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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Jederzeit für eine denkwürdige Aufführung gut

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Jederzeit für eine denkwürdige Aufführung gut

Roland Zorn (FAZ 4.8.) sah ein abwechslungsreiches Spiel. „Für das größte deutsche Fußballderby ist es nie zu früh. Spielend widerlegten die Profis des FC Schalke 04 und des BV Borussia 09 Dortmund den Dortmunder Präsidenten Gerd Niebaum, der vor dem Bundesliga-Klassiker zum Saisonauftakt über die Spielplangestalter gelästert hatte: Bei einer Oper hört man doch auch nicht gleich zu Anfang die großen Arien. Richtig, und deshalb entwickelte sich auch das 122. Duell zwischen Königsblau und Schwarz-Gelb nach den dramaturgischen Gesetzen einer stimmig aufgebauten und inszenierten Oper. Am Ende umwehte den Schalker Heldentenor des Tages, den jungen Türken Hamit Altintop, ein Hauch von Tragik, während die Dortmunder wieder einmal die beglückende Erfahrung auskosteten, daß es für das größte deutsche Fußballderby nie zu spät ist. Amoroso gelang dank eines Querschlägers des zweifachen Torschützen Altintop doch noch der -Ausgleich. Er war nur deshalb möglich geworden, weil die Borussia ihren Hauptdarsteller in der 61. Minute gerade noch rechtzeitig auf die große Bühne geschickt hatte: Der erst am Mittwoch quasi aus dem Urlaub gekommene und vom spanischen Meister Real Madrid ausgeliehene Flavio Conceição kam, schaufelte einen Freistoß ins Schalker Netz und gab danach wie ein stoischer Baßbariton den Ton auf dem Platz an. Seine Körperhaltung und Körpersprache waren gewaltig, sagte der zum Bewundern sonst nicht neigende Dortmunder Trainer Matthias Sammer über den ersten Auftritt des 29 Jahre alten stoisch-gelassenen brasilianischen Ordnungshüters. Als der Berliner Schiedsrichter Lutz-Michael Fröhlich die Partie, in welcher er zum bösen Schluß für die Schalker auch noch Asamoah wegen Nachtretens vom Platz stellen mußte, abpfiff, waren sich 61.000 begeisterte oder entsetzte Zuschauer in der ausverkauften, brausenden Arena Auf Schalke insoweit einig: Diese Mutter aller Derbys ist jederzeit für eine denkwürdige Aufführung gut.“

Christoph Biermann (SZ 4.8.) kommentiert die Perspektiven der beiden Kontrahenten. „Trotz des hohen Wellengangs der Gefühle, die zum Revierderby zwischen Schalke und Dortmund stets dazugehören, kann man dessen 122. Ausgabe durchaus betriebswirtschaftlich beschreiben. Das klingt zwar enttäuschend nüchtern, aber die Vorlage dazu lieferten die Trainer. Matthias Sammer war der Ansicht, dass Borussia Dortmund in der ersten Halbzeit „daran gescheitert ist, dass wir zu wenig investiert haben“. Jupp Heynckes hingegen spricht dieser Tage ja sowieso mit solcher Ausdauer über die Ökonomie im Schalker Spiel, als hätte er gerade die Fortbildung auf einer Wirtschaftsakademie hinter sich. Die Schalker mussten sich fragen, ob sie die richtige Investitionspolitik in einer Partie betrieben hatten, die viel besser war, als man das hätte am ersten Spieltag erwarten können. Sie waren die Akteure, während sich ihr Gegner lange Zeit nur treiben ließ. Schalke riss das Spiel durch viel Engagement an sich, kombinierte geduldig und oft schon verblüffendgut (…) Was hingegen der Weg des großen Rivalen im Ruhrgebiet ist, darauf gab das Derby keine befriedigende Antwort. Matthias Sammer drosch wieder einmal alle an seine Mannschaft herangetragenen Ambitionen weg wie ein Vorstopper alter Schule. „Borussia Dortmund ist nicht für die Spannung der Nation verantwortlich“, sagte er. Dunkel dräuend kündigte der Coach gar an: „Es wird schwer in diesem Jahr.“ Sucht den Herausforderer der Bayern woanders, sollte das heißen, auch wenn das im Gegensatz zu den Ankündigungen während der Saisonvorbereitung stand. „Aber da mussten wir noch viele Dauerkarten verkaufen“, sagte Sammer. Torwart Jens Lehmann war auch noch nicht verkauft und die Kreuzbänder von Frings und Evanilson nicht gerissen. Dass sie nicht so leicht zu ersetzen sein werden, zeigte das Spiel in Schalke.“

Sehr gut funktionierendes Scoutingsystem

Felix Meininghaus (Tsp 4.8.) porträtiert den Mann des Tages. „Der neue Mann scheint die Zeiten kreativer Armut im Schalker Mittelfeld beenden zu können. Schon träumt Altintop davon, bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal für die Türkei aufzulaufen. Schon als Kind habe er sich dafür entschieden, für das Land seines Vaters zu spielen und nicht für Deutschland, berichtete Altintop. Seine Begründung: „Da gibt es mehr Leidenschaft.“ Für den deutschen Teamchef Rudi Völler bedeutet Altintops Entscheidung einen weiteren Verlust – denn auch Leverkusens Yildiray Bastürk oder Bremens Ümit Davala spielen lieber im Trikot mit dem Halbmond als im Dress mit dem Adler. Der türkische Fußballverband hat ein sehr gut funktionierendes Scoutingsystem aufgebaut, mit dessen Hilfe in Deutschland geborene Türken früh gesichtet und für das eigene Nationalteam verpflichtet werden.“

In der FAZ (4.8.) lesen wir über ihn. „Für die Gelsenkirchener Heimatschnulze wollte Hamit Altintop denn doch nicht Modell stehen. Von wegen einmal Schalker, immer Schalker. Der junge Türke ist zwar am 8. Dezember 1982 in Gelsenkirchen, auf Kohle, wie ein ortsansässiger Journalist jubilierte, geboren, doch deswegen war er als Kind noch lange kein Nordkurvenfan der Königsblauen. Der zu Saisonbeginn für 1,8 Millionen Euro vom benachbarten Regionalligaverein Wattenscheid 09 gekommene, überaus offensive Mittelfeldspieler bekennt sich unter Freunden sogar zu einem anderen Lieblingsklub in seinen Kindheitstagen. Gar zu Borussia Dortmund? Der Name bleibt geheim, beschied der 1,82 Meter große, im Zweifel freundlich lächelnde Mann des ersten Spieltages allzu neugierige Gemüter. Bekannt ist aber, daß er sich mit dem Blick auf seine internationale Karriere längst für sein Heimatland entschieden hat. Ich habe als Kind auch mit der deutschen Nationalmannschaft gefiebert, doch in der Türkei ist mehr Leidenschaft. Und deshalb kicken Hamit und sein zum 1. FC Kaiserslautern gewechselter Zwillingsbruder Halil Altintop heute noch für die U 21, morgen wohl auch für die A-Mannschaft der Türkei. Über seine ferne Vereinszukunft wollte Hamit Altintop deswegen noch lange nicht spekulieren. Da wollte doch jemand nach Altintops traumhaft-albtraumhafter Bundesliga-Premiere wissen, zu welchem türkischen Spitzenklub es ihn irgendwann einmal ziehen könne. Mit solchen Fragen beschäftige ich mich nicht, antwortete der über Nacht gefragte Saisonfrühaufsteiger verständlicherweise.“

