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Bundesliga

Ende der Demütigung, des Experiments, der besonderen Verbindung

Frank Baade | Dienstag, 29. September 2009 Kommentare deaktiviert für Ende der Demütigung, des Experiments, der besonderen Verbindung

Hertha entlässt Lucien Favre und steht wieder bei Null, Bayer Leverkusen hat ein erfolgreiches Vorbild, in Stuttgart schöpft man neue Zuversicht

Jan Christian Müller erinnert in der FR an den oft ungeliebten, aber ehrgeizigen Ex-Manager der Hertha: „Indem Präsident Werner Gegenbauer und Sportchef Michael Preetz Anfang Juni den ungeliebten, aber gewiss nicht erfolglosen Sportdirektor Dieter Hoeneß nach aufreibenden 13 Jahren vom Hof jagten, hatten sie sich mit Favre zu einer Art Schicksalsgemeinschaft vereinigt. Jetzt, nachdem der zusehends rat- und kraftloser wirkende Schweizer gescheitert ist, kommt das auch für Gegenbauer und Preetz einer schweren Niederlage gleich. Sie stehen nun vor einem Scherbenhaufen. Alphatier Hoeneß, dem Favre grußlos keine Träne nachweinte, hätte nie zugelassen, dem ebenso kompetenten wie zaudernden Fußballlehrer neben der Vollmacht für die Taktik auch die Vollmacht für die (verfehlten) Transfers zu bewilligen. Vielleicht merken sie in Berlin jetzt ja auch, dass Hoeneß besser war als sein Ruf. Reibung erzeugt nämlich Energie. Und die fehlt der Hertha ohne Hoeneß völlig.“

Boris Herrmann bestätigt die bekannte Charakterisierung der Herthaner als Leichtmatrosen ohne Widerstandsfähigkeit (Berliner Zeitung): „Innerhalb kürzester Zeit hat sich Hertha BSC vom Titelanwärter zum Abstiegskandidaten dilettiert, das Glück vom Mai wirkt aus heutiger Sicht geradezu naiv, die Architekten des Aufschwungs sind über alle Berge. Hertha BSC legt damit ein Tempo im Selbstzerstörungsmodus vor, das fast schon wieder meisterlich ist. Alles, was bei diesem Klub in den vergangenen zwei Jahren aufgebaut wurde, ist mit einem Mal Makulatur. Hertha BSC ist zurück auf null. Gleichwohl bleibt richtig, dass die Personalpolitik Favres stets einer Haltung, einer Überzeugung, einer Idee von modernem Fußball folgte. Deshalb ist seine Beurlaubung auch keine gewöhnliche Trainerentlassung, sondern eine Zäsur. Nach der Abkehr vom Hertha-Internats-Fußball ist das Ende vom Favre-Fußball die zweite hektische Windung der Klubgeschichte binnen weniger Jahre. Hertha BSC präsentiert sich damit einmal mehr im Einklang mit jenem Image, das im Rest der Republik so gerne verspottet wird: als gesichtslose Tante, die beim leichtesten Seegang freiwillig über Bord geht.“

Arbeitsverweigerung in Berlin?

Michael Horeni (FAZ) macht auch den Kontostand der Hertha für die personelle Schieflage verantwortlich: Favre habe sich seit Saisonbeginn ständig wachsender Kritik ausgesetzt gesehen. Anders als die meisten Konkurrenten hätte der quasi Sportmanager Favre in Personalunion mit dem Trainer Favre aber einem Sparkurs folgen müssen und zwangsläufig Andrej Woronin und Verteidiger Josip Simunic nicht halten können. „Aber der Verlust von Torjäger Marko Pantelic hatte keine finanziellen Gründe, sondern lag in der Haltung des Trainers, der mit dem divenhaften und von den Fans bejubelten Serben nicht weiter zusammenarbeiten wollte. Es zeigte sich in der Bundesliga jedoch ganz schnell, dass die jungen Kräfte, die in der vergangenen Saison an der Seite der Routiniers sogar wochenlang die Tabellenspitze stürmten, alleine noch überfordert waren. Auch die neuen Spieler wie Stürmer Artur Wichniarak konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Zudem, so deutete Favres Assistenztrainer Gämperle am Montag an, hatte es längst am Vertrauen einiger Spieler zum Trainer gemangelt.“

