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Bundesliga

Europa war gestern, morgen ist Aue

Jan-Carl Ronnecker | Dienstag, 4. Mai 2010 Kommentare deaktiviert für Europa war gestern, morgen ist Aue

Die Hertha steigt so ab, wie sie die gesamte Saison gespielt hat – seltsam unemotional. Manager Preetz hat viel Arbeit vor sich, der finanzielle Handlungsspielraum verringert sich jedoch weiter.

Michael Horeni (FAZ) zitiert Bayer-Trainer Jupp Heynckes: „Ich habe noch nie eine Mannschaft so Fußball spielen sehen, die absteigt.“ und stellt fest: „Das ist natürlich als Lob für die Qualität der Hertha gemeint, aber es ist auch eine Ohrfeige.

Denn der Abstieg der Hertha ist der unnötigste und vermeidbarste Abstieg seit Jahren, eine größere Diskrepanz zwischen Substanz und Ergebnis hat es lange nicht gegeben. Dass eine Mannschaft, die in der Rückrunde mit jedem Gegner mithalten konnte, in die zweite Liga muss, die nun von der Konkurrenz um ihre besten Stücke filetiert wird und dem Verein eine ungewisse Zukunft hinterlässt, bedeutet eine Fallhöhe, die weit über die Abstiege von Ligapendlern wie Nürnberg, Bochum oder Freiburg hinausgeht.“

Was hat dich bloß so ruiniert?

Boris Herrmann (Berliner Zeitung) betreibt Ursachenforschung: „Wenn man zurückdenkt und sich fragt, wann das Unheil für Hertha BSC begonnen hat, dann sieht man einen Klub, der sich an sich selbst berauscht. Man sieht einen altgedienten Manager Indianertänze aufführen, man hört es im Präsidium ‚Dieter-Hoeneß-Festspiele‘ schimpfen, man spürt, dass es bis zum Bundesverdienstkreuz für Lucien Favre nicht mehr weit sein kann. Man sieht Größenwahn, Missgunst und Dekadenz.“ Der ausschlaggebende Grund für den Abstieg liege jedoch ganz konkret in der mangelnden Qualität im Sturm: „Abgestiegen ist Hertha BSC, weil sie im Rausch des Erfolges doch tatsächlich vergessen haben, dass man Fußballspiele nur mit Toren gewinnt. Der Verzicht auf Pantelic war die Ursünde, die Abgabe von Woronin nicht besonders klug, die Rückholaktion von Wichniarek ein Reinfall, der Notkauf von Gekas der Anfang vom Ende.“

Manager Preetz als Gesicht der Krise

Im Tagesspiegel bewertet Sven Goldmann die Außenwirkung der finanziellen Konsolidierungspolitik kritisch: „So sinnvoll der selbst verordnete Sparkurs aus unternehmerischer Sicht war, so verheerend war seine symbolische Wirkung: Da sind welche, die nicht an sich glauben. Die wissen, dass sie über ihre Verhältnisse gespielt haben. Das Signal zeigte Wirkung.“ Gleichzeitig erinnert er aber auch an die Ursachen dieser Entwicklung, die in ein paradoxes Ergebnis mündeten: „Manager Preetz fiel die undankbare Aufgabe zu, das Erbe des einst allmächtigen Dieter Hoeneß anzutreten. Der hemdsärmelige Hoeneß hatte stets zu viel Geld ausgegeben und den Verein an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. In der Erinnerung aber bleibt, dass Hertha unter seiner Führung zum Establishment gehörte. Vom stillen Berufsanfänger Preetz wird nur die Erinnerung an den Abstieg bleiben.“

Auch an anderer Stelle habe Preetz nicht die glücklichsten Entscheidungen getroffen, befindet Michael Jahn (Berliner Zeitung) mit Blick auf Herthas Trainer: „Zuerst folgte Preetz beinahe widerspruchslos den Gedanken und Strategien des eigenwilligen Favre, danach, in der ersten großen sportlichen Krise, trennte er sich schnell von ihm. Sein ‚absoluter Wunschtrainer‘ Friedhelm Funkel konnte danach ab Spieltag Nummer sieben seine Mission, den Klassenerhalt, nicht erfüllen. Er stabilisierte die Mannschaft lediglich, aber er arbeitete wenig innovativ. Seine Bilanz ist niederschmetternd.“

Zweite Liga: Reparabler Betriebsunfall oder längerer Aufenthalt?

„Wo ist Hoffnung?“ fragt Michael Rosentritt (Tagesspiegel) und richtet den Blick auf einen Mann, der nicht ganz vorn im Rampenlicht steht: „Vielleicht bei Ingo Schiller. Herthas Mann fürs Geld begreift den Abstieg als ‚Herausforderung‘. Schon zu Zeiten von Dieter Hoeneß, dessen Aufgaben vor einem Jahr Michael Preetz übernommen hat, war Schiller als Geschäftsführer für die Finanzen zuständig. Jetzt sagt er: ‚Wir wollen alles tun, um direkt wieder aufzusteigen. Das wird schwer, aber bei mir ist der Kampfeswille geweckt.‘ Mit anderen Worten: Hertha wird alle Kräfte bündeln, um die Zweite Liga so schnell wie möglich wieder zu verlassen – nach oben.“

„Bei den Berlinern verhält es sich nach dem Abstieg 2010 allerdings so, dass es da gar nicht zu viel zu bündeln gibt, und dass gerade deshalb der Sturz in die Zweite Liga nicht nur als einmaliger Ausrutscher angesehen werden darf, sondern eben als ein dramatischer Einschnitt mit fatalen Konsequenzen bewertet werden muss“, gibt Markus Lotter (Berliner Zeitung) in diesem Punkt contra. „Am Schenkendorffplatz sind die Voraussetzungen für einen gelungenen Neustart in neuer Umgebung nun mal nicht gegeben. Es wirken im Klub aus dem Westen der Hauptstadt keine inneren Kräfte wie andernorts, wo man sich beim Versuch einer Gegenbewegung zum einen auf sein treues Publikum, zum anderen auf die Hilfsbereitschaft von vereinsnahen Fußballexperten verlassen kann. Und wer soll bitteschön von außen als rettendes Element dazukommen, wenn man schon als Bundesligist bei der Suche nach einem potenten Investor mit Herz kein Glück hatte?“

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