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Ball und Buchstabe

In kriegerischer Tradition

Oliver Fritsch | Samstag, 17. Mai 2008 Kommentare deaktiviert für In kriegerischer Tradition

Oliver Kahn tritt ab – Würdigungen, Grüße, Videos

Christof Kneer (SZ) entschlüsselt Stil, Technik und Entstammung Oliver Kahns: „Kahn hat sein Handwerk immer gern für sich behalten, und so geht in diesen Tagen ziemlich unter, dass hier nicht nur ein Halsbeißer, Kollegenschüttler, Tunnelblick-Erfinder und Verena-Aufgabler aufhört – sondern ein sehr bemerkenswerter Torwart. Ein Torwart, dessen historische Leistung es ist, eine fünfzigjährige Ära zu ihrem Höhepunkt zu führen. Und zu vollenden. Oliver Kahn ist der letzte Torwart. Er ist der letzte sog. Zerberus, der letzte jener Höllenhunde, die den Eingang zur Unterwelt bewachen. Mit Kahn geht der letzte und beste jener deutschen Torhüter, deren vorrangige Aufgabe es war, Tore zu verhindern. Seit Toni Turek 1954 die Ungarn in Bern zum Wundern brachte, hat dieses Land seine Torhüter so lieb wie kein anderes Land auf der Welt, und so hat sich der deutsche Keeper wie von selbst fortgepflanzt. Es gab Zeiten, da hätte der siebzehntbeste Torwart der Bundesliga in jedem anderen Land (außer Italien) das Nationaltor bewacht – egal, ob es die geschmeidigen Teufelskerle der Frühzeit waren (Turek), die souveränen Stilisten (Maier) oder die Kraftmeier à la Schumacher, die das Torwartspiel in den Achtzigern um eine terminatorhafte Note erweiterten. In dieser kriegerischen Tradition steht Kahn – eine Drohkulisse mit Torwandhandschuhen. Als Kahn ein Torwart wurde, gab es noch keine Rückpassregel, und es gab keine Bälle, die links antäuschen und rechts einschlagen. Die Torwartwelt wurde von Peter Schmeichel regiert, einem hünenhaften Dänen, vor dem sich selbst der Höllenhund fürchtete. Das ist die Zeit, die Kahns Spielstil geprägt hat. Er fängt keine Flanken ab, er hält die Bälle lieber, wenn sie auf ihn zugeflogen kommen. Wenn ein Stürmer auf ihn zuläuft, wirft sich ihm Kahn knurrend entgegen. Läuft ein Stürmer auf die Torhüter neuen Typs zu, auf Robert Enke, Manuel Neuer oder René Adler, dann bleiben diese unverschämten Kerle aufrecht stehen, tänzeln, und nicht selten schießt der Stürmer dann vorbei – die neue Generation kann Paraden, ohne den Ball zu berühren.“

Save of the decade – Peter Schmeichel

Eigentlich ein Fall für den Kinderpsychiater

Thomas Hüetlin (Spiegel Online) blickt zurück ins Kahns Kindheit: „Kahn ist der erste, der zugeben würde, dass seine Karriere mit Talent wenig zu tun hatte. Talent ist bis heute ein Wort, das er nicht mag, was daran liegt, dass die Talente früher stets andere waren, nicht er. Kahn war nicht der geborene Gewinner, aber er lernte früh im Leben, dass er ein Gewinner werden könnte, wenn er das tat, was andere in ihrer Jugend für gewöhnlich ablehnen: hart zu arbeiten. Er begann, sich auf Erfolg zu programmieren, und dazu gehörte, dass er sich nur mit denen identifizierte, die siegen, immer. Konsequenterweise wählte er nicht den allseits beliebten Loser Donald Duck zu seinem ersten Idol, sondern den Unsympathen Dagobert. Als Sechsjähriger besorgte er sich auf dem Flohmarkt einen braunen Spazierstock, der jenem des Milliardärs ähnlich sah, die Mutter bat er, die Badewanne mit Geld zu füllen. Eigentlich ein Fall für den Kinderpsychiater, ganz klar, oder eben einer fürs Tor.“

Kahn 2002, ein Titan mit Fangschwäche – hier gegen Kamerun

Hier zwei tolle Kahn-Paraden gegen die USA 2002 und sein Fehlgriff vor dem Frings-Handspiel

Angekettet wie ein Hund

Der Kolumnist Hugo Gatti, ehemaliger argentinischer Nationaltorwart von 1967 bis 1977, schickt im SZ-Magazin Grüße: „Sein Gesicht! Wer er sah, bekam Angst. Das Lächerlichste, was der Fußball je verbrach, war Oliver Kahn zum besten Spieler der WM 2002 zu wählen. Sobald er den Fünf-Meter-Raum verließ, brach er sich doch jedesmal das Genick. Er war nur auf der Torlinie stark, an den Torpfosten war er angekettet, angekettet wie ein Hund. Dass er jetzt zurücktritt, dazu fällt mir nur ein: Er hätte es schon vor Jahren tun sollen.“

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