indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Das Sagen hat Lahm

Frank Baade | Montag, 9. November 2009 7 Kommentare

Lahm erntet Zustimmung und Lob für seine Größe und seinen Mut, die Presse wartet auf die sich anbahnende Explosion beim FC Bayern — ein anderer großer Bayer schlägt vor, ein ganzes Land solle sich schämen

Das so Aufsehen erregende Interview von Andreas Burkert und Christof Kneer mit Philipp Lahm findet sich in der SZ. Darin spricht Lahm viele Punkte an, die seiner Meinung nach zum mangelnden Erfolg seines Klubs beitragen. Kernpunkt ist die Aussage, dass es dem FC Bayern an einer Philosophie fehle, anhand derer eine Mannschaft entwickelt werden könnte, wie sie jene Klubs, zu denen man gerne wieder aufschließen würde, besäßen: der FC Barcelona, Manchester United oder der FC Chelsea. Viele weitere Details werden von Lahm zur Sprache gebracht, wie zum Beispiel dass es im Mittelfeld an Spielern fehle, die geschickt genug seien, mit den Zuspielen auch etwas für die Offensive zu bewirken. Gleichzeitig lässt Lahm anklingen, dass sich aufgrund der Methoden van Gaals, Spieler nach Fehlpässen vor der versammelten Mannschaft zu kritisieren, eine Risikoscheu im Team breit gemacht habe. Bei manchen überwiege die Angst, für Fehler wieder kritisiert zu werden, statt im Spiel etwas zu wagen. Die Presse reagiert, genauso wie viele Leser in vielen Umfragen, mit breiter Zustimmung für Lahm, dessen Interview einerseits dazu gereiche, ihn selbst als Charakterspieler dastehen zu lassen, wie es gleichzeitig auch das Tischtuch zwischen ihm und seinen Vorgesetzten, die schließlich von Lahm für die Fehlentwicklung verantwortlich gemacht werden, zerschnitten haben könnte. In jedem Falle brodelt es gewaltig beim FC Bayern. So sehr, dass mancher schon ein Überkochen befürchtet.

Wer san mia?

Johannes Aumüller (Sueddeutsche.de) kann trotz des gehörigen Aufruhrs nichts vom einstigen „FC Hollywood“ an der Lage der Münchner finden. Denn der damalige „FC Hollywood“ habe seine Problemchen nur als Luxus am Rande eines ansonsten erfolgreichen Wirkens mitgeschleppt. Der aktuelle FC Bayern hingegen stehe „kurz vor der Explosion“. Er befinde sich in einer „substanziellen Ergebnis- und Identitätskrise“, in der aufgrund des mangelnden Erfolgs und „der wenigen Fortschritte in der Spielanlage offenbar die Ersten die Nerven verlieren. Eine zentrale Position hat die Frage nach ihrer sportlichen Identität: ‚Wer san mia?‘ Es war bezeichnend, dass sich nach dem Spiel keiner der Bayern-Bosse mit der inhaltlichen Kritik des Abwehrspielers auseinandersetzte. (…) Das nächste Pflichtspiel bestreiten die Münchner gegen Bayer Leverkusen, den Tabellenführer. Sollte der FCB diese Partie verlieren und der Rückstand in der Tabelle damit auf neun Punkte anwachsen, dürfte es endgültig zur Explosion kommen.“

Jörg Hanau (FR) bedankt sich bei Philipp Lahm für dessen offene Worte. Es seien die ersten aus den eigenen Reihen der Bayern. Zweifellos sei die Transferpolitik — besonders die Einkäufe für die Offensive — fragwürdig. Weiter gelte aber vor allem: „Derart orientierungslos ist der FC Bayern früher selten durch eine Saison getaumelt. Das lag in erster Linie an einem starken Uli Hoeneß. Drei Jahrzehnte erfolgreiche Arbeit sind kein Zufall. Der Noch-Manager und Bald-Präsident hat in den vergangen Monaten aber zu viel von seiner Richtlinienkompetenz an die jeweiligen Cheftrainer abgegeben.“ Van Gaal und Klinsmann erreichten trotz ihrer Machtfülle nicht das, was den Bayern vorschwebe. Lahm habe diese Problematik erkannt und mit seinen Äußerungen Größe bewiesen. Einen für Lahm nicht unwillkommenen Nebeneffekt habe dieses Interview aber ebenfalls: „Lahms Botschaft: Van Bommel ist der Kapitän, das Sagen aber habe ich.“

