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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Internationaler Fußball

Den Zug der Modernisierung verpasst

Oliver Fritsch | Freitag, 21. Januar 2005 Kommentare deaktiviert für Den Zug der Modernisierung verpasst

Dirk Schümer (FAZ 21.1.) mahnt Italiens Fußball zur Erneuerung: „Der politische Revisionismus ist nicht allein das Problem einer rückwärtsgewandten Gemeinde von Fußballkriegern. Auch die Vereinspräsidenten mit ihren Mauscheleien ließen als Vorbilder die Moral auf den Hund kommen. Wer die Bilanz frisiert, um die Lizenz zu erhalten, wer nachträglich die Ligen aufstockt, um dem Abstieg zu entgehen, wer systematisches Doping betreibt und Wettbetrug vertuscht, der lädt die Fans in den rechtsfreien Raum ein. In den veralteten Stadien der Weltmeisterschaft 1990 geben die brutalen Ultras auch darum den Ton an, weil die friedlichen Fans sich dramatisch abwenden. Während in Britannien oder Deutschland moderne, wetterfeste Arenen für Sponsoren und Familien mit Kindern hochgezogen wurden, harren in den meist gähnend leeren Stadien der Serie A auf Beton- oder Stahlgerüst-Tribünen im Regen oft nur die Jugendlichen der Vorstädte aus, die sich mit ihren Aggressionen als einzig legitime Elite fühlen. Im Kaufrausch um immer teurere Stars aus dem Ausland haben Italiens Fußballbosse den Zug der Modernisierung ihres Sports offenbar verpaßt. (…) Für die Bewerbung Italiens zur EM 2012 – Fernziel für eine Stadionmodernisierung mit staatlicher Hilfe – verspricht die notorische Fan-Gewalt nichts Gutes. Wird den Ultras nicht das Handwerk gelegt, dürfte Italien schon sehr bald nicht mehr zur ersten Wahl im europäischen Fußball gehören.“

Mit Fußball, Finten und Flüssigkeiten hat es Bilardo offenbar

Gerhard Dilger (FTD 21.1.) befasst sich mit dem Betrugsvorwurf an Argentinien bei der WM 90: „Funktionäre in Rio raunen von einem „weiteren schwarzen Kapitel in der Geschichte des argentinischen Fußballs“ und erinnern an die angebliche Bestechung der Peruaner bei der WM 1978. Damals musste Brasilien wegen des 6:0-Kantersiegs der Argentinier gegen Peru vorzeitig die Koffer packen. An das verlorene WM-Finale von 1950 reicht allerdings keine dieser Affären heran. Bis heute gilt die 0:1-Endspielniederlage gegen Uruguay vor 200 000 Fans im Maracanã-Stadion von Rio als kollektives Trauma Nummer eins, das selbst Nachgeborene und Fußballmuffel umtreibt. „Jedes Land hat seine unwiderrufliche nationale Katastrophe“, schrieb der Autor Nelson Rodrigues. „Unser Hiroshima ist die Niederlage gegen Uruguay.“ Die meisten Verschwörungstheorien ranken sich hingegen um die 0:3-Finalschlappe gegen Frankreich 1998, als die „Seleção“ wie gelähmt über den Rasen des Stade de France taumelte. Ronaldo, der Stunden zuvor einen epileptischen Anfall gehabt haben soll, wurde deswegen zwei Jahre darauf sogar vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zitiert. Carlos Bilardo ist eine schillernde Figur Argentiniens. Vor zwei Jahren war er Präsidentschaftskandidat, das ist sicher. Eher ins Reich der Legenden gehört der Vorwurf, er habe die Weltsprache Nummer eins nur gelernt, um die englischen Fußballer besser beschimpfen zu können. Als Trainer des Klubs Estudiantes de la Plata stieß er trotz Alkoholverbots in Stadien mit einem Sektglas an. Seine Verteidigung: „Das war kein Champagner, das war Gatorade!“ Mit Fußball, Finten und Flüssigkeiten hat es der Mann offenbar.“

Hintergrund: Wie Argentinien Brasilien übel mitgespielt haben soll, SpOn

Fußball in Brasilien, ein Buchrezension im Spiegel

Carlos Bilardo, auch schon als Spieler ein Rüpel

…und als Trainer autonom

James Dean Polens

In Polen ringt man um eine Leiche – Thomas Urban (SZ 21.1.) berichtet: “Das hat es in der an Skandalen durchaus nicht armen Geschichte des polnischen Fußballs noch nicht gegeben: einen Streit um einen Toten. Es geht um den nationalen Fußballgott Kazimierz Deyna, der erst kürzlich in einer landesweiten Abstimmung zum „Spieler des Jahrhunderts“ gewählt worden war. Gerade erst 41 Jahre alt, ist er 1989 bei einem Verkehrsunfall in Kalifornien ums Leben gekommen. Nun ist das Präsidium seines früheren Klubs Legia Warschau auf den Gedanken verfallen, zum 90. Jubiläum der Vereinsgründung im kommenden Jahr seine sterblichen Überreste nach Polen überführen zu lassen. Der Mann mit den langen schwarzen Haaren, der wie ein Südländer aussah, war ein Zauberer im Mittelfeld, er hatte Charisma und einen rebellischen Charakter. Er war Kapitän der großen polnischen Mannschaft, die erst durch das „Regenspiel“ von Frankfurt gegen die deutsche Elf auf dem Weg ins Finale der WM 1974 gestoppt wurde. (…) Sein früher Tod, ausgerechnet am 1. September 1989, dem 50. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen, der Urkatastrophe, machte ihn zum Mythos. Um ihn entstand sehr bald eine Art James-Dean-Kult.“

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