indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2010

God save the Green

Kai Butterweck | Sonntag, 13. Juni 2010 5 Kommentare

Während Griechenland gegen Südkorea enttäuscht, kommen die Argentinier zu ihren ersten drei Punkten. Im Spiel der Engländer gegen die USA patzt der Torwart in guter alter britischer Tradition

Griechenland stolpert im ersten Spiel gegen spielstarke Südkoreaner. Marcus Gatzke (Zeit Online) sah zu jeder Zeit chancenlose Griechen: „Sie haben gegeben, was sie zu leisten in der Lage sind. Anders formuliert: Sie haben sich bemüht. Aber die Südkoreaner waren ihnen in allen Teilen überlegen. Insgesamt ein schönes Spiel, das die Südkoreaner verdient gewonnen haben. Der Traum der griechischen Mannschaft, den Einzug ins Achtelfinale zu schaffen, ist aber wohl schon jetzt vorbei. Denn es warten noch zwei starke Gegner: Nigeria und vor allem Argentinien. Für Otto Rehhagel, der in Südafrika seine erste und wohl auch letzte Weltmeisterschaft bestreitet, gilt der olympische Satz: Dabei sein ist alles.“

Fußball aus der Antike

Frank Hellmann (Tagesspiegel) empfand die Spielweise der Mannen von Otto Rehhagel gar als „Fußball aus der Antike.“  Man „verlor nach einer erbärmlichen Leistung das Auftaktspiel gegen einen flinken und technisch starken Außenseiter. Gut möglich, dass von den Griechen nicht mehr viel bleibt bei diesem Turnier, das ein ähnlich erfolgloses Kapitel wie vor 16 Jahren werden könnte. Auch beim WM-Debüt 1994 verkamen rückständige griechische Fußballer zum Spielball ihrer Gruppengegner – und kapitulierten gegen Bulgarien (0:4), Argentinien (0:4) und Nigeria (0:2). Letztere beiden Nationen warten erneut noch als Widerpart, und viel Hoffnung auf Besserung gibt es nicht.“

Auch Constantin Wissmann (taz) sieht schwere Zeiten auf die Griechen zukommen: „Zugegeben, niemand hatte vorher erwartet, dass dieses Spiel in die Annalen der Fußballgeschichte eingeht. Südkorea – Griechenland, bei aller Liebe, ein Kracher ist das ja nicht gerade. Das Spiel knüpfte  nahtlos an die fußballerisch bisher so enttäuschende WM an. Das lag vor allem an den Griechen, die das Kunststück fertig brachten, noch einfallsloser als die Franzosen am Freitagabend zu agieren. Es droht die zweite WM-Blamage, der Zauber des großen Rehakles scheint verflogen. Südkorea hingegen kann weiter vom zweiten Vorstoß in die Endrunde nach der Heim-WM 2002 träumen, diese wie eine Duracel-Batterie immer laufende Mannschaft, die auch spielerisch Fortschritte gemacht hat, müssen Nigeria und Argentinen erst einmal schlagen.“

Sieg ohne Sahnehäubchen

Argentinien bezwingt nach zähem Ringen Nigeria. Für David Bernreuther (SZ) ein „Sieg ohne Sahnehäubchen“. Viele Experten „hatten im Vorfeld der WM behauptet, Argentinien habe im Angriff so viel Potential wie kaum eine andere Mannschaft. Für Diego Milito, von Inter Mailand, und Sergio Agüero von Atlético Madrid hatte Maradona keinen Platz in seiner Startformation. Gegen Nigeria stürmten Gonzalo Higuain, Carlos Tevez und natürlich: Messi. Der Weltfußballer sei ‚die Erdbeere auf dem Nachtisch, das Sahnehäubchen’, sagt Maradona, ‚er soll den gleichen Einfluss haben wie ich 1986’.“ Auch wenn das entscheidende Tor ein anderer erzielte, wusste der Weltstar vom FC Barcelona zu überzeugen: „Lionel Messi dribbelt, wirbelt, schlänzt und spielt Doppelpässe.“