Sammers Order zur taktischen Übervorsicht

Freddie Röckenhaus (SZ 2.8.) schildert Hintergründe und Stimmungen aus Dortmund. „Mit Spielern wie Rosicky, Amoroso, Ewerthon, Kehl und nun auch dem von Real Madrid geholten Super-Techniker Flavio Conceição erwartet man in Dortmund endlich auch ein wenig Spaß. Für den aber fühlt sich Matthias Sammer nicht wirklich zuständig. Als beispielsweise nach den endlich einmal halbwegs sehenswerten Kombinationen beim Ligapokal-Sieg gegen den VfL Bochum die Fans begeistert den Anbruch neuer Zeiten feiern wollten, rumpelte Sammer zornsprühend in offene Mikrophone: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht im Zirkus landen mit unserer Spielweise.“ Sammer spricht gern von den „Gesetzmäßigkeiten des Fußballs“ und gemahnt in solchen Momenten an einen, wenn auch rhetorisch stark aufgemotzten Berti Vogts. Das Ergebnis ist entscheidend, findet Sammer (…) Für den mit 35 Jahren jüngsten Bundesliga-Trainer Sammer baut sich erstmals persönlicher Druck auf. Dass der zweimalige Fußballer des Jahres bei der Wahl zum „Trainer des Jahres“ hinter Jürgen Klopp oder Willi Reimann landete, war ein weiteres Indiz dafür, dass man die von ihm selbst immer wieder apostrophierte „Lehrzeit“ nicht mehr verlängern will. In seiner bisweilen selbstzufriedenen Zuckertruppe rumort es ebenso, seit Sammer erhebliche Mitschuld am Ausscheiden aus der Champions League auf seine Kappe nehmen musste. In den Schlussminuten des besten Saisonspiels seiner Mannschaft, gegen Real Madrid 1:0 in Führung liegend, hatte Dortmunds Trainer zweimal falsch ausgewechselt. Bei nicht wenigen in der Mannschaft ist dieser folgenschwere Fauxpas unvergessen. Auch Sammers häufige Order zur taktischen Übervorsicht, zuletzt in der zweiten Halbzeit gegen Cottbus zu besichtigen, haben seinen Kredit bei den Spielern angenagt. Und Sammers Nibelungentreue zu formschwachen Leistungsträgern wird bisweilen ebenso kritisch registriert, wie sein umstrittenes Handling des letztjährigen Sorgenkindes Amoroso. „Fußball fängt immer mit der Basis an“, lautet eine von Sammers Alltags-Philosophien – oder: „Wir haben uns selber nicht für unsere Leistung belohnt.“ Das mag richtig sein, doch die junge Spieler-Generation, und erst recht, wenn sie aus Brasilien stammt, will öfter mal eine neue Platte hören.“

Auszüge aus einem FAZ-Interview mit Sammer (vor dem Saisonauftakt in Schalke)

FAZ: Nach der letzten Saison, die mit Platz drei zum Schluß enttäuschend endete, scheint ein gewisser Wertewandel im Team unverkennbar: Die Spieler präsentierten sich im Ligapokal konditionell in einem guten Zustand, und auch die Einstellung scheint – namentlich bei dem manchmal kapriziösen brasilianischen Stürmerstar Amoroso – deutlich verbessert.

MS: Der körperliche Zustand der einzelnen Spieler ist entschieden besser als zur selben Zeit im Vorjahr. Da hatten wir nach dem Urlaub im Sommer wie im Winter große Defizite. Wir hatten Ausgangswerte, die ich mit dem Wort Abstiegsplatz benennen möchte. Wären wir in der Verfassung, in der wir waren, noch Zweiter geworden, wäre das fast eine Sensation gewesen.

FAZ: Kam die Meisterschaft im Vorjahr für einige Spieler zu früh?

MS: Das ist gut möglich. In diesem Jahr sieht das besser aus. Amoroso zum Beispiel, der mit Tomas Rosicky sehr gut harmoniert, traue ich wieder eine starke Saison zu. Bei Tomas müssen wir aufpassen, daß er nicht glaubt, die ganze Last unseres Spiels allein tragen zu müssen. Marcio hat gute Zeichen gesetzt, wir haben im Moment einen guten Draht zueinander. Wie er jetzt arbeitet, wird er mit mir kein Problem haben.

FAZ: Schauen Sie gelegentlich etwas neidisch nach Schalke hinüber, wo zur Zeit bei dem ganzen Hype um den neuen Trainer Jupp Heynckes auch nach mäßigen Spielen wie zuletzt im UI-Cup niemand klagt und alle begeistert scheinen?

MS: Die haben im UI-Cup noch nicht so gut gespielt. Wäre Frank Neubarth dort noch Trainer, wären die Zuschauer so manches Mal schon ausgeflippt. So aber bringt der neue Trainer einen gewissen Bonus mit.

FAZ: Sie selbst sind anders als zu Beginn Ihrer Dortmunder Trainerjahre in der vergangenen Saison auch schon heftig kritisiert worden. Nagt das an Ihnen?

MS: Ich stand als Typ immer für den totalen Erfolg und habe das auch stets gepredigt. Wenn man dann auch mal selbst unter Druck gerät und Kritik einstecken muß, sollte man das ertragen können. Aus den sachlich gemeinten Kommentaren versuche ich zu lernen, die unsachlich gemeinten Äußerungen schüttle ich ab. Ich vergesse auch viele Dinge, weil ich im Leben nicht zurück, sondern nach vorn schauen möchte.

Auszüge aus einem FAS-Interview mit Rudi Assauer

FAS: Zum vierzigsten Geburtstag der Bundesliga sind viele romantische Rückblicke publiziert worden. Finden Sie auch, daß früher alles besser war?

