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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Wer steigenden Umsatz und höhere Gewinne erzielen will, muß kleinere Brötchen backen

Oliver Fritsch | Montag, 26. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Wer steigenden Umsatz und höhere Gewinne erzielen will, muß kleinere Brötchen backen

Fast hätte der DFB sich einen Trainer backen müssen, Patrick Bahners (FAZ/Feuilleton 23.7.): „Nun, was hatten wir denn hier? Brötchen von Bäckergeselle Jürgen Klinsmann! Die Testesser waren begeistert, als im Sommer 1990 die mit dem Konterfei des Nationalstürmers vermarkteten „Weltmeisterbrötchen“ in die Auslagen der Bäckereifachgeschäfte gelangten. Noch nie hatte man so knusprige braune Brötchen gesehen, die dabei so federleicht waren. Das Rezept, für dessen Qualität Klinsmann mit seinem guten Namen und seinem original schwäbischen, in der väterlichen Bäckerei in Stuttgart-Botnang erarbeiteten Gesellendiplom bürgte: Der weltmeisterliche Brocken sieht nach Vollkorn aus, besteht aber in Wahrheit aus Weizenmehl, in das ein paar Kürbiskerne hineingemischt werden. Im Jahr der Wiedervereinigung, als ein junges, freundliches Deutschland die Welt verblüffte, wollte der von Beckenbauer, dem Luftgeist der Ball- wie der Redekunst, mit dem Titel beschenkten Nation dieses Luftige, Leichte und Lockere schmecken. Aber eine Grundlage für eine aufbauende Ernährung wurde nicht gelegt. (…) Klinsmann hat für sich mit dem Satz geworben: „Man muß den ganzen Laden auseinandernehmen.“ Nun, man schaue sich in der Nachbarschaft um, wie ein Bäckerladen aussieht, der auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt worden ist: gläserne Theke, knalliger Wandanstrich – und Backwaren, die nur noch mit heißer Luft gemacht sind. In allen Vertragsverhandlungen seiner Laufbahn hat Klinsmann bewiesen, daß er vom Vater auch den kaufmännischen Genius seines Stammes geerbt hat. Wer steigenden Umsatz und höhere Gewinne erzielen will, muß kleinere Brötchen backen.“

if-Leser Holger Szesny singt

We always chant and cheer when we got penalties
‚cos he’s the mighty German who’s always on his knees!

Die immer grenzenlosere Welt der Interaktion

Andreas Rosenfelder (FAZ/Feuilleton 22.7.) besucht Electronic Arts, Hersteller von digitale Fußball-Simulationen: „Das Erfolgsgeheimnis von „Electronic Arts“ scheint darin zu liegen, daß sich das 1982 gegründete Unternehmen immer wieder Tortenstücke der Außenwelt einverleibte – und in den Untersystemen der bestehenden Wirklichkeit, ob sie nun Sport, Kino oder Literatur heißen, die verlockendsten Stoffe zur Einspeisung in die Spielkonsolen aufspürte. 1993 erwarb EA die Spielelizenz von der „Fifa“, 1999 die Rechte an „James Bond“, 2000 und 2002 folgten die Lizenzen für „Harry Potter“ und den „Herrn der Ringe“. Unlängst sicherte sich der Spielehersteller auch die Lizenz zur interaktiven Umsetzung der „Marvel“-Comics. Auch die möglichen Welten der „interaktiven Unterhaltung“, wie der offizielle Name der Branche lautet, entstehen nicht als Schöpfungen aus dem Nichts. Selbst in der Abteilung für Schöpferisches, deren Büros hinter spiegelnden Glaswänden liegen, ist von jenem sanften Weltverschwörungswahn, welcher die Nerds der achtziger Jahre umwehte und schon in den Kinofilmen „War Games“ und später „23″ seinen Niederschlag fand, nichts zu spüren. Keine Freimaurer-Pyramiden an den Wänden, keine Pizzakartons mit vertrockneten Krusten, nicht einmal nonkonformistische Rechner von Apple auf den Schreibtischen. Statt dessen kerngesunde Äpfel für die Mittagspause und an der Wand die Sportschlagzeilen aus der örtlichen Boulevardpresse: „FC Sturmlos – so steigt ihr wieder ab!“ In der Entwicklungsabteilung entsteht unter der Leitung des Gamedesigners Gerald Köhler, fünfunddreißig Jahre alt und schon eine Legende in der Spieleszene, eine großartige Einübung in die Prosa der Verhältnisse und die Unbeherrschbarkeit des Glücks – nämlich die inzwischen auch auf ausländische Ligen übertragene Bundesliga-Simulation „Fußball Manager“, wo der Spieler sämtliche Entscheidungen vom Stadionausbau bis hin zur Zimmerbelegung in den Spielerhotels trifft, auf Verlauf und Ausgang der Partien aber keinerlei Einfluß nehmen kann. Mit dem faktenversessenen Ehrgeiz der Enzyklopädisten füttern Köhlers Mitarbeiter die Datenbanken zu diesem Spiel. An der Wand hängen Ansichtskarten unbedeutender Arenen wie des „Vogtlandstadions“ in Plauen. Und auf dem Tisch liegen für die virtuellen Mannschaften Bögen mit Kopfformen („kaukasisch“ bis „lateinisch“) und Fußballerfrisuren („Pferdeschwanz“ bis „Halbglatze“). Stars wie Figo bekommen natürlich eine Extrabehandlung und werden abfotografiert, aber das Fußvolk vom abgestiegenen 1. FC Köln basteln die Designer aus dem Musterkatalog nach. Ab und zu gehen die Programmierer, wie es sich für echte Empiriker gehört, auch zu Forschungszwecken ins Stadion – zum Beispiel, um neue Fangesänge für die elektronische Klangkulisse aufzuschnappen. Manch ein Klassiker wie das aus den Stadien der Republik nicht wegzudenkende „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ fällt allerdings weg: Hier liegt die geschützte Melodie von „Yellow Submarine“ zugrunde. Das Urheberrecht setzt selbst dem ästhetischen Detailrealismus enge Grenzen. Tatsächlich ist ein kaum mehr von der Wirklichkeit zu unterscheidender Fotorealismus zum entscheidenden Anspruch der Spielekultur geworden – was, wenn man an die archaischen Spiele aus den achtziger Jahren mit ihren blinkenden Pixelmännchen vor magentafarbenen Hintergründen zurückdenkt, an den Sprung von den flächigen Bildtafeln des Mittelalters zum dreidimensionalen Raum der Renaissancemalerei erinnert. (…) Die immer grenzenlosere Welt der Interaktion bezieht ihren Reiz offenbar gerade daraus, dem handelnden Betrachter an entscheidenden Stellen die Hände zu binden – und ihn damit zum Publikum der eigenen Geschichte zu machen. Gerald Köhler sieht das Wesen des von ihm entwickelten „Fußball-Managers“ in einer „gewissen Wehrlosigkeit“ und der „Spannung, wie im echten Fußballeben nicht ins Spiel eingreifen zu können“. Soll niemand davon träumen, hinter dem Bildschirm beginne ein täuschendes Zauberland ohne jeden Widerstand.“

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