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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ascheplatz

Unentschuldbar

Oliver Fritsch | Dienstag, 6. Juni 2006 Kommentare deaktiviert für Unentschuldbar

Thomas Kistner (SZ) erneuert seine Kritik am Ticketing: „Wie kann ein geschlossenes Ticket-System funktionieren, dessen Steuerung nicht in einer Hand liegt? Die Antwort gibt das aktuelle Chaos: gar nicht. Tage vorm Anpfiff des Ereignisses, auf das die Welt schaut, wird der Kardinalfehler evident; mehrere Parteien werkelten nebeneinander her und kommunizierten eher pro forma. Nun wirkt die Situation so unübersichtlich, als wären Veranstalter Fifa und das OK vom Beginn ihrer eigenen WM überrascht. Was, wenn dieses Bild zutrifft, das Ende einer Legende wäre: der vom Organisationsweltmeister Deutschland? Sicher, das OK hat ganze Arbeit im nationalen Zuständigkeitsbereich geleistet. 2 der 3,2 Millionen Eintrittskarten wurden akkurat registriert, oftmals genervte Erwerber auf dem deutschen Markt wurden mit bürokratischer Akribie erfasst. Was leider sinnlos ist, wenn beim restlichen Teil der unter Fifa-Aufsicht vertriebenen Tickets öfter die Regeln umdribbelt wurden. Die Agentur ISE dachte gar nicht daran, die Daten ihrer VIP-Kunden zu erheben. Dazu fand ein Teil der 800.000 Tickets, die über die so genannte Fußballfamilie verteilt werden, in altvertraute Kanäle: in die Taschen dubioser Funktionäre, oder ins Sortiment von Ticket-Agenten in aller Welt. Die pfeifen auf die Sicherheitsvorgaben im fernen Deutschland. Alles wie gehabt, wurden aus dem Chaos 2002 keine Lehren gezogen? Das ist unentschuldbar. Beim Ticketing hätten sich OK und erst recht die WM-selige Bundesregierung über die Fifa hinwegsetzen müssen.“

Es wird ein Fest werden

Ludger Schulze (SZ) stimmt ein, erwartet aber eine unbeeinträchtigte Party: „Den schwiemeligen Erwartungsbombast hat Franz Beckenbauer auf diese Formel gebracht: ‚Die WM bietet die einmalige Chance, das Land zu verbessern.‘ Schön gesagt – schöner wäre es, wenn das Land auch teilnehmen könnte. Aber leider müssen die Leute bei ihrer eigenen Party draußen bleiben, weil das Turnier Blatters Fifa gehört, und die hofiert lieber nadelgestreifte Champagnerschlürfer und hochhackige Unternehmersgattinnen. Deren Tickets übersteigen das Monatsbudget eines Hartz-IV-Empfängers. Für Normalsterbliche gab es den Pro-Forma-Verkauf via Internet, die Aussicht, eine Karte zu ergattern, war kaum höher als auf einen Lottogewinn. Es ist eine Mär, dass die Kraft des Fußballs eine Gesellschaft nachhaltig positiv ändern könnte. Das ist nicht mal in Brasilien, dem Land des Abonnement-Weltmeisters, gelungen. Aber 1954, da hat doch das Wunder von Bern ein durch zwölf Hitler-Jahre und einen alles vernichtenden Krieg verstörtes Volk schlagartig zu einer intakten Gemeinschaft von Welt-Meistern gemacht, nicht wahr? Falsch, auch das. Erst mit der Bedenkzeit von ein, zwei Jahrzehnten haben Soziologen, Historiker und Feuilletonisten den 4. Juli zum wahren Gründungsdatum der deutschen Bundesrepublik umgedeutet. Zeitgenossen haben von der Bedeutung des Tages wenig mitbekommen. (…) Maue Aussichten also angesichts einer unsicheren Wirtschaftslage, uferlosen Werbebombardements, eines eskalierenden Ticketstreits und drohender Aufmärsche von Rechtsradikalen? Mag sein, aber eins, aber eins, das bleibt besteh‘n: Vom 9. Juni an, Anpfiff 18 Uhr, wird der Fußball jeglichen Überdruss, alle Schlechtwetterprognosen und sonstigen Ärgernisse aus seinen Stadiontempeln fegen. Und es wird ein Fest werden. Und am 10. Juli werden wir, übermüdet und ein wenig glücklicher vielleicht, wieder zur Arbeit gehen. Sofern wir eine haben.“

Welt: DFB wollte WM-Stadien mit Soldaten auffüllen

Der Staat hat sich aus dem Fernsehen herauszuhalten

Hans Hege, Leiter der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, beargwöhnt in der SZ das wachsende Engagement der Teleokom in der Bundesliga: „Wir haben der Telekom schon im Januar in einem Brief an Vorstandschef Kai-Uwe Ricke unsere rechtliche Beratung angeboten. Es gab bis heute keine Antwort. Die Fußball-WM zeigt T-Mobile nun einfach ohne rundfunkrechtliche Lizenz, und bald erwirbt die Telekom eventuell auch die Mobilfunkrechte an der Bundesliga. Das weitaus größte Problem aber ist die Nutzung über das DSL-Netz – es soll schließlich einmal das Kabel ersetzen. Das hat vom Potenzial her, als Grundversorgung für die Haushalte, eine eminente Bedeutung. Die Grundfrage ist: Kann der dominante deutsche Telekommunikationskonzern, der unter Staatseinfluss steht, mit dem Fußball eine Schlüsselressource des Fernsehens erwerben? So etwas passiert in anderen großen Ländern nicht. Jemand, der Netze betreibt und zugleich die besten Programme hat, kann andere ausgrenzen. Mit der attraktiven Bundesliga hat man die Gesamtgestaltung in der Hand. Potenziell geschädigt sind alle anderen Inhalteanbieter – sie können mit den Gewinnen aus der Telekommunikation leicht ausgestochen werden. (…) Es ist – verfassungsrechtlich oft bestätigt – ein eherner Grundsatz, dass sich der Staat aus dem Fernsehen herauszuhalten hat. Doch die Telekom will nun sogar in der Liga der Murdochs mitspielen.“

SZ: Die Telekom als neuer Großhelfer – und Namenssponsor – der Bundesliga: erste Medienaufseher warnen vor der Daueroffensive auf dem Rasen

FAZ: über eine Studie, die den ökonomischen Wert der WM für Deutschland bezweifelt

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