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Deutsche Elf

Eine typisch deutsche Revolution

Oliver Fritsch | Samstag, 10. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Eine typisch deutsche Revolution

Kompromiss an der DFB-Spitze, „eine typisch deutsche Revolution“ (SZ) – „die Verpflichtung Rehhagels wäre in nichts richtungsweisend, außer dass man sagt: Wir sind am Boden“ (SZ) u.a.

Eine typisch deutsche Revolution

Philipp Selldorf (SZ 10.7.) kritisiert: „Eine typisch deutsche Revolution ist geboren worden. Zu den Waffen! hat man gerufen, und hat sich dann viele Stunden lang mit Worten beworfen – bis man sich endlich einig wurde, alles beim Alten zu belassen. Und so ist der Effekt des ausgefallenen Aufstands ein Kompromiss, der gar nichts gemein hat mit der kriegerischen März-Stimmung, die vor der gestrigen Sitzung herrschte. Wir erinnern uns: DFB-Vorstand Nelle klagte über die „grässliche Stimmung“ im Verbandsvolk und identifizierte MV als „Wurzel allen Übels“. So heiß kochte die rebellische Stimmung in den Provinzen des deutschen Fußballreichs, dass die Wortführer meinten, der alte Patriarch habe „keine Chance“ mehr. Prompt erhob sich aus der Mitte der Führung der Kandidat der Opposition: Schatzmeister Zwanziger wagte es, sich gegen den Autokraten zu erheben. MV schien am Ende, der Stratege schlagartig geschafft. Sein Ende sieht nun so aus: Mayer-Vorfelder gibt der WM 2006 als führender Vertreter des deutschen Fußballs sein Gesicht, er wird Königen, Staatschefs und Spielführern die Hand schütteln, die großen Reden halten und als strahlender Präsident im Fernsehen auftreten – während Zwanziger am Schreibtisch sitzt und die Arbeit erledigt. Diese geradezu lächerliche Aufgabenteilung dürfte exakt dem Geschmack des Amtsinhabers entsprechen. Wer Mayer-Vorfelders Liebe zur Ämtervielfalt kennt, der weiß, dass er die Trennung vom Präsidentenposten wie die Amputation von Armen und Beinen empfunden hätte. Indem man MV den Titel und dessen Glanz lässt, vermeidet man die Auseinandersetzung mit ihm – statt für die Revolution hat sich der Verband für die Realpolitik entschieden.“

Alleinherrschaft

Welche Voraussetzungen ermöglichen Otto Rehhagels Erfolg, Christian Zaschke (SZ 10.7.)? „Unbestritten sind Rehhagels Erfolge, und unbestritten ist auch, dass er diese Erfolge in Biotopen des Fußballs errungen hat: in Bremen, Kaiserslautern und in Griechenland. In diesen konzentrierte sich alle Macht auf ihn, er zog sie an sich, und alle anderen unterwarfen sich. Diese Wechselbeziehung ist entscheidend, der Wille des Umfeldes zur Unterwerfung ist ein Schlüssel zu Rehhagels Erfolgen. Eine demokratische Struktur gibt es mit diesem Trainer nicht, das Wort der Ottokratie wurde häufig benutzt, es sollte amüsant sein, tatsächlich ging und geht es um Alleinherrschaft, um Monokratie. Oder wie er es selbst nennt: „demokratische Diktatur“. Wo das akzeptiert wurde, stellte sich Erfolg ein. (…) In Bremen und Kaiserslautern hinterließ Rehhagel nach seinem Weggang eine große Ödnis. Bremen brauchte viele Jahre, um wieder auf die Beine zu kommen, Kaiserslautern war nach Rehhagels Abtritt so gut wie erledigt. Mit beiden hatte er zuvor zu seinen Bedingungen Erfolg. Das genau ist nun die Frage, vor der die Trainersuchenden im DFB stehen: Wollen sie das, Rehhagels Bedingungen? Wenn sie das wollen, dann steht seiner Verpflichtung nichts im Wege. Dann könnte man sagen, dass der deutsche Fußball und Rehhagel im Moment wie für einander geschaffen sind. Es wäre eine Aussage, nämlich die, dass der weltgrößte Fußballverband sich nun als Außenseiter sieht. Die Verpflichtung Rehhagels wäre in nichts richtungsweisend, außer dass man sagt: Wir sind am Boden. Es geht bei dieser Entscheidung um das Selbstverständnis des Verbandes, der nur behauptet, ein demokratischer zu sein, der das an der Spitze jedoch selten vermittelt; dieser Aspekt spräche paradoxerweise auch für Rehhagel.“

Er ist jung geblieben, kann den Spielern Spaß vermitteln und lebt den modernen Fußball
Tsp-Interview (10.7.) mit Frank Holzer, vor 30 Jahren Spieler Rehhagels beim 1. FC Saarbrücken

Tsp: Herr Holzer, wo hat sich Otto Rehhagel entscheidend weiterentwickelt?
FH: Ganz klar, beim Haarschnitt. Damals trug er lange Locken.
Tsp: Hat er früher auch am Spielfeldrand gestanden und wild gestikuliert?
FH: Er war schon immer unheimlich enthusiastisch. Und nie mehr wurde ich als Spieler so individuell betreut wie bei ihm.
Tsp: Es gab eine persönliche Betreuung?
FH: Ottos Leben fand damals im hauptsächlich Café „Fürst Ludwig“ statt. Da hat man sich nachmittags zum Einzelgespräch mit ihm getroffen, und dann wurde geredet, manchmal stundenlang.
Tsp: Wurde nur über Fußball geredet?
FH: Nein, da ging es oft um private Dinge. Sicher wurden auch taktische Fragen besprochen, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich ihm als Mensch wichtig bin.
Tsp: Ist Rehhagel also der richtige Trainer für die deutsche Nationalmannschaft?
FH: Absolut. Er ist jung geblieben, kann den Spielern Spaß vermitteln und lebt den modernen Fußball. Er schaut sich den Kader an und überlegt: Was kann ich damit machen? Er hat ein Auge für so was.

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