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Big Brother bei Bayer 04
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| Donnerstag, 25. März 2004„Im Theater Leverkusen geht es immer toller zu, und dem Publikum muß es vorkommen, als würde es Zeuge immer neuer Big-Brother-Folgen, die plötzlich alle in Leverkusen spielen“, spöttelt die FAZ nach der erneuten Heimniederlage von Bayer 04 (1:3 gegen Schalke 04) und den vorangegangenen Personaldebatten um Udo Lattek und Thoma Hörster. Die Financial Times Deutschland sieht die Werkself in Anbetracht der harmlosen Spielweise „nahe an der Selbstaufgabe“und schreibt witer: „Gott ist kein Bayer-Fan, das ist sicher nach diesem Wochenende. Da feiert die Christenheit am Ostersonntag die Auferstehung Jesu, und Leverkusen läutet mit der Heimniederlage gegen Schalke die finale Etappe seines unaufhaltsamen Absturzes ein.“
Ehrliches Erschrecken, grundsolide Panik
Christian Zaschke (SZ 22.4.) traf alte Bekannte unterm Bayer-Kreuz. „Er ist wieder da, der verlässlichste Mitarbeiter der Fußball-Bundesliga. Seit ewigen Zeiten dabei, routiniert, eiskalt und doch ausgestattet mit dem herrlichsten Sinn für Humor. Lange hält dieser Mitarbeiter sich versteckt während der Saison, manche vergessen ihn völlig, obwohl sie bereits gelitten haben unter seinen Späßen. Doch dann, im letzten Drittel der Spielzeit, sitzt er plötzlich auf der Tribüne eines Vereins und grinst, lungert am Trainingsplatz herum und erschreckt die Fans, oder er tritt ohne anzuklopfen durch die Tür des Vereinsheims und sagt: „Gestatten, Gespenst. Abstiegsgespenst.“ Dazu dieses Grinsen. In diesem Jahr hat sich das Gespenst den eminent feinen Witz überlegt, den vormaligen Champions-League-Finalisten Bayer Leverkusen zu besuchen. Es wollte ihn nur ein wenig erschrecken, kleiner Spaß am Rande, und dann wieder gehen. Doch als es sah, wie wunderbar verschreckt die Leverkusener reagierten, konnte es nicht widerstehen. Es blieb (…) an jenem Ort, an dem noch ehrliches Erschrecken herrscht, grundsolide Panik und ein fein ausgeprägter Horror, um seinen bislang schönsten Witz zu präsentieren. Es entsandte einen Mann namens Udo Lattek, seit ewigen Zeiten dabei, routiniert, eiskalt, und ließ ihn sich als Trainer anbieten. Dann schickte es ihn am Sonntag auf Parade durchs Leverkusener Stadion. Das Land lachte. Leverkusen? Überlegte! Sie haben ihn dann leider doch nicht engagiert. Denn als sie in sein Gesicht blickten, da sahen sie es, ganz deutlich: dieses Grinsen.“
Jürgen Kohler hat so gar nichts von einem Herrn Direktor an sich
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 22.4.) analysiert den Niedergang in Leverkusen. „Bayer 04 war mal ein Musterbetrieb der Fußball-Bundesliga. Ein Werksklub mit all seinen Vorzügen und Nachteilen. Man arbeitete beflissen vor sich hin und wirkte aufs Publikum dennoch so fade wie eine blasse Pille. Deren innerer Wert beweist sich auch erst nach Einnahme. So richtig wahrgenommen wurde Bayer erst, als der Uefa-Cup gewonnen wurde, man später fast abgestiegen wäre, die Reise schließlich ins Fußball-Wunderland bis auf Platz zwei der Bundesliga und sogar ins Finale der Champions League führte. Bayer erwarb sich vor allem im Vorjahr den geballten Respekt der Liga. Als die Elf einst mit Rudi Völler in Abstiegsnöte geriet, mischte sich das Bedauern noch mit Häme. Und jetzt? Der neue Sportdirektor Jürgen Kohler hat so gar nichts von einem Herrn Direktor an sich. In seiner Außendarstellung