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Ball und Buchstabe

Ballbesitz ist die beste Defensive

Oliver Fritsch | Donnerstag, 31. Juli 2008 Kommentare deaktiviert für Ballbesitz ist die beste Defensive

Fundstücke, nachgereicht: Volker Finke über EM-Trends (taz); Ralf Rangnick über deutsche Abwehrmängel; Manfred Breuckmann und Nia Künzer über Event-Fans

In einem etwas zu lang geratenen Interview mit Peter Unfried in der taz resümiert Volker Finke seine Erkenntnisse von der EM. Finke, dem am Ende seiner Freiburg-Ära nachgesagt wurde, seine Idee von Fußball, nämlich Schwerpunkt Ballbesitz und Kurzpass, sei überholt, Finke also, das ist rauszuhören, fühlt sich durch Spaniens Sieg rehabilitiert: „Es ist nie so, dass nur eine Sache gut ist. Bei der WM 2006 war zum Beispiel die Spielweise der Deutschen ein Schlüsselerlebnis: Offensivpressing spielen, wenn der Gegner den Ball hat, sind wir stark, weil wir das suuuuper können, den Gegner jagen. Und wenn wir ihn haben – dann gehts ab, hohes Tempo, zwei, drei Stationen zum gegnerischen Sechzehner, möglichst mit ein, zwei Kontakten. Diese Spielweise galt plötzlich als die modernste Entwicklung. Und bei dieser EM hat sich nun wieder die andere Fußballphilosophie durchgesetzt. Die sagt: An jeder Stelle des Platzes ist auch für uns der Ballbesitz die beste Defensive. An jeder Stelle des Platzes können wir uns frei kombinieren.“

Über seine Auffassung von Medienarbeit und seine Abneigung gegen PR sagt Finke: „Ich bin ja in meinem Leben nicht nur unfreundlich gewesen gegenüber Journalisten. Aber ich weiß, woher unser Erfolg kam. Dass es einen geschützten Bereich gibt, von dem die Spieler ganz genau wissen: Da kommt nie etwas nach draußen. Nie. Das führt dazu, dass du eine Einheit auf dem Platz wirklich hinkriegst. Das ist etwas anderes als inszeniertes Teamwork, das nach draußen mit Positivmeldungen verkauft wird. Da hab ich manchmal das Gefühl, je mehr darüber transportiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass manche Leute sich morgens nicht mal grüßen, wenn sie sich sehen.“

Die Antwort auf die Nachfrage, ob er gerade von Oliver Bierhoff rede, ist ein vielleicht viel sagendes Nein: „Ich schwärme von Luís Aragonés.“ An Spaniens Trainer schätzt Finke, wie könnte es anders sein?, dessen Hang zum Kollektiv: „Der alte Kauz ist in bestimmten Sachen gnadenlos. Im Ergebnis steht, dass die Spieler ganz viele Freiheiten haben, dass sie befreit sind von Zwängen, die teilweise auch aus den Vereinen kamen. Die spielten nur die Viererkette als feste Position. Und er hat seine Aufgabe als Nationaltrainer nicht darin gesehen, die elf besten Spieler von Spanien aufzustellen, sondern die elf, die am besten zusammenspielen. Das führt dazu, dass ganz gute Spieler entweder mal warten mussten, gar nicht mitgenommen wurden oder zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgewechselt werden, sodass ein Außenstehender sagt: Was macht der denn?“

Außerdem kann, wer mag, nachlesen, wie kompliziert Finke auf die einfache Frage eingeht, ob er eigentlich zu Deutschland halte. Das Interview hat den Titel „Der alte Kauz ist gnadenlos“, ein Zitat Finkes über Aragonés. Im Vorspann jedoch wird Spaniens Meistertrainer gar nicht erwähnt, so dass der erste Eindruck entsteht, mit dem gnadenlosen Kauz sei Finke gemeint. Eine kleine handwerkliche Schlamperei im Umgang mit den so wichtigen, aber häufig unterschätzten Kleintexten.