Ähnlich sieht es Axel Kintzinger (Financial Times Deutschland): „Messi glänzte mit Zauberpässen und Tempodribblings.“ Für die Afrikaner wird es seiner Ansicht nach alles andere als einfach  werden: „Nigerias Spiel war ein Hinweis darauf, dass es die afrikanischen Mannschaften auch bei der ersten WM auf afrikanischem Boden schwer haben dürften. Zwar stemmte sich die vom schwedischen Trainer Lars Lagerbäck gut eingestellte Defensive tapfer gegen die argentinischen Angriffe – aber eine solide Abwehr allein dürfte bei diesem Turnier nicht reichen, um den hohen Ansprüchen auf dem schwarzen Kontinent zu genügen. Internationale Klasse zeigte an diesem Nachmittag nur einer von ihnen: Torwart Enyeama.“

José Sámano (El País) macht bei der Albiceleste Folgendes Problem aus: „Argentinien hat zwei Seiten: Einerseits das Gesicht von Messi, seinen emotionalen Fußball, unterhaltsam, modern und ohne Missverständnisse. Andererseits das Kreuz, das der Rest der Maradona-Anhänger tragen muss. Eine Gruppe von angestrengten Spielern, die blockiert wirken. Wenn Argentinien spielt, kann man zwei Dimensionen des Fussballs erleben: die fesselnde Ausstrahlung Messis und das Paradigma der anderen in der Mannschaft, die ein Geschwür beim Zuschauer verursacht. Dazwischen befindet sich Maradona“. Dieser ist wieder Zielscheibe der Kritik, da er mit seinen taktischen Wechlseln am Ende des Spiels für Unordnung gesorgt und die Nigerianer wieder zurück ins Spiel gebracht habe. „Von Nigeria war kaum etwas zu sehen, bis zur letzten Viertelstunde des Spiels, als Maradona einen originellen Einfall hatte – oder aber einen plötzlichen Kurzschluss. Er verordnete ein 4-1-5 mit nur einem Verbindungsspieler im Mittelfeld“.

Dem Guardian zufolge verdankt Argentinien dem Torschützen Gabriel Heinze den perfekten Start. Doch auch hier geht schlussendlich das meiste Lob an Messi: „Wenn das ein durch die Strapazen einer langen Saison noch nicht ganz fitter Messi war, dann Gnade Gott den 31 anderen Teams, wenn er erst richtig in Fahrt kommt.“

Englischer Torwart-Slapstick

England und die USA trennen sich im dritten Spiel des Tages 1:1 und Christian Kamp (FAZ) beobachtete dabei Folgendes: „Auf englischen Torwart-Slapstick ist auch bei dieser Weltmeisterschaft Verlass. Ein kurioser Fehlgriff von Robert Green kostete die Mannschaft von Fabio Capello in ihrem Auftaktspiel gegen die Vereinigten Staaten den Sieg.“ Beide Treffer fielen bereits in der ersten Hälfte: „Die zweite Hälfte hätte beiden Teams den Sieg bringen können. Hier wie dort wurde das Risiko ein bisschen erhöht, der Takt schlug schneller. Der amerikanische Torwart Howard musste sich nun einige Male strecken. Die beste Chance aber besaß sein Team, als Altidore auf der linken Seite Carragher überlief. Bei seinem Schuss machte Green im englischen Tor zumindest nichts falsch und lenkte den Ball an den Pfosten. Es wird ihm und seinem Team ein schwacher Trost gewesen sein.“

