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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Leicht zu unterschätzen

Oliver Fritsch | Samstag, 31. Dezember 2005 Kommentare deaktiviert für Leicht zu unterschätzen

Ralf Wiegand (SZ 30.12.) verfasst einen Nachruf auf Franz Böhmert: „Böhmert wurde 1970 Klub-Präsident, blieb es bis 1999, wechselte in den Aufsichtsrat. Er war all die Jahre der Kopf, die Mitte und die Basis des Vereins. Wer mit Franz Böhmert reden wollte, brauchte Zeit. „Lassen Sie uns einen Kaffee trinken“ – das konnte schon mal drei Stunden dauern. Eine kleine Zeitreise wurde das durch den Fußball, wie er ihn verstand. Franz Böhmert, ein unscheinbarer, freundlicher Mann, war leicht zu unterschätzen. Die kleine Gestalt, das manchmal wirre Haar, die vielen Zigaretten. Liebte Modelleisenbahnen. Aber er glaubte schon an Fußballvereine als Aktiengesellschaften, als andere Präsidenten noch mit der Spendenbüchse um den Weihnachtsbaum liefen. Und doch ließ er die fertigen Pläne länger in der Schublade liegen als andere, die dem schnellen Geld folgten. Chance und Risiko abzuwägen, Herz und Hirn auszubalancieren – so wurde aus Werder ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen und ein funktionierender Sportverein. Franz Böhmert war so wie dieser Verein.“

Spezielle Vergangenheitsbewältigung

Jörg Marwedel (SZ 28.12.) würdigt die Offenheit des Hamburger SV mit seiner Geschichte: „Kein anderer Bundesligaklub hat sich bislang so ausführlich mit dieser Seite seiner Geschichte befasst wie der HSV. Im neuen, erst im Februar 2004 eröffneten HSV-Museum in der AOL-Arena machen schon jetzt diverse Fundstücke diesen Abschnitt greifbar. Eng arbeitet der Museumsbeauftragte Dirk Mansen mit der Gedenkstätte des KZ Ahlem bei Hannover und dem Autor Werner Skrentny zusammen, der dieser Zeit in seinem mit Jens R. Prüß verfassten Buch „Immer erste Klasse – die Geschichte des Hamburger SV“ (Verlag Die Werkstatt) ausführlich nachspürte. Unlängst besuchte sogar eine Gruppe ehemaliger Ahlemer Häftlinge das Museum; etliche waren das erste Mal seit Kriegsende wieder in Deutschland. Zwar hat sich auch Borussia Dortmund dieser speziellen Vergangenheitsbewältigung gestellt, doch im früheren Arbeiterklub aus dem Ruhrgebiet bildeten Juden eine winzige Minderheit. Der großbürgerliche HSV, dessen Herz sich im noblen Stadtteil Rotherbaum befand, zog viele Wohlhabende und Gebildete aus den nahen Villenvierteln rund um die Alster an und verzeichnete mehr als doppelt so viele jüdische Mitglieder, als im Bevölkerungsdurchschnitt in Hamburg lebten.“

Mit der Emphase des wahren, kritischen Fans

Rüdiger Falksohn (Spiegel 1/2005) empfiehlt ein Buch über Fußball in Brasilien: „Keine andere Nation betreibt den Fußballsport, der 1894 von dem Schotten Charles Miller nach Santos gebracht wurde, mit solch quasireligiöser Inbrunst. Keine Nationalmannschaft verkörpert einen derart harmonischen Völker- und Rassenmix. Keine berauschte in ihren Glanzzeiten mit einem solchen Maß an kreativer Improvisation – und wurde dafür so geliebt. (…) Die Zahl brasilianischer Fußball-Legionäre übertrifft bei weitem die der Diplomaten. Rund 5000 Spieler verdienen ihr Geld derzeit in der Ferne. Selbst die Färöer verpflichteten ein halbes Dutzend (minder begabter) Akteure, um technische Finesse und Samba-Laune zu importieren. Ausgerechnet ein Engländer namens Alex Bellos hat während seiner vier Jahre als Südamerika-Korrespondent für den Guardian und den Observer die Geschichte des brasilianischen „Futebol“ rekonstruiert und dessen Faszination anekdotenreich geschildert. Bellos recherchierte für sein jetzt auf Deutsch erschienenes Buch mit der Emphase des wahren, kritischen Fans, und er ging weite Wege.“

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