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Bundesliga

Wiederholungstäter, reif für die Couch

Oliver Fritsch | Montag, 25. August 2008 Kommentare deaktiviert für Wiederholungstäter, reif für die Couch

Der 2. Spieltag: Ärger allerorten über Mark van Bommel, den Wüterich, der sich über seine Schläge hinaus als verfolgte Unschuld wähnt; Jürgen Klinsmanns Bayern wieder unentschieden, doch die Umstände des Spiels in Dortmund verschonen ihn vor härterer Kritik; die Freude über Hoffenheim, den offensiven und erfolgreichen Aufsteiger, ist nicht vorbehaltlos; Leverkusen und Stuttgart tauschen die Rollen

Jörg Hanau (FR) greift nach allen möglichen Begriffen, um seine Abneigung gegen den Fußballer Mark van Bommel auszudrücken: „Eigentlich ist Mark van Bommel ein umgänglicher Zeitgenosse. Ein angenehmer Gesprächspartner. Ein intelligenter, höflicher Mensch. Ein Sympathikus, der vier Sprachen spricht (holländisch, deutsch, spanisch und italienisch) und aus Sicht des Trainers den Idealtypen des Kapitäns verkörpert. Aber wenn van Bommel die Kickstiefel anzieht, wird er zum Schlächter, mutiert von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde. Dann scheint er alles um sich herum zu vergessen, taucht ein in ein Paralleluniversum, in dem eine realistische Selbsteinschätzung nicht vorgesehen ist. Van Bommel, daran gibt es keinen Zweifel mehr, ist ein Mann reif für die Couch. Ein Wiederholungstäter – von Einsicht aber keine Spur. Van Bommel gibt vielmehr das Unschuldslamm und fühlt sich als Opfer nicht als Täter. Der Realitätsverlust ist chronisch. Der Mann fühlt sich verfolgt und zu Unrecht als Fußballrüpel geächtet.“

Richard Leipold (FAZ) vermisst Reue: „Van Bommel besaß die Chuzpe, seine Sünden zu den alltäglichen Mitteln sportlicher Konfliktbewältigung zu zählen. Im ‚richtigen’ Strafrecht käme es bei den Richtern nicht gut an, wenn ein einschlägig Vorbestrafter so wenig Einsicht zeigte, eher kämen Zweifel auf, wie es um die Erfolgsaussichten einer Resozialisierung stehe, wenn einem Täter in so kurzer Zeit so oft die Hand oder der Fuß ausrutscht.“

Jan C. Müller (FR) nimmt auch Jürgen Klinsmann in die Pflicht, der sich nicht von seinem Rüpelkapitän distanziert hat: „Es ist mehr Sache der Trainer als der Schiedsrichter, ihre Spieler von den Grundregeln des Fairplay zu überzeugen. Der Reflex, sich vor den Übeltäter aus den eigenen Reihen zu stellen, herrscht aber bedauerlicherweise vor. Auch Klinsmann dürfte sich, getreu seines Mottos ‚lebenslanges Lernen’, in der Causa van Bommel noch einmal hinterfragen.“

So langsam wird klar, dass es einen Zeitpunkt geben könnte, an dem sich die Bayern und ihre Anhänger nach Klinsmanns Vorgänger sehnen könnten; das angebliche Auslaufmodell Ottmar Hitzfeld beginnt, Schatten zu werfen. Stefan Osterhaus (Neue Zürcher Zeitung) verliert bald die Geduld mit den sieglosen Bayern und ihrem neuen Trainer: „Mit der Ruhe, die sich Klinsmann erbeten hat, dürfte es vorläufig vorbei sein, und insgeheim ist vermutlich nicht einmal er selber überrascht darüber: Zu gut kennt der ehemalige Bayern-Professional das Münchner Klima, das von hochtrabenden Ansprüchen geprägt ist. Geduld ist zudem keine Münchner Tugend. Doch ausgerechnet die hat sich Klinsmann im Überfluss erbeten. Dabei wurde eine Frage allerdings nur sehr leise gestellt: Warum will Klinsmann maximal zwei Jahre brauchen, um eine Mannschaft zu verbessern, die im letzten Jahr die Liga weitgehend beherrschte und dazu den Cup gewann? Viel Arbeit ist ihm von seinem Vorgänger schon abgenommen worden; hier übernimmt ein Trainer keinen Trümmerhaufen, sondern ein halbwegs intaktes Team.“

Lob hingegen erntet Klinsmann in der SZ für seine Einwechslungen nach der Halbzeit, „der ersten echten Stresssituation seiner Amtszeit.“ Allerdings, runzelt Andreas Burkert mit der Stirn, „verwunderte es sehr, dass Lukas Podolski noch lange warten auf seinen Einsatz musste, was doch, da ihm nun an einem einzigen Nachmittag seine von der EM hinübergerettete Verfassung genommen sein könnte (er verstärkte die Vermutung mit einer kommentarlosen Rekordflucht in den Bus).“

Professionell, fleißig, intelligent

Ein schöner Knochen ist auch dieses Mal der Tabellenführer TSG Hoffenheim, den die Presse aber auffällig vorsichtig anrührt. Zwar jubelt die FAZ über den „perlenden Angriffsfußball“, ansonsten ist die Freude über den Aufsteiger durch Vorbehalte getrübt – Vorbehalte weniger der Autoren, wie es scheint, sondern Vorbehalte der Leser. Vielleicht rechnen die Redaktionen mit erbosten Leserbriefen oder User-Kommentaren, wenn sie nicht zum hundertsten Mal erwähnen, dass Dietmar Hopp kein zweiter Abramowitsch ist, sondern in die Jugend, gute Mitarbeiter und auch in soziale Projekte investiert. Die Kommentare sind durchzogen von Rechtfertigungen und von der Frage bestimmt: Kann man Hoffenheim mögen?

