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Internationaler Fußball

Leidenschaften schon, aber die falschen

Oliver Fritsch | Samstag, 28. Januar 2006 Kommentare deaktiviert für Leidenschaften schon, aber die falschen

Die Qualität beim Afrika-Cup hat in allen Bereichen zugenommen: disziplinarisch, taktisch – Probleme bleiben dennoch, (Geheim-)Favorit Tunesien, Englands Trainer Eriksson ist zu oft ohnmächtig

Christoph Biermann (SZ) notiert die Besserungen beim Afrika-Cup: „Taktisches Chaos ist selbst bei den kleineren Teams weitgehend vorbei. Auf dem Rasen wird meist diszipliniert gearbeitet, während auf den Trainerbänken immer weniger schräge Weltenbummler mit der Attitüde von Kolonialherren sitzen. Fortschritte gibt es auch im Detail: Bisher waren noch keine jener früher üblichen Freakfouls zu sehen, bei denen der Spieler beidfüßig mit gestreckter Sohle auf dem Körper der Gegners landet. Auch die Schiedsrichter sind besser geworden, es gab weniger Fehlentscheidungen als an manchem Bundesligaspieltag. Trotzdem sind bei weitem nicht alle Probleme ausgeräumt, die offensichtlichsten haben mit Geld zu tun: So wurde erst am Morgen vor dem ersten Spiel ein Streik des kongolesischen Teams abgewendet. Nach der telefonischen Zusage von Staatspräsident Joseph Kabila, ausstehende Prämien zu bezahlen, erklärte Kapitän LuaLua die Mannschaft zum Spielen bereit. Problematisch bleiben auch die sportlichen wie ökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Mannschaften. Zwar wird jeder Spieler davon schwärmen, wie toll es doch sei, mit seinen Landsleuten zusammen zu sein, und viele werden es auch so meinen. Doch wenn der in Europa tätige Superstar höhnisch abwinkt, nachdem ihm der irgendwo in der vierten Liga kickende Mitspieler den Ball schlecht zugepasst hat, offenbart das doch spezielle Differenzen. Der afrikanische Fußballverband CAF und die Fifa wollen dem Problem mit einem Programm zur Professionalisierung des afrikanischen Fußballs beikommen. Bis zur WM 2010 sollen in mehreren Ländern Afrikas Profiligen gestartet werden.“

In einem weitern Text sorgt sich Biermann (SZ) um die afrikanischen WM-Teilnehmer und ihre Trainer: „Es macht den Eindruck, als ob der Fluch des Afrika-Cups auch diesmal nicht gebannt wird. Bereits 2002 in Mali, beim letzten Turnier vor einer WM, scheiterten drei von fünf Trainern und durften nicht mehr die Mannschaften nach Japan und Korea führen, mit denen sie sich für die WM qualifiziert hatten. Der südafrikanische Coach Carlos Queiroz wurde entlassen, nachdem er im Viertelfinale ausgeschieden war. Noch schlimmer erging es dem nigerianischen Trainer Amodu Shaibu, der mit seinem Team im Halbfinale erst in der Verlängerung unterlag, den dritten Platz erreichte und trotzdem gefeuert wurde. Daher darf man für Keshi wie für seinen angolanischen Kollegen Luis Oliveira Gonçalves nicht zu optimistisch sein, dessen Mannschaft ebenfalls das Ausscheiden droht. Während Togo und Angola hadern, stellt sich angesichts der Auftritte von Kamerun eine Art vorauseilender Phantomschmerz ein. Denn es tut weh, dass diese Mannschaft bei der WM fehlen wird. Samuel Eto’o ist zurzeit einer der aufregendsten Spieler der Welt.“

