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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

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Oliver Fritsch | Samstag, 27. März 2004 Kommentare deaktiviert für Sonstiges

Jürgen Emig, „Petrus mit Schlüsselgewalt“ (FAZ) – „Berlusconi ist auf dem Rasen der Politik über den Ball gestolpert“ (NZZ) – „die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist längst entzaubert“ (NZZ) – die Helden von Bern: Menschen wie Du und ich u.v.m.

Petrus mit Schlüsselgewalt

Michael Reinsch (FAZ 27.3.) ärgert sich über die Arbeit beim Hessischen Rundfunk: „Hat Jürgen Emig nicht eigentlich einen weißen Bart? Und trägt er nicht ein weißes, bodenlanges Gewand? Und hält er nicht einen goldenen Schlüssel in der Hand? So jedenfalls kann man sich den Reporter vorstellen – wenn man ihn von der Tour de France kennt. Wenn er während drei heißer Wochen in der französischen Etappe aus dem „Kleinen Wermelinger“ referiert, einer Gabe der Tour-Pressestelle, die den Blick auf all die Kulturgüter am Wegesrand lenken will. So mag sich der in dieser Woche abgelöste Tour-Kommentator und Sportchef des Hessischen Rundfunks auch selbst gesehen haben: Als Petrus mit Schlüsselgewalt über das, was der Sportler, der Sport und die Sponsoren als wirkliches Ziel ansehen. Die seligmachende Präsenz im Fernsehen. Für einen Augenblick auf dem Bildschirm reißen sie sich nicht nur ein Bein aus. Dafür zahlen sie auch; im Fall Emig an eine Produktionsgesellschaft, mit deren Chef er befreundet ist; an eine Agentur, mit deren Chefin er verheiratet ist. TV-Präsenz ist die Basis, auf der Veranstaltungen vermarktet, finanziert, also ermöglicht werden. (…) Durchsetzungsfähige Fernsehredakteure sind auch Lobbyisten ihres Sports – im Kleinen wie im Großen. Schließlich haben die Öffentlich-Rechtlichen die Rechte an der Fußball-Bundesliga nicht nur wegen der Quote für reichlich 60 Millionen Euro erworben – und sich damit die Hände gefesselt –, sondern auch im staatlichen Interesse an der Konkurrenzfähigkeit deutscher Kicker. Wo aus Prinzip derart journalistische Maßstäbe verschoben werden, wo Ranschmeiße und Selbstvermarktung, Marktschreierei und Liebedienerei als Ausdruck von Talent gelten, kann man sich schon mal im Tun und Treiben verstricken wie Emig. Hier sparend, dort Geld fordernd, als Hüter und Türöffner zugleich. Gewiß ist Sport Teil des gesellschaftlichen, ja sogar des kulturellen Lebens, über das die von Millionen Haushalten mit monatlich je 16 Euro Gebühren ausgestatteten Anstalten zu berichten haben. Doch Sport will mitspielen im Unterhaltungsgewerbe. Und das ist ein Geschäft. Wer nicht auserkoren wird wie Skispringer, Boxer oder Radprofis, muß sich den Regeln des Genres unterwerfen; und gehöre dazu, sich einzukaufen mit der Unterstützung spendabler Freunde. Die Sender sollten ihre Regeln nicht nur transparent machen. Sie sollten auch deren Einhaltung überwachen. Sonst entpuppt sich der weißhaarige Petrus als dreiköpfiger Zerberus mit schwarzen Zähnen.“

