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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Labbadias Starrsinn und Mainzer Organisation

Frank Baade | Dienstag, 3. November 2009 1 Kommentar

Schalke sei kein Spitzenteam, doch andere Bundesligisten genauso wenig, Labbadia wechselt falsch, Stuttgart kommt vorne nicht weiter, die Bundesliga schwach wie Österreich, Podolskis Weg zum Unvollendeten

Alles möglich in dieser Liga

In der Financial Times Deutschland lauscht Ulli Brünger den Worten von Schalkes Trainer: „Nicht nur die jahrelang mit ‚Stolperfußball‘ gequälten königsblauen Fans berauschten sich an dem Spektakel, auch Magath findet mehr und mehr Gefallen am eigenen Werk. Dennoch habe man gegen die beiden Topteams Hamburg und Leverkusen gesehen, was seiner Elf noch zu einer Spitzenmannschaft fehle. Magath lobte aber seine junge Truppe nach dem siebten Pflichtspiel in Folge ohne Niederlage wegen ihrer Kraft und Moral.“

Daniel Theweleit (Berliner Zeitung) macht die Schwäche der Liga für ein überraschendes Phänomen verantwortlich: „Die Abhängigkeit der Leverkusener von ihrem Abwehrchef ist frappierend. Hyypiä war zwanzig Minuten vor dem Ende umgeknickt. Der Schmerz blieb, der Routinier ging, und Schalke erzielte zwei späte Tore.“ Doch Leverkusen sei immer noch Tabellenführer, merkte Hyypiä an. „Das ist in der Tat erstaunlich denn dieses 2:2 war das dritte sieglose Spiel hintereinander für die Werkself. Doch offenkundig gönnt sich die Ligaspitze eine kollektive Pause. (…) Spielerisch lief bei den Schalkern mal wieder nicht viel an diesem Abend. In den Vorwochen hatte Felix Magath das große Durcheinander noch mit seiner Trainermagie in ein funktionierendes Ganzes verwandelt. Diesmal funktionierte kaum etwas. Zur Halbzeit dachten fast alle, dass Schalke an seine Grenzen gestoßen sei.“ Schalke 04 sei kein Spitzenteam, rechtfertigte sich Magath, doch fragt Theweleit: „Aber gibt es in der Bundesliga überhaupt ein solches Spitzenteam? Die Bayern stecken in einer Dauerkrise, der HSV gewinnt nicht mehr, Leverkusen ist abhängig von einem Finnen, selbst Bremen wankt, in dieser Bundesliga scheint alles möglich.“

Bayern vor der Champions League

Nach dem 0:0 in Stuttgart brechen für van Gaal andere Zeiten an, konstatiert Thomas Becker in der Financial Times Deutschland: „Seine bisherige Bayern-Bilanz ist durchwachsen. Erste Parallelen zum gescheiteren Vorgänger Jürgen Klinsmann hat der Boulevard längst gezogen. Da kann van Gaal noch so oft betonen, ein ‚Prozesstrainer‘ zu sein, der Zeit und Vertrauen brauche. Vor allem Zeit haben sie beim FC Bayern eher nicht.“

Michael Neudecker (Berliner Zeitung) unterstreicht die Ähnlichkeit der Lage mit van Gaals Vorgängern: „Es ist auch für Louis van Gaal persönlich ein besonders wichtiges Spiel, er steht unter Druck, was auch ein wenig daran liegt, dass den Bayern wie so oft in dieser Phase der glanzlosen Spiele, die zum Beispiel 0:0 enden wie gegen Stuttgart, die Souveränität fehlt. ‚Ich bin ziemlich nervös‘, sagte Manager Uli Hoeneß am Samstag mit Blick auf die Partie gegen Bordeaux. Nicht nur Uli Hoeneß: Der ganze FC Bayern ist nervös. (…) Louis van Gaal sah müde aus und irgendwie mitgenommen am Montagnachmittag, aber man kennt das ja, von Ottmar Hitzfeld, Jürgen Klinsmann. Sie haben in solchen Situationen alle das gleiche gesagt, eben das, was man als Trainer des FC Bayern in einem angespannten Moment sagt: Dass der Druck normal sei, und dass die Spannung ja auch gut sei.“