RA: Das Spektakel ist natürlich wesentlich größer geworden. Früher konntest du am Mittwoch oder am Donnerstag in die Kneipe gehen und ein Bier trinken. Kein Mensch hat sich drüber aufgeregt. Machst du heute einen Kneipenbummel, hast du am nächsten Morgen, wenn dich einer verpfeift, die großen Schlagzeilen. Darum beneide ich die Jungs nicht. Sie müssen in jeder Lebenslage darauf achten, keinen Fehler zu machen.

FAS: Rechtfertigt das die exorbitanten Gehälter?

RA: Die Rechtfertigung sehe ich darin, daß die Spieler höhere Leistungen abrufen. Wir haben zu unserer Zeit auch Höchstleistungen erbracht, aber die sind nicht vergleichbar mit den heutigen. Gehen Sie mal nach einem Spiel in die Kabine und gucken sich die Gesichter an: Hohle Wangen, die Augen tief in den Höhlen drin, die Spieler müssen schon richtig ackern, dazu die nervliche Anspannung. Es gibt keine andere Sportart, in der jeden Samstag um 15.30 Uhr ein Wettkampf Wirtschaftsunternehmen gegen Wirtschaftsunternehmen angepfiffen wird, vor 60000 Zuschauern und vor laufenden Fernsehkameras. Wenn ich heute Ausschnitte sehe von unseren Spielen früher, dann frage ich mich, ob das die Zeitlupe ist. Wir haben falsch trainiert, wir haben uns falsch ernährt, es war alles falsch zu meiner Zeit.

FAS: Sie gelten als Macho. Hat Ihr Treppensturz, der viel schlimmer hätte ausgehen können, Ihnen ein wenig mehr Respekt vor dem Leben eingeflößt?

RA: Diese Geschichte hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich habe gemerkt, wie schnell man von der Bühne verschwinden kann, ich meine: von der Bühne des Lebens. Wenn du da unten liegst mit einem Matschauge und wenn sie dann im Krankenhaus untersuchen, ob der Schädel gebrochen ist, ob da ein Blutgerinnsel ist, dann denkst du auf einmal: Verdammte Hacke, es kann immer schnell zu Ende gehen.

Die vermutlich letzte große Herausforderung seiner Karriere

Richard Leipold (FAZ 2.8.) weiß, dass das Schalker Umfeld viel von Jupp Heynckes erwartet. “Die mediterranen Einflüsse der letzten Jahre äußern sich nicht nur in einem leichten spanischen Akzent des Rheinländers. Heynckes wirkt offener, souveräner als vor seinem Weggang. Er hat den Wert und die Macht des gesprochenen Wortes zu schätzen gelernt. Und er ziert sich nicht, es zuzugeben. Vor zehn Jahren habe ich den Medien nicht soviel Bedeutung beigemessen. Heute bin ich kommunikativer. Inzwischen nutzt Heynckes die Medien, um gewisse Dinge zu transportieren, um eine Stimmung zu erzeugen, die der Mannschaft nützlich ist. Wie einst Valdano, einer seiner Vorgänger bei Real Madrid. Dieser Trainer habe den Verein und den Fußball fabelhaft verkauft, sagt er. Valdano ist ein Poet. Heynckes ist eher ein prosaischer Typ. Aber die spanische Lebensart scheint eine Verkrampfung in ihm gelöst zu haben. Er verbreitet soviel Zuversicht wie kein anderer Bundesligatrainer, der neu in diesen Klub kam. Die Depressionen der vergangenen Saison sind auf skurrile Art in ein Hochgefühl umgeschlagen, an der Basis, aber auch in der Mannschaft. Die Spieler, zuletzt ein disziplinloser Haufen, folgen ihrem neuen Vorgesetzten, daß er selbst manchmal staunt, etwa vor der Abfahrt zum gemeinsamen Mittagessen. Wenn ich um dreizehn Uhr fünfzehn zum Bus komme, sitzen die Spieler schon drin. Heynckes legt fest, was die Profis zu tun und zu lassen haben, weil bestimmte Regeln für das Leben und Arbeiten in einer Gruppe unverzichtbar seien. Verstöße gegen die Ordnung zu ahnden überläßt er der Mannschaft. Die Spieler regeln das untereinander, sagt er (…) Heynckes vermittelt seine Lehre charmanter als früher. Der unflexibel wirkende Prinzipienreiter ist irgendwo in Spanien auf der Strecke geblieben. Ich kann mich besser in Spieler hineinversetzen, sagt Heynckes, auch in sensible Naturen aus anderen Kulturkreisen. Heynckes spürt, daß die Fans und der Verein viel von ihm erwarten, vielleicht zu viel, aber das macht ihm nichts mehr aus. Ich bin immun gegen Euphorie und gegen Enttäuschungen, behauptet er. Vielleicht geht er deshalb so offensiv an die vermutlich letzte große Herausforderung seiner Karriere heran.“

Der Klub mag einen harten Mann gesucht haben, bekommen hat Schalke vor allem einen Fußballlehrer

Christoph Biermann (SZ 2.8.) teilt dazu mit. „Verblüffend viel Vorschuss hat Heynckes beim Publikum bekommen, seit er vor fünf Wochen als neuer Trainer vorgestellt wurde. Bei seinem ersten Auftritt in der Arena AufSchalke wurde er am vergangenen Samstag mit Ovationen gefeiert, doch immer noch ist seine Mannschaft eine Baustelle. Die Verletzungsprobleme des vergangenen Spieljahres setzten sich auch in der Vorbereitung auf die neue Saison fort. Gegen Dortmund werden Mpenza, Böhme, Oude-Kamphuis und Van Hoogdalem auf jeden Fall fehlen, eine Reihe weiterer Spieler konnte nicht das komplette Trainingsprogramm absolvieren. „Der Mannschaft muss man Zeit lassen“, sagt Assauer und wird wissen, dass dieses Argument für das Spiel gegen den größten Rivalen außer Kraft gesetzt ist. Allerdings ist das neue Schalke in Umrissen zu erkennen, am Mittwoch etwa, beim Spiel im UI-Cup gegen Slovan Liberec, das Schalke spät mit 2:1 gewann. Heynckes ging dabei ein großes Risiko ein, als er Spieler testete, die gegen Dortmund kaum auf dem Platz stehen werden. Trotzdem wurde deutlich, um was es ihm geht, als er die Leistung kommentierte. Immer wieder sprach Heynckes von der Ökonomie im Spiel, als wäre er angestellt, um bei Schalke die Energieverschwendung einzudämmen. Der Trainer beklagte, dass sich die Stürmer Ebbe Sand und Mike Hanke zu viele halbhohe Bälle zugespielt hätten, die schwierig zu verarbeiten sind und die die Leichtgängigkeit der Kombinationen behindern. Insgesamt hätte seiner Mannschaft die „innere Ruhe“ gefehlt: „Man kann nicht Fußball spielen, wenn man schon an den zweiten Schritt denkt bevor man den ersten erledigt hat.“ Als Beispiel galt ihm Christian Poulsen, Defensivspieler im Mittelfeld, der sich zu aufgedreht in die Zweikämpfe gestürzt hätte. Einen „ruhigen, klaren“ Spielfluss will Heynckes herstellen, also kultivierten Fußball (…) Selbst zuletzt noch hatte Assauer davon gesprochen, dass er auf der Suche nach einem Trainer war, der die Disziplin der im Vorjahr aus dem Ruder gelaufenen Mannschaft wiederherstellen sollte. So konnte man leicht auf die Idee kommen, dass der neue Coach vor allem den strengen Zuchtmeister geben würde, aber das hat sich als Missverständnis erwiesen. Der Klub mag einen harten Mann gesucht haben, bekommen hat Schalke vor allem einen Fußballlehrer. Von Disziplinierungen ist jedenfalls kaum noch die Rede nach dem zunächst mit großem Brimborium eingeführten Acht-Stunden-Tag bei Schalke.“

