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„Wir europäischen Journalisten werden in Brasilien das ein oder andere mal schlucken müssen“

Kai Butterweck | Montag, 13. Januar 2014 1 Kommentar

Bundesliga, WM, Champions League, Hitzlsperger: Wir sprachen mit Welt Online-Fußballchef Lars Wallrodt über aktuelle Themen rund ums runde Leder.  

Lars Wallrodt ist Fußballchef bei Welt Online. Wir sprachen mit dem Insider über die Bundesliga-Vorrunde, die Champions League, die bevorstehende WM in Brasilien und natürlich auch über Thomas Hitzlsperger

Herr Wallrodt, die Liga steckt gerade mitten in der Winterpause. Welchem Team gebührt hinsichtlich der gespielten Vorrunde der meiste Beifall und warum?

Lars Wallrodt: Reflexartig muss natürlich der FC Bayern genannt werden. Allerdings finde ich die Leistungen von Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach ähnlich stark, wenn natürlich auf einem sportlich niedrigeren Niveau. Gerade was in Berlin passiert ist, hat mich positiv überrascht. Jos Luhukay ist es gelungen, mit bescheidenen Mitteln eine wirklich schlagkräftige Mannschaft zusammenzustellen, die im Verhältnis von Potenzial und abgelieferter Leistung das beste Ergebnis der  Liga abgeliefert hat. Mal sehen, ob Hertha das in der Rückrunde bestätigen kann.

Welches Team hat derzeit – unabhängig vom Tabellenplatz – die größten Probleme?

Lars Wallrodt: Der HSV! Und zwar nicht nur, weil die Vorrunde sportlich mies war, sondern weil die Vereinsstruktur und die Finanzsituation desaströs sind. Am 19. Januar werden die Mitglieder über eine Ausgliederung der Profiabteilung abstimmen. Das ist für mich die letzte Chance für den Klub, wieder in ruhigere Fahrwasser zu kommen. Ansonsten werden die Hamburger sich mittelfristig um ein anderes Maskottchen kümmern müssen – der Liga-Dino werden sie dann jedenfalls nicht mehr sein.

Welche drei Teams werden in der Rückrunde in der Tabelle klettern/fallen?

Lars Wallrodt: Ich gehe davon aus, dass der SC Freiburg den Relegationsplatz verlassen wird, um sich ins gesicherte Mittelfeld abzusetzen. Die Doppelbelastung durch die Europa League scheint für die Breisgauer doch zu groß gewesen zu sein. Nun, mit voller Konzentration auf die Liga, traue ich ihnen mehr zu. Auch die TSG Hoffenheim sehe ich besser als Rang zwölf, dort prognostiziere ich einen einstelligen Tabellenplatz. Dass Borussia Mönchengladbach Rang drei halten kann, bezweifle ich, obwohl Lucien Favre wirklich hervorragende Arbeit abliefert. Aber ich denke, dass der Druck von Dortmund, Wolfsburg und Schalke zu groß werden wird, um die direkte Qualifikation für die Champions League zu schaffen.

In der Vorrunde wurden insgesamt vier Trainer entlassen. Wer hätte ihrer Meinung nach einen längeren Atem verdient gehabt?

Lars Wallrodt: Die Entlassungen von Thorsten Fink beim HSV und Bruno Labbadia in Stuttgart halte ich für gerechtfertigt, auch bei Michael Wiesinger verstehe ich den Wunsch des 1. FC Nürnberg nach Veränderung. Mirko Slomka hätte ich zugetraut, Hannover wieder in den Griff zu bekommen.

Der FC Bayern zieht an der Spitze einsam seine Bahnen. Oliver Kahn hat in seinem Blog angeregt, Bayern und den BVB aus der Bundesliga auszuschließen. Die beiden Topklubs sollen mit 16 anderen Vereinen in einer Super-Europa-Liga spielen, um die Bundesliga fairer und spannender zu machen. Was halten sie von dieser Idee?

Lars Wallrodt: Das ist natürlich Unsinn und war von Kahn wohl auch eher als provokanter Diskussionsanstoß gedacht. Ohne die beiden Aushängeschilder kann die Bundesliga dichtmachen. Beide Klubs garantieren der Konkurrenz wenigstens zweimal im Jahr ein ausverkauftes Haus. Nein, eine Ausgliederung der Premiumklubs ist absolut keine Option.

Wird die Bundesliga je wieder spannend?

Lars Wallrodt: Sie ist ja spannend, wenn auch nicht an der Spitze. Da allerdings wird sich in den kommenden zwei, drei Jahren wenig tun, befürchte ich.

Der HSV  liegt ihnen besonders am Herzen. Sportlich und wirtschaftlich zeigt die Kurve bei den Hanseaten nach unten. Was muss passieren?

Lars Wallrodt: Aus beruflicher Sicht bewerte ich den HSV wie jeden anderen Klub auch, privat mag das ob der frühkindlichen Prägung etwas anders sein. Die Probleme des Klubs sind elementar, die Lösung habe ich bereits angesprochen. Für mich führt kein Weg an einer Ausgliederung vorbei. Basisdemokratie funktioniert nicht in einem Fußballverein. Dass Personen in den – völlig aufgeblähten – Aufsichtsrat gewählt werden, weil sie auf der Mitgliederversammlung eine launige Rede halten oder ein Retro-Trikot unter dem Hemd tragen, ist so gestrig, dass es weh tut. Außerdem führt für mich angesichts der finanziellen Lage kein Weg an einem Investor vorbei. Der allerdings wird sich kaum in die Hände eines Klubs begeben, der unberechenbar ist.

