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Ball und Buchstabe

Spätfeudale Attitüde des Fußballs

Oliver Fritsch | Montag, 12. Februar 2007 Kommentare deaktiviert für Spätfeudale Attitüde des Fußballs

Sehr lesenswerte Hintergrundanalysen zur Lage des italienischen Vereinsfußballs

Dirk Schümer (FAZ/Leitartikel) beleuchtet das Archaische des italienischen Fußballs : „Nicht grundlos wird man beim calcio immer öfter an die uralten römischen Zirkusspektakel erinnert: Brot und Spiele, bei denen der stolze Patron die Gladiatoren spendiert und der Pöbel sich gehenläßt. Mit ähnlicher Triebabfuhr wurde der Fußball bereits im Florenz der Renaissance als dynastische Feier der Medici-Sippe abgehalten. Offenbar sind diese Rituale zäher, als die Zivilgesellschaft glauben macht; sie haben den anderswo so hippen calcio in Italien zum Sport der Gestrigen gemacht. Seine rückwärtsgewandten Inszenierungen offenbaren ein Land, das seine Modernisierung höchstens halb vollzogen hat und seine moderne Identität nicht findet. Die wenigen an der Spitze wollen ihre Feudalmacht nicht abgeben und gehen – wie Liga-Präsident Matarrese – bei ihrem Millionenspiel lächelnd über Leichen. Und die Massen unten wollen nicht von ihrem angestammten Recht auf Rabatz lassen. Beide Phänomene, der Medienmogul-Fußball-Politiker Berlusconi und seine altkommunistische Opposition, sind zwei Seiten derselben Medaille. In anderen Ländern wurden die reichen Industriellen, die den Fußball aus der Firmenkasse unsauber finanzierten und ruinierten, durch Management und lukrative Vermarktung ersetzt. Die bürgerlichen Mittelständler, die Freizeitspaß statt Prügel suchen, zogen begeistert nach. Italien dagegen hat seine unvergleichliche Küche und seine ansteckende Lebenslust vor der Gleichmacherei der Globalisierung einstweilen bewahren können, aber eben auch seine halb- oder illegalen padroni und seine allzu vielen ideologischen Feuerköpfe – und die zurückgebliebenen und arbeitslosen Vorstadtjugendlichen, in deren Vitalität Pasolini so fatal vernarrt war. In diesem einzigartigen Milieu hat eine spätfeudale Attitüde des Fußballs überlebt, die nicht mehr nach Europa paßt, rund ums alte Rom aber nur schwer auszurotten ist.“

Wird Italiens Fußball die Gewalt in den Griff bekommen? Giuseppe D‘Avanzo (NZZ) sieht schwarz: „Alles, was der italienische Fußball anfaßt, wird vergiftet, deformiert, gelähmt. Auch die Arbeit der Polizei, wie das der kommunistische Abgeordnete Francesco Caruso, leichtsinnig in die Diskussion geworfen hat (und auch er wurde von der nationalen Heuchlerfront zum Schweigen gebracht). Dieser Spinner hat die unangenehme Wahrheit ausgesprochen, daß die Polizei ihr Metier nicht beherrscht beziehungsweise daß sie es nicht ausüben darf. (Caruso kritisierte die immer gleiche Gummiknüppeltaktik.) Dadurch verwandelt sie den gewalttätigen Wahn von ein paar wichtigtuerischen Rädelsführern auf der Suche nach Ruhm, Selbstdarstellung, Macht, Einfluß und Geschäften in ein sozio-kriminelles Phänomen. Statt diese wenigen auszuschalten – deren Namen, Adressen und Händel bekannt sind –, simuliert die Polizei jeden Sonntag den Mann-gegen-Mann-Kampf, wie wenn es sich um einen gefährlichen Gesellschaftsfeind handeln würde, wie wenn die Ultras ein monolithischer Feind wären. Das sind sie nicht, aber diese vorgetäuschte Situation dient dazu, alles so zu lassen, wie es ist, und keine Einzeltäter zu verfolgen, denn harte Urteile könnten destabilisierende Angriffe auf das System auslösen, das unfähig zur Erneuerung ist. Alle, auch das Publikum, das den Fußball liebt, zahlen den Preis für diese Mißachtung von Gesetz und Ordnung. Ob das so weitergeht? Ja, so wird es weitergehen. Trotz den Toten von gestern und, Gott verhüte es, den Toten von morgen.“

Fahrlässig

Ralf Köttker (Welt) kehrt vor der eigenen Haustür: „Um der Gewalt nachhaltig entgegen wirken zu können, müssen gesamtgesellschaftliche Maßnahmen getroffen werden. Erschreckend ist deshalb, wenn die Politik nicht mitspielt. Daß gerade ein für seine Hooliganproblematik bekanntes Bundesland wie Sachsen zweckgebundene Fördermittel für Fanprojekte ablehnt und sich mit einer unzureichenden Jugendpauschale rechtfertigt, ist fahrlässig und unverantwortlich. Heute wirbt DFB-Präsident Zwanziger in der sächsischen CDU-Landtagsfraktion für mehr Unterstützung. Die Politiker sollten auf ihn hören. Prävention zahlt sich mehr aus als kostspielige Polizeieinsätze.“

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