reicht es nicht einmal zu einem Abteilungsleiter. Nichts gegen seine Vorliebe für den einen oder anderen kompetenten Mann, mit dem er sich noch beraten möchte. Aber Kohler selbst macht den Eindruck, als reichte seine Kompetenz nicht für seine schwierige Mission in schwierigen Zeiten. Der Ruf des Halbwaisen nach der Vaterfigur Udo Lattek brachte Calmund dermaßen auf die Palme, daß dieser im Stile des Dorfrichters Adam lospolterte (…) Dazu ist auch noch der Nachbar 1. FC Köln auf dem Rückweg in die Bundesliga. Ach, du dickes Ei, werden sie sich bei Bayer zu Ostern sagen. Das hätte den Leverkusenern gerade noch gefehlt: Köln wieder oben und sie selbst in der zweiten Liga. Noch bleiben fünf Spieltage, den Albtraum abzuschütteln.“
Der Calmund ist an allem schuld
Ulrich Hartmann (SZ 22.4.) beschreibt die Stimmungslage in Leverkusen. „Als am Stadion die Dämmerung einsetzte, schob Bernd Schneider Überstunden im Kundendienst. Umringt von folkloristisch gekleideten Endverbrauchern gab der Leverkusener bereitwillig Auskunft über Firmenphilosophie und Mitarbeitermotivation. Die Fans zeigten sich dabei gewohnt extrovertiert. „Mit dem Lattek macht Ihr Euch lächerlich“, polterte einer und erntete Zustimmung. „Ich sehe das ähnlich“, antwortete Schneider leise und schaute sich konspirativ um. Bald kam das Gespräch auf seine Zukunft in Leverkusen, bald auf die Leistungen der Mannschaft, aber da war Schneider dann schon nicht mehr so zugänglich. Mit manchem Schulterzucken lavierte sich der Nationalspieler durch die Fragestunde für die Fans. „Dabei kannst Du ja noch am wenigsten für die ganze Scheiße“, sagte einer und ließ sich ein Autogramm aufs Trikot kritzeln. Den Menschen in Leverkusen ist in diesen Tagen nach Konversation zumute. Dieses Bedürfnis hat das 1:3 gegen Schalke noch verstärkt. Weil die Fußballer das erschlagende Argument eines Sieges nicht fanden und trotz einer anfänglich ambitionierten Vorstellung schließlich wieder mit leeren Händen da standen, gehen die Diskussionen weiter um einen Klub, dem vor einem Jahr alles gelang – und nun nichts mehr (…) Als nach Spielschluss die ersten weinenden Fans auf der Tribüne kauerten – bei abstiegsgefährdeten Klubs ein untrügliches Zeichen für die Dimension der Not – beteuerte im Innern des Stadions Reiner Calmund zum wiederholten Male, er übernehme gern die volle Verantwortung für den Niedergang – persönliche Konsequenzen schloss er allerdings aus. Das Durchhaltevermögen des Geschäftsführers imponiert nicht allen Anhängern des Vereins, und das teilten sie dem Klubangestellten Bernd Schneider zu vorgerückter Stunde dann auch sehr offen mit. „Der Calmund ist an allem schuld“, schrie in der abendlichen Fragestunde einer erregt aus der zweiten Reihe. Schneider schwieg. Es war schon alles gesagt.“
ein lesenswertes Calmund-Portrait
Ich ruf gleich wieder an, ich quatsche grad mit dem Bernd Schneider
Erik Eggers (taz 22.4.) sieht schwarz. „Was passiert euch denn, wenn wir absteigen?, fragte ihn die Vox populi, oder spielst du etwa weiter in Leverkusen? Schneider, dem für diesen Fall ein Angebot aus Dortmund vorliegt, ging darauf nicht ein. Sondern bat die Fans um Unterstützung auch für das kommende Auswärtsspiel in Mönchengladbach. Die Begegnung barg schöne Miniaturen: Wie ein weiblicher Fan aus einem halben Meter Entfernung immer wieder das Gesicht ihres großen Idols musterte. Wie jemand unter allgemeinem Johle in sein Handy sprach: Ich ruf gleich wieder an, ich