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Bundesliga

Marketing-Gerede einer Meistermannschaft von gestern

Oliver Fritsch | Montag, 29. Januar 2007 Kommentare deaktiviert für Marketing-Gerede einer Meistermannschaft von gestern

Pressestimmen zum 18. Spieltag: Bayern fällt tief, Dortmund überrascht, Schalke nötigt Respekt ab, Hamburg erregt Mitleid, Nürnberg macht staunen, Stuttgart enttäuscht

Michael Horeni (FAZ) zählt die Bayern nach dem 2:3 in Dortmund an: „Neunzig Minuten Fußball in Dortmund haben genügt, um der Konkurrenz sowie den Zuschauern deutlich zu machen: Ein bayrisches Wintermärchen war nur das wochenlange Gerede über die eigene Stärke – die angekündigte sportliche Großartigkeit erstarb im klassischen Kaltstart. Die rhetorischen Münchner Superlativen vom ‚besten Trainingslager‘, der ‚besten Vorbereitung‘ sowie dem Angriff auf die Tabellenspitze entpuppten sich nach dem ersten Praxistest des Jahres 2007 als leeres Marketing-Gerede einer Meistermannschaft von gestern, die trotz aller Anstrengungen keinen Schritt vorangekommen ist.“ Andreas Burkert (SZ) fügt hinzu: „Der FC Bayern trat auf, als habe er einfach stur seine schaurige Vorrunde fortgesetzt. Unsortiert in der Deckung, uninspiriert an den Schaltstellen des Spiels und unter Streß offensiv so furchteinflößend wie ein Biathlet am Schießstand – den Bayern 07 gelang in Dortmund eine erstaunliche Kopie ihrer 06-Version, die sie eigentlich in den Emiraten entsorgt wähnten.“

Mit den BVB-Fans erkennt Roland Zorn (FAZ) die Dortmunder nicht wieder: „Die Zuschauer trauten ihren Augen kaum, so runderneuert, angriffslustig, aggressiv und kombinationssicher präsentierte sich ihr Team. War das der BVB, der sein Publikum in der Hinrunde mit Langweilerfußball gefoltert hatte? Er war’s und wirkte dabei über weite Strecken der Partie so, als ob da lauter kleine Röbers mutig ans Werk gegangen wären. Weil somit auf einen Schlag die Erinnerung an Röbers im holländischen Systemfußball verhafteten Vorgänger Bert van Marwijk verblaßt war, schlugen sich die zuletzt oft mürrischen Fans lautstark und begeistert wie lange nicht auf die Seite ihrer wiederentdeckten Borussia.“

Erstaunlich geradlinig

Horeni bewundert die ruhige Stärke der Schalker, 3:1 in Frankfurt siegreich: „Die Schalker mußten gar keine großen Worte mehr machen. Die schon zum Ende der Vorrunde beeindruckend stabilen Schalker hinterließen bei ihrem geglückten Einstand bei der Eintracht stets den Eindruck, daß der Glaube an den ersten Titelgewinn nach fast einem halben Jahrhundert nicht mehr ständig öffentlich beschworen werden muß. Er gehört mittlerweile schon zur verinnerlichten Schalker Grundausstattung in dieser turbulenten, aber sportlich erstaunlich geradlinigen Spielzeit.“

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Ein Harald Juhnke des Berliner Fußballs

