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In den Wald gelockt

Oliver Fritsch | Samstag, 11. März 2006 Kommentare deaktiviert für In den Wald gelockt

Die Kampagne der Bild-Zeitung gegen Jürgen Klinsmann
Oliver Fritsch

Jürgen Klinsmann ist der mutigste Bundestrainer, den Deutschland je hatte; Jürgen Klinsmann hat in eineinhalb Jahren mehr erreicht, als selbst die Optimisten erwartet haben, allerdings nur dann, wenn er seine Spieler, wie beim Confederations Cup 2005, längere Zeit um sich hat; Jürgen Klinsmann vollzieht eine Reform am DFB, was alle Experten und Stammtischbrüder immer gefordert haben und was über sein Stellenprofil hinausgeht. Und Jürgen Klinsmann hat so viele Feinde wie kein Trainer zuvor. „Hau den Klinsmann!“ (Abendzeitung) ist zurzeit ein sehr beliebtes Spiel. Aufschlußreich ist es zudem, aus zwei Gründen: Erstens belegt es die deutsche Allergie auf neue Ideen und Menschen und zweitens den miserablen Zustand von Teilen des deutschen Fußball-Journalismus, der eine große Mitschuld am Sinkflug des deutschen Fußballs trägt.

Dieser Mann spaltet die ganze Nation. Die ganze Nation? Die ganze Nation! In allen Zeitungsteilen und Internetforen, auf allen Fernsehkanälen und Radiosendern, in allen Kantinen und an allen Theken teilt sich das Land mittlerweile in eine Pro- und eine Contra-Klinsmann-Fraktion. Diese Abneigung hat einen gesellschaftlichen und einen persönlichen Grund. Zum gesellschaftlichen: Reformen werden in Deutschland zwar in Sonntagsreden von Politikern gefordert und von den Zuhörern beklatscht, aber bei der Umsetzung klagen die Betroffenen. Der persönliche Grund ist ein anti-amerikanisches Ressentiment, das in Deutschland die amerikanische Wiederaufbauhilfe nach 1945 überlebt hat. Suspekt ist vielen Klinsmanns „amerikanischer“ Optimismus, sein „american way of life and work“ und sein Wohnort. Daß der Fußballbundestrainer, Inhaber des dritthöchsten Amts im Land, in Kalifornien lebt, gilt der Springer-Presse als Verrat am Vaterland. Sie stört auch, daß er mit seinen Mitarbeitern bevorzugt über E-Mail und Videokonferenzen kommuniziert. Deutschland im 21. Jahrhundert.

Rache für den Schwund an Macht, Einfluss und Nähe

Das Nest seiner Widersacher ist die Bild-Zeitung, sie will einen anderen Trainer. Jedes Mittel ist ihr recht, keine Stimmungsmache zu billig, kein Neururer oder Effenberg sind zu dahergelaufen, um Klinsmann ans Bein pinkeln zu lassen. Woher dieser gebellte Zorn? Es ist Rache für den Schwund an Macht, Einfluß und Nähe. Klinsmann hört nicht auf das Flüstern der Bild-Redakteure, und er behandelt sie, wie er alle anderen behandelt und wie er sie schon als Spieler behandelt hat: als Gleiche unter Gleichen. Gleichberechtigung ist die mächtigste deutsche Zeitung jedoch nicht gewohnt, sondern Privilegien. Bild findet in jedem Krümel Bestätigung für ihre Ablehnung, etwa darin, daß er sich erdreistet, einen Tag nach dem Debakel in Italien zu lächeln – ein Affront in Deutschland, wo Ernst oberste Tugend ist. Nach unten gezogene Mundwinkel und Sorgenfalten sind das mindeste, was man vom Bundestrainer nun erwarten darf. Der Höhepunkt der Kampagne gegen „Grinsi-Klinsi“ gerät zur Lachnummer: Drei Politiker des Sportausschusses des deutschen Bundestags lassen sich von Bild in den Wald locken und die Order autorisieren, daß sie Klinsmann im Parlament vorladen wollten. Er möge sein Projekt vorstellen, die WM, letzte Hoffnung der untergehenden deutschen Nation, sei in Gefahr. Die Ruhmessucht von Hinterbänklern.

Plötzlich mögen auch viele den – von Klinsmann nicht nominierten – Christian Wörns, der unter Experten, bei aller Wertschätzung für seine solide Bundesliga-Qualität, als Inbegriff des gestrigen Verteidigers gilt, und der in unverschämter Art den Bundestrainer als „link“ und „unehrlich“ tituliert. Aus der Tatsache, daß Klinsmann per Anrufbeantworter absagt, versucht die Springer-Presse, einen Skandal zu machen. Als wäre das ungeheuerlich – oder nur unüblich. Doch erst als Franz Beckenbauer ihm wegen seiner Abwesenheit beim Fifa-Workshop in Düsseldorf eine „schlechte Kinderstube“ bescheinigt, traut sich Bild, Klinsmanns Rücktritt zu fordern; auf den gesenkten Daumen des mächtigsten Deutschen, vor dem nicht nur Bild-Redakteure Männchen machen, haben sie gewartet. So viel zur Unabhängigkeit dieser Gazette. Nun wünscht sich Stefan Effenberg: Ottmar Hitzfeld statt Klinsmann. Ihr Patrioten von Bild, erinnert Ihr Euch? Hitzfeld und Effenberg sind zwei Verweigerer an der deutschen Elf!

