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WM 2018

WM 2018 – Partyzeit im Zombieland

Kai Butterweck | Freitag, 22. Juni 2018 Kommentare deaktiviert für WM 2018 – Partyzeit im Zombieland

Während russische und schwedische Fans die Sau rauslassen, machen sich deutsche Hooligans daheim in die Hose. Außerdem: Die Magie des ruhenden Balls und ein König ohne Gefolge

Jeder Stadionbesucher muss eine Fan-ID-Plastikkarte mit persönlichen Daten und Foto um den Hals tragen. Markus Sambale (deutschlandfunk.de) wundert sich: „Bedenken hört man von Fans kaum. Dass jeder Stadionbesucher identifizierbar ist. Dass der russische Staat Zugriff auf viele Daten von Ausländern hat und niemand genau weiß, was damit passiert. Dass die russischen Behörden über die angegebene Handy-Nummer womöglich den Standort jedes Besuchers orten können. Das scheint die wenigsten zu stören.“

Abgeschirmt vom Rest der Welt

Die Sicherheitsviertel rund um die WM-Stadien präsentieren sich wie Geisterzonen. Hendrik Buchheister (Berliner Zeitung) gruselt sich: „Es ist irgendwie faszinierend, in dieser doch sehr hektischen Welt mitten am Tag in Straßenzügen unterwegs zu sein, aus denen das Leben gewichen ist. So muss es sich also anfühlen, Staatschef zu sein. Wer etwas zu sagen hat auf der politischen Weltbühne, ist es ja gewohnt, sich in abgeriegelten Bezirken aufzuhalten, abgeschirmt vom Rest der Welt. Aber es ist auch unheimlich. Denn Geisterstädte, wie man sie während der WM um die Stadien erlebt, kennt man sonst nur aus Filmen. Diese Filme handeln in der Regel von Atomkatastrophen, Zombie-Plagen oder vom Weltuntergang.“

Anders als die EM in Frankreich vor zwei Jahren stößt die WM in Russland bei deutschen Hooligans auf wenig Interesse. ZIS-Sprecher Jan Schabacker (rp-online) kennt die Gründe: „Zum einen ist ein erheblicher zeitlicher Aufwand notwendig und die Reise ist teuer, zum anderen benötigt man ein Visum bzw. eine Fan-ID, um überhaupt nach Russland einreisen zu können. Und natürlich werden in der Szene auch das Verhalten russischer Sicherheitskräfte und die Gewaltbereitschaft der russischen Hooliganszene diskutiert.“

Der Beginn eines historischen Fanfestes

In Teheran machen Männer große Augen. Der Grund: Erstmals seit 37 Jahren dürfen Frauen wieder ins Stadion. Ibrahim Naber (Welt) klatscht begeistert in die Hände: „Bis zuletzt versuchten iranische Behörden, das gemeinsame Public Viewing zu verhindern. Polizisten hatten die Arena Stunden vor Spielbeginn abgesperrt, das Event wurde abgeblasen, offiziell „aus Gründen der Infrastruktur.“ Doch die Tausenden Besucher ließen sich das nicht gefallen. Mit Sitzblockaden und Diskussionen brachten sie die Polizei dazu, die Stadiontore doch noch zu öffnen. Der Beginn eines historischen Fanfestes.“

Der Siegeszug der russischen Nationalmannschaft entfacht ein Feuer der Begeisterung im Gastgeberland. Sven Goldmann (Tagesspiegel) hebt das Glas: „Besonders heftig feiern sie auf dem Newski-Prospekt, der berühmtesten Straße Russlands mit ihren Palästen und Flaneuren. Die knapp fünf Kilometer von der Admiralität an der Newa hinunter bis zum Moskauer Bahnhof werden zur inoffiziellen Fanmeile verwandelt. Hupen, Tröten, „Rossija!“. Kleine Kinder tanzen an den Händen ihrer Eltern. Junge Mädchen trotzen der Kälte in luftiger Bekleidung. Junge Männer lehnen sich bis zur Hüfte aus ihren Autos und lassen die Reifen quietschen. An der Kasaner Kathedrale klettert ein Bursche auf einen Laternenmast und hisst die russische Flagge.“

Auch Frank Hellmann (FR) schlendert mit einem breiten Grinsen im Gesicht durchs Stadion: „Bei den „Russia-Russia“-Rufe klang kein nationalistisches Triumphgeheul durch. Und die sprichwörtliche Gastfreundschaft litt auch nicht, wie eine Begebenheit aus der Fanzone in der zweiten Halbzeit zeigte: Als eine japanische Frau bat, schnell an den Massen vorbei ganz vorne an die Theke zu dürfen, weil ihr Kleinkind mal Wasser braucht, bildete sich eine Schneise, die als Vorbild jeder Rettungsgasse auf deutschen Autobahnen hätte dienen können.

Es wird gesungen, getanzt und getrunken

Christoph Cöln, Lars Gartenschläger und Julien Wolff (Welt) ziehen mit schwedischen Fans um die Häuser: „Ob in Nischni Nowgorod, wo das erste Spiel gegen Südkorea stattfand, oder nun in Sotschi: überall gelbe Jerseys, Schweden-Fahnen und Wikingermützen. Egal, wo sie auftauchen, es wird gesungen, getanzt und getrunken. Und wenn man nicht aufpasst, steckt man plötzlich in einer Schweden-Polonaise und wird aufgefordert, schwedische Schlachtrufe mitzusingen.“

Sommer in Sotschi? Stefan Hermanns (Tagesspiegel) ist dabei: „Licht und Wärme gibt es in Sotschi im Überfluss. Beim ersten Training am Mittwochvormittag brennt die Sonne vom Himmel, im Schatten sind es 27 Grad. Auch deshalb ist Sotschi ein beliebtes Reiseziel der Russen, zumindest für die, die weit über Durchschnitt verdienen. Der Ort riecht und schmeckt nach Urlaub, Souvenirläden wechseln sich mit Grillbuden ab, Palmen mit Pinien. Und da die Russen es gerne kitschig mögen, erinnert Sotschi manchmal an Disneyland mit Meerblick.“

Nach knapp der Hälfte aller Vorrundenspiele stellt man fest: Standardtore sind auf dem Vormarsch. Frank Nägele (ksta.de) weiß warum: „Gerade  bei einem Turnier, in dem Auswahlmannschaften einen mehrwöchigen Abnutzungskampf führen,  bei dem Klasse ohne unbarmherzige innere Haltung wenig hilft, ist der ruhende Ball ein Schlüssel zum Erfolg. Und mit je mehr Respekt man ihn behandelt, desto mehr wird er sich erkenntlich zeigen.“

Nach der Schlappe gegen Kroatien schleicht Lionel Messi enttäuscht vom Platz. Warum der Maestro wieder nicht glänzen konnte? Danial Montazeri (Spiegel Online) klärt auf: „49-mal ist Messi gegen Kroatien am Ball. Das sind sechs Ballkontakte mehr als sein Torwart erreicht. Einmal schießt er aufs Tor, dazu gibt er zwei Torschussvorlagen. Für solche Werte benötigt er beim FC Barcelona für gewöhnlich 20 Minuten. Dort aber hat er nicht nur bessere Mitspieler als im Nationalteam, er hat vor allem Mitspieler, die ihm permanent Räume verschaffen.“

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