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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Am Grünen Tisch

Wann macht Aufgeben Sinn?

Martin Hauptmann | Freitag, 19. November 2010 6 Kommentare

Nach dem Misstrauensvotum der Mitglieder wird die Luft für den Kölner Präsidenten Wolfgang Overath eng, aufgeben will er aber trotzdem nicht

Der einst geniale Spielmacher bekleidet nun seit 2004 im Klub das höchste Amt und wurde auf der Mitgliederversammlung neben einigen Buh-Rufen von den 3119 anwesenden Mitgliedern vor allem mit viel Applaus empfangen. Spiegel Online zitiert einen wacker kämpfenden Frontmann Overath: „Ich habe schwer mit mir gekämpft: Warum tue ich mir das an? Soll ich aufhören? Oder kämpfe ich und trage die Verantwortung? 50 Jahre habe ich den 1. FC Köln im Herzen. Ich stehe in der Pflicht, ich werde den Weg gemeinsam mit euch fortsetzen.“

Der Stern nimmt zu dieser Aussage Stellung: „2009 war Overath noch von den gleichen Chaoten mit 98 Prozent für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt und der Vorstand entlastet worden. Anno 2010 schlägt ihm und seinem Führungsteam, das Verbindlichkeiten von 24,122 Millionen Euro mitzuverantworten hat, blanke Ablehnung entgegen. Denn die hatten die Nase so voll. Von dem Auf und Ab, lustlosen Profis, erbärmlichen Heimspielen für teures Geld und den leeren Phrasen ihres Präsidenten. Overath hatte weder Strategien noch Lösungsmöglichkeiten angeboten. Dafür aber einen Zehn-Punkte-Plan, der nur Kopfschütteln verursachte. In Punkt eins wurde festgehalten, dass ‚der FC über allem steht‘, an dritter Stelle wolle man ‚jeden Stein umdrehen‘, fünftens die vor der Saison geformte ‚FC-Leitkultur glaubhaft leben‘. Punkt 9 sah einen Sieg des FC in Stuttgart vor.“

Wo fängt Treue an, wo hört Vertrauen auf?

Richard Leipold (FAZ.net) spricht von einem Karneval ohne einstudierte Witze: „Allein Punkt eins (‚über allem steht der FC‘) und Punkt zehn, eine Art Bekenntnis zu dem überaus beliebten neuen Trainer Frank Schaefer, bildeten einen gemeinsamen Nenner. Ausgerechnet dieser Trainer, ein Novize in der Bundesliga, gilt als Hoffnungsträger in einer Phase, da sogar der Glanz eines Overath verblasst. Schaefer und sein Assistent Dirk Lottner, beides Ur-Kölner mit starker FC-Sozialisation, waren die einzigen beiden Männer, die mit nachhaltigem Applaus begrüßt und verabschiedet wurden, als hätten sie mit dem demütigenden 0:4 wenige Tage zuvor gegen den Erzrivalen Mönchengladbach nichts zu tun gehabt.“ Die Nibelungentreue Overaths zu seinem Geschäftsführer betrachtet er durchaus skeptisch: „Overath, einst Weltmeister auf dem Rasen, hätte es sich leicht machen und die Basis besänftigen können, indem er ihre zentrale, im Stadion wie in der Versammlung lauthals erhobene Forderung erfüllt hätte: ‚Meier raus!‘ Doch die Entlassung des Geschäftsführers Michael Meier, den viele für die sportliche Misere des Tabellenletzten verantwortlich machen, kommt für den Präsidenten offenbar nicht in Frage, zumal Meier erst im vergangenen Jahr einen neuen Vierjahresvertrag erhalten hatte. Overath deutete allerdings an, über die Berufung eines Sportdirektors nachzudenken. Der Präsident selbst lehnt jede Verantwortung für die heftig kritisierte Personalpolitik der vergangenen Jahre ab. Er sei weder Trainer noch Scout noch Sportdirektor. Bei Spielertransfers befasse sich der Vorstand nur mit der Frage, ob sie finanziell zu stemmen seien.“