Interview mit Marcel Reif in Jungle World, der linken Wochenzeitung

JW: In den siebziger Jahren waren Sie ZDF-Korrespondent in London. 1984 wechselten Sie von der Politik- in die Sportredaktion. Sportjournalismus erschien Ihnen damals redlicher. Wie gehen Sie damit um, dass die Berichterstattung heute immer mehr in den Boulevard abgleitet?
MR: Boulevard war für mich nie ein Schimpfwort, an sich müsste er sogar eine der höchsten Kunstformen sein. Armselig ist er nur in den Ausprägungen. Aber gerade Sport wäre in einem guten Boulevardjournalismus prima aufgehoben: nicht zu viel Wissenschaft und Philosophie, aber auch nicht zu platt. Das Publikum, das wir uns erzogen haben, erwartet heute allerdings manches gar nicht mehr anders. Trotzdem darf man die Zuschauer nicht unterschätzen, es gibt viele, die trotz allem ganz normal geblieben sind und eine langsamere und ruhigere Gangart bevorzugen. Wenn wir uns daran erinnern, wird das nicht zum Nachteil der Sportberichterstattung gereichen.
JW: Manche Kritiken strotzen vor Häme. Muss das sein?
MR: Zynismus und Häme sind menschenverachtend. Sollte ich mich dabei ertappen, macht es mir richtig zu schaffen. Zu meiner Sprache gehört ein gewisses Maß an Ironie, vor allem auch Selbstironie. Da man mich schon so lange lässt, gehe ich davon aus, dass es die Menschen nicht stört. Mich ärgert es immer, wenn jemand noch nie gegen einen Ball getreten hat und sich dennoch sehr dezidiert zu einer vermeintlichen Fehlleistung äußert. Die Akteure haben einen Anspruch darauf, dass mit ihnen anständig umgegangen wird. Da sie aber öffentlich spielen, muss ich Kritik aussprechen dürfen. An dem derzeitigen Rummel um Oliver Kahn lässt sich vieles festmachen. Eine Boulevardzeitung hat ihn zum „Titanen“ erklärt. Mit diesem Begriff kann ich gar nichts anfangen. Fakt ist: Kahn, der Weltklassetorwart, hatte neulich im Spiel gegen Real Madrid einen Anfängerfehler gemacht. Damit schadete er der Mannschaft sehr, er litt sicherlich am meisten darunter. Ich wünschte ihm so viel Distanz, dass er das Ganze nicht selber als Sturz eines Titanen empfindet. Als ich aber hörte, dass Kahn das Rückspiel allein gewinnen wollte, merkte ich, wie tief er schon in dieser Falle steckt.
JW: Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie es mit einigen Bundesligatrainern zu tun gehabt. Wer war der Pflegeleichteste?
MR: Trapattoni war zum Beispiel einer, mit dem man ganz in Ruhe über Fußball reden konnte. Ganz ohne Häme, Fingerzeige oder sachfremde Kampagnen. Auch mit Ottmar Hitzfeld ist es immer sehr angenehm. Der mit Sicherheit Pflegeleichteste ist aber Beckerbauer. Er schwebt über den Dingen, das macht den Umgang mit ihm sehr leicht. Grundsätzlich würde ich von niemandem etwas einfordern, damit verletze ich eine Intimsphäre. Wenn ein Trainer über gewisse Dinge nur intern sprechen möchte, dann respektiere ich das. Manchmal will ich das auch gar nicht hören.
JW: Sie behaupten, im Umgang mit dem Fußball fehlt den Deutschen die Leichtigkeit. Woran machen Sie das fest?
MR: Es ist alles so schrecklich ernst hier. Das liegt wohl in der Natur des Globus. Italiener sind besoffen vor Glück, wütend oder traurig, aber niemals so schwerblütig wie wir Deutschen. Es würde so vieles erleichtern, wenn man auch hierzulande öfter mal schreit und tobt oder in ein Glas Bier heult. Fußball ohne kindliche Emotionen ist für mich eine Perversion. Der Begriff „kindisch“ ist ja eigentlich negativ besetzt. Aber nur hier treffe ich mich mit meinem Sohn auf einer Stufe. Wenn ich diese kindische Begeisterung nicht mehr spüre, wird es Zeit, mich zu verabschieden.
JW: Im Fernsehen gibt es einen Hang zum Gigantismus: immer mehr Kameras, immer mehr Technik. Müssen die Moderatoren dieser Entwicklung trotzen?
MR: Verbal kann man dem kaum etwas entgegensetzen. Wenn der Zug abfährt, ist man gefangen und muss die Bilder beschreiben, die da sind. So viel Respekt vor dem Zuschauer muss schon sein. Wichtig ist, dass man sich diese Entwicklung vorher klar macht und im Umfeld darüber diskutiert. Schon bei RTL war ich an verschiedenen Entwicklungen beteiligt. Am Ende sind wir einen Schritt zurückgegangen. Heute hilft die normative Kraft des Ökonomischen bei der Abrüstung. Wir haben alle unser Spielzeug gehabt. Dass wir wieder auf ein normales Maß zurückgekommen sind, tut der Sache gut. Hier ist ein Fehler passiert.

