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Bundesliga

Unheile Werder-Welt, Hitzlsperger sieht braun

Oliver Fritsch | Dienstag, 2. Februar 2010 3 Kommentare

Kritische Lage in Bremen, Thomas Schaaf unter Druck; Christian Gross, strenge Autorität; Thomas Hitzlsperger, ein Sympathieträger wechselt zu Lazio Rom, in den Hort rechter Fans

Peter Ahrens (Spiegel Online) schildert die Probleme in Bremen: „Dass sich in Krisensituationen frustrierte Hinterbänkler wie die abgeschobenen Reservisten Jurica Vranjes und Dusko Tosic mit harscher Kritik an Schaaf aus dem Gebüsch wagen, sollte man nicht überbewerten. Der knorrige Trainer hat es bisher immer hinbekommen, seine Profis auch nach durchschnittlichen Saisonphasen zumindest noch für zwei, drei große Spiele so zu motivieren, dass am Ende doch wieder ein Platz in Champions League oder Europa League heraus sprang. In der Vorsaison ist das unter Aufbieten aller Kräfte und mit gnädiger Mithilfe des Dauersparringpartners Hamburger SV und einer Papierkugel noch gelungen. Mit beidem sollte man in dieser Rückrunde nicht unbedingt rechnen. In Bremen verlassen sich immer noch viele darauf, dass es in einem der beiden Pokalwettbewerbe irgendwie auch in diesem Jahr schon hinhauen wird. Irgendwie hinhauen – das ist alles, worauf sich die Bremer Hoffnung in diesen Tagen stützt. Die Werder-Welt wird so bald nicht mehr heil.“

Jan Christian Müller (FR) fügt an: „Schaaf wurde böse, als der fast bemitleidenswerte, jedenfalls heillos überforderte tunesische Neuzugang Aymen Abdennour von der heimischen Presse als einer der Hauptverantwortlichen für die desolate Defensivarbeit genannt wurde, bei der übrigens auch Mesut Özil regelmäßig durch körperlose Zweikampfführung auffällt. Schaafs Medienschelte erinnert an die Zeiten des Großmeisters Otto Rehhagel, der kritische Journalisten gern mit Missachtung strafte. Schaaf wird beweisen müssen, dass sein Genörgel über die bösen Reporter nur als Ablenkungsmanöver zum Schutz der verunsicherten Profis zu verstehen ist. Wenn nicht, wäre es purer Realitätsverlust.“

Bröckchenhusten der europäischen Topliga

Manni Breuckmann (Revier Sport) resümiert launig sein Bundesligawochenende: „Der Profifußball nach dem neuen Spielplan hat was von Bröckchenhusten. Da kann es schon mal passieren, dass die Fans des Revierfußballs bis Samstagabend auf das erste Tor einer ihrer Klubs warten müssen. Um 18.48 Uhr brachte ein ehemaliger Nuss-Nougat-Creme-Boy seine Mannschaft mit 1:0 in Führung. Ich muss zugeben, ich bin meilenweit davon entfernt, Vorsitzender des Kevin-Kuranyi-Fanclub-Dachverbandes zu werden; aber der Junge ist tatsächlich unter Felix Magath richtig aufgeblüht und hat mit seinen elf Toren maßgeblich zur Schalker Spitzenposition beigetragen. Besonders in Heimspielen werden die Gegner mit der Präzision einer Maschine auf die Verliererstraße geschickt. Ich habe mir abgewöhnt, auf Schalke über schönen Fußball zu diskutieren. Angesichts des (noch längst nicht erledigten!) dicken Finanzproblems müssen die Schalker Fans mit der realistischen Chance zufrieden sein, Champions League zu sehen. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil dort die dicken Geldsäcke verteilt werden. (…) Ich habe mir den zweifelhaften Luxus angetan, den Abstiegskampf in seiner ganzen Schönheit zu betrachten. Hertha gegen Bochum und Hannover gegen Nürnberg haben das Image der Bundesliga als europäischer Topliga erneut eindrucksvoll bestätigt.“

