrale Beobachter sein Vergnügen. Nun mag es ihn am Fernseher gelegentlich geben, doch ins Stadion gehen zumeist nur total parteiische Beobachter, die zwar auch rassige, spannende oder schöne Spiele sehen wollen, vor allem aber Siege ihrer Elf. Wenn es damit nichts wird, überwiegt die Enttäuschung. Da kann der Kick noch so toll gewesen sein, wie am Samstag beispielhaft zu erleben war. Abgesehen von den geschätzt 378 neutralen Beobachtern, also Ordnern oder mitgenommenen Freunden, Journalisten, Geschäftspartnern in Logen oder in ihrer Präferenz unentschlossen Kindern, die allesamt in der zweiten Halbzeit an einem tollen Spiel mit aufregendem Hin und Her ihren Spaß hatten, gingen die übrigen 49 632 mittel bis schwer frustriert nach Hause. Auch die Protagonisten der Partie machten den Eindruck, als wäre der 19. November der Tag des langen Gesichts. Trainer und Spieler beider Teams empfanden das 2:2 wie eine Niederlage. (…) Vielleicht wird in Köln mit größerem Abstand die Freude über das Remis wachsen. In Gelsenkirchen dürfte in der Rückschau die Enttäuschung an Schwere gewinnen.“

Borussia Mönchengladbach – Bayer Leverkusen 1:1

Zwei erleichterte Trainer

Ulrich Hartmann (SZ) beschreibt die Zufriedenheit der zwei Trainer: „Das Spiel hinterließ zwei erleichterte Trainer, die mit der chronischen Furcht leben, es könnte jederzeit übel abwärts gehen mit ihren als launisch geltenden Teams. Horst Köppel traut der Atmosphäre in Mönchengladbach immer noch nicht und deklariert den sechsten Platz derart vehement als glückliche Fügung, dass er nach jedem Spiel unabhängig vom Ausgang einen Absturz auf den ‚Boden der Tatsachen’ als heilsam herbeiredet. (…) Genau anders herum verhält sich die Entwicklung in Leverkusen. Vom Ausgangspunkt geringster Erwartungen nach Skibbes misslungenem Einstand hat sich die Mannschaft besser entwickelt als gedacht.“

taz: Aufwärtstrend in Leverkusen

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