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Vermischtes

Boateng unten durch, Schweinsteiger obenauf

Kai Butterweck | Freitag, 21. Mai 2010 10 Kommentare

Während Kevin-Prince Boateng derzeit öffentlich am Pranger steht, diskutiert die Presse Bastian Schweinsteigers Qualitäten als Ballack-Nachfolger

Kaum ein Spieler steht derzeit mehr im Blickfeld der Gazetten als Kevin-Prince Boateng. Nach seinem Foul an Michael Ballack wird der Deutsch-Ghanaer nach Ansicht von Michael Horeni (FAZ) „beim dritten und womöglich entscheidenden deutschen WM-Gruppenspiel gegen Ghana das deutsche Feindbild Nummer eins abgeben.“ Offene Fragen wirft auch seine offizielle Entschuldigung auf: „Boateng hat in seinen Ausführungen vor allem erklärt, dass es `keine Absicht` war. Aufrichtiges Bedauern könnte auch ganz anders klingen. Aber vielleicht ist es für Boateng schon eine Entschuldigung, wenn er sagt, dass es ihm leid tut. Was sich in den letzten Tagen innerhalb dieser Diskussion entwickelt hat „ist ein Stoff wie geschaffen für ein Stück über die Binde- und Fliehkräfte in der deutschen Gesellschaft: Ein umschwärmter Weltstar, der sich aus dem DDR-Plattenbau im vereinten Deutschland zum Idol hochgearbeitet hat, aber dessen Karriere unvollendet bleibt, weil ihm ein unzähmbarer Kicker aus dem Berliner Ghetto, der in der Gesellschaft trotz Millionengage nicht ankommt, in die Beine fährt.“ Die Notwendigkeit einer juristischen Prüfung des Vorfalls seitens des Anwalts von Michael Ballack wird dagegen angezweifelt, denn: „Auf den Tritt folgt die moralische Keule, und man fragt sich, ob sie mit Kevin-Prince Boateng den Richtigen trifft. Ob sich hier nur Ressentiments entladen oder eine gesellschaftliche Wirklichkeit auch auf der Fußballbühne zur Ansicht kommt, deren Aggression sich ansonsten anonym in U-Bahnhöfen oder Bussen entlädt.“

Ein geradezu asozialer Übergriff auf das Wohl eines Mitmenschen

Für Markus Lotter (BLZ) stehen diesbezüglich zwei Dinge fest: „Menschen wie Kevin-Prince Boateng können nicht anders. Geradezu zwangsläufig provozieren sie auf ihrem unruhigen Lebensweg heikle Ausnahmesituationen. Sie schrecken andere, sie schrecken aber auch sich. Und doch entschuldigt das nichts.“ Und weiter: „Ein unfassbar grobes Foul war das wie aus einer anderen Zeit, wie aus den Sechziger-, Siebziger und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als aus dem Spiel allmählich ein professioneller Ernst wurde und bösartige Kettenhunde den Besten des Gegners weitgehend ungestraft übers Feld jagen durften. Es war ein Foul, das als archaischer, geradezu asozialer Übergriff auf das Wohl eines Mitmenschen scharf verurteilt werden muss.“ Dennoch dürfe eins nicht passieren: „Es muss unbedingt verhindert werden, dass dieser Zwischenfall in der Diskussion auf eine andere Interpretationsebene gezerrt wird. Nämlich auf die, auf der Hobby-Soziologen und andere Freunde der offenen Interpretation eine Erklärung für Boatengs Fehlverhalten in Boatengs komplizierter Jugend suchen. Gemäß dem Motto: Berlin-Wedding bleibt Berlin-Wedding, oder: Aggro Kid mit Migrationshintergrund bleibt Aggro Kid mit Migrationshintergrund. Nichts ist unsinniger als das, nichts erscheint gefährlicher als das. Menschen wie Kevin-Prince Boateng findet und begegnet man überall.“

