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Heiliger al-Qaida-Kämpfer

Oliver Fritsch | Dienstag, 26. September 2006 Kommentare deaktiviert für Heiliger al-Qaida-Kämpfer

Zwei Feuilleton-Artikel befassen sich nochmals mit der Legende Zinedine Zidane, seiner Unantastbarkeit in Frankreich und seiner Stilisierung als Rächer der Muslime in Saudi-Arabien

Einen sehr bemerkenswerten Text finden wir im Feuilleton der FAZ, Jürg Altwegg hat französische Magazine gelesen. Aus seiner Analyse geht hervor, daß es Kritik daran gebe, wie die tagesaktuellen Medien über den Kopfstoß Zidanes im WM-Finale geurteilt haben: Sie hätten ihn nämlich protegiert. So erfahren wir, daß der Chef von Danone Franck Riboud, ein Freund Zidanes, die Berichterstattung der L‘ Équipe gesteuert habe. Nachdem die Sportzeitung am Tag nach dem Finale einen kritischen Artikel über Zidane verfaßt hat, hat sie sich einen Tag später bei Zidane entschuldigt; dazwischen soll sie einen Anruf von Riboud, des generösen Anzeigekunden von L‘ Équipe, erhalten haben. In der Spalte neben dem publizistischen Kniefall habe Danone eine Anzeige plaziert, auf der Zidane vor einem Kind auf die Knie geht. Altwegg schreibt befremdet: „Noch in der gleichen Woche gewährt er das Fernsehinterview, in dem er sich bei den Jugendlichen entschuldigt – diese aber den Eindruck bekommen müssen, ihr Idol würde es nochmals genau gleich machen. Er gratuliert den Siegern mit keinem Wort.“

Die investigativen Magazine wie „Le Point“ und „So foot“ bemängeln nun die Unantastbarkeit Zidanes in Frankreich, etwa die „seltsame Verharmlosung und Verklärung des Kopfstoßes“ (Altwegg). Dabei erinnern sie an das Schweigen der französischen Medien über das Zidane-Verhör im Doping-Prozeß gegen Juventus Turin. „Für Frankreich war Zidanes Verstrickung ein Tabu – kein Thema“, resümiert Altwegg. Nicht nur die moralische Integrität, sondern auch die sportliche Einzigartigkeit Zidanes würden nun in Frage gestellt: „Hat er jemals ganz allein ein Spiel gewonnen, wie man es den großen Spielern nachsagt?“, zitiert Altwegg das skeptische „So foot“. Außerdem seien die Franzosen gerade dabei, ein neues Feindbild zu zeichnen: „Noch immer schwelgen die Franzosen in der Erinnerung an Toni Schumachers Foul gegen Battiston vor einem Vierteljahrhundert und machen in ihm eine Wiederkehr Hitlers aus. Jetzt ist Materazzi der neue Bösewicht – und Zidane sein Opfer.“

Gegenschlag der Muslime gegen die Ungläubigen

Ende Juli hat der irakische Schriftsteller Najem Wali im Feuilleton der SZ berichtet, daß das Menschenrechtszentrum Saudi-Arabiens, „eine al-Qaida zumindest ideologisch nahestehende Organisation“, eine Merchandising-Kampagne gestartet habe, indem es ein T-Shirt per Internet verkaufe, auf dem der kopfstoßende Zidane als heiliger al-Qaida-Kämpfer stilisiert werde. Wali hält fest: „al-Qaida hat den ‚Berber‘ Zidane als Symbol für die Einheit der Muslime in der arabischen Welt entdeckt.“ Dieser Aktion nimmt Wali die Überzeugungskraft, indem er die Reaktionen der Araber auf das WM-Finale unter die Lupe nimmt: „Die Araber hatten wochenlang in dem Glauben an eine Wiederholung von 1998 gelebt und freuten sich darauf, anschließend sagen zu können: Wir haben gewonnen! Statt dessen kam die 109. Minute. Die Rote Karte zerstörte ihre letzten Träume. Angesichts politischer Enttäuschungen haben die Araber immer eine Ausrede parat: die Zauberformel von der Verschwörungstheorie. Aber in diesem Fall? Die Bilder vom Verstoß gegen die sportliche Fairness‘ sind allzu deutlich, alle sahen sie ja live am Bildschirm. Was bleibt also anderes als zu sagen: Zidane hat sich selbst gefoult. Er hat gegenüber seinem Land gefehlt.“ Der Kopfstoß Zidanes sei also fix zum „Gegenschlag der Muslime gegen die Ungläubigen dieser Welt“ umgedeutet worden.

In welchen Kontext Zidanes Vergehen und die Enttäuschung, die daraus zunächst resultierte, zu bewerten sei, macht Wali mit drei Vergleichen aus der Politik deutlich: „Nachdem ihre politischen Idole sie bereits im Stich gelassen hatten – Arafat starb eines natürlichen Todes, Saddam Hussein wurde in einem Rattenloch gefunden, – mußten sie nun erleben, wie sie auch ihr Sportidol im Stich ließ, und dies nur wenige Tage nach dem Tod eines anderen Idols‘, Az-Zarqawis, der sie ebenfalls enttäuschte, als er ausgerechnet in Hibhib umkam, das im Irak für die Produktion billigen Fusels berühmt ist. Nun ließ die Araber auch noch das eine Idol, auf das sie sich alle einigen konnten, ohne nach seiner ethnischen Herkunft zu fragen, im entscheidenden Augenblick im Stich.“

Materazzi enthüllt den Dialog des 9. Juli

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