Die NZZ (27.3.) berichtet das Ende der Geduld in Italien: „Bereits der Name von Berlusconis Partei, Forza Italia, deutet an, wie eng Politik und Fussball in der Apenninenrepublik traditionell miteinander verquickt sind. Doch der italienische Regierungschef, der neben seinem Medienimperium auch noch über die AC Milan herrscht, hat nun soeben eingestehen müssen, dass er vorerst am Ende seines Lateins angelangt sei und der Staat dem hoch verschuldeten Calcio vorerst nicht weiterhelfen könne. Keine Chancen habe der noch vor einer Woche ventilierte Plan, die Tilgung der allein in den Serie-A-Vereinen aufgelaufenen Steuerschulden von über 500 Millionen Euro auf fünf Jahre zu verteilen. Das Vorhaben wurde nicht nur von führenden Exponenten der regierenden Mitte- Rechts-Koalition, sondern auch unmissverständlich vom EU-Kommissions-Präsidenten Prodi in einem Schreiben als inakzeptable Staatshilfe zurückgewiesen. Selbst in der sonst so „tifosen“ Bevölkerung scheint der Geduldsfaden mittlerweile gerissen zu sein. Laut einer Umfrage des vom „Corriere della Sera“ eingespannten Demoskopen Mannheimer lehnten 84 Prozent der Befragten ein weiteres staatliches Rettungspaket für eine Branche ab, auf der nun teilweise auch noch der Verdacht der Justizbehörden lastet, jahrelang die Bücher getürkt und an Spieler und andere Profis Schwarzgelder gezahlt zu haben. Die Regierung Berlusconi hatte vor einigen Monaten bereits ein umstrittenes Gesetzesdekret verabschiedet, gemäss dem die insgesamt mit etwa 2 Milliarden Euro verschuldeten Klubs zur Schönung ihrer Bilanzen den enormen Abschreibungsbedarf auf zehn Jahre verteilen dürfen. Sozialminister Maroni von der rechtspopulistischen und sich gern widerborstig gebenden Lega Nord sagte am Freitag in einem Interview, dass wohl der Ministerpräsident mit der neusten Initiative ein Eigentor geschossen habe. Vonnöten sei nun eine tiefgreifende Strukturbereinigung. Der Lombarde Maroni, der sich von Anfang an entschieden gegen das neue Rettungsmanöver sträubte, hat gut reden, verfügen doch die zwei wichtigsten Klubs aus seiner Region ohnehin über Eigentümer mit tiefen Taschen – den Ölmagnaten Moratti zum einen (Inter) und zum andern natürlich erst recht den „Cavaliere“ Berlusconi (Milan). Weit weniger grün ist dagegen der Rasen vorab südlich von Mailand. Ganz abgesehen von ihrer allgemein höchst prekären finanziellen Verfassung müssen nun in der Einschätzung der hiesigen Medien im Besonderen die zwei in der Ewigen Stadt ansässigen Klubs Lazio und Roma um ihre Uefa-Spiellizenzen bangen. Als gefährdet gelten auch Perugia und Napoli. Bereits im Einklang mit den finanziellen Anforderungen der Uefa sollen sich dagegen neben Milan und Inter auch Juventus, Udinese, Sampdoria, Empoli, Modena, Bologna, Lecce und, wie allgemein vermutet wird, auch Siena befinden..“