Keine Überraschung mehr

Paul Linke (Berliner Zeitung) findet eine Hauptursache für das Abstürzen des VfB: „Der Fußballstandort Stuttgart hat ein Problem, das man nicht in Zahlen ausdrücken kann: Alexander Hleb. Babbel lobte zwar seinen Spielmacher in höchsten Tönen: hervorragend, großartig, absolut präsent, tolles Spiel. Doch immer noch wirkt der weißrussische Spielmacher auf dem Platz so deplatziert wie Günther Oettinger in Brüssel. Das hat das Stuttgarter Publikum, das sich am Sonnabend grundsätzlich gnädiger gezeigt hatte als zuletzt, diesmal nur mit Kopfschütteln und nicht mit Pfiffen registriert, die sie sich freilich auch für Mario Gomez (Stichwort: Landesverräter) aufgehoben hatten. Dabei gab es durchaus Situationen, in denen Hleb sich nicht hätte beschweren dürfen über hitzigere Reaktionen aus dem Fanblock. Für ihn galt, was man an diesem Nachmittag auch über einige Münchner sagen musste: Ihre Aktionen waren einfach leicht zu durchschauen. Am eindrucksvollsten demonstrierte es noch Philipp Lahm, der sich partout weigerte, zur Grundlinie zu laufen, sondern lieber nach innen dribbelte – was für keinen Verteidiger mehr überraschend sein dürfte. War es auch nicht.“

Klaus Schlütter (Welt) empfindet dennoch die Stuttgarter als wahrgenommenen Sieger dieser Partie: „Die Bayern übernahmen nach und nach die Kontrolle, doch sie übten sie aus wie so oft in dieser Saison – ideenlos, behäbig. Für die größte Aufregung sorgten noch Ballkontakte von Mario Gomez, wegen der Pfiffe, die sie an ehemaliger Wirkungsstätte nach sich zogen. Aber auch die zweite Halbzeit blieb ein Remake: das Stuttgarter Hurra dauerte wieder nur wenige Minuten, und wieder konnten die Bayern daraus kein Kapital schlagen. Nach 66 Minuten hatte van Gaal genug von der Harmlosigkeit seines Angriffs. Er brachte Toni für Klose.“ Außer den Audi-Millionen erfreulich für die Bayern: „Die Patzer der Konkurrenz aus Hamburg und Bremen. Der gefühlte Sieger des Nachmittags war aber eher der VfB.“

Elke Rutschmann sieht in der Financial Times Deutschland nicht ganz so viel Zählenswertes für die Stuttgarter: „Markus Babbel muss mit einem Kader den Weg aus der Torlosigkeit finden, bei dem sich viele Spieler in Einzelaktionen verheddern, einer Truppe von Fummlern, die unter Louis van Gaal erst eine Lehrstunde im Passspiel erhalten würde. Die Schaffenskrise in der Offensive geht weiter beim VfB Stuttgart.“

Ein Bärendienst

In der Welt machen M. Linnenbrügger und P. Krull den Hamburger Trainer für die Niederlage des HSV gegen Borussia Mönchengladbach verantwortlich: „Labbadia sollte nicht zu hart mit Boateng ins Gericht gehen, denn zumindest eine Mitschuld ist ihm nach gesundem Menschenverstand anzulasten. Labbadia, wie alle anderen Beobachter des Spiels, musste erkennen, dass sich Boateng gequält hat und dem Spiel des HSV eher schadete als nutzte. Der Trainer kann deswegen nicht seinem 21 Jahre alten Schützling die Entscheidung über eine Auswechslung überlassen, sondern muss sie für ihn im Sinne des Erfolges treffen. Das erfordert die Fürsorgepflicht. Es war in jedem Fall ein schmerzhafter Lernprozess, in erster Linie für den Trainer. Sein Starrsinn hat die Hamburger wohl den Sieg gekostet.“