Hilfe stellender Glatzenträger

Klaus Schlüter (Welt) porträtiert Christian Gross als Strengen und Gerechten: „Gross ließ auf den Zimmern die Minibars ausräumen und ausschließlich mit Mineralwasser bestücken. Der Zucker im Cola schade dem Körper, sagt er. Seine klaren Regeln bezeichnet er als ‚Hilfestellungen für die Spieler’. Gross’ Markenzeichen ist die polierte Glatze. Schon in jungen Jahren als Spieler gingen ihm die ersten Haare aus. Anfangs hatte er seine Probleme damit, verhüllte die lichten Stellen mit einem Toupet. Doch weil der ‚Fiffi’ bei Kopfbällen gelegentlich verrutschte oder gar davonflog, andererseits der Kojak-Look immer mehr in Mode kam, mutierte Gross zum bekennenden Glatzenträger, der er bis heute ist. (…) 1998 rettete er Tottenham Hotspur vor dem Abstieg, wurde aber dennoch nach drei Spielen in der neuen Saison entlassen. Die Spieler haderten mit seinem autoritären Trainingsstil und setzten sich mit ihrer Meinung in der Klubführung durch. Besonders mit Jürgen Klinsmann lag Gross im Dauerclinch.“

Aufrechter Sportsmann im Hort rechter Gesinnung

Julius Müller-Meiningen (Financial Times Deutschland) hält das Gespann Thomas Hitzlsperger/Lazio Rom für unpassend: „Die Geschichte rechtsradikaler Ausfälle bei Lazio ist lang und reicht vom römischen Gruß des bekennenden Neofaschisten und ehemaligen Spielers Paolo Di Canio bis zu ‚Auschwitz ist eure Heimat’-Transparenten beim Derby 2007 gegen den AS Rom. Nun kommt ausgerechnet ein Spieler, der unter anderem wegen seines hohen Bücherbedarfs als aufgeweckter Fußballer gilt. Es ist mehr als eine Fußnote, dass der engagiert gegen Neonazis eintretende Nationalspieler nun zu dem Verein geht, dessen Kurve Hort rechtsradikaler Gesinnung ist.“

Bernd Dörries (SZ) verabschiedet Hitzlsperger mit besten Wünschen aus Stuttgart: „Noch am Sonntag schickte das regionale Fernsehen Hitzlsperger den Kommentar hinterher, der Spieler mache sich feige aus dem Staub. Eher das Gegenteil ist der Fall. Hitzlsperger wollte bis zuletzt seinen Stammplatz im Mittelfeld zurückerobern, er sträubte sich, den Verein zu verlassen. Erst als Joachim Löw ihm immer wieder sagte, dass ohne Spielpraxis die WM gefährdet sei und der neue Trainer Gross ihm keine Hoffnung auf diese Spielpraxis machte, ließ er sich auf einen Transfer ein. Der VfB verliert den wohl menschlich anständigsten Spieler der vergangenen Jahre, dem sein Wesen aber auch zum Vorwurf gemacht wurde. Als es schlecht lief, forderte man vom damaligen Kapitän, er möge doch mal auf den Tisch hauen. Hitzlsperger saß aber lieber mit allen an einem Tisch und redete in aller Ruhe darüber.“

Martin Haar (Stuttgarter Nachrichten) fügt seine Anerkennung hinzu: „Wenn es noch so etwas gibt wie aufrechte Sportsmänner, dann hat der VfB Stuttgart einen davon verloren.“

Kommentare

3 Kommentare zu “Unheile Werder-Welt, Hitzlsperger sieht braun”

  1. Libero
    Dienstag, 2. Februar 2010 um 17:24

    Es fällt den Journalisten sichtbar schwer etwas Negatives über den Liebling der Sportpresse Werder zu schreiben und obendrein interessieren tut´s auch keinen (wie man an den wenigen Leserkommentaren sieht).

    Bremen ist halt sympathisch (auch mir, wenn es Erfolg hat), aber mehr halt nicht. Wie heißt es so schön und richtig: Sympathie ist die Schwester von „Nett“ und die Mutter von „Langweilig“. Kein Wunder, dass das spießige Werder keinen mehr interessiert, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt!

  2. Ulfert
    Mittwoch, 3. Februar 2010 um 01:38

    @Libero: Was willste denn Negatives schreiben? Zum xten Mal die Vorwürfe von enttäuschten Spielern? Mir fällt spontan nicht viel ein…

    Hier zahlt sich die Skandal- und Sensationsgeilheit des Journalistentums mal für die Richtigen aus: Werder lässt sich nichts unterschieben und das wissen inzwischen alle, also kann man sich dort in aller Ruhe daran machen die vorhandenen Probleme zu lösen.

  3. Glock Peter
    Mittwoch, 3. Februar 2010 um 21:07

    Es ist ja tatsächlich grausam, wenn ein Verein/ Unternehmen mal leichte Schwierigkeiten hat. Könnte ja glatt der leuchtenden Perfektionsfassade schaden.

    Da bin ich wirklich dankbar, dass es so einen Verein wie Werder gibt, der auch mal ein menschliches Antlitz hat, und das, ohne Werderfan zu sein.

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