Europäische Qualitäten

Christian Eichler (FAZ) empfiehlt Tunesien: „Bei afrikanischen Fußballexperten herrscht die Meinung, die ‚Falschen’ hätten sich für die WM qualifiziert – die Falschen, um etwas für den Kontinent zu erreichen, einen sechsten Startplatz für 2010 zum Beispiel. Angola und Togo erscheinen zu schwach, Ghana kann nicht überzeugen, die Elfenbeinküste hat eine brutale WM-Gruppe mit Holland, Argentinien und Serbien-Montenegro. Wenn die vier WM-Neulinge nichts bewegen sollten, bleibt vom Afrika-Quintett Tunesien übrig. Der Titelverteidiger zeigt derzeit beim Afrika-Cup mit dem 4:1 gegen Sambia und dem 2:0 gegen Südafrika, daß er sich unter Roger Lemerre weiter verbessert hat. Ein gern vergessener Favorit in Afrika ist Tunesien schon lange, nun könnte daraus gar ein heimlicher Favorit für die WM werden, zumindest ein Kandidat für Überraschungen. Roger Lemerre, der mit Frankreich 2000 Europameister war und nach der WM-Blamage 2002 gehen mußte, hat die Tunesier 2004 zur ersten Afrikameisterschaft geführt und seitdem ein Team mit nahezu europäischen Qualitäten geformt: gut organisiert, laufstark, ballsicher und zudem fähig, den Rhythmus eines Spiels zu wechseln, wenn es sein muß. Das unterscheidet die Tunesier von vielen schwarzafrikanischen Teams, die stets nach demselben Takt zu spielen scheinen.“

FAZ: Elfenbeinküste, mehr Show als Spielkultur
taz: Die Weltmeisterschaftsteilnehmer werden kritisch beäugt
NZZ: ein Stimmungsbericht aus Ägypten

Bild der Ohnmacht

Christian Eichler (FAZ) kommentiert die Affäre Sven-Göran Erikssons, dessen Vertrag um zwei Jahre verkürzt worden ist: „Unter den Einheimischen Hoddle und Keegan hatte England den Anschluß an Europa verpaßt, den seine Klubs längst gefunden hatten. Erst Eriksson brachte die Modernisierung. Mit dem 5:1 in München 2001 waren Bedenken gegen den ‚Ausländer’ bei den Fans vergessen. Doch über die Jahre ist der blaßgraue Schwede den rotwangigen Fußball-Engländern immer fremder geworden – als Mann ohne Leidenschaften. Das heißt: Leidenschaften schon, aber die falschen. Für die Sekretärin beim Verband. Für die Avancen von Chelsea-Boss Abramowitsch. Für Geld und Geltung, zwei Antriebe, die ihn nun in die plumpe Falle eines Revolverblattes tappen ließen. Warum, so die populäre Frage, läßt einer, der angeblich alles für Englands Erfolg tut und schon für den Versuch Jahr für Jahr fast sieben Millionen Euro erhält, sich von Arabern umgarnen? Warum erzählt er einem, den er zum ersten Mal sieht, Vertrauliches über seine Spieler? Faselt über kaufbare Klubs? Über Korruption? Über Jobs für ihn? Doch mehr als all das nehmen ihm die Engländer übel, daß er ihr Team nicht mehr weiterbrachte. Und sein Festhalten an Kapitän Beckham, der die beiden Schlüsselspiele von Erikssons Amtszeit vermasselte: nach dem WM-Viertelfinale 2002 gegen Brasilien auch das EM-Viertelfinale 2004 gegen Portugal. Während Kollege Scolari Portugals Star Figo rausnahm, hatte Eriksson bei Beckham nicht den Mumm dazu. Überhaupt hat er noch nie eine wichtige Partie, die zu kippen drohte, durch Wechsel oder Umstellungen gewendet. Von Eriksson ging in solchen Situationen, in denen Team und Fans einen Trainer mit Tatkraft erwarten, ein Bild der Ohnmacht aus. Das wird sich nun wohl nicht mehr ändern.“ Raphael Honigstein (SZ) fügt hinzu: „Eriksson verlor bei vielen wichtigen Funktionären endgültig die Unterstützung, denn sie sahen auch das Image der Liga beschädigt. Es ist eine Sache, wenn vermeintlich unbedeutende Stimmen wie Mike Newell, Trainer von Luton Town, oder Ian Holloway von den Queens Park Rangers von braunen Umschlägen und schmutzigen Deals berichten – aber eine ganz andere, wenn der Nationaltrainer mutmaßt, dass bei Spielerkäufen Geld in den Taschen von Spitzentrainern verschwindet. (…) Die besten Ergebnisse seit 1966, das Erreichen der Halbfinals in Italien (WM 1990, Bobby Robson) und England (EM 1996, Terry Venables), gelangen übrigens mit Trainern, deren Abschied nach den Turnieren ebenfalls vorher feststand.“ Wolfgang Hettfleisch (FR) sieht schwarz: „Seinen Ruf hatte Eriksson nicht mehr zu verlieren. Der war schon ramponiert – wegen einer Sexaffäre, die vorigen Sommer die englische Öffentlichkeit in Atem hielt. Wie er nun das Team auf eine WM-Endrunde vorbereiten soll? Keine Ahnung.“

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