Die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist längst entzaubert

Peter Hartmann (NZZ 27.3.) kennt sich aus in italienischen Fan-Kurven: „Als Stefano Sordini am Montagmorgen nicht im Büro erschien, war den Kollegen sein Aufenthaltsort sofort klar: Regina Coeli, das römische Gefängnis. Sordini ist 34 Jahre alt und Verkaufsförderer im Versicherungs- und Finanzkonzern Mediolanum. Stefano Carriero, 29-jährig, ein Kameramann des TV-Senders Canale 5, rief spät nachts noch seine Mutter an und sagte ihr, er könne nicht nach Hause kommen. Auch er sass in Regina Coeli. Sordini und Carriero hatten jene Viertelstunde Berühmtheit konsumiert, die Andy Warhol als Menschenrecht proklamiert. Sie waren die Gesichter der Revolte römischer Ultras, die das Metropolen-Derby zwischen Lazio und der AS Roma in der Sonntagnacht zum Platzen gebracht hatten: Sordini, der Glatzkopf mit Dreitagebart und Piratenhalstuch, der unter der Woche Hemd und Krawatte trägt, und Carriero, der Kerl in Ledermontur und mit der schwarzen Strickmütze, der bei der Talkshow „Amici“ hinter der Studiokamera steht. Carriero hatte immer wieder den Roma-Captain Totti in den Clinch genommen. Er redete auf ihn ein, er hätte mit der Mutter des 14-jährigen Jungen gesprochen, der angeblich von der Polizei zu Tode gefahren war. Dieses erfundene Gerücht war die Munition, mit der die Ultras den beispiellosen Spielabbruch provozierten. Wieder einmal steht der Ultra, das bekannte Unwesen, die Landplage des Calcio, im Fokus der Diskussionen und nicht das eigentliche Malaise, die byzantinische Misswirtschaft, die ungeheure Hochstapelei in diesem aufgeblasenen Showgeschäft. Jetzt ist bekannt geworden, dass der in Regina Coeli inhaftierte ehemalige Lazio- Boss Sergio Cragnotti eine Obligationenanleihe seines bankrott gegangenen Konserven-Konzerns Cirio dazu missbrauchte, die Meisterprämien des Jahres 2000 – pro Mann rund zwei Millionen Euro – zu bezahlen. Die Legende der „Curva“ als eines sozialen Refugiums für Underdogs ist, wie in England, längst entzaubert. Die von Drogenkriminellen und Rechtsextremisten unterwanderte Ultra-Subkultur wird von der Intelligenzia neuerdings mystifiziert als letztes Reservat der Anarchie, des Aufbegehrens gegen Ordnung und Autoritäten mit durchlässigen Schranken für Grenzgängertypen wie Sordini und Carriero. In Wirklichkeit erpresst die organisierte Tifoseria die Klubs, lässt sich ihre folkloristischen Choreografien im Stadion mit Tickets, Gratisreisen und auch mit Bargeld bezahlen und lebt in einem Klima mafioser Omertà ihre Gewaltphantasien aus. Mitten in der römischen Nacht erreichte diese Komplizenschaft einen makabren Höhepunkt. Der Polizeichef Achille Serra stand ebenso machtlos auf dem Rasen wie der Schiedsrichter Rosetti.“

Erik Eggers (FR 27.3.) teilt uns seine Lektüre eines spannenden Buchs über die Helden von Bern mit: „Mitten hinein in diese uneingeschränkte Verklärung platzt nun ein Buch von Jürgen Bertram. Es ist diese Woche im Frankfurter Scherz-Verlag erschienen und trägt den unscheinbaren Titel „Die Helden von Bern“, ist aber in Wirklichkeit spektakulär. Bertram schildert nämlich nicht nur den märchenhaften Sieg, sondern auch die unliebsamen Fakten rund um das „Wunder“, über die der 1954er Mythos mittlerweile hinweggebraust ist: Etwa die Aufsehen erregenden Doping-Vorwürfe, die der ungarische Kapitän Ferenc Puskas seinerzeit äußerte. Diese beruhten unter anderem auf den mysteriösen Gelbsucht-Erkrankungen, unter denen die halbe Weltmeisterelf zu leiden hatte (zum Beispiel Rahn, Fritz Walter und Ottmar Walter) – und die womöglich dafür verantwortlich sind, dass viele Weltmeister so früh starben. Diese Behauptung scheint stets durch bei Bertrams gut recherchierten Schilderungen. Nach dem Sieg in der Schweiz, findet Bertram, habe gar „ein Fluch auf dieser Mannschaft“ gelegen. Er zitiert den damaligen Mittelläufer Werner Liebrich: „Im Prinzip sind wir doch die Deppen der Nation.“ Der Grund der „Gelbsuchtepidemie“ ist für Bertram eindeutig nachzuvollziehen: „Den Spielern ist in ihrem Quartier in Spiez eine leistungssteigernde Traubenzuckerlösung injiziert worden. Dabei wurde eine Gemeinschaftsspritze benutzt, die nur ungenügend sterilisiert war und über die sich das Virus innerhalb der Mannschaft verbreitet haben dürfte.“ Auch in den folgenden Länderspielen sei an dieser Praxis zunächst nichts geändert worden. „Der Arzt hat die Spritze kurz in heißes Wasser getaucht – und das war’s“, so wird Fritz Herkenrath zitiert, der nach der WM den Platz des erkrankten Torwarts Toni Turek einnahm. Auch Herkenrath, der nicht zum Aufgebot für die Schweiz zählte, wurde kurz vor Weihnachten wegen Gelbsucht auf eine Intensivstation eingeliefert, nachdem einem Arzt die „merkwürdige Farbe meiner Augen“ (Herkenrath) aufgefallen war. Herkenrath wird wieder gesund. Bei anderen Spielern wirft die damalige Hepatitis-Affäre für Bertram hingegen „brisante Fragen“ auf. Nicht nur, dass Kohlmeyer (1974) und Turek (1984) sehr früh an seltsamem Herzversagen starben. Auch habe die Gelbsucht etwa bei den mysteriösen Todesfällen von Werner Liebrich und auch von Karl Mai eine Rolle gespielt. Noch eindeutiger verhielt es sich beim Frankfurter Ersatzspieler Richard Hermann, der in der Schweiz bei der 3:8-Vorrundenniederlage gegen Ungarn auflief und 1962 unerwartet an einer Leberzirrhose starb, im Alter von 39 Jahren. (…) Mehr als zynisch findet Bertram die damalige Reaktion des DFB, die auch heute noch unfassbar erscheint: „Als materiellen Trost stellt DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens der Witwe einen Scheck in Höhe von dreitausend Mark aus – damit sie ‚mal in Urlaub‘ fahren kann.“ Wie reagiert der DFB, der sich sonst so gern auf seine Traditionen beruft, heute auf diese massiven Vorwürfe? Irgendwie hilf- und ratlos. „Was sollen wir als DFB dazu sagen?“, sagt Mediendirektor Gerhard Meier-Röhn auf Anfrage der FR, all das sei doch schon so lange her. Er kennt das Bertram-Buch nicht und weiß nur so viel: „Die Praxis, dass flüssiger Traubenzucker gespritzt worden ist, ist von Horst Eckel bestätigt.“ Aber die ganze Aufklärung dieses Sachverhaltes, meint Meier-Röhn, könne nicht Sache des DFB sein, sondern nur Gegenstand der Zeitgeschichte.“