Torsten Schabelon (WAZ) hat folgende Sichtweise der Dinge: „Es war ein absichtliches wie überhartes Foul. Aber darf man Boateng eine Verletzungsabsicht unterstellen? Eine Grätsche von hinten, ein grobes Tackling sehen wir fast jeden Samstag – erst zuletzt wieder im Pokalfinale. Die öffentliche Bewertung eines Fouls hängt von den Folgen ab. Steht der Getretene wieder auf, ist die Aktion vergessen. Fällt aber der Kapitän der Nationalelf für die nahe WM aus, ist das Geschrei groß. Ballack-Berater Michael Becker spricht gar von Körperverletzung. Sollte das Foul juristische Konsequenzen für Boateng haben, werden bald Scharen von klagebereiten Anwälten die Fußballplätze belagern.“

Eiertanz der Emotionen

Für Oskar Beck (Welt Online) „ertappt sich die deutsche Seele jetzt beim Abrufen der kompletten Gefühlspalette, von der Verzweiflung über den Hass bis zum zügellosen Volkszorn.“ Mittlerweile „gehen viele Gassi mit ihren Gefühlen, werfen Boateng in einen Topf mit den schlecht durchbluteten Brutalos, die in den U-Bahnhöfen auf anständige Menschen eintreten.“ Die schwierige Situation seines Halbbruders Jerome beschreibt er wie folgt: „Was soll er sagen? Dass er seinen Halbbruder nicht zum ersten Mal als Klotz am Bein verspürt, dass er wohlbehütet in Charlottenburg aufgewachsen ist und der andere im Getto in Wedding, und dass sie nichts gemeinsam haben außer dem virtuosen Ballgefühl und dem Vater?“ Letzterer gieße derzeit auch noch Öl ins Feuer: „Er verzettelt sich hilflos bei seinem Eiertanz der Emotionen. Einerseits nimmt er seinen Ältesten in Schutz und versteht nicht, dass dem ständig Absicht unterstellt wird – und andererseits untermauert er selbst diese Absichtsthese: Der böse Ballack sei seinem Buben vor Jahren mal auf den Fuß getreten – und das war die Reaktion. Ach, hätte der alte Boateng doch geschwiegen. So heizt er ihn vollends auf, den Ausnahmezustand.“ Abschließend wendet sich Beck noch an Ghanas Teamchef Tony Baffoe: „Wenn er klug ist, und das ist er, lässt er nicht zu, dass Kevin-Prince Boateng gegen Deutschland das Spielfeld betritt.“

Die Drohung von Michael Ballacks Berater Michael Becker, den Vorfall juristisch prüfen lassen zu wollen, würde für Michael König (SZ) künftig bizarre Szenarien nach sich ziehen: „In der Folge würde es sich jeder Fußballer doppelt und dreifach überlegen, ruppig in einen Zweikampf zu gehen. Das kommt womöglich der Fairness zugute, ist mit der Entwicklung des modernen Fußballs zu einer immer schnelleren und härteren Spielweise aber nicht kompatibel.“ Und weiter: „Der Fußballbetrieb mit Verbänden, Funktionären – und letztlich auch die Spieler – können allerdings kein Interesse daran haben, mit einem Gerichtsprozess ein Exempel zu statuieren. Es gibt Beispiele, in denen Fußballer nachträglich finanziell entschädigt wurden. Der englische Profi Matty Holmes erhielt 2004, sechs Jahre nach seinem Karriereende, 375.000 Euro zugesprochen. Ein Gericht verurteilte den australischen Nationalspieler Kevin Muscat zur Zahlung dieser Summe, weil Holmes durch dessen Tritt einen Beinbruch erlitt und seine Laufbahn beenden musste. Wenn schon ein Nebendarsteller wie Matty Holmes eine sechsstellige Summe erhält, was wäre da für einen Superstar wie Ballack an Schadenersatz fällig? Das könnte für den einen oder anderen schnell ruinös werden.“

