indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Drei ungleiche Brüder

Matthias Nedoklan | Donnerstag, 21. Juni 2012 Kommentare deaktiviert für Drei ungleiche Brüder

Sportlich steht Jerome Boateng erst am Freitag wieder im Mittelpunkt – wenn es darum geht ob Jogi Löw ihn oder Lars Bender als Rechtsverteidiger im Viertelfinale auflaufen lässt. Zusammen mit seinem berühmten Bruder Kevin Prince und dem weniger populären George steht der Berliner jedoch schon länger im Mittelpunkt: Als Protagonist des Buches „Die Brüder Boateng“ des FAZ-Journalisten Michael Horeni.

Champions League Finale, Boulevard-Schlagzeilen mit Gina-Lisa, ein, wenn auch umkämpfter, Startplatz in der Nationalmannschaft. Die Saison hatte für Jerome Boateng bisher einiges zu bieten – da wundert es fast nicht, dass jetzt auch noch ein Buch über den 23-Jährigen in den Regalen steht.

Kevin Prince sagt ab

Michael Horeni erzählt die Geschichte der drei ungleichen Stiefbrüder, der vielen Auf- und Abs in der persönlichen Beziehung zueinander, das schwierige Verhältnis. Das beste Beispiel hierfür ist gleichzeitig eine Schwäche des Buches. Kevin Prince Boateng sagt in letzter Sekunde seine Beteiligung an dem Projekt ab – so fehlt eine der drei Säulen der Geschichte. Und mit Verlaub bei allem Respekt vor George Boateng, dem Hundezüchter und Gelegenheitsarbeiter, gerade der unterschiedliche Lebensweg von Jerome und Kevin Prince ist, für Sportfans, der interessante Aspekt.

Was sagt es, über Gerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland aus, wenn der eine Sohn, aufgewachsen im bürgerlichen Wilmersdorf, zum soliden deutschen Nationalspieler avanciert und der andere Sohn aus Wedding schon früh seine Karriere in der Bundesliga und der DFB-Elf verspielt und erst ins Ausland gehen muss, um als Fußballer Anerkennung zu finden?

Die Geschichte wurde bereits nach dem Foul aller Fouls, der Grätsche von Kevin Prince Boateng, die Michael Ballacks Karriere, sowohl national als auch international, im Großen und Ganzen beendete, erzählt. Halbbrüder, selber Vater, unterschiedliche Mütter und ganz unterschiedliche Viertel.  Nach Startschwierigkeiten sehen sich die Drei dennoch häufig und spielen im, mittlerweile legendären, Käfig an der Panke. Straßenfußballer, geschult von harten Regeln – keine Schwäche zeigen, technisch überragend.

Marko oder Markus Marin?

Flott erzählt ist die Geschichte, an Stellen eindrucksvoll und, besonders lobens- und erwähnenswert, immer mit einer Perspektive, die nicht nur auf den Fußball beschränkt ist aber ohne den erhobenen Zeigefinger auskommt. Umso ärgerlicher sind inhaltliche Fehler, die einem angesehenen Journalisten wie Horeni nicht passieren dürfen: Den Ex-Bremer Marin mit dem ehemaligen Stuttgarter Kickers, MSV Duisburg und FC St. Pauli-Spieler Marcus zu verwechseln, ist Jogi Löw vor der EM 2008 zwar auch passiert.

Das macht Horenis Fehler jedoch eher schlimmer als besser. Und, anders als behauptet, hätten Kevin Prince und Jerome bei der WM 2010 sich nach ihrem Aufeinandertreffen in der Vorrunde – übrigens das einzige Mal, dass Brüder bei einer Weltmeisterschaft gegeneinander spielten – sich frühestens im Finale wieder sehen können, falls Ghana Uruguay und danach die Niederlande geschlagen hätte und Deutschland an Spanien vorbei gekommen wäre.

Aus dem Brennpunkt wird eine Musterschule

Solche Fehler sind ärgerlich, weil sie von dem absoluten Glanzpunkt des Buches ablenken, der mit Sport rein gar nichts zu tun hat. Georges und Kevins ehemalige Grundschule im Wedding, die Erika-Mann-Schule war zu der Zeit der Boatengs ein Sinnbild der Mangelverwaltung: festgeschraubte Möbel, alte Bücher, marode Substanz. Mittlerweile ist die ehemalige Rübezahl-Grundschule umbenannt und umgestaltet. Kinder werden in kleinen Klassen unterrichtet, Kreativität und Individualität werden gefördert, die Eltern in den Lehr- und Schulbetrieb integriert.

Dieser Höhepunkt, sozialkritisch, ideenreich und anregend, bildet die Stärken und Schwächen des Buches auf wenigen Seiten ab. Es ist nicht so sehr der Sport oder die Geschichte der Boatengs, sondern die Geschichte Deutschlands und vor allem Berlins. Seiner sozialen Spannungen und seiner mangelnden Chancengleichheit.

Michael Horeni: Die Brüder Boateng – Drei Deutsche Karrieren, Tropen, 272 Seiten.

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 0,523 seconds.