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Fußballspiel als nationale Katharsis

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Fußballspiel als nationale Katharsis

begeisterte und kritische Rezensionen – SpOn-Interview mit Sönke Wortmann, dem Regisseur

Fußballspiel als nationale Katharsis

Holger Gertz (SZ 16.10.) erklärt die Ausstrahlungskraft der Berner Helden: „Die elf Fußballer von Bern eignen sich perfekt zur Verklärung: Sie kamen aus dem Nichts und in allem, was sie nach dem 3:2 gegen Ungarn taten und schrieben, nährten sie den eigenen Mythos; blieben sie die elf braven Freunde, als die sie mit ihrem WM-Titel 1954 ihrem Land ganz unabsichtlich sein Selbstwertgefühl zurückgegeben hatten. Sie gaben kaum Interviews, die schweigsamen Helden, zu diesem Sieg gab es nichts mehr zu sagen. Es ist das arglos Reine, das die Elf von Bern zum Mythos hat werden lassen. Die Szenen vom Spiel – nur in Schnipseln noch erhalten – illustrieren diesen Charakter: Zu sehen sind Männer mit hageren Nachkriegsgesichtern, die kämpfen, aber nicht foulen; deren Jubel Freude ausdrückt, auch Überraschung, aber niemals diese pubertäre Überheblichkeit wie die Siegesgesten der späteren Stars Effenberg oder Matthäus. Selbst als Fritz Walter den Coupe Jules Rimet entgegennimmt, den Weltmeisterpokal, wirkt er – durchnässt, schmächtig, mit hängenden Schultern – wie ein Junge, der sich fast schämt, das große Geschenk anzunehmen, das das Schicksal ihm und seinen Mitspielern gerade gemacht hat. Die deutsche Mannschaft wirkte wie ein Gegenentwurf zum deutschen Menschen des gerade vergangenen Dritten Reichs, aber auch wenn Bundespräsident Theodor Heuss später bei einer Feierstunde erklärte: „Aus Ihrem erfreulichen Sieg haben manche Leute ein Politikum gemacht. Wir wollen die echten Werte nicht verschieben lassen“ – zum Politikum wurde dieses Spiel überhöht, sobald die neunzig Minuten vorbei waren. Es lieferte den Interpretatoren eine perfekte, glatte Folie, um wieder und wieder ihre Geschichte von einem Fußballspiel als nationale Katharsis zu erzählen. Die Geschichten klingen so, als hätte es kein Wirtschaftswunder gegeben ohne dieses Spiel; als hätte sich das Land nicht aus der Umklammerung der Vergangenheit befreien können, wenn die Mannschaft in der Vorrunde ausgeschieden wäre. Dieser Mythos speist sich wie alle Mythen aus den Geschichten, die um ihn herum gestrickt worden sind.“

