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Vergreister Figo machte den Unterschied

Oliver Fritsch | Freitag, 2. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Vergreister Figo machte den Unterschied

„tanzend zähmt Portugal den zahnlosen niederländischen Löwen“ (De Volkskrant) / „ein Abschied nach einem Halbfinale ist nicht so schlecht“ (Algemeen Dagblad) / „Portugal hat etwas Historisches erreicht“ (Times) / „Scolari würde es vorziehen, wenn keiner von beiden im Finale da wäre und Portugal kampflos gewinnen könnte“ (The Guardian) u.v.m.

Vergreister Figo machte den Unterschied

Maarten Wijffels (Algemeen Dagblad 1.7.) zeigt Respekt für Portugals Leistung: „Mit einer beeindruckenden Leistung führte Luis Figo Portugal in das erste große Finale in seiner Geschichte. Der alte Meister, der zuvor schon beinahe tot und begraben durch die eigenen Fans war, wird nach den 2:1 gegen Holland wieder auf Händen getragen. Die Angst vor diesem Figo war bei Oranje gleichzeitig die Angst vor dem gesamten portugiesischen Team. Der Unterschied zwischen beiden Teams wurde vor allem im Mittelfeld sichtbar. Gerade in der blutgefrierenden Schlussphase zeigte der Künstler Figo seine andere Seite. In der letzten Minute setzten seine alten Beine zur Grätsche an der eigenen Torlinie an. Mit einem verbissenen Lächeln klärte er den Ball ins aus.“

Ein Abschied nach einem Halbfinale ist nicht so schlecht

Chris van Nijnatten (Algemeen Dagblad 1.7.) verabschiedet sich von Dick Advocaat: „Das Spiel gegen Portugal konfrontierte Holland in Lissabon, auf bittere Art und Weise, mit der Realität. Aber das Ergebnis der EM hat für die ausgeschiedene Nationalelf auch einen gewissen Wert: Die Fortschritte, die während des Turniers gemacht wurden, lassen das Team etwas positiver wirken, als das noch zu Beginn des Turniers aussah. Das Team wirkte entschlossen, das Halbfinale wurde erreicht, junge Spieler wie Robben zeigten ihre Leistungsfähigkeit, und die Harmonie und Anspannung in der Mannschaft kamen zurück – vergleicht man das mit dem, was vorher war. Der Zufall gab Advocaats Männern Energie. Aber es reichte nicht, um im Turnier zu bleiben. Die Erkenntnis von gestern Abend ist, dass die holländische Elf das Beste gegeben hat. Das Team stand erst spät, und die Form steigerte sich nur allmählich. Mit dieser Perspektive wird beim KNVB jetzt über die Zukunft des Nationaltrainers geredet. Über dieses Thema herrscht nach außen allerdings „Funkstille“. Nun kann in aller Ruhe hinter den Kulissen evaluiert werden, wie es weitergehen soll. Die Chance ist groß, dass Dick Advocaat nach diesem Sommer zurücktritt. Nach Verlautbarungen hätte er die Entscheidung schon getroffen. Sollte er es tun, kann er auf eine EM zurückschauen, bei der er seine Auswahl nach bestem Vermögen aufgestellt hat. Ein Abschied nach einem Halbfinale ist nicht so schlecht.“

Tanzend zähmt Portugal den zahnlosen niederländischen Löwen

Willem Vissers (De Volkskrant 1.7.) Kriegsberichterstattung: „Nach einem faszinierenden Gefecht, in dem von Emotionen überkochenden Tempel von José Alvalade, musste die holländische Elf vor Portugal den Kopf verbeugen – so wie vor fünf Wochen der FC Porto den AS Monaco ausspielte, so konnte Portugal, mit etwas mehr Mühe, Holland bezwingen. Derweil die Portugiesen feierten, schnellte Trainer Advocaat, vielleicht zum letzten Mal im KNVB-Dienst, in die Katakomben und gab jeden Spieler von Oranje die Hand. Euro 2004 war eine bizarre Angelegenheit, die im Halbfinale zu Ende ging. Die Oranje-Maschine kam wieder zum Laufen, machte allerdings zu wenig Tore.“

Kampflos gewinnen

Jon Brodkin (The Guardian 1.7.) berichtet aus Lissabon über einen glücklichen Brasilianer: ”Luiz Felipe Scolari beschrieb das Erreichen des Finales mit Portugal gestern als „wichtiger“ als den Weltmeisterschaftstitel vor zwei Jahren mit Brasilien. Scolari sagte, sein Team habe in den Schlussminuten aufgrund der ausgelassenen Chancen ganz schön leiden müssen und lehnte es ab, ein Statement über seinen Wunschgegner für das Finale abzugeben. „Ich würde es vorziehen, wenn keiner von beiden da wäre und wir kampflos gewinnen könnten.““

Hilfe! Wölfe!

