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Hansa Rostock nur noch drittklassig

Jens Behler | Mittwoch, 19. Mai 2010 1 Kommentar

Nach der zweiten Niederlage gegen Ingolstadt sucht die deutsche Presse nach Gründen für die sportliche Talfahrt der Hansa-Kogge. Hausgemachte Probleme stehen im Vordergund

Nach mehr oder weniger erfolgreichen Jahren in der ersten und zweiten Bundesliga steigt Hansa Rostock zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte aus der Beletage des deutschen Fußballs ab. Ein Tiefpunkt in sowieso schwierigen Zeiten. Markus Lotter (BLZ) erkennt nach dem Schlusspfiff bei allen Beteiligten – Spielern, Fans und Verantwortlichen – in Rostock eine gewisse Zerrissenheit: „Was tun, wenn einem bewusst wird, dass schon morgen alles anders sein wird? Dass alles noch schwerer, noch trister sein wird, weil man nun die Gewissheit hat, dass dieser 17. Mai 2010 einen noch nie da gewesenen Tiefpunkt in der Geschichte eines Fußballklubs markiert. Traurig sein? Böse sein? Weinen? Schweigen? Toben? Oder gleich alles auf einmal sein?“ Im alles entscheidenden zweiten Relegationsspiel machte sogar Hansas Heimspielstätte keine gute Figur: „Doch an einem Ort, der in seinem Gesamtbild (fürchterlicher Rasen, zerdrücktes Wellblechdach, von Wind und Wetter arg in Mitleidenschaft gezogener Beton) immer mehr an die triste Heimspielstätte eines italienischen Viertligisten erinnert, ist vielleicht auch nichts mehr zu machen. Es gibt keine Interaktion mehr zwischen dieser Hansa-Mannschaft und den Fans auf den Tribünen, auf denen bei der Bedeutungsschwere des Spiels unerwartet viele Lücken auszumachen waren. So verliert ein Standort seine Aura.“

Christian Kamp (FAZ) sieht es ähnlich: „Mit 15.000 Zuschauern war die eigene Arena in diesem Entscheidungsspiel kaum mehr als zur Hälfte gefüllt. Offenbar war die Vorahnung, dass nach Jahren des schleichenden Niedergangs nun der Zeitpunkt für den tatsächlichen Abstieg gekommen war, größer als der Glaube an eine Rettung in letzter Minute. Es passte zum traurigen Bild, das Hansa derzeit abgibt, dass auch dieser Abend mit Randale endete – wenngleich lange nicht so heftig wie zuvor beim Spiel in Düsseldorf.“ Es erinnert nicht mehr viel an das Hansa Rostock der vergangenen Tage: „Über Jahre galt Hansa nicht nur als Vorzeigemarke der Region, sondern auch als Leuchtturm in der ostdeutschen Fußballlandschaft. Als einziger Klub aus der DDR spielte Rostock nach der Wende ohne Unterbrechung in den beiden höchsten deutschen Ligen, zwölf Jahre davon sogar erstklassig. Nebenbei eroberte Hansa reichlich Sympathiepunkte, im Osten wie im Westen.“ Die strukturellen Probleme der Region für den Abstieg verantwortlich zu machen, geht Kamp zu weit: „Dass Hansa nun fürs Erste aus dem Blickfeld verschwindet, hat jedoch mehr mit hausgemachten Problemen zu tun als mit der Lage des ostdeutschen Fußballs insgesamt. Mit dem bis dato letzten Bundesliga-Aufstieg 2007 begann ein Personaldurcheinander auf allen Ebenen, das perspektivisches Handeln unmöglich machte. Vier Trainer in der vorletzten Saison, drei in der vergangenen, dazu etliche Wechsel in Vorstand und Aufsichtsrat – auch das lässt sich als Bilanz des Niedergangs lesen.“

Auf der Suche nach Perspektive

Im Tagesspiegel weiß Kerstin Hebeler über den geplanten Neubeginn in der Drittklassigkeit zu berichten: „Den Neuanfang soll auf jeden Fall ein neuer Vorstand verantworten. Der kommissarische Vorstandschef Jörg Hempel steht nur bis Ende Juni zur Verfügung. Laut Gienke ist man sich mit einem Nachfolger bereits einig. Als aussichtsreichster Kandidat gilt in Vereinskreisen der ehemalige Rostocker Torwart Martin Pieckenhagen. Der zukünftige Rostocker Vorstandschef soll nicht nur eine neue Vereinsführung benennen, sondern auch bei der Trainerfrage ein Mitspracherecht erhalten. Dass Marco Kostmann weiter den Klub trainieren wird, ist sehr unwahrscheinlich.“ Auf die neue Vereinsführung wartet dann auch direkt eine Menge Arbeit, „denn die Drittliga-Lizenz hat der FC Hansa nur unter Auflagen erhalten.“ Es geht um die Existenz, „denn die Infrastruktur des FC Hansa ist längst nicht für den kleinen Fußball gemacht. Was soll ein halber Amateurklub auf Dauer anfangen mit einer Arena mit 20 000 Zuschauerplätzen sowie einer Geschäftsstelle für Verein und Stadion mit insgesamt 60 Mitarbeitern?“

Hausgemachte oder strukturelle Probleme?

Frank Pergande (FAZ) sagt Hansa eine düstere Zukunft voraus und zieht Parallelen zur ganzen Region: „Der FC Hansa Rostock ist die bekannteste Marke, die Mecklenburg-Vorpommern hervorgebracht hat. Der Abstieg fällt in eine Zeit, da das Land mit demographischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Aber das passt wieder zusammen. Es steht nicht gut um den Nordosten.“

Andreas Hunzinger (FR) blickt noch ein Mal auf die vergangenen Erfolge von Hansa Rostock zurück: „Es erscheint heute fast unvorstellbar, dass Hansa 1991 der letzte DDR-Meister war, sich von 1995 bis 2005 durchgängig in der Bundesliga und da sogar zeitweise in der Nähe der Uefa-Pokal-Ränge befand. Rostock stellte einen Teilnehmer an der EM 1996 (Verteidiger René Schneider), war zudem Sprungbrett für spätere Nationalspieler wie Stefan Beinlich, Sergej Barbarez, Marko Rehmer oder Oliver Neuville. Die Hansa-Kogge schipperte jahrelang in Bundesligagewässern und schien dort etabliert zu sein.“ Die Zeiten haben sich aber geändert: „Nun ist sie gekentert. Das ist kein Zufall. Die Havarie ist zu einem beträchtlichen Teil das Resultat der strukturellen Nachteile einer wirtschaftsschwachen Region. Hansa musste seine Besten – zum Teil als Jugendliche wie Toni Kroos – stets ziehen lassen und wurde nach dem Bosman-Urteil Mitte der 90-er Jahre oft nicht mal mehr dafür entlohnt. Der Niedergang hat seine Gründe aber auch in verfehlter Personalpolitik und Misswirtschaft.“

Kommentare

1 Kommentar zu “Hansa Rostock nur noch drittklassig”

  1. Oliver Fritsch
    Donnerstag, 20. Mai 2010 um 10:14

    Ein Fundstück zum Thema Hansa und FAZ:
    http://www.bildblog.de/18925/drittklassige-leistungen/

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