Größer als in der Szene mit dem Chef und der Putzfrau kann Kino nicht sein

Klaus Brinkbäumer (Spiegel 6.10.) ist berührt: „Vor knapp 50 Jahren schlugen die Deutschen die Türkei 4:1, sie verloren 3:8 gegen Ungarn, sie schlugen die Türkei noch einmal, jetzt 7:2, und auf Rechtsaußen spielte Berni Klodt. Der Boss saß auf der Zuschauerbank, er büxte aus und ging saufen. Im Wunder von Bern streift Sepp Herberger deshalb schlaflos durchs Hotel und trifft ein putzendes Mütterchen. Soll er Rahn morgen nach Hause schicken? Man muss auch mal fünfe gerade sein lassen, sagt die Putzfrau. Ohne Fleiß kein Preis, sagt Herberger. Wenn der Apfel reif ist, fällt er von selbst vom Ast, sagt die Putzfrau. Früher Vogel fängt den Wurm?, fragt Herberger. Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 90 Minuten, sagt die Putzfrau. Natürlich kann man diesen Film so sehen wie die Zeit-Kritikerin, die Wortmann vorhält, die Nachkriegszeit rosarot zu malen, doch wieso sollte man? Es ist Kino. Man kann sich immer eine andere Geschichte wünschen, man könnte ja immer auch eine andere erzählen. Wortmann hat diese erzählt, weil er früher seinen Vater persönlich für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht hat und heute versöhnt ist, weicher, frei von Ideologie. Und größer als in der Szene mit dem Chef und der Putzfrau kann Kino nicht sein (…) Wortmann sagt, das Wunder von Bern sei exakt so geworden, wie es werden sollte. Er ist Regisseur, Produzent und Drehbuchautor, er hat seine eigene Geschichte und die Geschichte Deutschlands zum Thema gemacht, nirgendwo steckt so viel von mir drin wie in diesem Film, sagt er. Seine alten Filme mag Wortmann nicht mehr, er sieht sie sich nicht an, er entdeckt immer bloß Fehler. Kleine Haie zum Beispiel, als sein bestes Werk gefeiert: Da gibt es die Schlüsselszene, in der Jürgen Vogel vor die Prüfungskommission der Schauspielschule tritt und langsam begreift, wie spießig, wie dämlich die Damen und Herren sind. Jürgens Gesicht müsste man in Nahaufnahme sehen, aber ich habe das nicht gedreht, sagt Wortmann. Diesmal gebe es keine Fehler. Das ist es nun, sagt er. Das Lebenswerk. Ein Film dauert 118 Minuten. Nach dem Film ist vor dem Film? Diesmal nicht. Mehr kann ich nicht, sagt Sönke Wortmann, ich sollte jetzt aufhören, das meine ich ganz ernst. Zumindest eine lange Pause machen. Er macht eine kurze Pause. Und, fragt Wortmann dann, wie ist der Film? Der Film ist mutig, der Film ist voller Witz und voller Trauer. Besseren Fußball hat es im Kino noch nicht gegeben. Das Drehbuch wirkt überfrachtet, es gibt drei Ebenen: die Lubanskis, die Mannschaft, dazu einen Sportreporter plus Gattin. Auf der Leinwand tragen die Ebenen sich gegenseitig, es funktioniert. Aber?, fragt Wortmann. Aber es gibt Stellen, da rutscht Das Wunder von Bern über die Grenze zwischen Gefühl und Kitsch hinweg, vielleicht liegt das daran, dass der Regisseur seinem Publikum wenig zutraut. Am Ende sitzt Vater Lubanski neben seinem Sohn im Zug und weint. Muss Matthias wirklich sagen: Ich finde, deutsche Jungs können ruhig auch mal weinen? Das Bild hat Kraft, der Kommentar überlädt es. Das ist der letzte Satz des Films, sagt Sönke Wortmann, Scheiße.“

Sie haben das Wunder von Bern gesehen?! Ihre Eindrücke.

Dummes Verständnis von der eigenen Profession

Fritz Göttler (SZ16.10.) hält dagegen: „Als prächtiges Instrument der Geschichtsschreibung hat das Kino von seinen Anfängen an sich verstanden, und das keineswegs objektiv, sondern engagiert, mit Pathos und Emotionen. Die großen historischen Events festgehalten oder wieder belebt von der Kamera. Mit der Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof von Essen beginnt die Geschichte bei Sönke Wortmann, im Sommer 1954. Ein Vater kehrt zurück, lange, viel zu lange ist er in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Die Mutter und ihre Kinder haben gelernt, ohne ihn zurecht zu kommen. Bald werden wir wieder eine richtige Familie sein, hatte die Mutter bei der Nachricht von der Freilassung verkündet. Aber der Vater, der einst fehlte, ist nun fehl am Platz. Bahnhofszenen funktionieren immer fabelhaft im Kino. Momente, da nur die Blicke zählen, dieses Zögern im Aufeinanderzugehen, bei den Körperkontakten. Ein faszinierendes Ineinander von Nähe und Fremdheit. Nach dem großen Bahnhof fangen die bitteren Lehr-Wochen des Vaters an. Er muss umlernen für seine Rolle. Er muss seine Verkrampfung loswerden, muss wieder spielerisch frei werden. Wenn er ihm dabei auf den Fersen bleibt, gewinnt der Film selbst eine angenehme Lockerheit. Aber dann wendet er sich wieder der parallel laufenden Geschichte von der Berner Weltmeisterelf zu – und alles wird steif und zäh (…) Sönke Wortmann hat den Film zu seinem magnum opus erklärt – mehr könne ein Regisseur nicht schaffen in diesem Land. Eine groteske Attitüde, ein dummes Verständnis von der eigenen Profession, ausgerechnet bei einem, der sich gern aufs amerikanische Kino beruft, der in Hollywood einen Film dort bereits realisieren konnte. Wird das „Wunder von Bern“ seinen eigenen Standards wirklich gerecht? (Der beste Fußballerfilm bleibt, nebenbei gesagt, „Die entführte Braut – Roxi und das Wunderteam“, 1938, von Johann Vaszary, mit Hans Holt. Entstanden im Schatten der Niederlage einer ungarischen Fußballelf gegen das österreichische Wunderteam.)“