Javier Cáceres (SZ) ärgert sich über die Pfiffe der Berliner gegen Marcelinho: „Jedes Mal, wenn Marcelinho die Blicke auf sich lenkte, fand sich eine Mehrheit, so groß wie weiland auf Parteitagen der bulgarischen KP, bereit, Marcelinho in Grund und Boden zu pfeifen. Als ob er sich, was ja nicht der Fall war, eines Verrates schuldig gemacht hätte. Mögen Ratio und Kinderstube beim Kampf um drei Punkte eine noch so relative Kategorie sein – gemessen daran, daß Marcelinho von 2001 bis 2006 ein die Stadt weit prägenderer Dirigent gewesen war als Thielemann, Barenboim und Rattle zusammen, war es ein erstaunlich rotzig-provinzieller Mangel an Größe, der in der Kurve zutage trat.“ Auch Peter Heß (FAZ) findet es gemein, ihn zu verhöhnen, nur weil er jetzt in Wolfsburg spielt: „Ist das Grund genug für eine Mißfallenskundgebung in XXL? Wieso diese Pfiffe? Sie können als typische Reaktion eines enttäuschten Liebhabers interpretiert werden. Die Hertha-Fans haben ihren Marcelinho immer geliebt. Vor allem dafür, daß er nie den eiskalten Profi vorspielte, sondern immer zu seinen Lastern stand. Marcelinho war immer ein Paradiesvogel, der Freude bereitete und dessen menschliche Schwächen deshalb gerne in Kauf genommen wurden. Eine Art Harald Juhnke des Berliner Fußballs. Und dann kehrt der verlorene Sohn in diesem ungewohnten Wolfsburger Trikot zurück.“

Déjà Vus

In Hamburg nichts neues – Ulrich Hartmann (SZ) leidet mit: „In Hamburg hatten sie gehofft, die fünfwöchige Winterpause könnte eine Zeit des Vergessens werden und ein Sieg zum Auftakt neuen Mut bringen, wo doch schon die Belegschaft und der Trainer die alten geblieben sind. Doch gleich dieses erste Rückrundenspiel in Bielefeld brachte so viele Déjà Vus auf einmal, daß die Saison für den Verein genau dort weitergeht, wo sie im Dezember aufgehört hat.“

Achtfach bereift

Christof Kneer (SZ) schildert staunend die Wetterfestigkeit der Nürnberger, 4:1-Sieger gegen Stuttgart: „Sicherheit. Stabilität. Ballkontrolle. Vielleicht hat man die Grundlage des Nürnberger Spiels nie so schön sehen können wie an jenem Nachmittag, an dem man nicht viel sehen konnte. Unter erschwerten Bedingungen kann man die Qualitäten einer Elf besonders gut erkennen, und beeindruckend war nicht nur, wie entfesselt Saenko und Vittek mit den Flocken um die Wette wirbelten; beeindruckend war vielmehr, wie stabil die Nürnberger im Schneetreiben in der Spur blieben. Der Club ist achtfach bereift inzwischen, er ist eine richtige Allwettermannschaft geworden, eine, der man zutrauen mag, auch bei Blitzeis nicht in den Graben zu rutschen. Fürs Erste hat der Club es geschafft, zur stabilsten Elf der Liga zu werden. Er hat nur zweimal verloren in dieser Saison, jeweils mit 1:2, er ist nie so auseinandergebrochen wie die Stuttgarter Sommerfrischler, die den Wetterverhältnissen eine Cabrio-Mentalität entgegenhielten. Sie öffneten das Verdeck, spielten sorg- und körperlos.“ Hans-Joachim Leyenberg (FAZ) stimmt ein: „Nürnberg, eine Mannschaft für alle Jahreszeiten. Der VfB Stuttgart dagegen muß diese Eigenschaft erst wieder neu beweisen.“

Das Streiflicht (SZ) räsoniert über Fußball, Winter und Winterpause – und was Franz Beckenbauer damit zu tun hat: „Die Frage bleibt, ob die Fußballer wieder spielen, weil es Winter geworden ist – oder ob es Winter geworden ist, weil wieder Fußball gespielt wird. Sie ist nur zu beantworten von Franz Beckenbauer, der sich in Meteorologenkreisen enormer Reputation erfreut, seit es ihm im vergangenen Jahr gelungen war, dank seiner guten Kontakte den Hochsommer mit der von ihm organisierten WM zusammenzulegen. Der Sommer begann mit dem Eröffnungsspiel und endete bald nach dem Finale. Franz Beckenbauer hat neulich gesagt: ‚Schafft die Winterpause ab!‘ Sollte sich von dieser Aufforderung der Winter angesprochen fühlen, stünde eine neue Eiszeit unmittelbar bevor.“

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