Gibt es eine Wiederauflage von Wembley 2013 in der Champions League?

Lars Wallrodt: Nein, ich glaube, der BVB bekommt nicht noch einmal so viel PS auf die Straße. Macht aber auch nichts, ein deutsch-deutsches Finale kann nicht selbstverständlich sein. Die Bayern allerdings sehe ich im Endspiel.

Die WM steht vor der Tür. Fußball-Fest oder Chaos-Tage? Was steht uns bevor?

Lars Wallrodt: Ein Fest mit chaotischen Elementen im Umfeld. Ich glaube, wir europäische Journalisten werden dort das ein oder andere Mal schlucken müssen. Andererseits werden wir belohnt mit einer Begeisterung, die einmalig sein wird.

Wie schätzen sie die Chancen des Teams von Jogi Löw ein?

Lars Wallrodt: Der DFB tut ja merkwürdigerweise alles, um für den Fall vorzubeugen, dass die Nationalmannschaft nicht den Titel holt. Lahm, Bierhoff und auch Löw betonen mir zu oft, wie schwierig es werden wird. Die Einstellung finde ich kontraproduktiv. Ich finde, wir haben die beste Mannschaft seit den 70er Jahren. Die angeblich so goldene Generation ist im besten Fußballalter angekommen. Wenn es diesmal nicht klappt, wann dann? Für mich ist das deutsche Team klarer Favorit, wenngleich mir die Abwehr Sorgen macht.

Haben sie  einen Geheimfavoriten?

Lars Wallrodt: Die Belgier, auch wenn das ja kein großes Geheimnis mehr ist. Die haben mit de Bruyne, Lukaku, van Buyten und Hazard eine wirklich gute Truppe zusammen, und mit Russland, Algerien und Südkorea lösbare Aufgaben in der Gruppenphase. Aber prinzipiell glaube ich, dass sich in Brasilien die „alten“ Kräfte duellieren werden um den Titel: Deutschland, Italien, Spanien, Argentinien – und natürlich die Gastgeber. England allerdings scheidet in der Vorrunde aus – hinter Italien und Uruguay.

Thomas Hitzlsperger hat in der vergangenen Woche erklärt, dass er schwul ist. Er ist der erste prominente Fußballer, der das tut. Ist das wirklich so außergewöhnlich?

Lars Wallrodt: Das sollte es nicht sein in einem modernen, aufgeklärten Land. Doch im Fußball scheinen die Dinge leider noch etwas anders zu liegen. Die Sportart erstarrt in dieser Sache vor Phantomangst. Vor Angst vor den eigenen Zuschauern, die ja in der Hitze des Gefechts die Homosexualität eines Spielers gegen ihn verwenden könnten. Das finde ich schade, denn ich glaube, dass das deutsche Publikum sehr wohl in der Lage wäre, sich zu beherrschen. Die Tatsache, dass rassistische Äußerungen wie Affenlaute oder die unsäglichen „Asylanten“-Rufe fast vollständig aus den Stadien verbannt sind, zeigt doch, dass dort eben kein dumpfer Mob hockt, sondern durchaus differenzierte Leute. Vielleicht bringt Hitzlsperger ja eine neue Sachlichkeit in die Debatte.

Vielen Dank fürs Gespräch.

Lars Wallrodt: Sehr gerne.

Kommentare

1 Kommentar zu “„Wir europäischen Journalisten werden in Brasilien das ein oder andere mal schlucken müssen“”

  1. Hans Klemm
    Donnerstag, 16. Januar 2014 um 12:55

    Es scheint, dass das Gefühl hinsichtlich der bevorstehenden Fußball-WM in Brasilien für den „Welt-Online-Chef“ etwas zu positiv formuliert ist!
    Wie den Meldungen aus diesem Land ständig zu entnehmen ist, gibt es große Verzögerungen in vielerlei Hinsicht, was den Stand der allgemeinen Vorbereitungen betrifft. Da fehlt mir einfach die Kritik an den Organisator, die FIFA, deren umstrittener Chef, Blatter, den
    Bau-Rückstand den dort agierenden Firmen und der brasilianischen Regierung“ in die Schuhe schiebt“, obwohl nach seiner Aussage noch nie soviel Zeit der Vorbereitung vorhanden war. Wo war denn da die ständige Kontrollfunktion des Weltdachverbandes?

    Es kann doch nicht sein, dass die unmittelbar in Nähe der verschiedenen Stadien wohnenden Menschen vertrieben werden müssen, damit verschiedene Anbauten schnell noch entstehen können. Da auch noch die allgemeinen sozialen Probleme des auf den Titel favorisierten Landes hinzukommen, könnte es nicht nur in den Stadien spannende Auseinandersetzungen geben……

    Hinsichtlich seines Tipps des vorherigen Ausscheidens könnte allerdings Lars Wallrodt England mit Deutschland verwechselt haben!

    Natürlich hat „Hitz“ als außergewöhnlicher intelligenter Mensch im Schutze der erreichten „Passivität“ für frischen Wind rund um die Verhaltensweisen im gesamten Sportbetrieb, kurz vor den Olympischen Spielen, gesorgt, dem in dieser Hinsicht mit Sicherheit noch einige unvorhergesehene Überraschungen folgen werden……..

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