Zu Favres Ehren verweist einzig Moritz Kielbassa für Sueddeutsche.de auf die lange Berliner Verletztenliste sowie eine mögliche Meuterei: „Nach dem Montagstraining unter Favres Leitung trat dessen Assistent Gämperle in Erscheinung – mit einer Wutrede, die ein hartes Gerücht offen thematisierte: Lag bei manchen Profis Arbeitsverweigerung vor? Der formschwache Arne Friedrich soll von Preetz explizit gefragt worden sein, ob er gegen Favre spiele – was er als Affront verstand. In Hoffenheim trafen vorzügliche Flügelangreifer wie Obasi und Ba auf zwei überforderte Außenverteidiger der Hertha, die beide im Innendienst ausgebildet worden sind (Pejcinovic, Janker). Dort, im Abwehrzentrum, fehlt Josip Simunic als Organisator, er hält jetzt den Hoffenheimer Laden zusammen. Verletzt fehlten am Sonntag Drobny, Ebert, Cicero, Kacar, Kringe, von Bergen, Lustenberger. Gegen Lissabon fällt eventuell auch Friedrich wegen eines Blutergusses aus. Alle zusammen ergäben: eine komplette Elf mit Klasse.“

Blaupause Bayern

Andreas Morbach erinnert im Tagesspiegel an die Machart früherer Erfolge des Trainers von Bayer Leverkusen: „Für die Unterhaltung der Liga fühlen sich die Leverkusener nicht mehr zuständig, seit Heynckes das Sagen hat. Bayer wurde in 105 Jahren nicht einmal Meister, aber man hat jetzt einen Trainer, der weiß, wie es geht. Den FC Bayern hat Heynckes 1989 und 1990 zum Meistertitel gecoacht – einmal mit 26, einmal mit 28 Gegentreffern. Dürre Siege wie jetzt in Köln sind für ihn der fußballerische Ritterschlag. So hätten die Bayern ihre Meisterschaften geholt. Die Blaupause für Bayer liegt also vor.“

Listig, stur oder unausweichlich

Markus Babbels Lage als Verantwortlicher in Stuttgart ist auf dem Weg der Besserung, berichtet Oliver Trust in der FAZ: Nicht an der Trainerschule, sondern z. B. bei Hitzfeld habe Babbel das gelernt, was er nun umsetze. „Er scheint dazu den Ausweg aus seiner eigenen ersten Krise gefunden zu haben. Seit dem 3:0 in Frankfurt am Samstag gilt der Abwärtstrend beim VfB als vorerst gestoppt.“ Konsequent sei Babbel gewesen und habe auch das Risiko nicht gescheut, „mit einer populistisch wirkenden Maßnahme Schiffbruch zu erleiden. Torwart Jens Lehmann wurde für ein Spiel suspendiert, weil er ohne Absprache beim Münchner Oktoberfest auftauchte.“ Fehlerfrei sei Babbel gleichwohl nicht gewesen, „etwa mit dem prinzipiellen Beharren auf einer Personalrotation. Babbel verwendet den Begriff nicht mehr, wohl auch, weil sich einige seiner Spieler zurückgesetzt glaubten. Dabei wechselt er, wenn er es für richtig hält, noch immer. So auch in Frankfurt – wo der Erfolg zum VfB wie zu Babbel zurückkehrte.“

Christof Kneer und Johannes Aumüller sehen im ständigen Personalwechsel Babbels eine Zwangsläufigkeit (Sueddeutsche.de): „Vor anderthalb Wochen hat Markus Babbel das Ende der Rotation verkündet, worauf er aber erstmal Kapitän Hitzlsperger auf die Tribüne setzte und beim nächsten Spiel die Elf auf weiteren sechs Positionen änderte. Babbel hat also eine Rotation erfunden, die einfach nicht mehr so heißt – das kann man listig oder stur nennen, oder: unausweichlich.“ Markus Babbel habe momentan ohnehin kaum eine andere Wahl, als zu rotieren. „Denn jene Spieler, die das Fundament einer Stammelf bilden sollten, bereiten ihm zunehmend Sorgen. Denn war es nicht so, dass Aliaksandr Hleb und Pawel Pogrebnjak extra verpflichtet wurden, um dem begabten, aber braven Kader ein wenig Champions-League-Schärfe hinzufügen? Und jetzt ist es so, dass sich der VfB in der Krise nicht von den zugekauften Helden, sondern vom selbstgezüchteten jungen Gemüse retten lassen muss: in Frankfurt etwa vom 20-jährigen Julian Schieber, der zwei Tore erzielte. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass Babbel im Moment mehr sein muss als nur Coach. Zusammen mit Manager Horst Heldt ist er im Moment der Integrationsbeauftragte im Klub.“

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