Frank Heike (Tagesspiegel) betont die menschlichen Schwächen Labbadias. Denn der Umgang mit der Verletzung Boatengs hätte aus Heikes Sicht so einfach sein und aus nur wenigen Worten bestehen können. „Doch Labbadia wollte sich wieder einmal wortreich erklären – aber auf keinen Fall einen eigenen Fehler eingestehen. Das ist seine Form von Eitelkeit. Niemand weiß, ob der HSV mit einer Abwehr-Rochade das Unheil hätte abwenden können. Boateng raus, Demel in die Mitte – und wer nach rechts? Labbadia wollte Tomas Rincon nicht als Rechtsverteidiger einsetzen. Dass eine Dreierabwehrkette gegen nun auch nicht furchtbar offensive Gladbacher die Lösung hätte sein können, deutete Labbadia später wenigstens an. In jedem Falle war der Substanzverlust beim verletzungsgeschwächten HSV deutlich sichtbar.“

Hohe Unterhaltung auf niedrigem Niveau

Till Schwertfeger (Welt) beäugt die internationale Leistungsfähigkeit der Teams der Bundesliga: „Den deutschen Mannschaften gelangen in der laufenden Spielzeit der europäischen Meisterliga in neun Partien lediglich zwei Siege. Weil ihre besten Vereine offensichtlich keine internationale Klasse besitzen, ist die Bundesliga so ausgeglichen – hohe Unterhaltung auf niedrigem Niveau.“ Und die Frage sei Till Schwertferger erlaubt: „Ist Ivanschitz so gut oder die Bundesliga so schlecht?“ Nach einer langen Liste der fehlenden Erfolge des österreichischen Fußballs, aber auch Ivanschitz‘, beantwortert Schwertfeger schließlich selbst: „Nach seiner Ankunft in Mainz übrigens hatte Ivanschitz als sein Ziel ausgegeben, in der Bundesliga zu bestehen. Jetzt ist er ihr Topscorer. Offenbar ist die Bundesliga schwächer, als er dachte.“

Boris Herrmann (Berliner Zeitung) nimmt gleich eine Veränderung der Geisteshaltung der deutschen Fußballzuschauer an: „Mit sechs Toren und ebenso vielen Torvorlagen ist Andreas Ivanschitz aus dem Burgenland derzeit jedenfalls das Maß aller Dinge in der Bundesliga. Auch am Sonnabend beim 3:3 seines FSV Mainz 05 gegen Wolfsburg war Ivanschitz wieder für das begnadet Schöne zuständig und zirkelte einen Freistoß in die obere Torecke. In den Fankurven hierzulande ist längst so etwas wie eine Östermania ausgebrochen. Wenn das so weitergeht, dann verzeihen die Deutschen den Österreichern am Ende sogar noch die Schmach von Córdoba und die Wiener Blutbank.“

Christoph Biermann urteilt bei Spiegel Online mit einem weiteren Focus über das Team des Überraschungs-Torschützenlistenführenden: Einen „Karnevalsclub mit Konzept“ nennt er Mainz 05. Denn trotz Schalkes Erfolgen und Berlins Absturz: „Die Überraschungsmannschaft dieser Saison heißt bislang Mainz 05.“ Zwar sei bei vielen errungenen Punkten auch Glück im Spiel gewesen, dieses sei aber verdient. „Denn die Mannschaft von Tuchel erzwingt dieses Glück auf vorbildliche Weise. Sie arbeitet gut organisiert, kaum nachlassend gegen den Ball und lässt auch nach Rückschlägen selten den Kopf hängen. Der Österreicher Andreas Ivanschitz ist einer der besten Transfers überhaupt. Denn er gibt seiner Mannschaft genau jene Kreativität, die sie von einem zähen zu einem mitunter auch inspirierten Gegner macht.“ Neben dieser geschickten Auswahl der Zukäufe sei aber auch ein anderer Aspekt wertvoll: „Zugleich versteht es die Vereinsführung, keine falschen Erwartungen zu wecken, und das Publikum fordert ebenfalls nicht Unmögliches. Die Idee vom trotzigen Karnevalsverein lebt noch immer, und das ist eine große Managementleistung.“