Diedrich Diedrichsen (Zeit 16.10.) wirft ein: „Es ist eine in diesen Tagen viel beschworene Wahrheit, dass man keine Filme über Fußball drehen kann. Die Ausnahme bildet Helmut Costards Fußball wie nie, der ein ganzes Spiel nur die Beine von George Best, dem „Fußball-Beatle“ der sechziger Jahre, beobachtete. Selten indes werden die Gründe für die Regel benannt. Hier wären welche: Ein Spielfilm muss immerzu einen Sinn ergeben, darf keinen Leerlauf zulassen, muss um Aufmerksamkeit und Empathie buhlen und ist daher selten wirklich überraschend. Er unterliegt dem mittlerweile die gesamte Konsumkultur strukturierenden Zwang, einem Plot zu dienen. Ein Fußballspiel hingegen kennt endlose, öde Phasen quälender Ereignislosigkeit, erzählt nicht, wird nicht sinnvoll, gerät völlig außer Form und Gestalt, versinkt im Matsch und – jederzeit kann alles passieren. Wenn es passiert, dann versöhnt dieses große überraschende Ereignis mit allen anderen Ereignissen im Leben. Gleich beginnt das Wirtschaftswunder – In Wortmanns Film kickt sich der Nachwuchs durch den dunkel-schlammigen Ruhrpott Deswegen haben die Deutschen auch geglaubt, dass mit dem überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft von 1954, dem so genannten Wunder von Bern, alles Böse vorbei und vergolten sei. Der gleichnamige Film von Sönke Wortmann handelt denn auch weniger von Fußball als von diesem deutschen Gefühl, den Zweiten Weltkrieg eher erlitten als veranstaltet zu haben und nach der schrecklichen Niederlage auf dem einen Feld nun auf dem anderen endlich Recht bekommen zu haben. Und der Film gibt den Deutschen weitgehend Recht bei ihrem Gefühl. Ein abschließend über den Zug mit den heimkehrenden Weltmeistern geblendeter Text meldet, dass direkt nach diesem Sieg auch das Wirtschaftswunder losging. Die einzige Person, die kurz auf deutsche Verbrechen verweist, ist der kommunistische Bruder unserer Hauptfigur. Und er tut in vorauseilendem Gehorsam, was Volkes Stimme von Kommunisten erst zehn Jahre später lautstark verlangte: Er geht nach drüben. Aber auch dort, im FDJ-Hemd, verfolgt der im Herzen deutsche Junge gebannt das Endspiel. Sönke Wortmann, der selbst einmal eine Fußballerkarriere anvisierte, weiß um den unverfilmbaren Fußball und hat sich für zwei andere Filme entschieden: zum einen für eine Schmonzette über Vater, Sohn und die Deutschen als Opfer, zum anderen für einen heiteren Bilderbogen über die Fünfziger, ihre Tapetenstoffe, ihre DKWs, ihre Frisuren.“

Kino ist immer ein bisschen Mythos

SpOn-Interview mit Sönke Wortmann

SpOn: Warum haben Sie einen Stoff, gewählt, den Sie gar nicht persönlich erlebt haben, sondern eher aus Nacherzählungen kennen?