Henry Winter (Telegraph 1.7.) hört es jaulen: „Die Gastgeber genießen die EM-Party mehr als irgendjemand sonst, und letzte Nacht waren die Straßen Lissabons mit feiernden portugiesischen Fans nach dem heroischen Sieg überströmt. (…) Leider waren die Schlussminuten von schauspierlischen Einlagen von Luiz Felipe Scolaris Spielern überschattet, besonders von Deco und Ricardo, die beide Verletzungen vortäuschten. Aber es ist ihre Party, und sie können, wenn sie möchten, „Hilfe! Wölfe!“ schreien. (…) Die portugiesischen Horden mit ihren Schals und Trommeln, erhoben die Lautstärke noch höher, die Leistung Ronaldos, des Außenstürmers von Manchesters United, lobend, der unterhalb von ihnen Freudentänze aufführte. Der schwedische Schiedsrichter Anders Frisk wollte unweigerlich das Zentrum der Aufmerksamkeit sein und verwarnte prompt eins der wahren Idole der EM 2004, weil er sein Trikot auszog. Jämmerlich! Frisk hielt sich nur an eine UEFA-Direktive; andere, bei weitem schlimmere, Vergehen wurden nicht geahndet.“

Rückenwind aus der früheren brasilianischen Kolonie

Georg Bucher (NZZ 2.7.) macht einen freistoss „a la portugese“ – die nationale Presse widmet sich vor allem dem Verhältnis von Luis Figo zu farbigen Zitrusfrüchten: „Um die mechanische Mandarine, eine Miniatur-Ausführung der mechanischen Orange von 1988, zu kontrollieren, hätte sich Scolari einer taktischen Variante bedient. Portugal eröffnete das Spiel bestimmt und selbstbewusst, doch ohne die Geduld zu verlieren, und verzichtete auf „offensive Lawinen“ wie vorher in den Partien gegen Russland, Spanien und England. Temperierte, genaue Ballpassagen in Erwartung einer Gelegenheit, erfolgversprechend anzugreifen, hätten die Vorgabe realisiert. Und dann sei der grosse Zampano Figo in Erscheinung getreten. Seine Miene, die Anspannung und Glücksgefühl gleichermassen ausdrückt, zeigt das Titelblatt des „Diário de Noticias“. Neben der Schlagzeile „Wir sind im Final“ steht klein gedruckt: „Figo war die entscheidende Figur einer Holland stets überlegenen Mannschaft, die verdient das Endspiel erreichte.“ (…) Wie Phönix aus der Asche unberechtigter Kritiken gestiegen, habe Figo ein Rezital gegeben und das Buch erst mit dem Abpfiff geschlossen. Ausgenommen Jorge Andrades Eigentor und Pauletas Schwächen im Abschluss hätte die Mannschaft genügend Zucker in Reserve gehalten, um den Säuregrad der keinesfalls süssen Orange tief zu halten. (…) Weil Portugal dreimal in den Halbfinals internationaler Turniere gescheitert war, sprechen die Medien unisono vom Durchbruch einer Schallmauer. Scolari sei’s gedankt. Gemäss „A Bola“ hat der Brasilianer seinen Spielern Konzentration, Biss und Willenskraft verliehen und mit dem gelben Ton der Eroberung übermalt. Eine Anleihe an die Glanzzeiten iberischer Conquistadores lässt sich herauslesen – oder gar eine Spitze gegen Spanien? Statt den europäischen Fussball im Nachbarland zu erobern, mussten sich die „Gelbroten“ nach der Vorrunde verabschieden, während Portugal Rückenwind aus der früheren brasilianischen Kolonie spürt und einen kulturellen Rückfluss nutzt.“

Wir haben etwas Historisches erreicht

Matt Dickinson (Times 1.7.) und der erste Finalist: „Nachdem die Portugiesen Spanien, England und Holland aus dem Turnier geworfen haben, werden sie am Sonntag auf heimischem Boden ihr erstes Finale bei einem großen Turnier bestreiten, und Luiz Felipe Scolari und sein Team haben den europäischen Titel vor Augen. Allerdings kann es passieren, dass die Gasgeber alles noch mal neu überdenken müssen, falls nämlich die in Topform aufspielenden Tschechen die Griechen zerquetschen; doch letzte Nacht gab es keinen Anlass zur Warnung, sondern vielmehr für Partys in den Straßen Portugals. Dabei hatte die Kampagne Euro 2004 so schändlich begonnen, nämlich mit einer Niederlage gegen Griechenland. (…) Scolari war gestern nach dem Spiel so erregt, dass er sogar behauptete, dass das Erreichen des Finales den Gewinn des Weltmeistertitels mit Brasilien vor zwei Jahren überbietet. ‚Brasilien ist schon vier Mal Weltmeister geworden’, sagte er‚ das hier ist viel wichtiger, weil Portugal noch nie in einem Finale stand.’ (…) Jedes der drei letzten Partien Portugals hätte das letzte Länderspiel von Luis Figo sein können; wird er Teil einer Nacht voller großer Emotionen sein? ‚Wir haben etwas Historisches erreicht, etwas, was noch keine portugiesische Mannschaft zuvor geschafft hat’, sagt der Kapitän.“

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