Wenig Hoffnung, dass die Lücke in der deutschen Abwehr schnell geschlossen wird

Oliver Hartmann vom kicker hat Ralf Rangnick in den Zeugenstand gerufen, um die Langzeitfolgen der verschlampten Nachwuchsausbildung im deutschen Fußball zu beweisen. Rangnick sagt: „Wir waren in Deutschland nie für andere Nationen Wegweiser in taktischer Hinsicht. Im Gegenteil: Es gibt riesigen Nachholbedarf. Wir waren der Entwicklung 15 bis 20 Jahre hinterher und werden noch heute dafür bestraft.“

Pessimistisch, zumindest kurzfristig, schließt Hartmann mit Blick auf eine zentrale Position im Fußball, den Innenverteidiger: „Immerhin hat man mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt – auch beim DFB. Für Joachim Löw spielt der Innenverteidiger eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, die eigene Spielphilosophie vom blitzartigen Umschalten zu verwirklichen. Kurze Ballbesitzzeiten, schnelle Spieleröffnung über das Zentrum – nach diesen Grundregeln, die Mertesacker/Metzelder im EM-Finale völlig außer Acht gelassen hatten, werden in allen Auswahlteams die Innenverteidiger von morgen unterrichtet. Doch bis das Ausbildungskonzept in ganzer Breite Früchte trägt, werden nach Hochrechnungen der DFB-Spitze rund zehn Jahre ins Land gehen. Derzeit gibt es jedenfalls wenig Hoffnung, dass die Lücke in der deutschen Abwehr schnell und dauerhaft geschlossen werden kann.“

Als erste Hoffnungsträger nennt Hartmann Serdar Tasci, Mats Hummels und Benedikt Höwedes aus Stuttgart, Dortmund und Schalke. Der Text ist schon drei Wochen alt. Spätestens nach dem Sieg der U19 bei der EM in Tschechien vor fünf Tagen wird man sicher noch Kapitän Florian Jungwirth von München 60, Stefan Reinartz aus Leverkusen und den Freiburger Ömer Toprak nennen dürfen.

Pooooldiiiiii – süüüüüüß!

Das evangelische Journal chrismon hat in seiner Online-Ausgabe Nia Künzer und Manfred Breuckmann über dies und das befragt. Zwei Stellen seien kurz zitiert. In der ersten geht es um Breuckmanns Einstellung gegenüber Event-Fans:

chrismon: In die Stadien kommen viele Menschen, die einfach nur die Stimmung erleben möchten. Wie stehen Sie dazu, Herr Breuckmann?
Breuckmann: Die stoßen damit nicht auf meine moralisch begründete Verachtung. Aber wenn ich mir die WM 2006 angucke – da gab es viele Leute, die null Ahnung hatten. Die haben immer nur gerufen: ‚Pooooldiiiiii – süüüüüüß!’ Hui, das finde ich schwierig.
Künzer: Also muss ein Fan nicht nur Leidenschaft, sondern auch Ahnung haben?
Breuckmann: Ich habe immer gedacht, Fan sein setzt Ahnung voraus.
Künzer: Aber es ist doch legitim, trotzdem hinzugehen.
Breuckmann: Ja, klar. Frankfurter Eintracht, im Schnitt 48.000 Zuschauer …
Künzer: Ich als Frankfurterin sage: zu Recht!
Breuckmann: … bei der Art, wie die teilweise spielen? Da kommt ein Gutteil der Leute, weil es um Party geht. Sollen sie haben. Ist halt eine besondere Einstellung, und zwar nicht meine.

An anderer Stelle lesen wir über den Unterschied zwischen Fußballer und Fußballerin:

chrismon: Frauen sagen auch schlimme Dinge auf dem Platz, oder?
Künzer: Wir haben ein höheres Niveau, ohne dass ich jetzt genau weiß, was bei den Männern in der Bundesliga abgeht.
Breuckmann: Schlimme Dinge!
Künzer: Das Beleidigende, das Provozierende, das gibt es bei uns nur ganz selten. Bei uns gibt es auch keine Rudelbildung. Wir stehen uns nicht Nase an Nase schreiend gegenüber.

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