SW: Kino ist ja immer ein bisschen Mythos. Es darf ja immer ein bisschen größer als das Leben sein. Natürlich habe ich 1954 noch nicht gelebt. Aber Wolfgang Petersen, der ja mit Das Boot den besten deutschen Nachkriegsfilm gedreht hat, war auch nie U-Boot-Fahrer. Es schließt sich nicht aus, dass man einen Stoff in den Griff bekommt. Um das ganz mal etwas positiver anzugehen: Der WM-Gewinn war die größte sportliche Sensation des 20. Jahrhunderts. Zumindest aus deutscher Sicht. Es war mehr als ein Spiel. Es hat das Land verändert. Wenn das kein Thema für einen Kinofilm ist, dann weiß ich gar nichts mehr.

SpOn: Was macht den Mythos der ‚54er-Mannschaft aus?

SW: Aus sportlicher Sicht ist damals ein Selbstvertrauen entstanden, das jede Nationalmannschaft der Deutschen heute noch auszeichnet. Immer denkt man, die können das noch drehen. Zum Beispiel WM 1982, Deutschland gegen Frankreich: In der Verlängerung schießen die Franzosen zwei Tore und führen 3:1. Ich hatte damals das Gefühl und die Spieler eben auch: Wir schaffen das noch. Vielleicht kommt dieser Wille von dem 54-Spiel her.

SpOn: Aber an der ‚54er-Mannschaft haftete ja immer noch ein bisschen vom Atem des Nationalsozialismus, beispielsweise durch die personelle Kontinuität von Trainer Sepp Herberger oder die Rolle des DFB im dritten Reich. Es war ja nur neun Jahre nach Kriegsende.

SW: Neun Jahre sind schon kurz. Ich kann dabei aber nichts Schlimmes finden. Wenn ein Land durch ein Sportereignis wieder neuen Lebensmut schöpft, hilft das ja auch der demokratischen Entwicklung. Ich glaube, es war ganz gut, dass die Deutschen 1954 Weltmeister geworden sind. Ein Land oder ein Volk, welches am Boden liegt, ist immer leichter anfällig für Rechtsradikale als eine gesunde Demokratie.

SpOn: Was hat Sie an der Figur Helmut Rahn als Hauptakteur der ‚54er-Mannschaft gereizt?

SW: Es war das Lebenslustige. Er hatte Ecken und Kanten, das war in den fünfziger Jahren nicht unbedingt üblich. Die sind alle noch in Befehl und Gehorsam aufgewachsen. Rahn war meines Wissens der einzige, der auch mal Widerworte gegeben hat, eine eigene Meinung hatte und die auch vertreten hat. Er war ja am Anfang der WM nur Ersatzspieler und hat sich im Verlaufe des Turniers durchgesetzt. Wenn man im Endspiel ein Tor vorbereitet und selber zwei schießt, ist das natürlich ein Heldenstück. Deswegen Helmut Rahn, außerdem kommt er noch aus dem Ruhrgebiet wie ich. Das verbindet.

SpOn: Wie nah sind Sie an Helmut Rahn heran gekommen?

SW: Leider gar nicht. Ich war einer von den vielen, die sich an ihm die Zähne ausgebissen haben. Er hatte sich ja bereits vor 20 Jahren, nachdem er ein bisschen Ärger mit der Presse gehabt hat, völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen mit den Abschiedsworten: Ihr könnt mich alle mal, ich sag‘ gar nichts mehr. Das hat er knallhart durchgehalten, bis zu seinem Tod. Leider war es nicht möglich, ihm den Unterschied zwischen Presse- und Kinofilm klar zu machen. Sobald Rahn eine Kamera in der Nähe erspähte, hat er sofort abgewinkt. Schade war, dass er den Film nicht mehr sehen konnte. Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass er zur Premiere kommt, aber ich hätte ihm natürlich ein Video geschickt, das er sich mal in Ruhe hätte angucken können.