Schweinsteiger hat das van-Bommel-Prinzip verinnerlicht

Für Marco Plein (Focus) kommt das Erbe Ballacks bei der kommenden WM einer „Titanen-Aufgabe“ gleich. Schweinsteiger habe „eine bemerkenswerte Saison bei Bayern München hinter sich. Zwei Titel sind bereits gewonnen, vielleicht werden es drei, dazu hat er nun eine tragende Rolle im Zentrum des Geschehens. Schöner hätte er es sich selbst nicht wünschen können. Vor allem, weil er selbst so überlegen wie nie zuvor agiert, permanent am Ball ist, das Spiel an sich zieht und eine klare Entwicklung erkennen lässt. Fußballerisch war er nie besser. Nie brillanter. Doch kann er Spieler wie Müller, Özil und Kroos schon auf seine Schultern nehmen? Wohl kaum, um nicht zu sagen, es wird nahezu unmöglich. Denn ein Führungsspieler, einer, der notfalls die ganze Mannschaft mitschleppt, ist man entweder von Natur aus, oder man ist es nicht. Und Schweinsteiger war das nie. Noch nie.“ Erstmals müsse er ohne Rückendeckung das Zepter in die Hand nehmen, denn bisher „war immer einer da, der sich notfalls vor ihn stellte, für Schutz und Ruhe sorgte.“ Was Ihm aber vor allem fehle, sei „Menschenführung. Schweinsteiger ist 25, darin kann er noch gar nicht gut sein. Das wäre fast unmenschlich.“

Dagegen traut Roland Zorn (FAZ) dem Münchner die Besetzung der „Pole-Position“ im deutschen Mittelfeld durchaus zu: „Er muss die Chefrolle nur übernehmen. Es scheint so, als müsste sich Bastian Schweinsteiger an dieser Aufgabe nicht überheben.“ In München habe er sich in dieser Spielzeit zum „allseits respektierten zentralen Spielgestalter“ entwickelt. „Er hat das van-Bommel-Prinzip längst auch selbst verinnerlicht. Es geht ihm wie dem 33 Jahre alten Niederländer vor allem ums Kollektiv.“ Der Aufstieg „vom Juniorchef zum Anführer“ verdanke er seiner „ureigenen optimistischen, konstruktiven und mannschaftsdienlichen Spielweise“.

Kommentare

10 Kommentare zu “Boateng unten durch, Schweinsteiger obenauf”

  1. Heffer
    Freitag, 21. Mai 2010 um 11:24

    Die Ausagen von Markus Lotter musste ich zweimal lesen: „Menschen wie Kevin-Prince Boateng können nicht anders.“, „Sie schrecken andere“

    Dann ein Vergleich mit der Härte vor 30 Jahren um anschließend zu proklamieren, man dürfe die Diskussion nicht wie „Hobby-Soziologen“ Boatengs Jugend aufarbeiten.

    Menschen wie … ja was ist er denn für eine Art von Mensch? Es ist schon recht bequem, wenn man ein eine Menge Schubladen zur verfügung hat, die man bei Bedarf aufmachen kann.

    Wie man so einen Artikel auch schreiben kann zeigt Torsten Schabelon ein paar Zeilen darunter.

  2. Peter Glock
    Freitag, 21. Mai 2010 um 13:20

    @Heffer: sic!

  3. Lena
    Freitag, 21. Mai 2010 um 18:55

    Ja, Menschen, die Kevin-Prince heißen, hätten besser Boxer werden sollen. Heffer, falls Sie mal gegen so Gestalten gekickt hätten, müssten Sie hier nicht Ihre schlaue politische Korrektheit demonstrieren.

    Kevin-Prince durfte gerne aus Berlin fortgehen, weil er verhaltensaufällig war. Sie können sicher sein, dass man was Recht und Gesetz angeht, sicher noch was von KP hören wird. Und leider kann man sehr wohl Menschen ordnen und einteilen, fragen Sie mal Brennpunkt Sozialarbeiter nach deren Typen-Kategorien oder wie Sie sagen würden „Schubladen“. Diese erweisen sich häufig als hilfreich im Umgang.

    Das Foul von KP erregt natürlich wegen der Folgen so große Aufmerksamkeit, aber wäre es ein unauffälliger englischer Spieler und nicht der Halbbruder des Manschaftskameraden gewesen, hätte sich das Interesse schnell und mehr dem Hr. Ballack zugewandt.

