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WM 2018

WM 2018 – Moneten, Schurken und helfende Hände

Kai Butterweck | Dienstag, 19. Juni 2018 Kommentare deaktiviert für WM 2018 – Moneten, Schurken und helfende Hände

Die Presse beschäftigt sich mit Siegprämien, Labertaschen, Bollwerken und feiernden Massen

Die Mutter aller Rundleder-Träume: Einmal im Leben den WM-Pokal in den Händen halten. Für „umme“ zieht sich allerdings kein Kicker mehr um – auch nicht bei einer Weltmeisterschaft. Oskar Beck (Welt) schmunzelt über die Entwicklung der „Siegprämie“: „Haben Sie am Samstag gesehen, wie froh und entspannt Gernot Rohr war? Der Mannheimer trainiert Nigeria, und dass seine „Super Eagles“ gegen Kroatien sogar sporadisch aufs Tor schossen, galt lange als keineswegs selbstverständlich – erst nach zähem Ringen mit den Spielern erzielte die Verbandsspitze rechtzeitig eine Einigung. Nigerias Kicker erhalten eine WM-Prämie von 2,4 Millionen Dollar und drohen deshalb nicht mehr mit einem Trainingsstreik wie noch 2014 vor dem Achtelfinale gegen Frankreich.“

Mit knapp zwölf Milliarden Dollar verschlingt die WM in Russland fast zwei Milliarden Dollar mehr als das vorangegangene Turnier in Brasilien. Wer die Kosten trägt? Ellen Ivits (stern.de) weiß Bescheid: „Während die russische Nationalelf die WM eröffnete, verkündete die Regierung in Moskau ein umfassendes Reformpaket. Zwei Entscheidungen treffen die Bevölkerung besonders hart: Zum einen wird die Mehrwertsteuer ab 2019 von 18 auf 20 Prozent angehoben. Zum anderen wird das Renteneintrittsalter stufenweise erhöht, für Männer von 60 auf 65 Jahre, für Frauen von 55 auf 63 Jahre.“

„Es gäbe andere Wege, solche Konflikte zu lösen“

Der schwedische Nationalspieler Gustav Svensson kickte einst in der Krim – bis ihn die illegale Annexion zur Flucht zwang. Im Interview mit dem Tagesspiegel übt der blonde Hüne offene Kritik an Wladimir Putin und Russlands Machtapparat: „Sieht man es politisch, war es ein schreckliches Fehlverhalten, dass man mit Macht und Militär dort einmarschiert und das übernimmt, von dem man behauptet, es sei sein Eigentum. Eine Großmacht schlägt auf eine kleinere ein – es ist doch selbstverständlich, dass so etwas falsch ist. Es gäbe andere Wege, solche Konflikte zu lösen.“

Ilja Feldmanas (mopo.de) reicht allen Gästen in Russland die Hand: „Gerade weil die politische Lage weltweit derzeit so zugespitzt ist, sollte man die WM als Chance für ein neues Miteinander sehen. Fußballgucken macht Spaß. Es verbindet. Es geht um Fairness. Es geht um Respekt. Diese Werte, die auf dem Feld eine große Rolle spielen, können durch die WM auf die politischen und gesellschaftlichen Beziehungen abfärben. Das geht nur, wenn man sich begegnet und miteinander redet.“

Am „Hart aber fair“-Tisch wird noch einmal das Auftakt-Desaster der deutschen Nationalmannschaft analysiert. Mit am Tresen sitzt Mario Basler. Dirk Brichzi (Spiegel Online) hält sich die Ohren zu: „Für einige Zuschauer mag er noch einer der letzten Typen in dem glattgebügelten Fußballgeschäft gewesen sein, der schon immer tolle Sprüche klopfte und auch nach seiner aktiven Karriere nie ein Blatt vor dem Mund nahm. Mittlerweile geht es ihm offensichtlich nur noch darum, noch hohlere Phrasen zu dreschen und noch absurdere Vergleiche heranzuziehen.“

15 von 32 Toren resultierten aus Standardsituationen

Viele vermeintliche WM-Favoriten tun sich schwer gegen kleinere Gegner. Uli Petersen und Michel Massing (Spiegel Online) wissen warum: „Eine Folge aus den verbesserten taktischen Fähigkeiten der sogenannten Kleinen: Es fallen weniger Tore – vor allem aus dem Spiel heraus. In nur drei von 14 WM-Partien waren es mehr als drei Treffer, viele Spiele wurden erst in letzter Minute entschieden, und meist hatten Ecken und Freistöße Einfluss auf den Ausgang. 15 von 32 Toren resultierten aus Standardsituationen.