Philipp Selldorf (SZ 4.8.) glossiert. „Im zivilen Leben ist Tomasz Hajto eine liebenswerte Persönlichkeit, obwohl man sich ganz schön erschreckt, wenn er mittags des Weges kommt und mit dröhnender Stimme „Mahlzeit“ wünscht. Hajto, 31, seit 1997 Bundesligaprofi und in der vierten Saison eine Abwehrgröße beim FC Schalke 04, strahlt eine Ruhe aus, die einem dunklen Tümpel gleicht: tief und friedlich oder undurchsichtig und gefährlich. Kenner halten ihn für fähig, einen Transporter mit Nitroglyzerin über felsige Gebirgspisten zu steuern: im Unterhemd, vor sich hin singend und mit brennender Zigarette im Mundwinkel (mit dem Tabak hatte er allerdings zuletzt seine Not, weil er zuhause ein paar Stangen ohne Steuerzeichen verwahrt hatte, was ihm die Polizei als Schmuggel auslegte). Hajto verfügt also über eine Erscheinung und eine innere Balance, die ihn für seinen Posten im harten Alltag der Bundesliga prädestiniert. Was aber niemand weiß: Tomasz Hajto pflegt ein nettes, kleines Hobby. Mit Leidenschaft sammelt er Gelbe Karten und ist dabei auch sehr erfolgreich. In 166 Spielen konnte er bereits 61 Stück einstecken. Ehrensache, dass er sich wie in der vergangenen Saison auch diesmal Schalkes Premierenkarte sicherte. Mit einem Foul an Amoroso, das seinem geradlinigen Stil beispielhaft gerecht wurde: einem kraftvollen Rempler, in den sich gar nicht subtil ein böser Tritt mischte. Die Gelbe Karte des Spielleiters nahm Hajto, den Tatort sofort verlassend, mit komplett ausdrucksloser Miene zur Kenntnis. Alte Schule nennt man so was in Treterkreisen.“

Bayer Leverkusen – SC Freiburg 4:1

„Lucio nicht mehr alleinverantwortlich für brasilianische Momente“, schreibt Richard Leipold (FAZ 4.8.). “Es gibt sie doch, die brasilianischen Momente im Leben der Leverkusener Fußballgemeinde, und neuerdings nicht mehr nur, wenn Lucio mit Elan und Esprit das Publikum bezaubert. Der Abwehrstratege mit dem oft unwiderstehlichen Drang nach vorn hatte sich sogar im Abstiegskampf der vergangenen Saison als rettender Engel in Stollenschuhen bewährt. Kaum ist der Albtraum zu Ende, ist Lucio nicht mehr allein auf weiter Flur. Beim 4:1 über den SC Freiburg schwangen sich seine drei Landsleute in der Mannschaft dazu auf, den Primus als kongeniale Partner zu unterstützen und die Depressionen unterm Bayer-Kreuz zu vertreiben. Ihr Rezept, nicht ganz frei von Risiken, aber letztlich ohne Nebenwirkungen, war Fußball pur, so hochdosiert wie an diesem Ort seit mehr als einem Jahr nicht (…) Während Franca nach einem frustrierenden Jahr der Eingewöhnungszeit offenbar in Leverkusen angekommen ist, profitiert Ponte offenbar von seinem zweijährigen Zwischenaufenthalt in Wolfsburg. Dort habe er viel gelernt, sagt der italienische Brasilianer, dessen erster Versuch in Leverkusen grandios gescheitert war. Ob die Wolfsburger seine Lauffreude geweckt haben? Oder war es doch Klaus Augenthaler? Der Übungsleiter hatte ihm in der Woche bedeutet, es dürfe, ja müsse schon ein wenig mehr sein. Wer immer ihn zu neuen Taten animiert hat, Ponte interpretierte Fußball, trotz hochsommerlicher Hitze, auch als Laufspiel. Und der Trainer hob den pädagogischen Wert des Auftritts heraus. Wie ich trainiere, so spiele ich auch. Falls diese Gleichung stimmt und die Leverkusener die von Augenthaler bemängelte Feinabstimmung in der Abwehr im Training verbessern, könnte Bayer sein Niveau stabilisieren oder gar steigern. Wenn die Freiburger ihr zuweilen gefälliges Paßspiel aufzogen, fehlte es den durch und durch brasilianisch angehauchten Rheinländern noch an deutscher Gründlichkeit. So bekamen die Breisgauer die Gelegenheit, ihrem verpatzten Auftakt noch etwas Gutes abzugewinnen. Im Spiel nach vorne haben wir Bundesliganiveau, sagte Trainer Volker Finke. Die Freiburger Abwehr indes hat noch mehr Arbeit vor sich als die Defensive der Leverkusener.“

Erik Eggers (Tsp 4.8.). „Der Trainer verkörpert eine Unaufgeregtheit, die mittlerweile alle Verantwortlichen ergriffen hat, selbst dem sonst so rhetorisch hochtourigen Manager Reiner Calmund, dem am Sonnabend lediglich ein „ich bin glücklich“ zu entlocken war. Überhaupt: Die Einstellung des ganzen Teams jedenfalls vermittelte den Eindruck, als würde es vom ersten Spieltag gegen den Abstieg spielen. Womöglich hat nicht nur Rückkehrer Ponte einen Lernprozess hinter sich.“