(15.10.) Interviews mit Regisseur Sönke Wortmann, Fritz Walter-Darsteller Knut Hartwig, Hauptdarsteller Peter Lohmeyer – kritische und gemäßigte Rezensionen

Ich stehe unheimlich auf Pathos

FR-Interview mit Sönke Wortmann

FR: Warum steht Rahn im Vordergrund?

SW: Er bot sich wegen seiner Persönlichkeit einfach dazu an, er hat nun einmal die entscheidenden Tore im Endspiel geschossen. Dazu war er immer das Enfant terrible, während die anderen in der Mannschaft doch mehrheitlich brave deutsche Arbeiter waren. Rahn war immer jemand, der seine Meinung gesagt hat, und das war in den 50ern noch schwieriger als heute. Er hat immer die Leute polarisiert; mal hat er einen zu viel gehoben, dann ist er aus dem Hotel abgehauen, und es gab während des Turniers ja noch die Auseinandersetzung: Spielt Berni Klodt den Rechtsaußen oder eben Rahn. Das ist natürlich eine Filmfigur, wie man sie sich nicht besser wünschen kann.

FR: Sie zerstören den Mythos der Helden nicht, war das Ihr Anspruch?

SW: Ich wollte auf keinen Fall die Spieler demontieren, die kann man gar nicht genug würdigen. Die sind unter sensationellen Bedingungen Weltmeister geworden gegen eine Mannschaft, die viereinhalb Jahre nicht verloren hatte. Natürlich wollte ich aber auch zeigen, dass auch damals Leute aus dem Trainingslager abgehauen sind, wie in jedem Trainingslager. Die haben sich aber so gut verstanden miteinander, das finde ich schon fast beängstigend. Bei meinen Recherchen habe ich gehofft herauszufinden, dass der eine vielleicht den anderen nicht mochte oder Helmut Rahn und Fritz Walter hätten sich auf dem Zimmer geprügelt. Aber das passierte einfach nicht, die waren wirklich befreundet.

FR: Sie entlarven aber gleichwohl die Mär vom absichtlich hoch verlorenen Vorrundenspiel gegen die Ungarn.

SW: Dieser Mythos ist in der Tat erst später entstanden. Leute, die dabei waren, haben mir das Gegenteil berichtet. Natürlich hat er einige geschont, aber Fritz Walter und Horst Eckel zum Beispiel haben ja gespielt. Aber wenn ich jemanden schone, dann doch in erster Linie Fritz Walter, die Seele des Spiels. Das hat Herberger nicht gemacht. Mir wurde gesagt: Er hat schon versucht, auch dieses Spiel zu gewinnen. Das ist einfach nur kläglich gescheitert.

Später wurde ihm das als großer Plan ausgelegt, Herberger wurde zum Weisen von Bern.

Das spricht für Herberger, dass er das später zugegeben hat. Aber das wollten ja die Medien hören, die Legendenbildung. Dass er das mit Absicht verloren hat, klingt ja viel schöner.

FR: Auf die enorme Wirkung des Sieges von Bern gehen Sie nicht weiter ein, warum?

SW: Ich hatte immer das Bild im Kopf, dass der Zug mit den Weltmeistern in die aufgehende Sonne fährt. Dieses Wir-sind-wieder-wer-Gefühl hat sich auch erst später eingestellt. Ich habe versucht, die Brücke zur Zukunft mit drei Einblendungen zu schlagen. Eine handelt von den zurückkehrenden Kriegsgefangenen, eine weitere vom Wirtschaftswunder, das damals begann. Bei der letzten Einblendung kriege ich immer eine Gänsehaut: Die Elf von Bern spielte nie wieder zusammen. Da ist eine Mannschaft, die vom Schicksal zusammengeführt wurde, um etwas zu erreichen.