Mut zur mündigen Persönlichkeit

Markus Lotter (Berliner Zeitung) zieht den Hut vor Lahm und kritisiert dessen Chef: „Unsouveräner als Uli Hoeneß hätte man auf die Wahrheit wohl kaum reagieren können. Es spricht für Lahms Reife, dass er Rohstoff liefern wollte. Er, der nichts fürchten muss, außer, dass er mit den Bayern seine persönlichen Ziele nie erreicht, hat einfach seine innerste Überzeugung nach außen gekehrt, gerade weil er als Eigengewächs und stellvertretender Kapitän eine besondere Verantwortung spürt. Lahm hatte den Mut zum Denkanstoß aus der Mannschaftskabine, der früher, man denke nur an mündige Persönlichkeiten wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg, beim FC Bayern zum Alltag gehörte. Auch Lahm will im Gegensatz zu manch einem Kollegen nicht der Untertan sein, der ewig dankbare Spieler, der sich aufgrund eines überaus gut dotierten Vertrags in der Bringschuld sieht. Und schweigt.“ Siehe zu dem „früher“, welches Markus Lotter hier anspricht, auch den freistoss des tages am Ende dieses Beitrags.

Klaus Hoeltzenbein entdeckt in seinem Kommentar in der SZ nichts Verwerfliches an den Äußerungen Lahms. Dieser habe niemanden beleidigt, sondern alle Aspekte aufgezählt, die er für verbesserungswürdig halte. Während selbst der alte Alex Ferguson immer noch innovativ sei, habe man in München den Anschluss verloren, seit die 2001-er Generation abgetreten ist. Dem Trend zu „flacheren Hierarchien“ und „gruppendynamischen Strategien“ sollte man auch in München folgen. „Ob die Bayern, ob Hoeneß, ob Rummenigge, die Gestalter seit Jahrzehnten, zukunftsfähig sind? Das wird sich auch darin zeigen, ob sie die Fachdebatte, die sie jetzt im Haus haben, auch führen wollen. Oder ob sie als königlich-bayerische Majestätsbeleidigung empfunden und nur scharf sanktioniert wird.

Wir sollten uns schämen

Ein anderer, ehemaliger Bayern-Spieler hat sich ebenfalls mit einem eigentlich bemerkenswerten Interview zu Wort gemeldet. Eigentlich, wenn es nicht gleichzeitig das große Blätterrauschen durch Lahms Interview gegeben hätte und eigentlich, wenn es nicht so — wenig überraschend zwar, aber es bleibt dabei — anmaßend wäre, auf welche Art dieser Ehemalige sich im Interview mit der FAS äußerte. Neben der üblichen Leier, dass man ihn in Deutschland nicht respektiere, ihm zudem keine Chance gebe, zu beweisen, ob er ein guter oder ein schlechter Trainer sei, ist eine Passage tatsächlich bemerkenswert: Er verkörpere nicht die „Bild“-Zeitung und er sei auch nicht mit ihr derart verbandelt, wie es allerorten dargestellt würde. Dies muss dem aufmerksamen Leser durchaus als eine Neuigkeit erscheinen. Bei der medialen Begleitung der kürzlichen Verhandlungen mit einem argentinischen Klub hatten sich bereits erste Risse im Verhältnis des Interviewten zur „Bild“-Zeitung ergeben. Nun erscheint dieses Interview an ganz anderer als sonst üblicher Stelle, zudem mit einer deutlichen Distanzierung. Bemerkenswert.

freistoss des tages

Kommentare

7 Kommentare zu “Das Sagen hat Lahm”

  1. Das Sagen hat Lahm
    Montag, 9. November 2009 um 12:04

    […] the rest here: Das Sagen hat Lahm Posted in Manchester United News | Tags: barcelona, manchester, […]

  2. Moritz
    Montag, 9. November 2009 um 13:15

    Herr Hoeneß hat sein seltsames Verständnis von Arbeitnehmerrechten in der Vergangenheit ja bereits einmal dadurch verdeutlicht, dass er in einer Pressekonferenz einen Mitarbeiter von bayern.tv wegen einer ihm unpassenden Frage feuern wollte. Mit der Einkommenshöhe der jeweiligen Arbeitnehmer steht dies also offensichtlich in keinem Zusammenhang.

    Meine Prognose: Ende der Saison sitzt Herr Hoeneß wieder neben dem Trainer – der nicht van Gaal heißen wird – am Spielfeldrand.

  3. Nixwisser
    Montag, 9. November 2009 um 13:36

    wg. Lothar M.