Christoph Kieslich (taz 2.8.) heißt die Freiburger im Oberhaus willkommen. „Blühender und glänzender denn je kommt er zurück von der Ehrenrunde über Lübeck und Burghausen. Zum zweiten Mal nach 1998 haben zuverlässige Techniker einen Betriebsunfall Abstieg sauber repariert und dabei noch den Kostenvoranschlag eingehalten. Chapeau. Selbst die große Dürre dieses Sommers haben sie im Breisgau ohne Schaden überstanden. Satt ist das Grün in Mösle- und Dreisamstadion dank Greenkeeper Albert Melcher, einer der wertvollsten Personalakquisitionen der vergangenen Jahre (ablösefrei von Bayer Leverkusen). Und während die Saison dräute, haben es die Freiburger so gehalten, wie sie es immer gemacht haben seit 1993, als das Wunder Bundesliga geschah. Sie ducken sich ein bisschen hinter den anderen und machen sich kleiner, als sie eigentlich sind. Einfach nur Klassenerhalt, sagt Achim Stocker, seit 1972 Vorsitzender des Sport-Club und so etwas wie der Verfechter des Minimalismus. Es ist Unsinn zu sagen, wir stehen vom ersten Tag an im Abstiegskampf, widerspricht Volker Finke. Der ist seit 1991 SC-Trainer, aber kein Freiburger, sondern Niedersachse, und unterliegt schon qua Herkunft nicht dem badischen Skeptizismus: In der Bundesliga gibt es für sieben, acht, vielleicht sogar zehn Mannschaften keine Garantien. Ein unglücklicher Start, Verletzte, ein paar knappe Spiele, die allesamt schief gehen – schon hat man den Salat.“

1. FC Kaiserslautern – 1860 München 0:1

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 4.8.) sorgt sich um Lauterer Gemüter. „Jetzt geht das wieder los! Auf der Tribüne des Fritz-Walter-Stadions wurde dieser Satz, der nur selten in Frageform variiert wurde, zum geflügelten Wort. Dabei waren die meisten Anhänger des 1. FC Kaiserslautern doch als Optimisten hinauf auf den Betzenberg gepilgert. Nach dem 0:1 zum Bundesliga-Auftakt gegen den TSV München 1860 schlug die Stunde der Pessimisten. Sie wollten mit ihrem FCK fiebern, aber nicht schon wieder um ihn zittern müssen. Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben mit Blick auf die übers Wochenende beträchtlich gestiegene Hypothek, die auf der Mannschaft lastet. Zum nicht wie geplant auf Anhieb getilgten Abzug von drei Punkten wegen Verstößen gegen Lizenzierungsauflagen kommt der akute personelle Engpaß im Abwehrverbund. Innerhalb von gut zwanzig Minuten verloren die Lauterer Bill Tchato per Platzverweis, Kapitän Aleksander Knavs durch Mittelhandbruch, Hany Ramzy gar mit einem Kreuzbandanriß. Weil Miroslav Klose beim Foulelfmeter den Ball an den Pfosten setzte, Marian Hristow ebenfalls den Außenpfosten traf, dem Münchner Markus Schroth aber kurz vor dem Halbzeitpfiff der Treffer des Tages gelang, verloren die Pfälzer auch noch die Partie. Es muß ihnen vorgekommen sein, als hätten sich die Fußballmächte mal wieder gegen sie verschworen. Dieses Gefühl kennen sie doch noch vom Vorjahr zur Genüge. Es ist dieses Gespinst aus Erinnerungen, das sie bannen wollen.“

Die äußeren Bedingungen waren unmenschlich

Bei fast 40 Grad litt Christian Zaschke (SZ 4.8.) mit. „Die Spieler haben später nichts davon gesagt, vielleicht waren sie zu erschöpft. Vielleicht war es auch auf dem Fußballplatz im Fritz-Walter-Stadion – da ja das Wetter immer unberechenbarer wird – aus unerfindlichen Gründen kühler als im Rest von Kaiserslautern an diesem Samstagnachmittag. Es waren die Trainer, die sich überboten in Beschreibungen des Wetters. Während der Lauterer Erik Gerets eine „unmenschliche Hitze“ ausmachte, erging es Falko Götz so: „Du machst keine Bewegung, und es läuft trotzdem runter.“ Dann war es Götz, der analysierte: „Die äußeren Bedingungen waren unmenschlich.“ Gerets teilte mit, er habe „noch nie so geschwitzt“. Einig waren sich beide darin, dass die Temperatur bei „über 50 Grad“ gelegen haben musste. 50 Grad Celsius ist in etwa die Temperatur der klassischen Dampfsauna (über die bereits 430 v. Chr. Herodot in einem Text über die Badegewohnheiten der Skythen berichtete). Es wird empfohlen sich darin 15 bis 20 Minuten aufzuhalten, keinesfalls länger, da sonst der Kreislauf zu sehr belastet wird. Die Verteidigung des 1. FC Kaiserslautern folgte diesem Rat weitgehend, noch vor Ablauf der ersten Halbzeit hatten drei von vier Abwehrspielern den Platz verlassen (siehe nebenstehenden Bericht). Der TSV 1860 hingegen schlug alle althergebrachten medizinischen Warnungen in die stehende Luft und rannte und kämpfte, als könne man durch eifriges Rennen und Kämpfen den Körper kühlen. Und da auch der FCK eine kämpfende Mannschaft ist, erlebten die knapp 36000 schwitzenden Zuschauer auf dem Betzenberg zwar kein sonderlich gutes Fußballspiel, aber rennende, schwitzende Männer am Rande der Erschöpfung, denen sitzende, schwitzende Männer Kommandos zuriefen, 90 Minuten lang. Ein Spektakel. Sehr gut kam bei den Sechzigern der hoch gehandelte Zugang mit der Hitze zurecht, der Finne Janne Saarinen. Sicherlich hat er eine gewisse Vorbildung in Sachen Hitze, da die finnische Sauna auf 80 bis 100 Grad erwärmt wird, dies allerdings bei sehr trockener Luft.“