FR: Kritiker sagen, einiges sei zu nah am Nationalismus und kommen dann mit der Hymne, deren erste Strophe nach dem Abpfiff von den deutschen Zuschauern gesungen wurde. Darauf verzichten Sie, hatten Sie da Berührungsängste?

SW: Nee, eigentlich nicht, ich trau mich, alles zu thematisieren. Auch Dinge, wofür ich im eigenen Lager stark kritisiert werden würde. Aber wenn so etwas auf ein Spiel hinläuft, dann ist der Höhepunkt die Siegerehrung und die Pokalübergabe. Warum soll ich den Fritz Walter wieder runterklettern lassen? Das ist völlig kontraproduktiv. Ich will ja ein Heldenepos machen!

FR: Das ist eine große Gefahr beim Fußball: Dass man abgleitet vom Pathos in billigen Kitsch.

SW: Ich stehe unheimlich auf Pathos, damit habe ich überhaupt keine Probleme. Aber man muss sich trauen, die Deutschen trauen sich einfach nicht. Allein dadurch, dass ich vor dem Spiel die deutsche Nationalhymne zeige, kamen schon Leute zu mir und sagten: Das kannst du nicht machen. Ich sagte dann immer: Wieso nicht? Wir sind ein Land, und es gibt die Nationalhymne, die vor jedem Spiel heute auch abgespielt wird. Das ist eine Schere im Kopf, die bei vielen Leuten vorher schon stattfindet.

Dietrich Kuhlbrodt (taz 15.10.) kritisiert die Nebenhandlungen: „ Drei zu zwei gegen Ungarn. Deutschland ist Weltmeister. Wir sind wieder wer. Gleich nach dem Fußballwunder kommt das Wirtschaftswunder. Leider folgt dem jetzt nicht das Filmwunder. Regisseur Sönke Wortmann hat den Film zwei zu drei vergeigt. Zwar schießt die Kamera (Tom Fährmann) treffsicher die von Uli Hanisch liebevoll gestalteten, inspirierten und detailgenauen Szenenbilder. Die Fünfzigerjahre des Ruhrgebiets, noch trist, aber von vager Hoffnung erfüllt, werden in Bauten, Kostümen und Requisiten präsent. Garantiert nostalgiefrei, die Heimat des Torschützen Helmut Rahn. Die Ausstattungsdramaturgie und die Gefühle, die sie weckt: ein glattes Tor. Und nun das zweite: das historische Fußballspiel, nachgespielt im Ruhrgebiet, da das Berner Wankdorfstadion in die Luft gejagt und zum ground zero gemacht ist – das Spiel ist grandios nachinszeniert. Richtig was zum Ankucken. Auch wenn man vom Fußball keine Ahnung hat. Aber, jetzt kommts, das Weltmeisterspiel ist gar nicht das Hauptthema des Films. Wir sollen uns stattdessen für das Schicksal eines Heimkehrers interessieren, im Weltmeisterjahr soeben aus sibirischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Peter Lohmeyer spielt den wiedergewonnen Familienvater seltsam lieblos, undifferenziert und eindimensional. Ein zickiger Macho nervt nicht nur Sohn und Frau, sondern auch den Zuschauer. Schwer katholisch ist er auch, und so werden wir wieder stracks aus der klasse Fußballstimmung rausgerissen und landen in der Essener Kirche, wo Maria gebenedeit ist unter den Weibern. Foul, Sönke Wortmann! Bittschön, das geht schon in Ordnung, den Kontext zur Zeit herzustellen, in der Adenauer in Moskau für die Freilassung der letzten Gefangenen sorgte. Aber was nützt die perfekte Ausstattung, wenn der Hauptdarsteller nicht mitspielt?“

SpOn-Interview mit Peter Lohmeyer, Hauptdarsteller im „Wunder von Bern“

SpOn: Sie sind ein großer Fußballfan. Ist für Sie ein Traum in Erfüllung gegangen, beim Wunder von Bern dabei zu sein?