Faules Etikett

Einen deutlichen Verweis für diese Pflichtvergessenheit des Gastgebertrainers, für diesen Verzicht auf symbolische Politik, erhält Klinsmann auch von der FAZ: „Klinsmann interessiert sich zuerst für sich und sein eigenes Wohlergehen – erst danach kommt seine Gemeinschaftsaufgabe.“ Solch harte Charakterurteile aus Frankfurt ist der Zeitungsleser nicht gewohnt, die FAZ hat Klinsmanns Kurs bisher sachlich und wohlwollend begleitet. Zu wohlwollend? Diesen Verdacht hört man auffällig schnell. Harald Schmidt hat ein paar Tage zuvor in einem Sport-Bild-Interview die angebliche Nähe der FAZ zu Klinsmann gerügt – eher: die Nähe des Klinsmann-Biographen Michael Horeni. Ein ähnlich faules Etikett hat man vor einem Jahr der SZ angeheftet: Sie sei Steigbügelhalter bei der Verpflichtung Klinsmanns im Juli 2004 gewesen und danke es ihrem Kandidaten mit Schmeichelei.

Eine ungleiche Verteilung der wichtigsten Journalistenwährung Glaubwürdigkeit: Die Befürworter Klinsmanns dürfen ihr Lob nur spärlich aussprechen; seinen Gegnern schadet nicht mal die peinlichste Kampagne und die Kraut und die Rüben in ihrer „Argumentation“. So wird aus einer Personalentscheidung für die zweite Reihe ein Machtkampf: Der DFB entscheidet sich für Matthias Sammer als Sportdirektor, einen Alt-Nationalspieler und Springer-Kolumnisten, und damit gegen Klinsmanns Kandidaten Bernhard Peters, einen sehr erfolgreichen Hockeytrainer. Der deutsche Michel mosert: Ein Hockeytrainer im Fußball? So weit kommts noch! Schlüssigere Argumente liest man von den Kritikern selten. Die SZ übrigens, die den Wahlkalifornier vor einem halben Jahr noch als den freiesten Bruder der Freiheit feierte, zwingt sich nun sogar, die Wohnsitzdebatte zu beleben. Eine Glaubwürdigkeitsstrategie?

Gegenwind

Die Stimmungsmache gegen Klinsmann ist leicht zu erklären. Erstens hat Klinsmann seit Beginn seiner Tätigkeit das alte Fußball-Deutschland, eine große, laute Männerrunde, von vorn, wenn auch lächelnd, angegriffen: Er hat Fachleute aus dem den „Fußballentwicklungsländern“ Schweiz und USA engagiert, neue Trainingsmethoden angeordnet, dabei die alten infragegestellt und Personal ausgetauscht. Das schafft Gegenwind, obwohl es in der Sache nur selten fundierten Widerspruch gibt. Jeder weiß, um den deutschen Fußball für neue Ideen zu öffnen, bedarf es eines schmerzhaften Vorgehens. Jeder weiß, der deutsche Fußball leidet an den Nachwirkungen einer verschlafenen Nachwuchsförderung in den 80er und 90er Jahren. Jeder weiß, die Bundesliga ist schwächer geworden, und die wenigsten Nationalspieler spielen dort eine wichtige Rolle.

Nebenbei, die wichtigste Kritik an dem Mann, der die Aufgabe hat, die deutsche Elf auf die WM sportlich vorzubereiten, läßt man aus: Warum verzichtet Klinsmann nun auf seinen zweiten Fitneß-Test? Ist das etwa ein Zugeständnis an den Stammtisch? Ist Physis nicht das wichtigste Kapital der jungen deutschen Mannschaft? Viele von Klinsmanns Kontrahenten würden, so weit ist die Aversion gediehen, bei einem erfolgreichen WM-Verlauf wohl nur zähneknirschend jubeln, zu weit entfernt haben sie Position bezogen. Die Bestätigung ihrer Haltung durch ein Ausscheiden in der Vorrunde wäre ihnen größere Genugtuung als die Freude über einen Finaleinzug. Deutscher Defätismus eben.

In einer sehr schlauen Analyse weist die SZ auf ein Persönlichkeitsmerkmal hin, das sie bei Klinsmann, dem Spieler, festgestellt habe: Klinsmann brauche Feindschaft, dann sei er am stärksten. Sein bestes Länderspiel hat er 1990 gegen Holland bestritten, nachdem sein Kollege Rudi Völler angespuckt wurde. Vielleicht ist sein Konfrontationskurs seine Vorbereitung auf das WM-Turnier: Spuckt mich an! Und ich werde Großes leisten!

Die Gegner sind in Vorleistung getreten, Herr Klinsmann.

Dieser Text ist in der FR vom 11. März 2006 erschienen, für deren Genehmigung zur Veröffentlichung wir herzlich danken.

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