Bayern München – Eintracht Frankfurt 3:1

Philipp Selldorf (SZ 4.8.) sah einen dominanten Meister. „Traurig sah er aus, melancholisch. Wie er mit schlurfenden Schritten über die Laufbahn schlich, dem Spielfeld den Rücken zukehrend, die Schultern gedrückt, den Kopf gesenkt, als ob große Sorgen ihn beschwerten. Um ihn herum tobten die Leute vor lauter Vergnügen am zauberhaften Spiel der Bayern, nur Bazi, das Münchner Maskottchen, behielt seine ins Kostüm eingewobene Rolle als stiller Mahner bei. Die seltsame Figur mit dem viel zu großen Kopf, eine Hinterlassenschaft aus Zeiten, als die Spaßindustrie im Stadion noch mit einfachsten Mitteln arbeitete, wirkt in ihrer Trübseligkeit immer noch wie eine Erinnerung daran, dass jedes Spiel und das ganze Leben zwei Seiten hat. Die andere Seite verkörperten die Spieler von Eintracht Frankfurt, die einem während der ersten Halbzeit Leid tun konnten, weil sie dem Favoriten so unterlegen waren. Ihr albanischer Mittelfelddirigent Ervin Skela bemühte sich hinterher, deutlich zu machen, dass er und seine Mitspieler tatsächlich versucht hatten, Zweikämpfe mit den Münchnern auszutragen. „Aber die sind so schnell“, klagte er, „den Zé Roberto kriegst du nicht mal zum Foulen.“ Auch Münchens Dauerläufer Hasan Salihamidzic, von seinem zweiten Kreuzbandriss offenbar folgenlos genesen, musste etwas klar stellen: „Das war auf jeden Fall ein Bundesligaspiel.“ Die Vergeblichkeit des Frankfurter Versuchs illustrierte zwischenzeitlich die Anzeigetafel, die unverlangt einblendete, dass die Bayern am 25. Januar 1975 das letzte Mal nach einer 2:0-Führung ein Heimspiel verloren hatten. Bald darauf stand es 3:0, weshalb die Frankfurter Spieler später reihum gefragt wurden, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden seien, was sie keineswegs als Beleidigung zurückgewiesen haben. Die Bayern waren natürlich nicht (ganz) zufrieden. Die zweite Halbzeit, so monierte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, habe zu wünschen übrig gelassen. „Wär’ schöner, wenn sie durchgespielt hätten“, meinte er, nachdem die Mannschaft sich in der zweiten Halbzeit damit begnügt hatte, ihre Führung zu verwalten. Aber andernfalls wäre es auch nicht der echte FC Bayern gewesen, der diese Gewohnheit schon immer gerne vertreten hat: Während der ersten Halbzeit überfahren sie den Gegner mit Karacho, in der zweiten rollen sie gemächlich heimwärts.“

Hamburger SV – Hannover 96 0:3

Frank Heike (FAZ 4.8.) erkennt Überheblichkeit als Ursache der Hamburger Niederlage. “Tänzerisch, ballettartig, leichtfüßig, so wollte der HSV den Gegner an diesem glühendheißen Samstagnachmittag vorführen. Ein halbes Dutzend Mal war die Hacke im Spiel, dann wurde der Ball kunstvoll mit dem Außenrist über den Rasen gestreichelt, Minuten später paßten Cardoso und Beinlich sich die Kugel in Kopfhöhe zu. Das konnte nicht gutgehen. Mit einem Hauch von Arroganz im Spiel und viel zu selbstgefällig verlor der HSV. Wieder einmal hatte sich gezeigt, daß eine meisterliche Vorbereitung mit Siegen gegen die Großen der Liga zwar die Grundlage für eine gute Saison sein kann, jeder Sieg in der ausgeglichenen Bundesliga aber vor allem erkämpft werden muß. Keine Rede war mehr vom Bayern-Jäger. Ehrlicherweise muß man sagen, daß alle Kraftausdrücke der neuen Hamburger Stärke vor allem Ideen der lokalen Tageszeitungen gewesen waren, während Jara und Sportchef Beiersdorfer vor dem schwersten, dem ersten Gegner gewarnt hatten. Nüchtern bewertete Beiersdorfer dann auch die Niederlage. Er hofft wohl, genau wie Jara, daß der HSV eines der Spiele, in denen gar nichts läuft und die jede Mannschaft irgendwann einmal durchleiden muß, gleich zu Beginn hinter sich gebracht hat. Natürlich waren alle Hamburger Profis schuld an der ersten Heimniederlage seit 15 Spielen, aber Lars Jacobsen und Christian Rahn vielleicht noch ein bißchen mehr als der Rest. Jacobsen gegen Mohammadou Idrissou und Rahn gegen Jirí Stajner, das war wie Oberliga gegen Bundesliga. Rahn, auch ein Sieger des Sommers, tummelte sich zumeist auf vorderen Plätzen, ließ den erstaunlich laufstarken Stajner gewähren und zum Mann des Tages werden, Jacobsen hatte irgendwann gar keine Lust mehr, gegen den schnellen, zielstrebigen Idrissou zu spielen: Er blieb einfach stehen.“

Selbstsicherheit allein garantiert nicht Erfolg

Im Gegensatz zu den zurückgebundenen Hamburgern können die Hannoveraner, laut Jörg Marwedel (SZ 4.8.), zufrieden sein. „Es war eine Woche, die den Marketingstrategen vom Hamburger SV noch lange in Erinnerung bleiben wird. Erstmals seit 16 Jahren war mit dem Gewinn des Ligapokals ein neuer Titel dazugekommen, eine feine Sache für Briefkopf und Akquise. Die lokalen Medien kündigten Großes an: Dieser HSV, trommelten sie, könne „Meister werden“, zumindest aber „Bayern-Jäger Nummer eins“. Ein neuer Trikotsponsor wurde vorgestellt, der 25000. Dauerkartenbesitzer beschenkt. Und das geliftete Stadionmagazin „HSVLive“ wies mit dem modisch aufgemotzten Zugang Stefan Beinlich den Weg in die Zukunft. Was fehlte zu dieser perfekten Inszenierung, war nur noch ein Sieg zum Bundesliga-Auftakt gegen Hannover 96; alles andere käme, so HSV-Chef Bernd Hoffmann, einem „Desaster“ gleich. Und dann ist es eingetreten, das Desaster. Es war die erste Heimniederlage der Hamburger seit fast einem Jahr und der größte anzunehmende Unfall. Einer, der die Glaubwürdigkeit der wunderbaren PR-Botschaften gleich aufs Heftigste erschütterte. 53000 Augenzeugen hatten gesehen, dass Werbung und Wahrheit im Fußball oft auseinander klaffen wie Vorbereitungszauber und Bundesliga-Alltag. Und vor allem: dass Selbstsicherheit allein Erfolg nicht garantiert (…) Simak, das in Leverkusen verzweifelte Genie, scheint sein Glück in jenem „hässlichen Hannover“ wiedergefunden zu haben, als das er die Stadt vor anderthalb Jahren beschimpfte, um seine Freigabe zu provozieren. Knapp 10000 mitgereiste Fans bereiteten ihm Ovationen. Sie haben ihm längst verziehen, denn „im Grunde“, so Rangnick, „haben sie ihn immer geliebt“. Der Trainer wiederum drückte seine Freude über den „Reifeprozess“ seines Teams und den Beitrag des Heimkehrers und seines kongenialen Landsmannes Stajner etwas verquast-pädagogisch aus: „Wenn ich sehe, wie die Jungs miteinander umgehen, hat die Binnenstruktur keinen Schaden genommen.“ So bleibt vorerst nur ein Problem: das eisige Verhältnis zwischen Präsident Martin Kind und den Anhängern, die weiter gegen die drastisch erhöhten Eintrittspreise in Hannover rebellieren und deshalb von Kind hören mussten, es gebe in Hannover „keine Fankultur“. Diesmal hielten sie ein Plakat hoch mit der Botschaft: „Ein Präsident, der uns verachtet, hat unsern ganzen Hass gepachtet.““