PL: Immer wenn ich höre, dass in Deutschland ein Fußballfilm gemacht wird, bekomme ich große Ohren. Wenn dieses Projekt ohne mich stattgefunden hätte, wäre ich todtraurig gewesen. Als ich das Gerücht mitbekam, dachte ich gleich: Fußball, 1954, mindestens elf Spieler – von denen will ich einer sein, das muss ich spielen.

SpOn: Wollten Sie Fritz Walter mimen? Oder Helmut Boss Rahn?

PL: Rahn wäre von der körperlichen Konstitution nicht gegangen. Aber insgesamt fand ich mich dafür auch nicht zu alt, die sahen ja verdammt alt aus nach dem Krieg. Aber am Ende hat es mich nicht mehr gefuchst, dass ich keiner der WM-Helden sein sollte. Schlussendlich habe ich im Film ja auch eine nette Fußballszene.

SpOn: Sie kicken alleine auf dem Spielfeld, mehr Acker denn Platz, mit einem aus Lumpen zusammen genähten Ball, den sonst die Kinder benutzen. Dann kommt Ihre spektakuläre Einlage und alles wird anschließend gut. Wird man durch einen Fallrückzieher ein besserer Mensch?

PL: Auch so eine Aktion trägt dazu bei, das Gemüt zu verbessern, sofern man den Ball erwischt. Natürlich reicht es nicht, um ein besserer Mensch zu werden. Aber als Bild reicht es vielleicht, einen Weg zu beschreiben, dass man irgendwo hinkommt, wo doch ein bisschen Hoffnung ist.

Den schwierigen Doppelpass zwischen Fußball und Film beschreibt Michael Althen (FAZ 15.10.): „Sollte Sönke Wortmanns Film Das Wunder von Bern ein Erfolg werden, dann hätte er ihn sich redlich verdient. Auch wenn das Thema zwingend erscheinen mag, ist seine Aufbereitung fürs Kino ein mehr als riskantes Unterfangen. Fußball und Film sind noch nie glückliche Verbindungen eingegangen, am allerwenigsten an der Kinokasse. Anders als Sportarten wie Baseball, bei denen die Kamera immer wieder auf die eindeutige Grundsituation von Werfer und Schläger zurückgreifen kann, die dem Mythos vom Duell entspricht, scheint sich das Fußballspiel der filmischen Umsetzung zu entziehen. Man hat allerdings den Eindruck, daß das eher am mangelnden Mut der Regisseure liegt als an einer tatsächlichen Unvereinbarkeit der Formen. Schließlich hat sich jeder Fußballfan in seiner Kindheit in jene spielentscheidenden Situationen hineingeträumt, die von derselben Personalisierung leben wie entsprechende Szenen aus Baseballfilmen. Es ist womöglich leichter, einen amerikanischen Schauspieler zu finden, der glaubhaft einen Baseball werfen kann, als einen deutschen Mimen, dem man den Fußballspieler abnähme. Als einst für Das große Spiel der entscheidende Schuß in den Torwinkel gedreht werden sollte, trat der Schauspieler so oft daneben, daß sein einziger Treffer im Film letztlich auch nicht verwendet werden konnte, weil alle 22 Spieler auf dem Feld vor Erleichterung über den endlich gelungenen Schuß gejubelt hatten. Sönke Wortmann war also klug genug, den Spieß umzudrehen: Er suchte nicht Schauspieler, die auch Fußball spielen können, sondern Fußballer, die auch als Schauspieler eine passable Figur machen würden. Daß sie tatsächlich eher durch ihre fußballerischen als ihre schauspielerischen Fähigkeiten überzeugen, stört insofern nicht, als man ja gewohnt ist, daß Fußballer außerhalb des Platzes auch im Fernsehen eher hilflos agieren (…) Wortmann hat die Fußballszenen bei einer Firma für Rollrasen gedreht und die Zuschauer erst hinterher digital einkopieren lassen, was tatsächlich lebendiger wirkt als alle anderen filmischen Verlegenheitslösungen. Was die fußballerische Seite angeht, ist Das Wunder von Bern also durchweg gelungen, auch weil es den Spielern gelingt, die etwas behäbigere Spielweise der fünfziger Jahre präzise nachzuahmen. Und wenn Sascha Göpel als Helmut Rahn das entscheidende Tor schießt, kann man sich genausowenig der Tränen erwehren, wie das vor fünfzig Jahren gewesen sein mag. Wenn am Ende das Resultat stimmt, neigt man beim Fußball dazu, etwaige Schwächen gnädig zu vergessen. Im Kino gelingt das naturgemäß weniger gut. Deshalb muß man feststellen, daß die Dialoge in Wortmanns Film manchmal ebenfalls so wirken, als hätte eine Drehbuch-Software sie in die Handlung einkopiert. Aber womöglich ist es gerade das Holzschnittartige der Rahmenhandlung, was die Fußballszenen und das Endspiel selbst so zur Wirkung bringt.“

