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Ball und Buchstabe

Kampagnenjournalismus

Oliver Fritsch | Mittwoch, 27. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Kampagnenjournalismus

Chinas Fußball ist korrupt, und die Nationalmannschaft wird vermutlich die WM-Qualifikation verpassen. Wer ist dran schuld? Wie immer (nein, nicht Carsten Ramelow) – der Trainer; Zhou Derong (FAZ 27.10.) berichtet, dass Arie Haan seitens der Staatspresse kein Vorwurf erspart bleibt: „In Peking tagte das nationale Sportbüro. Es faßte den einstimmigen Beschluß, daß Haan für die nahezu aussichtslose Lage die Hauptverantwortung trage. In den Medien kursiert seitdem eine „Zehn-Punkte-Anklageschrift“ gegen den Holländer, die der verantwortliche Vizepräsident des chinesischen Fußballverbandes, Yan Shiduo, verfaßt haben soll. Darin wird Haans Trainerfähigkeit in Zweifel gezogen: Seine Methoden seien ziellos, seine Taktik veraltet und konservativ. Des weiteren wird ihm vorgeworfen, er sei kommunikationsunfähig, gehe schlecht mit den chinesischen Spielern und Trainerkollegen um, habe unbegründetes Selbstbewußtsein und verfolge eine fragwürdige Personalpolitik. Schließlich sei Haan mit einem falschen Sendungsbewußtsein gekommen: Er komme, um China zu retten. In Wahrheit aber gehe es ihm bloß ums Geld, wie die Shanghai Morning Post in einer „Enthüllungsstory“ behauptet. Um in die Nationalmannschaft zu kommen, sollen demnach Spieler Trainer Haan und seinem Assistenten, Theo De Jong, Geld zugesteckt haben. Allerdings hat der anonyme Insider für seinen schweren Vorwurf keinen einzigen Beweis vorzuweisen. Die Hetzkampagne in den staatlichen Medien deutet eher auf die Fragwürdigkeit des dort gepflegten Kampagnenjournalismus. In den Internetforen, wo es relativ offener, freier und daher auch sauberer zugeht, richtet sich die Kritik keinesfalls gegen Haan, den man eher als Opfer eines durch und durch korrupten Systems ansieht. Die Wut der Fans bekommt vor allem der chinesische Fußballverband zu spüren, der unwillig sei, gegen die Korruption anzukämpfen: (…) Warum geben die Klubbesitzer so viel Geld für Bestechung aus? Teils weil sie unter Systemzwang stehen, teils weil sie selbst korrupt sind. Denn ein Team, das gut in der Tabelle steht, fördert das Image der Stadt, in der das Team seinen Sitz hat, und damit die Aufstiegschancen der Parteikader der Stadt. Steigen die Parteikader höher auf, werden sie immer mächtiger, das heißt, sie verfügen über immer mehr Staatsressourcen. Davon profitieren wiederum die Klubbesitzer. Im Endresultat ist es also ein „Win-Win-Geschäft“. Wer sollte da wem den Prozeß machen?“

Also da sind zuerst einmal 92 Klubpräsidenten

Englischen Profis fehlt es Manieren; Kinder sollten sich andere Vorbilder nehmen. Heinz Stalder (NZZ 27.10.): „Die Untertanen Ihrer Majestät der Königin beanspruchen seit eh und je das Urheberrecht für die Fair-Play-Legende. Sie wurde auf den Britischen Inseln gehegt und gepflegt und entwickelte sich über die Kolonien zu einem renommierten Exportartikel. Umso zweifelhafter ist das Vergnügen, das sich britischen Stadionbesuchern und Fernsehern Woche für Woche bietet. Fussballprofis, die sich im Strafraum gekonnt fallen lassen, Schiedsrichter beschimpfen, einander anspucken und auf verbale Ungeheuerlichkeiten gegnerischer Fans mit Händen und Füssen reagieren, sind beileibe keine Seltenheit. (…) Die Erzieher appellieren vor allem an die Einsicht der Klubpräsidenten und Trainer. Diese zeigen, nachdem sie in Interviews nach verlorenen Spielen die Unzurechnungsfähigkeit der Schiedsrichter wortreich gegeisselt haben, Verständnis für die Sorgen der Lehrer und versprechen, der Verantwortung des Idols grösste Priorität einzuräumen. Es scheint aber einfacher zu sein, einem schlecht entlöhnten Pädagogen ein Versprechen abzugeben, als einem Fussballer mit einem Wochensalär von fast einer Viertelmillion Schweizerfranken klar zu machen, dass ihm Hunderttausende von Kindern nacheiferten und nicht nur seine Frisur kopierten. Wie antwortete doch der kürzlich verstorbene und wegen seiner Gradlinigkeit zu Lebzeiten legendäre Manager Brian Clough auf die Frage, was für ihn Fussball-Hooligans seien? „Also da sind zuerst einmal 92 Klubpräsidenten.““

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