Selten war die Arbeitsaufteilung so eindeutig beim HSV

Frank Heike (FAZ 2.8.) lobt die HSV-Führung. „Die positive Grundstimmung haben zuvorderst die neuen Verantwortlichen mit ihrer akribischen Arbeit geschaffen. Sie erzeugen die Rahmenbedingungen für erfolgreiches sportliches Arbeiten. Manchmal kalt bis ans Herz haben Hoffmann und vor allem der nach außen so smarte, in Wirklichkeit aber knallharte Beiersdorfer den Kader ausgedünnt. Publikumslieblinge wie Erik Meijer oder Martin Groth mußten gehen, teure Fehlgriffe wie Marek Heinz, Cristian Ledesma oder Marcel Ketelaer ebenfalls. Auch die Österreicher Kitzbichler und Baur, die Trainer Kurt Jara vor einem Jahr in einer Anwandlung von landsmannschaftlicher Verbundenheit mitbrachte, fielen durchs Rost der Sparkommissare. Der Kader ist nun kleiner und besser zu trainieren. Zugänge wurden allein gemäß der Vorgabe billig und entwicklungsfähig verpflichtet. Die Linie von Trainer Jara, der vor allem auf fertige Spieler setzt, die den Kern seiner Elf bilden (Hoogma, Cardoso, Barbarez), setzte sich nur einmal durch – die Verpflichtung Stefan Beinlichs war der ausdrückliche Wunsch des Trainers. Andere Risiken ging der HSV nicht ein. Das darf er auch nicht. Es geht nämlich einzig und allein darum: Den HSV zu sanieren. Mehr als 14 Millionen Euro Schulden stehen zu Buche – trotz der Champions-League-Teilnahme 1999/2000, trotz eines herausragenden Zuschauerschnitts. Sparen, sparen, sparen heißt es beim HSV. Als die Profis im ersten Trainingslager auf Amrum allergisch auf das Thema Prämienkürzungen reagierten und auch spätere Verhandlungsrunden wenig Einsicht hervorbrachten – die Spieler hatten das Gefühl, im administrativen Umfeld werde Geld ausgegeben (durch die Einstellung des vierten Vorstandsmitglieds Katja Kraus etwa), welches bei ihnen eingespart werden sollte –, gingen die Verantwortlichen mit gutem Beispiel voran: Sie verzichteten auf acht Prozent ihrer Gehälter. Im Gegenzug wird der HSV seinen Profis bis zum Winter keine Prämien zahlen. Nach dem erheblichen Bilanzverlust dreht der HSV kräftig an der Kostenschraube(…) Selten war die Arbeitsaufteilung so eindeutig beim HSV: Denn Jara kümmert sich überhaupt nicht um Administratives, nur um den Sport. Hoffmann wiederum läßt Trainer und Sportchef Freiräume, wobei Beiersdorfer in der klassischen Rolle des modernen Fußball-Managers agiert. Er ist sehr nah an der Mannschaft, kennt aber die wirtschaftlichen Zwänge. Hoffmann, der spröde und wenig volksnah wirkt, hat sich den vielen HSV-Fans im Norden durch ein populäres Vorhaben angenähert – er möchte das Trainingsgelände der Profis vom Ochsenzoll in die Nähe der AOL-Arena verlegen. Stadion, Übungsstätte, Fanrestaurant und Fanshop auf einem Areal, das fehlt dem HSV noch. Gespräche mit der Stadt haben schon stattgefunden. Es ist wichtig, bei allen Verhandlungen um Gehaltskürzungen und neue Sponsoren die Fans nicht zu vergessen. Das ist Hoffmanns Vorgänger Hackmann weniger gut gelungen.“

Hertha Berlin – Werder Bremen 0:3

Spielerische Qualität kann nicht herbeigepredigt werden

Christian Ewers (FAZ 4.8.) fällt ein hartes Urteil über die ambitionierten Berliner. “Als Andreas Neuendorf an der Kabinentür angekommen war, drehte er sich kurz zur Seite, hob beide Arme wie ein Angeklagter vor Gericht und rief in das Knäuel der wartenden Journalisten: Ich sag‘ nix, ich sag‘ nix! Mal abgesehen davon, daß niemand etwas wissen wollte von Neuendorf, weil er neunzig Minuten auf der Ersatzbank gesessen hatte, muß das selbstauferlegte Schweigegebot als kluge Entscheidung gewertet werden. Viele von Neuendorfs Kollegen im Team von Hertha BSC waren nämlich übermannt worden von diesem ersten Saisonspiel in der Fußball-Bundesliga, das 0:3 gegen Werder Bremen verlorengegangen war. Wir haben heute nur Rotz gespielt, schnaubte Fredi Bobic, der Stürmer. Das war ganz großer Mist, stammelte Michael Hartmann, der Flügelspieler. Und Niko Kovac, der Mittelfeldspieler, sagte leise: Es lief einfach beschissen, von der ersten bis zur letzten Minute. So arbeitete Hertha BSC Berlin seinen mißlungenen Start in die neue Saison auf: schimpfend, fluchend und kopfschüttelnd. Fassungslosigkeit machte sich breit (…) Anspruch und Leistungsfähigkeit liegen bei Hertha im Moment so weit voneinander entfernt, daß die nahe Zukunft ungemütlich werden dürfte. Von der Champions League, wie bei dem einen oder anderen während der Einstimmung auf die Saison, ist vorerst jedenfalls keine Rede mehr. Die Partie gegen Bremen hat gezeigt, daß Hertha ein strukturelles Problem belastet, das nicht innerhalb von wenigen Tagen gelöst werden kann. Die Abwehr um Dick van Burik stellt den größten Schwachpunkt im Berliner Spiel da, die Zuständigkeiten sind nicht eindeutig verteilt, und für einige Jobs gibt es im Moment schlicht kein Personal. Der Bremer Stürmer Ailton zum Beispiel rannte der Berliner Innenverteidigung auf seinen kurzen Beinen einfach davon. Resigniert stellte Niko Kovac fest: Bremen hat uns heute nicht niedergekämpft, sondern niedergespielt. Diese Einsicht ist besonders schmerzhaft für eine international ambitionierte Mannschaft wie Hertha BSC Berlin. Kampf und Leidenschaft wären mit einer flammenden Rede schnell zu wecken – spielerische Qualität jedoch kann nicht herbeigepredigt werden.“

