indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Nachschuss

Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann.

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann.

Biermann, Christoph Fuchs, Ulrich (1999). Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann. Wie moderner Fußball funktioniert. Köln: Kiepenheuer Witsch.

Das vorliegende Buch ist eine Mischung aus historischen Essay und Fachbuch. Das bereits lässt aufhorchen. Gewöhnlich entspricht es der Regel, dass es letzterem an Weitsicht und historischem Horizont mangelt, während ein Text über Fußballgeschichte konkretes Wissen aus der Praxis vernachlässigt. Dahingegen erweisen sich Biermann Fuchs als Experten auf beiden Gebieten. Ihnen gelingt der Spagat auf hervorragende und spannende Weise. Facettenreich analysieren sie die Evolution moderner Fußballtaktik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart: Chapmans WM-System, Schalker Kreisel, ungarisches Wunderteam, Schweizer Riegel, Catenaccio, Libero, Raumdeckung. Dabei zeichnen sie eine kontinuierliche Weiterentwicklung, welche einerseits durch öffentliche und gesellschaftliche Prozesse wie Professionalisierung und Kommerzialisierung beeinflusst worden sei. Andererseits habe fortschreitender Erkenntniszuwachs aus der Sportwissenschaft bessere athletische Leistungen ermöglicht. Insbesondere an Welt- und Europameisterschaften könne man diesen Entwicklungsgang beobachten.

Zentraler Ausgangspunkt der Autoren ist die Feststellung, dass „das Spielfeld immer kleiner“ (S 22), ergo der zu bespielende Raum verengt wurde. Taktische Veränderungen – in erster Linie geschickteres Verteidigen – haben in der Tat das Spiel und dessen Tempo entscheidend verändert. Auf den Ballführenden werde immenser Zeit- und Gegnerdruck ausgeübt. „Mehr als eine, zwei, drei Sekunden gibt es nicht mehr oft, um die richtige Entscheidung zu treffen, oder eben auch die falsche“ (S 22). Dadurch sei die Fehlerquote (Fehlpass, Ballverlust etc) zwangsläufig gestiegen, während sich die Anzahl an Toren und Torchancen verminderte. ZB hat sich von der WM 54 bis zur WM 62 die durchschnittliche Anzahl geschossener Tore fast halbiert. Stattdessen erhöhten sich Tempo und Dynamik ständig ebenso wie die technischen und taktischen Anforderungen an den Fußballer.

Doch auch das konditionelle Profil hat sich gewandelt. Messungen von im Spiel absolvierten Laufleistungen haben ergeben, dass der durchschnittliche Profi in den 70ern etwa vier bis fünf Kilometer hinter sich brachte, während es heutzutage das doppelte Pensum ist. „Heute würde einer wie Buffy Ettmayer, dessen Bierdeckelradius genauso Legende war wie seine wunderbar getimten Flugbälle auf die Spitzen, kein Land mehr sehen“ (S 29). Dieser Gewinn an Aktionsmöglichkeiten habe das Spiel zusätzlich dynamisiert und intensiviert. Folglich hätten sich Kurzpass, Pressing und Verschieben sowie ballorientierte und kollektive Verteidigung als allgemein gültige „Stilmittel der Moderne“ (S 117) etabliert. Was die Zukunft bringt, ist freilich unklar. Valeri Lobanowski, Trainer-Legende aus der Ukraine, prophezeit einerseits eine weitere Verfeinerung des Spiels. Andererseits hält er weitere entscheidende Entwicklungen für ausgeschlossen: „Es wird keine Revolutionen im Fußball mehr geben, aber es wird sich die volle Universalisierung durchsetzen, also die Intensität des Spiels dramatisch anwachsen und damit seine spektakuläre Seite“ (S 163).

Hierzulande sehe man das allerdings anders, dominiere nämlich das kulturpessimistische „früher war alles besser“, was zudem lange Zeit mit einer Weigerung insbesondere im Jugendbereich einher gegangen sei, moderne Trainingsmethoden und Spieltaktiken einzurichten. Stattdessen habe man stets die feste Manndeckung favorisiert, lautet die richtige Beobachtung von Biermann Fuchs. Doch „selbst die DFB-Trainer haben mittlerweile in ihrer Zeitschrift Fußballtraining konstatiert, dass sie [die ballorientierte Gegnerdeckung, of] ´heutzutage für alle Mannschaften als taktische Grundausrichtung verbindlich sein muss`“ (S 118). Demzufolge laufe man in Deutschland derzeit einem selbst verschuldeten taktischen Rückstand nach. Biermann Fuchs ist ein Beitrag gelungen, diesen aufzuholen.

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

113 queries. 0,547 seconds.