Daniel Theweleit (FR) erinnert an den rasanten Wandel der Zeit: „Wolfgang Overath ist Weltmeister, eine Kölner Ikone, ein erfolgreicher Geschäftsmann, doch ein feines Gespür für den Geist der Zeit scheint ihm zu fehlen. Jedenfalls hat der Präsident des 1. FC Köln trotz der wütenden Proteste in der Republik nicht mitbekommen, dass die emotionalisierten Menschen sich nicht mehr mit Phrasen von einer besseren Zukunft abspeisen lassen. Oder er hat sich maßlos überschätzt. Jedenfalls erlaubte sich der Präsident des Tabellenletzten auf der Jahreshauptversammlung am Mittwochabend einen ähnlich uninspirierten Auftritt, wie seine Mannschaft beim 0:4 gegen Borussia Mönchengladbach vier Tage zuvor, 1317 der aufgebrachten Mitglieder verweigerten ihm am Ende einer tumultartigen Veranstaltung die Entlastung. Bei 520 Ja-Stimmen, das saß.“ Die unmissverständliche Strategie des Konzerns bleibt ihm in Erinnerung: „Dass Meier sehr bald entmachtet wird, wurde spätestens klar, als Verwaltungsrat Schmitz ans Rednerpult trat. Der Vorstandschef eines Energieversorgers hielt eine geschliffene Rede, ’sehr kritisch‘ betrachte das Gremium die Entwicklungen, man werde ‚alles auf den Prüfstand stellen, Prozesse, Strukturen, Personen und die finanzielle Gesamtlage‘, sagt er. Die von Meier zusammengestellte Mannschaft hält er für untauglich. ‚Wenn ich mit solchen Mitarbeitern ein Unternehmen leiten müsste, dann hätte ich ein ernstes Problem.“ Düsterer lässt sich die sportliche Perspektive des Tabellenletzten kaum beschreiben, und dennoch gab es in dieser Chaos-Nacht einen echten Gewinner: Trainer Frank Schaefer, der frenetisch bejubelt wurde und mindestens bis zur Winterpause bleiben darf. Er ist der neue Hoffnungsträger eines wahrlich würdigen Tabellenletzten.“

Wenn man nicht damit rechnet

Peter Stützer (Welt Online) begreift das Ausmaß der Ereignisse tiefer: „Dass die Entlastung verweigert wurde, hat eher formellen und symbolischen Wert, bleibt aber ohne Konsequenzen. Die Vorstandsmitglieder können ab sofort auch persönlich haftbar gemacht werden, im Falle eines kriminellen Vergehens zum Beispiel, aber damit ist ja nun wirklich nicht zu rechnen.“

Bei der Süddeutschen Zeitung deckt man Ungereimtheiten im Ablauf der Versammlung auf: „Eigentlich schienen Overath und seine Führungscrew das Fegefeuer der frustrierten Fans überstanden zu haben, als Verwaltungsratschef Rolf-Martin Schmitz mit einem ‚Eigentor’ die vielleicht folgenschwere Niederlage einleitete. ‚Das ist die Mehrheit’, stellte er bei der Abstimmung nach kurzem Blick auf die hochgereckten Ja-Karten zunächst vorschnell die Entlastung fest, was einen Sturm der Entrüstung, Tumulte, ‚Schiebung‘- und ‚Vorstand-raus-Rufe‘ provozierte. Schließlich wurde offensichtlich auch eine ähnliche Zahl von Nein-Kartons gezeigt.“

Schwere Zeiten für das Tabellenschlusslicht

Jörg Strohschein (Tagesspiegel) wagt eine Prognose: „Der besonders hart und mit vielerlei Beschimpfungen konfrontierte Manager Michael Meier dürfte künftig kaum noch für die sportlichen Entscheidungen allein verantwortlich sein. Gerüchte um einen möglichen Sportdirektor, der dem 61-Jährigen an die Seite gestellt werden könnte, kämen einer Entmachtung gleich. Der Klub, derzeit Tabellen-18. und mit 24,1 Millionen Euro Schulden wirtschaftlich stark eingeschränkt, hat kaum noch Möglichkeiten, in der laufenden Spielzeit grundlegende Veränderungen vorzunehmen. Der Vorstand ist angeschlagen, das Prinzip Hoffnung, den finanziell nahezu ruinösen Abstieg irgendwie doch noch zu verhindern, hat die Vorherrschaft übernommen. Doch das eigentlich Bemerkenswerte ist: Der 1. FC Köln hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten äußerst weit von seinen Mitgliedern und Fans entfernt. Von denjenigen, auf die der Klub sich bisher stets verlassen konnte.“

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Kommentare

6 Kommentare zu “Wann macht Aufgeben Sinn?”

  1. Diddi der Däne
    Freitag, 19. November 2010 um 18:56

    Wann macht der Ausdruck „macht Sinn“ Sinn?