Dominik Wehgartner (taz) befasst sich ebenfalls mit dem „üblen Schnitzer des englischen Torwarts.“ In der 40. Minute „besann sich Green der großen Tradition seiner torhütenden Landsleute und sah sich geradezu gezwungen, einem kümmerlichen Schüsschen des Amerikaners Dempsey halb auszuweichen, halb mit eigener Kraft ins eigene Tor zu schaufeln.“ Die Engländer gingen früh in Führung, doch „die Amerikaner erholten sich schnell von dem frühen Rückstand und setzten sich nach zehn Minuten erstmals in der englischen Hälfte fest. Planvoll, konzentriert und gut abgestimmt ging es weiter bei den Amerikanern, Bradley dirigierte aus der Mitte und dann ging es immer wieder über rechts, wo Cherundolo in Zusammenspiel mit Donovan für einige gute Aktionen sorgte. Ausgeglichen ging es nach der Pause weiter. Zunächst aber auf niedrigerem Niveau als in der ersten Halbzeit.“ Auch wenn die Insulaner gegen Ende nochmals ordentlich Druck aufbauten, konnte „auch der eingewechselte Crouch und die vier Minuten Nachspielzeit am Ergebnis nichts mehr ändern und so feierten die Amerikaner ein verdientes Unentschieden gegen ein am Ende enttäuschendes England.“

Oliver Kay (Times Online) bezeichnet Robert Greenes Patzer als grauenhaften Moment, „der Capello wohl dazu veranlassen wird, gegen Algerien Joe Hart oder David James aufzustellen. Letztlich sei es ein Abend gewesen, „in der kaum jemand beeindruckt hat und beide Teams am Ende das bekamen, was sie verdient hatten“.

Vor ihrem heutigen Auftaktpiel gegen die Slowenen erinnert sich Anthony Hernandez (Le Monde) an den traurigen Beginn der Weltmeisterschaftsgeschichte Algeriens: „Bei ihrer ersten WM 1982 in Spanien wurde die algerische Mannschaft durch eine dramatische Geschichte legendär. Niemand hat die unsportliche Begegnung zwischen Deutschland und Österreich vergessen, die Algerien die Qualifikation in die Zweite Runde raubte. Vor diesem traurigen Nicht-Spiel schenkten Rabah Madjer, Lakhdar Belloumi,Mustapha Dahleb und Salah Assad den Fussballliebhabern einen Sieg gegen die BRD (2:1), bevor sie gegen Österreich verloren (0:2) und gegen Chile gewannen (3:2). Das Ende der Geschichte ist bekannt: ein knapper Sieg Deutschlands im Spiel gegen Österreich qualifizierte die beiden Europäer für die Zweite Runde.“

Am treffendsten hat das Spiel übrigens MSneijder zusammengefasst: „God save the Green.“

freistoss des tages

Aus dem Spanischen übersetzt von Pepe Fernandez, aus dem Französischen von Jonathan Lütticken.

Kommentare

5 Kommentare zu “God save the Green”

  1. Otto Kleff
    Sonntag, 13. Juni 2010 um 13:20

    re: Le Monde – Artikel

    Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, wird heute Algerien gegen Slowenien spielen. Anscheinend geht diesen Sommer französische Fußballleistung und journalistische Sorgfalt Hand in Hand.
    Cheers, Otto

  2. Linksaussen
    Sonntag, 13. Juni 2010 um 13:25

    Spanische, englische und französische Presseberichte – ich bin begeistert! Ganz ehrlich. Großes Lob!

  3. juwie
    Sonntag, 13. Juni 2010 um 15:14

    Warum bürgern die Engländer nicht einfach mal einen deutschen Zweitligatorwart ein? 😉

  4. Oliver Fritsch
    Sonntag, 13. Juni 2010 um 15:17

    @Otto Kleff: Danke, ist korrigiert.

  5. Peter Glock
    Dienstag, 15. Juni 2010 um 14:47

    Der muss jetzt einfach sein:

    England hat derzeit nur nen Greenkeeper!

    *sry*

    @juwie: Den Jentzsch hätten sie haben können und den Almunia auch…

    Sie wollten aber irgendwie keinen anderen als den Greenkeeper.

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