quatsche grad mit dem Bernd Schneider. Rund 20 Minuten stand der Nationalspieler da, vermittelte Nähe, gab Autogramme und ließ sich bereitwillig fotografieren. Die Szene lieferte das Bild dieses Tages: Bernd Schneider scheint der Einzige in Leverkusen, der überhaupt noch Kontakt zur Außenwelt besitzt. Alle anderen im Kokon des Noch-Vizemeisters scheinen diesen längst verloren zu haben. Das vermittelten jedenfalls die Aussagen der Verantwortlichen nach dieser Partie, die erneut alle Mankos der Mannschaft manifestierte: fehlender Biss und Zaghaftigkeit im Zweikampf, kein Siegeswillen, verblüffende Harmlosigkeit im gegnerischen Strafraum, mangelnde Entschlossenheit, wie sie sich unter anderem in dem zu späten Herauslaufen Jörg Butts vor dem entscheidenden 1:2 durch Sand äußerte. Vor allem aber ist dieses Team offenbar unfähig, ein Spiel zu drehen; zwei Halbchancen nach dem Rückstand sprachen erneut ein deutliche Sprache. Bleibt es bei dieser Unfähigkeit, wird die Mannschaft, deren Fußball vor elf Monaten noch halb Europa verzauberte, unweigerlich absteigen. Nur einer scheint neben Schneider den Willen zu besitzen, sich nicht in dieses Schicksal zu fügen: Lucio.“
Latteks ausgedehnte Werbeveranstaltung in eigener Sache
Peter Heß (FAZ 22.4.) versetzt sich ins Innere der am Abstiegskampf Beteiligten. „Das Gnädige an Albträumen ist ihre Kürze. Nach ein paar Minuten oder Stunden erwacht der Gepeinigte. Zurück bleibt höchstens ein mulmiges Gefühl und verschwitzte Bettwäsche. Bayer Leverkusen wird diese Gnade nicht zuteil. Den Bundesligaverein quält schon seit Monaten ein Albdruck. Er wird voraussichtlich noch fünf Wochen andauern, und am Ende werden die Auswirkungen des bösen Traumes nicht mit einer Waschmaschinenladung bereinigt sein (…)Was hat Bayer nicht schon alles getan? Trainer Toppmöller entlassen, Amateurcoach Hörster zum Chef berufen, Kohler zum Sportdirektor befördert, den Namen Lattek als Berater ins Spiel gebracht: Jetzt soll ein anderes, bisher noch nicht ausprobiertes Mittel helfen: Ruhe und Selbstbesinnung. Ob’s hilft? Auf jeden Fall wird Leverkusen, falls es sich an die selbstverordnete Verhaltensweise hält, ein besseres Bild in der Öffentlichkeit abgeben. Daß Altmeistertrainer Lattek die Leverkusener Situation zu einer ausgedehnten Werbeveranstaltung in eigener Sache mißbrauchen konnte, war dieses Vereins nicht würdig: Ich würde das nicht machen – Ich wäre verrückt genug, es zu tun – Ich habe mich auf dem Flug von München hierher entschieden, dem Verein nicht als Trainer oder etwas Ähnliches zur Verfügung zu stehen. Nach Jahren besetzte Lattek wieder einmal Schlagzeilen, nachdem er als Fernsehkommentator eher weniger Aufmerksamkeit erregt hatte. Es wird nun wieder ruhiger um ihn werden, nachdem er sich am Sonntag endgültig öffentlich gegen ein Angebot entschied, das er nicht hatte. Latteks Wiederbelebung wurde nur durch Hörsters Hinweis möglich, er klammere sich nicht an seinen Job in exponierter Stellung, falls die sportliche Leitung einen besseren Mann für diesen Posten hätte. Einiges spricht dafür, daß der neue Sportdirektor Kohler und der alte Geschäftsführer Calmund diese Frage unterschiedlich bewerteten. Im Moment gilt Calmunds Richtlinie: Das Trainerthema ist erledigt, wir werden den Trainer nicht mehr wechseln. Und prompt gab Hörster wieder den harten Hund: Einen Rücktritt von mir wird es nicht geben.“
Interview mit Reiner Calmund SpOn
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