VfL Wolfsburg – VfL Bochum 3:2

Javier Cáceres (SZ 4.8.) ist vom spektakulären Wolfsburger Neuzugang angetan. „Die Vollendung seiner letzten Aktion, das Siegtor zum, bekam Andrés D’Alessandro, nicht mit, denn der neue Regisseur des VfL Wolfsburg krümmte sich am Boden. Er hatte laboba zur Aufführung gebracht, einen Trick, der darin besteht, den Ball unter der Sohle hin- und herzuschieben, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen (und den ein früherer Mitspieler D’Alessandros bei River Plate deshalb „die Dumme“ getauft hatte, weil das Opfer vergleichsweise dämlich dasteht). Bochums defensiver Mittelfeldmann Thomas Zdebel vergolt es dem Argentinier mit einem Tritt an den Knöchel, als der Ball schon längst woanders war und der Spielzug seinen unvermeidlichen Lauf genommen hatte. Stürmer Diego Klimowicz hatte D’ Alessandros Eingebung verstanden und den Ball zum Kollegen Martin Petrov weitergepasst. Dem Bulgaren war es ein Leichtes, einzuschießen, auch weil der Referee seine Abseitsstellung übersah, wie Bochums Coach Peter Neururer zu Recht beklagte. Kaum 120 Sekunden später, nach 76 Minuten, durfte D’Alessandro seinen ersten Bundesliga-Arbeitstag beenden, und es gab einige unter den 15976 Gästen in der Wolfsburger Arena, die sich von ihren Plätzen erhoben, um ihm zu applaudieren. Auch mamá Gladys, die aus Buenos Aires herbeigeeilt war und, wie die Welt am Sonntag beobachtet haben will, auf der Tribüne ganze „Ströme an Tränen“ vergoss. Ganz so rührend war der D’Alessandros Auftritt zwar nicht, der teuerste Neuzugang der laufenden Bundesliga-Transferperiode (neun Millionen Euro) deutete aber an, dass ihm sein vorzüglicher Ruf nicht grundlos vorauseilt.“

Achim Lierchert (FAZ 4.8.). „In Zeiten, in denen die Schauplätze der Bundesliga nicht mehr Stadion, sondern Arena heißen, scheint es bis zum Auftritt eines Stiers nicht mehr weit. So geschehen in Wolfsburg, im neuen, Volkswagen Arena getauften Prunkpalast des VfL. Peter Madsen, Stürmer der dort am Samstag zum Saisonauftakt angetretenen Mannschaft des VfL Bochum, jedenfalls machte sein Treffer zum zwischenzeitlichen 1:2 so richtig wild. Wie von einem roten Tuch gereizt, rannte der Däne danach zur Bank des VfL Wolfsburg und formte dort vor Trainer Röber die Hand vor der Stirn zu zwei Hörnern. Aber warum nur? Auf Geheiß von Jürgen Röber war Madsens Leihvertrag beim VfL Wolfsburg im Sommer nicht in einen festen Vierjahreskontrakt umgewandelt worden. Der Verschmähte schied im Zorn, heuerte beim VfL Bochum an und zeigte es nun seinem ehemaligen Arbeitgeber. Am Ende dieser ausgeglichenen Partie VfL gegen VfL freilich triumphierte Wolfsburg, wenn auch mit Hilfe des Ergoldinger Schiedsrichters Stark, der dem entscheidenden Treffer von Martin Petrov zum 3:2 trotz Abseits nicht die Anerkennung verwehrte. Die Wolfsburger hatten zwar gewonnen, aber noch lange nicht geglänzt. Das galt auch für den neuen Star, Andres D‘Alessandro.“

taz-Spielbericht

„Stürmer Martin Max muss sich wieder einmal beweisen – nun in Rostock“BLZ

Hansa Rostock – VfB Stuttgart 0:2

Martin Hägele (NZZ 4.8.) über den Matchwinner. „Von Szabics, von Sturm Graz ins Schwabenland gekommen, hatten die VfB-Fans bisher noch nicht viel gehört und gesehen, in der Vorbereitungsphase hatte sich der gleichfalls 22-jährige Cacau als erste Wahl im Angriff aufgedrängt. Doch nur eine Viertelstunde nach seinem Bundesliga-Début schrieb dieser Szabics das erste Erfolgskapitel der Stuttgarter in der Saison 2003/04. Innerhalb von 80 Sekunden machte er mit einem Kopfball und dann per Solo den Sieg perfekt. Zu beiden Toren hatte übrigens der für dieses Match als Balakow- Nachfolger vorgesehene Altinternationale Heldt die Vorlagen geliefert; beide Male sah Hansa- Keeper Schober, im Vorjahr noch der “Mister Zuverlässig” von Rostock, nicht besonders gut aus. Aus den Gesten und Tönen am Spielfeldrand lassen sich jedoch erste Hochrechnungen ableiten. Die Art und Weise, wie Teamchef Magath nach den Treffern seines eingewechselten Stürmers die Faust ballte, lässt darauf schliessen, dass weder die Überraschungsmannschaft der letzten Runde noch der «Trainer des Jahres» schon satt geworden sind von all dem vielen Lob und den ganzen Ehrungen. Es scheint doch noch einiges an Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft im jüngsten aller Bundesligateams zu stecken. Was Rostock betrifft, machen sich die Fans aber Sorgen, dass es heuer auch die letzte Bundesligamannschaft aus der ehemaligen DDR erwischen könnte. Die Zuschauer pfiffen jedenfalls kräftig, auch weil sie sich mit dem unattraktiven Stil, den ihr Team gerade bei Heimspielen pflegt, schon im vergangenen Jahr nicht identifizieren konnten. Viele solcher Vorführungen darf sich Trainer Veh im Ostsee-Stadion nicht mehr leisten. So schön die Kulisse durch den Umbau geworden ist, umso gefährlicher kann sich die Atmosphäre dort entwickeln.“

zur Lage der Liga

am Dienstag auf indirekter-freistoss: mehr über die Sonntagsspiele

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