Von Jan Christian Müller (FR) lesen wir: „Nun könnte man den Hoffenheimern und ihrem schwerreichen Gönner Dietmar Hopp vorwerfen, sie würden sich den Erfolg teuer einkaufen. Das wäre zum Teil sogar ein berechtigter Vorwurf. Aber eben nur zu einem Teil. Denn niemand hat je zuvor seine Sache neben einem für Deutschland beispiellosen Millionen-Investment derart professionell, fleißig, intelligent, gnadenlos und perspektivisch angepackt wie Hopp.“

Roland Zorn (FAZ) betont, dass an Hoffenheim nichts zu beanstanden sei: „Der Klub ist eine Bereicherung für die Bundesliga, in der andere, einst als synthetisch verkannte Vereine wie Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg längst zum Inventar gehören. Wie die von einem Chemie- und einem Automobilkonzern unterhaltenen Werksklubs aus dem Rheinland und dem östlichen Niedersachsen zeigen die Kraichgauer, dass auch ohne eine förmliche Öffnung für Investoren genug frisches Kapital in einen Verein fließen kann, wenn unternehmerische Phantasie und sportliches Know-how zueinanderfinden wollen.“ Ob Leverkusen und Wolfsburg schmeichelhafte Referenzen sind?

Es ist so ungeheuer leicht, Hoffenheim zu hassen

Moritz Kielbassa (SZ) streicht heraus, dass die TSG Anklang finde: „13.500 Dauerkarten und eine ausverkaufte Heimspielpremiere belegen: Erfolg macht sexy, Neugier überwindet Vorbehalte. Mit dem Erfolg, hofft Hopp, soll Hoffenheim vom belächelten, beschimpften Dorfklub zur Leuchtreklame der Metropolregion Rhein-Neckar werden. Die Chancen stehen gut.“

Peter Ahrens (Spiegel Online) erweist den Hoffenheimern die Ehre, ihnen für einen Moment die Rolle der Bayern zu übergeben: „Es ist so ungeheuer leicht, Hoffenheim zu hassen, dass es schon keinen Spaß mehr macht. Ungefähr so einfach, wie über einen George-W.-Bush-Witz zu lachen oder Bahnchef Mehdorn nicht zu mögen. Hoffenheim – ein Verein ohne Wurzeln im deutschen Fußball. Mäzen Hopp – ein Duz- und Golfkumpel von Kaiser Franz. Trikotsponsor – der Axel-Springer-Konzern. Der Trainer – Ralf Rangnick, ein Coach, der sich den richtigen Club ausgesucht hat, um ganz sicherzustellen, dass er sein Image als verkniffener Ehrgeizling auf jeden Fall behalten darf. Und dann spielen sie ihre Hinrunden-Heimspiele auch noch im Stadion von Waldhof Mannheim, dem Oberlippenbart unter den Fußballvereinen, dem man auch knapp achtzehn Jahre nach dem Erstligaabstieg die Schlappners, Dickgießers und Schlindweins dieser Welt noch nicht verziehen hat.“

Mut zur Offensive

Christof Kneer (SZ) notiert, dass das Spiel Stuttgart gegen Leverkusen einen Verlauf genommen hat, der den Erwartungen widersprach: „Das Spiel wirkte wie eine Gegendarstellung zum ersten Spieltag, denn da war die Branche ja noch davon ausgegangen, dass die Stuttgarter Elf eine Zukunft hat und die Leverkusener Elf eine Menge Probleme. Der zweite Spieltag erbrachte eine exakt gegenteilige Erkenntnislage.“ Zorn fügt an: „Der vor einer Woche noch so durchsetzungsfähige VfB bekam kein Bein auf den Boden, und die Leverkusener Spielernaturen spielten robust und angriffslustig die eigenen Vorteile aus.“

Besonders angetan hat es den Chronisten der Leverkusener Sturm; Reinhard Sogl (FR) wirft ein Auge auf Stefan Kießling: „Kießling in der Form von Stuttgart ist der Prototyp des Profis, wie ihn sich Labbadia vorstellt: angriffslustig, laufstark, diszipliniert. Kurzum ein Spieler, mit dem Labbadia seine Fußball-Philosophie umsetzen kann, die da lautet: Mut zur Offensive, Mitarbeit in der Defensive. Und vor allem: taktische Flexibilität.“ Und Kneer schreibt: „Patrick Helmes könnte der Spieler sein, der den Klub verändert. Er besitzt jenen Punch, der Bayer traditionell fehlt.“

Zum Ende ein Zitat, das die Financial Times Deutschland im Radio aufgeschnappt hat: „Gegen die Arminia zu spielen ist wie in einen alten Schuh beißen: Der schmeckt nicht, und satt wird man auch nicht.“

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