  2. lateral
    Samstag, 20. November 2010 um 09:25

    @Diddi der Däne: „macht Sinn“ ist schon lange eingedeutscht. Das ergibt auch Sinn, weil das urdeutsche Äquivalent „hat Sinn“ sehr absolutistisch daherkommt und meine diesen Satz einleitende Wendung gesprochen keiner verwenden mag.

  3. Diddi der Däne
    Samstag, 20. November 2010 um 19:50

    @lateral: das „urdeutsche“ Synonym für „macht Sinn“ ist auch eher „ist sinnvoll“, was beileibe nicht absolutistisch daherkommt. Das Problem ist auch weniger das Einführen eines weiteren Ausdrucks in die deutsche Sprache, sondern viel mehr seine gedankenlose Verwendung und die Verdrängung der weiteren Synonyme wie „ergibt Sinn“ und „hat Sinn“. In ein paar Jahren weiß wahrscheinlich niemand mehr, dass es diese Ausdrücke auch einmal gegeben hat. Natürlich habe ich diese Frage bewusst provokant formuliert, schließlich springt einem die Überschrift ins Auge.

  4. Hauptmann Martin
    Samstag, 20. November 2010 um 22:35

    Jetzt möchte ich mich doch zu Wort melden. Den Ausdruck „macht Sinn“ habe ich nicht gedankenlos verwendet, sondern überlegt.
    Es ist wie in einer Graphik: sie muss das Auge auf das lenken, was sie darstellen soll, nicht auf den unnötigen Datenmüll, sondern auf die Kernaussage. Bei einer Überschrift genauso. Der Lesefluss würde durch „Wann ergibt Aufgeben Sinn?“ nach meinem Empfinden mehr gestört, auch wenn es sicherlich eine gute Alternative wäre. Die Botschaft der Überschrift soll möglichst beim ersten Blick erfassbar sein. Die deutsche Sprache ist ein wertvolles Gut, gute Einwände bereichern auf jeden Fall die Qualität. Bin aber auch mal gespannt, ob noch was zum Inhalt kommt.

  5. anderl
    Sonntag, 21. November 2010 um 00:15

    @Hauptmann, Martin
    Fassungslosigkeit und die Erschöpfung lassen uns FC-Fans schweigen.
    In der letzten Mattigkeit erhebe ich meine Stimme aus der Fassungslosigkeit, die der Vorstand des FC mit all seinen Taten in mir hervorruft, und lege einen kleinen Plan vor:

    1. Installierung eines Sportdirektors, der Ahnung von Fussball hat.

    2. Verkauf von Lukas Podolski, damit sich der Verein wieder Spieler leisten kann, mit denen er sich in der Bundesliga stabilisieren kann. Das diente dann letztlich auch der Karriere unseres Prinzen. Egal, ob er in Valencia, Newcastle oder Rom spielen sollte: Er bleibt unser Prinz.

    3.Entlassung des Wahnsinnigen alias Meier. Dieser Gernegroß kennt nichts anderes als die Verbeugung vor dem schnellen Erfolg und dem Publikumsgeschmack. Wir brauchen einen Verantwortlichen mit Gespür für das Geschäft.

    4.Overath. Ach ne, über die Legende will ich nichts sagen.

    Mir ist es einfach unverständlich, warum ein Verein, mit einer solchen Anhängerschaft es nicht zu Stande bringt, Spieler mit Perspektive von sich zu überzeugen. Die Stadt an sich ist ein unglaublich guter weicher Faktor, der viele Spieler anziehen kann. Die mit dem Auto erreichbare Umgebung auch. Es ist unfassbar.

    Niemand in Köln, der bei Verstand ist, fordert einen Euro-League-Platz. Wir sind froh, wenn der FC in der Bundesliga spielt und nicht dauernd am Rande des Abstiegs spielt. Eine internationale Zukunft mag existieren. Aber nicht heute, nicht in drei und auch nicht in fünf Jahren. Nicht unter Meier und Overath. Überhaupt nicht. Und bis auf diese beiden hat das jeder in Köln begriffen. Vielleicht Poldi auch nicht.Sobald er das versteht, ist er weg.

    Es ist schon so weit, dass ich mich mit einer Hannoverexistenz, Verzeihung an die Leine, zufrieden geben würde. Darüber wäre ich sogar sehr froh.

  6. anderl
    Sonntag, 21. November 2010 um 22:47

    Es ist einfach nur noch pervers!

    Ich wünsche mir als FC-Fan das reinigende Feuer, aber will mich doch über einen, wenn auch glücklichen, Sieg freuen.

    PausemachenvomFussekissnichdrin!

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