    @Peter Glock: sic! 😉

  4. Prince85
    Samstag, 22. Mai 2010 um 03:41

    Dieser Beitrag ist Müll,

    da jmd. wegen seiner Herkunft (Berlin Wedding) so ein Foul begangen haben soll ist einfach Schwachsinn. Das ist wieder mal ein Vorurteil der übelsten Sorte. Ich bin selber Weddinger und finde es einfach nur traurig, wie Menschen die sauer sind, so etwas absurdes, wie das Ghetto ist schuld behaupten können. Und dann wollen uns Menschen aus anderen Stadtteilen und anderen Städten erzählen, dass sie tolerant sind und keine Vorurteile haben.

  5. Heffer
    Samstag, 22. Mai 2010 um 12:12

    @Lena: Ihr erster Absatz ist so abwegig, da geht einem jegliche Motivation verloren sich dafür zu rechtfertigen, dass man nicht alle Menschen über einen Kamm schert.

  6. Lena
    Samstag, 22. Mai 2010 um 12:34

    @Prince85: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Der kritisierte Beitrag von Hr. Lotter hob geradezu darauf ab, dass es nicht ein „Wedding“ Ding sei, sondern, dass so Typen überall herkommen. Was ich Ihnen aus meiner Erfahrung bestätigen kann. Dumm von mir ist natürlich, das am Namen so allgemein gültig festzumachen. Aber er ist ein wichtiger Hinweis.

    In der Menge gesehen, kann man sicher sagen, dass Milieu Kicker im Schnitt deutlich aggressiver zur Sache gehen und teilweise sich einfach keinen Kopp machen, was sie damit anrichten. Mitgefühl ist nicht deren Stärke, eher das Selbstmitleid.

  7. Peter Glock
    Samstag, 22. Mai 2010 um 17:06

    Milieu
    hmhm…
    der „Prügel Prinz Ernst August von Hannover“
    kommt der auch aus Wedding?

  8. Christoph Schröder
    Dienstag, 25. Mai 2010 um 22:22

    Einer wie das Prinzlein kann sich aus dem Ghetto rausprügeln, er kriegt das Ghetto aber nicht aus sich raus. Lebenslänglich. Abscheulich: Das Foul. Noch ekelhafter: Die „Entschuldigung“. Keine Absicht, na klar. Man kennt es, wie solche Typen vor Gericht winseln, sich winden mit ihren Lügen, die Fäuste tief in den Taschen der Kapuzenjacke vergraben. Hilfreich ein Blick auf das Video. Der Gesichtsausdruck des Prinzen: Wut, Hass, darein gemischt die gespielte Empörung: Wat beschuldigt ihr mich, ick hab doch jarnischt jemacht! Noch nicht wieder auf den Beinen, schon der unschuldheischend erhobene Arm. So schnell…
    Übrigens: Ethnie, Hautfarbe, Herkunft – egal. Diese Typen gibts nicht nur im Wedding. (Wenn auch öfter als beispielsweise in Charlottenburg). Hauptsache, man zieht sie aus dem Verkehr.

  9. Peter Glock
    Mittwoch, 26. Mai 2010 um 21:03

    Solche abscheulichen Typen wie Michael Ballack, die mal ganz provokant Ohrfeigen auf dem Platz verteilen und sich für Nasen- und Gesichtsbrüche nicht entschuldigen?

    Hammse Recht, Herr Schröder, diese asozialen Subjekte sollten aus dem Verkehr gezogen werden!!! Schnell!!!

    Ach so: Dann fällt die WM aus! Schade!

  10. Miro Klopps Klose
    Donnerstag, 3. Juni 2010 um 17:05

    Och leute,
    es geht doch gar nicht darum, wer wie gefoult hat, sondern darum dass Ballack zur WM ausfällt. Ein Glück, dass Frank Ribery mit seinem dreckigen Foul Lisandro Lopes nicht ernsthaft verletzt hat. Die Aktion war auf jeden Fall absolut mit der von KPB vergleichbar!!!

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