Dazu passt folgender Erfahrungsbericht: „es gibt nichts Schlimmeres für einen Mythos, als von der Gegenwart eingeholt zu werden“, stellt Peter Heß (FAZ 27.3.) fest: “Ja, früher, da waren die Fußballstars noch von rechtem Schrot und Korn: kernig, bescheiden, offen, leistungsbereit, mit den Füßen fest am Boden. Deshalb sind sie 1954 auch Weltmeister geworden. Die Verehrung für die Helden von Bern trägt noch Züge unbefleckter Reinheit. Auch darüber wollten wir mit den einstigen Heroen sprechen – 50 Jahre nach dem Wunder des 3:2 über Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion. Aber das Gespräch zum Jubiläum des Triumphes mag nicht so recht vorankommen. „Und was liegt für mich drin?“ lautet die erste Reaktion von Ulrich Biesinger, nachdem er vom Gesprächswunsch erfahren hat. Nein, Ulrich Biesinger hat nicht alle drei deutschen Tore im Endspiel geschossen. Nein, er hat nicht alle Einzelheiten des Triumphes mit bisher unveröffentlichtem Bildmaterial dokumentiert. Nein, er hat nicht die Taktik der Ungarn ausbaldowert und Sepp Herberger die entscheidende Strategie nahegebracht. Ulrich Biesinger war Ersatzspieler; einer von denen, die nicht eingesetzt wurden. Lieber Herr Biesinger, es ist bei uns nicht üblich, für Interviews zu bezahlen. Auch ein Michael Schumacher bekommt nichts. Falls Sie Auslagen hätten, würden wir Sie entschädigen, aber es sind ja wir, die Sie besuchen möchten. Der Augsburger Mittelstürmer, mit der Länderspielkarriere von sieben Einsätzen, ist nicht beeindruckt. „Der Schumacher hat auch genug Geld. Ich habe aber nie was gekriegt. Ich will auch mal was bekommen. Dann lassen wir es eben.“ Dann lassen wir es eben. Es gibt noch mehr Spieler. Alfred Pfaff zum Beispiel. Der Star der Frankfurter Eintracht, der zwar im Finale nicht dabei war, aber beim 3:8 gegen Ungarn in der Vorrunde ein Tor erzielte. „Und, wie sieht’s mit Spesen aus?“ fragt der Siebenundsiebzigjährige sogleich. Lieber Herr Pfaff, wir haben Spesen, nicht Sie. „Ach nee, dann lasse mers.“ Dann lasse mers. (…) Wieder eine Illusion geplatzt. Die Helden von Bern waren nicht die besseren Menschen, sie lebten nur in schlechteren Zeiten. In der Mannschaft von damals mischten sich wohl genausoviele selbstlose, wahrhaft bescheidene Menschen mit solchen, die auf ihre Vorteile bedacht waren, wie es heute der Fall ist. Es ist allzumenschlich: Mit den Möglichkeiten wachsen die Begehrlichkeiten.“

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