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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Klein-Italien

Oliver Fritsch | Montag, 18. Dezember 2006 Kommentare deaktiviert für Klein-Italien

Pressestimmen zum 17. Spieltag: Defensive im Vordergrund / Thomas Doll und Jürgen Klopp in der Bredouille, aber nicht grundsätzlich im Zweifel / Der Hamburger SV, eine tragikomische Figur, die eher Mitleid als Spott auf sich zieht / Bayern stark wie nie / Schalke steht auf dem Zettel vieler Journalisten

Klaus Hoeltzenbein (SZ) erwidert zum Teil die landauf, landab übliche Kritik am Niveau der Bundesliga: „Sie ist gar nicht so doof, diese Liga, sie hat gemerkt, daß der Klinsmann’sche Jubelfußball nicht alltagstauglich ist – kein Verein hat immer nur Heimspiele wie ein Nationalteam bei einer Heim-WM. Weil aber die Bundesliga in Kontrast zum Party-Sommer gesetzt wird, heißt es jetzt, die Hinrunde sei eine Enttäuschung gewesen. Das stimmt, wenn allein Offensivfußball glücklich macht. Das stimmt nicht, wenn auch andere Kriterien zählen. Es hat im Sommer ja zwei Weltmeisterschaften gegeben, die eine der Deutschen, und die andere für den Rest der Welt. Die WM der Restwelt, besonders die von Weltmeister Italien, war emotionsärmer, manchmal zynischer und kalkulierter in der Torverhinderung. Und ausgerechnet von diesem Schwung, der Italien ins Finale führte, scheinen viele Bundesligisten etwas mehr mitgenommen zu haben. Ein Klein-Italien ist in der Liga entstanden, besonders im Mittelbau, dort wo Nürnberg, Hannover, Wolfsburg, Bochum, Frankfurt, Bielefeld oder Cottbus wohnen.“

Peter Unfried (Spiegel Online) fügt an: „Die Ansicht, daß die Bundesliga schlechter geworden sei, ist falsch. Sie ist nicht schlechter als in der Vergangenheit. Sie sieht aber schlechter aus. Und fühlt sich ärmer an. Wenn es eine Erkenntnis gibt, so ist es die, daß das Defensivspiel effizienter und besser geworden ist.“

Christoph Biermann (Spiegel) schildert den Mangel vieler Bundesliga-Abwehrspieler im Spiel nach vorne: „Früher mußten Verteidiger vor allem den Gegner beschatten, wobei sie ruhig Angst und Schrecken verbreiten sollten. Inzwischen ist nicht nur das Geschäft der Verteidigung selbst eine hochorganisierte Form der Balleroberung geworden. Weil es auf dem Platz dort sofort äußerst eng wird, wo der Ball ist, muß es auch ganz schnell nach vorn gehen, wenn man ihn dem Gegner abgejagt hat. Ein defensivstarkes und zugleich ballsicheres Pärchen in der Verteidigungsmitte und zwei dynamische Außenverteidiger, davon träumen Trainer heute. Doch hapert es in der Bundesliga an der Qualität des verteidigenden Personals, und dieses Defizit ist nicht nur gefühlt.“ Um diese These zu stützen, referiert Biermann eine Analyse der Firma Mastercoach, die anhand eines Spielanalysesystems festgestellt habe, daß deutsche Verteidiger länger bräuchten, um einen Paß zu spielen als englische und damit weniger Pässe spielten.

Zeichen von Normalität

Michael Horeni (FAZ) weist erleichtert darauf hin, daß Thomas Doll und Jürgen Klopp trotz allem Mißerfolg nicht entscheidend an Reputation eingebüßt hätten: „Es gehört zur Ironie des WM-Jahres, daß ausgerechnet zwei Trainer, die als besonders große Hoffnung auf dem ausgedünnten deutschen Trainermarkt gelten, den Anschluß an die erste Klasse schon fast verloren haben. (…) Es ist in beiden Fällen ein nicht geringer Fortschritt, daß Klopps und Dolls Qualitäten innerhalb der Liga und in den Medien auch nach düsteren Bilanzen nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden, so wie das vor einigen Jahren noch ‚Fußball-Professor‘ Rangnick widerfuhr. In Doll und Klopp sind in der Vorrunde ganz einfach zwei Trainer mit ihren Teams gescheitert – aber nicht mehr Trainer mit neuen Systemen. Das ist ein Zeichen von Normalität, das der Bundesliga nur guttun kann.“

Tragikomische Spottfigur

Philipp Selldorf (SZ) berichtet das Spiel zwischen Aachen und Hamburg mit offenem Mund: „Dieses im Dauerregen ausgetragene, von taktischen Hemmungen befreite Spiel steht unter Verdacht, einen Torrekordversuch angestrengt zu haben, der bloß daran scheiterte, daß die Spieler auf beiden Seiten oft von rasender Hektik befallen wurden, wenn sie sich Richtung Tor aufmachten, und daß die Torhüter Straub und Wächter sehr ordentliche Leistungen brachten. Am Ende war das Ergebnis genauso schräg wie das Spiel zuvor: Der ruhmreiche HSV verlor beim Aufsteiger Aachen 3:3. Diese Niederlage war für Doll eine der bittersten dieses schrecklichen halben Jahres, denn sie kam zustande auf die gemeinste und höhnischste Art: durch ein herrliches Flugkopfballtor in der 90. Spielminute.“

Auch Gregor Derichs (FAZ) kann die Klimax kaum in Worte fassen: „Im Tivolistadion herrschte der Ausnahmezustand. Die Aachener konnten diesen großen Glücksmoment kaum fassen, für die Hamburger war es ein weiterer herber Dämpfer. Das wahrscheinlich letzte Spiel von Thomas Doll als Trainer des Hamburger SV fand ganz am Ende einen Tiefpunkt, der zum Absturz des ruhmreichen Vereins im vergangenen halben Jahr paßte: ein Eigentor.“ Bernd Müllender (FR) leidet mit dem HSV: „Das war wie ein Stich ins Herz des HSV, ein Hohngelächter höherer Mächte. Der HSV als Sisyphos, als tragikomische Spottfigur mit eingebautem Elendsmagneten, ausgeliefert irgendeinem Fußballgott, der dem 43-jährigen Erstligisten noch jede Schmach gönnt.“

Nicht einmal Kampf und Aufbäumen

Nach dem 4:0 in Mainz – Andreas Burkert (SZ) warnt die Tabellenspitze vor den Bayern: „Nun sind die heillos verunsicherten Mainzer ein dankbarer Aufbaugegner gewesen für einen angeblich geistig und physisch matten Meister, und dennoch muß die noch vorauseilende Konkurrenz aus Bremen und Schalke fürchten, daß sich die Münchner vor ihrem Winterschlaf noch ein wertvolles Erweckungserlebnis gegönnt haben. Die Bayern dominierten ihren Gegner wie ein feister Kater, der mit einem flugunfähigem Käfer spielt.“ Michael Eder (FAZ) beschwert sich über den mangelnden Widerstand der Verlierer: „Nach dem Wechsel nahm das ungleiche Duell für die Mainzer peinliche Züge an, die Mannschaft hatte sich aufgegeben, die Spieler trotteten über den Platz, mit nur noch einem erkennbarem Wunsch: Möge der Schiedsrichter so schnell wie möglich abpfeifen. Es hatte schon depressive Züge, wie die Spieler alles über sich ergehen ließen. Spielkunst hatte man ja nicht erwartet, aber daß nicht einmal Kampf und Aufbäumen zu erkennen waren, schockierte selbst notorisch optimistische Beobachter.“

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