Ich weiß jetzt, wie es 1954 beim Wunder von Bern zuging

SZ-Interview mit Knut Hartwig, Darsteller des Fritz Walter

SZ: Herr Hartwig, mit dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft ist Ihnen gelungen, wovon Generationen träumen. Wie ist es, als Held von Bern den Pokal überreicht zu bekommen?

KH: Atemberaubend, wunderschön. Wenn du den Pokal in den Händen hältst und von den Teamkollegen der Nationalmannschaft auf Schultern getragen wirst, kannst du den großen Moment spüren. Ich weiß jetzt, wie es 1954 beim Wunder von Bern zuging.

SZ: Für einen Amateur-Fußballer haben Sie es ja ganz schön weit gebracht?

KH: Stimmt, im wirklichen Leben spiele ich in der Oberliga Nordrhein für Borussia Wuppertal. Da sind wir Mittelmaß. Weltmeister werde ich ja nur im Kino. Im „Wunder von Bern“ durfte ich den Fritz Walter spielen.

SZ: Auf welchem Bolzplatz wurden Sie denn für diese Rolle entdeckt?

KH: Das ging schon alles sehr merkwürdig vonstatten. Vor drei Jahren las ich eine Zeitungsanzeige, in der der Regisseur Sönke Wortmann Fußballer mit Oberliga-Reife und Schauspielerfahrung für seinen WM-Film suchte. Die Bedingungen habe ich locker erfüllt. Auf dem Gymnasium spielte ich in der Theater-AG ein paar kleine Rollen und für den VfL Bochum saß ich 1990 vier Mal auf der Bundesligabank. Später absolvierte ich 74 Zweitliga-Einsätze für den Wuppertaler SV und war ich noch in der Regionalliga bei Preußen Münster und RW Essen aktiv. Da habe ich mich aus purer Neugier schriftlich bei Wortmann beworden.

SZ: Haben Sie sich beim Probetraining besonders angestrengt?

KH: Das Casting lief locker ab. 1000 Fußballer hatten sich beworben. Wir trafen uns in übersichtlicheren Gruppen an einem Februar-Sonntag bei null Grad auf einem Aschenplatz in Köln und spielten zehn gegen zehn. Wie ich nun mal so bin, habe ich versucht, mannschaftsdienlich zu spielen. Vorne grätschen, hinten aushelfen. Wortmann kickte mit und sagte mir, ich hätte einen guten Eindruck hinterlassen.

SZ: Was war Ihre größte Szene?

KH: Ganz klar die Einstellung zum 2:2 im Finale. Jeder kennt das doch aus dem Fernsehen. Ich schlug eine Ecke millimetergenau an den zweiten Pfosten, der Boss, also der Helmut Rahn, hat den Ball dann per Drop-Kick verwertet. Wahrlich kein leichtes Tor.

SZ: Hundertmal geprobt oder öfter?

KH: Nach fünf Einstellungen hatten wir die Szene im Kasten. Als ehemaliger Zweitliga-Profi kann ich ja wohl eine Ecke treten. Das müssen Trainer und Regisseure von mir erwarten können.

FR-Berichtvon den Dreharbeiten

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