Reisen Fußballfans nach Russland, um Fußball zu gucken? Selfie-Allergiker Andreas Bock (11Freunde) hat da so seine Zweifel: „Der Finger ununterbrochen auf dem Kamera-Auslöser, der Blick starr auf dem Bildschirm. Das Resultat ist faszinierend: Menschen machen Fotos von Menschen, die Fotos machen von Menschen, die Fotos machen von Menschen, die Videos machen. Mit dem Datenmüll, der in diesen Tagen in Russland produziert wird, könnte man die Internetserver der USA für das nächste Jahrzehnt lahmlegen.“

Die ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann wird in den sozialen Medien aufs Übelste beleidigt. Gerhard Pfisterer (Stuttgarter Zeitung) stellt sich schützend vor die Reporterin: „Man kann das gut oder schlecht finden, wenn jemand sagt: „Messi – der hat das Dribbeln einst in der Telefonzelle gelernt.“ Geschmacksache. Man kann Claudia Neumann ankreiden, Situationen falsch ein­geschätzt zu haben. Doch es lässt sich ganz sicher nicht behaupten, dass sie zu wenig ­Ahnung von Fußball hat. Und sie als Frau in ihrer Rolle abzulehnen wäre so fortschrittlich, wie nach dem deutschen Abwehrdebakel zum WM-Auftakt gegen Mexiko die Rückkehr zum ­Libero zu fordern.“

Die fleißigen Mitarbeiter der „Fanbotschaft“ stehen während eines großen Turniers allen deutschen Anhängern stets mit Rat und Tat zur Seite. Jan Christian Müller (blog-g.de) zieht seinen Hut: „Die Fanbotschaft ist eine Anlaufstelle für alle deutschen Fans, natürlich wird auch denjenigen Anhängern geholfen, die irgendwelche Probleme haben. Außerdem bietet die Truppe gemeinsame Touren an, damit niemand zu einsam wird und ein noch besseres Gemeinschaftsgefühl entsteht.“

Fans aus China, Indien und Uganda haben sich unters Partyvolk gemischt

Vor dem Kreml feiern unzählige Fußball-Fans den Moment im Hier und Jetzt. Georg Leppert (FR) genießt die Stimmung: „Tatsächlich braucht man sich nur eine halbe Stunde an den Kreml zu stellen, um Menschen in den Trikots aller 32 Teilnehmerländer zu sehen. Isländer tragen Wikingerhelme auf dem Kopf, Argentinier haben sich russische Fellmützen gekauft, Deutsche sind mit einem überdimensionalen WM-Pokal aus Pappe unterwegs – und auch Fans aus China, Indien und Uganda, deren Mannschaften nicht dabei sind, haben sich unters Partyvolk gemischt. Das seit Tagen andauernde Sommerwetter tut sein Übriges zur guten Stimmung.“

Berit Dießelkämper (jetzt.de) zieht mit der Deutschlandflagge in den Kampf gegen rechts: „Liebe Mitmenschen, kleidet euch in Schwarz-Rot-Gold, legt die Deutschlandflagge über eure Profilbilder, tragt auch die billigste Plastik-Hawaiikette in Nationalfarben mit einem Stolz, als seien sie Verdienstorden, und lasst die Nationalflagge nicht zu einem Symbol der Nazis verkommen. Lasst uns die WM als Anlass nehmen, der Welt zu zeigen, dass auch nette, vernunftbegabte Nicht-Nazis wissen, wie man eine Deutschlandfahne hält.“

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