    Lothar hat Recht, er ist wohl nach dem Kaiser der zweitbekannteste Fußballer aus Deutschen Landen. Und vielleicht ist er auch ein guter Trainer. Er darf dennoch bisher nicht in der Buli trainieren lassen, weil die Vereinsverantwortlichen offensichtlich doch nicht kollektiv an Gedächtnisverlust leiden. Denn er hat sein Image über Jahre pflegsam und zielstrebig durch Wort und Tat aufgebaut (Ich gestehe: Ich habe sei Tagebuch gelesen – das spricht wirklich nicht für mich!) Jetzt erntet er, was er gesät hat. Seine Situation wird sich durch solche Interviews nicht wirklich bessern. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, denn auf Buli-Trainerbänken haben wirklich schon große Kappen Platz genommen.

    Kopf hoch, Jammerlappen. Irgendeiner wird sich schon mal zu einer Kurzschlußhandlung hinreißen lassen.

    Nixwisser

  4. Oliver Fritsch
    Montag, 9. November 2009 um 13:38

    Ist immer wieder erstaunlich, wie Matthäus ein Recht auf einen Bundesliga-Posten einklagt? Ein Recht, das ihm verwehrt wird. Auf welches Verständnis lässt das schließen?

  5. tafelrunde
    Montag, 9. November 2009 um 19:23

    Die Nummer mit Lahm ist grandios. Oder um frei nach Franz B. (Kaiser) zu fragen: „Ja, is denn heit scho Revolution?“
    Wenn man sich Volkes Stimme in diversen Foren mal so betrachtet, dann kann man zum Schluss gelangen, dass dies nach Revolution riecht. Und das an diesem Datum: 9.November.
    Das Volk murrt unüberhörbar: Weg mit den Oberen!
    Man darf gespannt sein, wie’s diesmal ausgeht.

    P.S.: zum Lodda fällt einem doch nichts mehr ein, oder?
    Vielleicht eines: „Gibt es eigentlich einen award zum „größten Dumpfbaddel aller Zeiten“?

  6. Andreas
    Montag, 9. November 2009 um 21:56

    Lahm wirbt für die „BILD“ und klopft sich auf die Schenkel wenn er Mario Barth sieht (lt. ZEIT). Das sagt eigentlich alles über ihn. Toller Typ!

  7. tafelrunde
    Montag, 9. November 2009 um 22:16

    @andreas:
    Es fällt auf, dass zusehends einzelne Aspekte von Lahm als Person oder des Lahm-Interviews herausgepickt werden. Auch hier.
    Seine Kernthese, dass etwas grundsätzlich (!) falsch im Staate Dänemark läuft, wird versucht zu relativieren.
    Von vielen Journallisten – und eben auch von Lahm selbst – wurde es schon benannt. Und teilweise vortrefflich auf den Punkt gebracht. Die Führung der Bayern hat die Zeichen der Zeit schon vor Jahren nicht mehr richtig erkannt. Im Gegensatz dazu beispielsweise der wirklich alte Sir Alex Ferguson schon. Und darauf zielt Lahm ab.
    Das Umfeld des Fußballgeschäfts, aber auch die Art und Weise des Spieles haben sich, teilweise dramatisch, verändert. Mit der Weiterführung früher erfolgreicher Rezepte ist es nicht getan. Denn dann passiert eben das, was seit geraumer Zeit beim FCB passiert. Man rennt hinterher. Eine Vielzahl anderer BL-Clubs begegnen dem weit professioneller.
    Beispiele? Bremen, Hoffenheim, Leverkusen (wie das auch immer funktioniert mit einem Völler?), Wolfsburg, Hamburg, auch Stuttgart (anscheinend haben die Chefs was begriffen), Dortmund, ja sogar Mainz und Freiburg sind da weiter als der FC Ruhmreich.
    Im „normalen“ Leben suchen erfolgreiche Unternehmen die sich durch veränderte Rahmenbedingungen veränderten Umstände auftuenden Chancen durch flexible Anpassung zu nutzen. Am besten gelingt dies durch eine starke Positionierung, vulgo klares, begründbares und nachvollziehbares Selbstverständnis. Die Führungsriege der Bayern, allen voran meine Lieblingsfigur Rummenigge, waren und sind (bis jetzt) nicht dazu imstande, dieses zu erkennen und in eine klare Linie zu übersetzen.
    Das Ziel ist ja schon oft herausgetönt worden: Attraktiven und erfolgreichen Fußball anbieten. Aber wie, auf welchem Weg, mit welchen Mitteln? Darüber herrscht schon viel zu lange Unklarheit. Müsste es aber nicht, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hätte.
    Man darf gespannt sein wohin das noch alles führt.
    Revolution? Vielleicht. Wäre nicht verkehrt.

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