Podolski, die Karriere-Fehlplanung

In der Welt ahnt Sven Flohr ein böses Ende für alle Träume der Kölner: „Der Rückkehrer findet seine Form einfach nicht. Die beste Aktion des Tages zeigte Lukas Podolski, als das Spiel längst vorbei war. Trotz des blamablen 0:1 gegen Hannover ging der Nationalspieler in die Fankurve, wo er ausgepfiffen wurde. Es waren Pfiffe voller Wut, aber auch Pfiffe voller Angst. Denn so wie sich der 1. FC Köln an diesem Nachmittag präsentiert hatte, ist er reif für den Abstieg. 0:10 Torschüsse lautete die Bilanz nach Hälfte eins, unter dem Strich wurde Enke nur zweimal mit Distanzschüssen geprüft. Diese Harmlosigkeit zieht sich durch die komplette Saison. In den bislang elf Punktspielen haben die Kölner lediglich sechs Treffer erzielt. Und die wurden möglichst gerecht verteilt – Podolski teilt sich die Führung der internen Torjägerliste mit fünf Kollegen.“

Markus Lotter (Berliner Zeitung) hält gleich die ganze Laufbahn Podolskis für in beträchtlicher Gefahr: „Podolski ist jetzt 24 Jahre alt. Und bis dato ist er ein gutes Beispiel für die eklatante Fehlplanung einer jungen Sportlerkarriere. Podolski hat sich zu früh beim falschen Verein versucht, beim FC Bayern. Unpassender geht es nicht. Und Podolski ist viel zu früh zu seiner großen Liebe zurückgekehrt, dem 1. FC Köln, zu einem Verein mit immer wiederkehrenden Sorgen. In der Domstadt mimt er den Fußballerwachsenen, obwohl er als verspieltes Kind doch viel wertvoller sein könnte für einen Klub, der wie ehedem nicht denkt, sondern träumt: von alter Größe, von einem FC, der in einer fruchtbaren Wechselwirkung mit dem Können eines Lukas Podolski lebt. Der Traum ist eine Utopie. Es gibt ein sehr lesenswertes Buch mit dem Titel ‚Die verhinderten Weltmeister. Die Unvollendeten von Roberto Baggio bis George Weah‘. Wenn Podolski so weitermacht, ist er eine feste Größe für die Neuauflage.“

Berlin nicht als Last sehen

Stefan Frommann und Uwe Bremer erfahren von Werner Gegenbauer im Interview für die Welt, dass immerhin ein Sturz ins Bodenlose bei der Hertha nicht eintreten würde: „Mit Ausnahme der vergangenen Saison, als wir Vierter waren, haben wir auch in den Jahren davor regelmäßig die Lizenz für die Bundesliga und Zweite Liga beantragt. Wir werden sie, wie in der Vergangenheit auch, für beide Ligen genehmigt bekommen.“ Zudem gibt Gegenbauer anders als weiter oben erwähnt Bruno Labbadia seine Fehler zu: „Bei einer Niederlagen-Serie kann es immer passieren, dass die sportliche Leitung der Meinung ist, der Trainer würde die Wende nicht mehr schaffen. Zu dieser Erkenntnis ist Michael Preetz gekommen, übrigens nach einer unmissverständlichen Ansage von Lucien Favre, dass es so nicht mehr weitergehe. Deshalb musste man handeln. Daraus zu folgern, dass wir uns bei Favre geirrt haben, akzeptieren wir.“ Wie es weiterzugehen hat, weiß Gegenbauer ebenfalls: „Als Erstes müssen wir die sportliche Krise bewältigen. Wenn wir das schaffen, müssen wir so aufgestellt sein, dass wir Berlin als das begreifen, was es ist: eine Riesenchance für Hertha BSC. Wir müssen uns davon befreien, Berlin als eine Last zu sehen.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “Labbadias Starrsinn und Mainzer Organisation”

  1. TobiTatze
    Dienstag, 3. November 2009 um 14:54

    „Podolski hat sich zu früh beim falschen Verein versucht, beim FC Bayern. Unpassender geht es nicht. Und Podolski ist viel zu früh zu seiner großen Liebe zurückgekehrt, dem 1. FC Köln, zu einem Verein mit immer wiederkehrenden Sorgen.“

    Genau das habe ich prophezeit, als der Wechsel zurück zum 1.FC Köln immer konkreter wurde.

    http://blogundweiss.de/2009/01/11/der-prinz-und-seine-kleider/

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