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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Bundesliga

Warten auf den Frühling

Matthias Nedoklan | Montag, 20. Dezember 2010 10 Kommentare

Die Hinrunde ist vorbei – Dortmund stolpert aber fällt nicht, Stuttgart bleibt am Boden und Köln setzt auf Finke. Außerdem: Mangelnde Rendite an der Weser und ein verliebter Spanier

Andreas Burkert (SZ) versucht ein verrücktes Spiel zwischen Bayern und Stuttgart in Worte zu fassen: „Der VfB nutzte die Unordnung beim Gegner zu einer schwungvollen ersten Viertelstunde. Die Bayern hätten sich nicht über einen Rückstand beschweren können, zum Beispiel nach einem Freistoß Bokas, als Labbadias junger Debütant Ermin Bicakcic freistehend zum Kopfball kam, der Ball jedoch genau auf Torwart Jörg Butt zuflog. Doch dann kam alles sehr plötzlich – und ganz anders. Es dauerte nach dieser starken VfB-Viertelstunde nicht mehr lange, bis die ersten Zuschauer das Stadion verließen – vor dem Abpfiff der ersten Hälfte. Da stand es 0:3, die Partie schien entschieden zu sein, Mario Gomez, Thomas Müller und Franck Ribéry hatten getroffen. Zu Wiederbeginn empfing das Publikum das verunsicherte VfB-Team mit zartem Beifall, die Saison ist ja noch nicht zu Ende. Doch es dauerte nicht lange, bis sich der Volkszorn entlud. Nach schöner Vorarbeit von Pogrebnjak gelang dem eingewechselten Österreicher Martin Harnik zwar der Anschluss, doch danach überschlugen sich im Stuttgarter Strafraum die Ereignisse. Zwei Minuten nach dem 1:3 beendete Gomez alle Gedankenspiele, als er nach einem Fangfehler des Torwarts Ulreich zum 4:1 einschob. Und Gomez  drittem Treffer, gingen erneut Slapstick-Einlagen der VfB-Deckung voraus.“

Arne Leyenberg (FAZ) blickt auf den Einstand des neuen Cheftrainers des VfB Stuttgart: „Nach etwas mehr als einer halben Stunde hallten „Bruno Labbadia“-Sprechchöre durch die Stuttgarter Arena. Aber nicht etwa die Fans des vom Abstieg bedrohten VfB feierten ihren neuen Trainer, sondern die Anhänger des FC Bayern. Die Münchner führten zu diesem Zeitpunkt durch Treffer von Mario Gomez und Thomas Müller 2:0 bei Labbadias erstem Einsatz als Trainer der Stuttgarter in der Fußball-Bundesliga. Und es sollte noch bitterer kommen. Franck Ribéry und Gomez ließen wenig später noch drei Treffer folgen – 5:1 stand es zwischendurch, am Ende dann 5:3, das war trotz der Gegentreffer durch Martin Harnik und Christian Gentner ein Zeichen zum Abschluss der Vorrunde: Seht her, mit uns ist im neuen Jahr zu rechnen. Vier Punkte beträgt der Rückstand der Bayern auf Platz zwei noch.“

Oliver Trust (Tagesspiegel) fasst zusammen: „Der Bayern-Optimismus hätte leicht größer ausfallen können. Als Gomez nach seinem dritten Treffer zum 5:1 vom Feld ging, hatte Fredi Bobic entsetzt die Hände vors Gesicht geschlagen. Im Stadionmagazin hatte der Stuttgarter Manager noch gefordert, gemeinsam den „Super-Gau“ zu verhindern, womit er den drohenden Abstieg meinte. Nur in der ersten Hälfte bekam der neue VfB-Trainer zu sehen, was er während des neu eingeführten Acht-Stunden-Tages gefordert hatte. Stuttgart gewann viele Zweikämpfe und präsentierte sich als kompakte Mannschaft, die den Bayern wenige Räume ließ. Und man hatte die besseren Chancen. Nach sieben Minuten wehrte Jörg Butt einen Kopfball des 20 Jahre alten Außenverteidigers Ermin Bicakcic ab. Danach musste der Bayern-Keeper gegen Christian Träschs Schuss mit einem Reflex klären. Ohne den kranken Bastian Schweinsteiger, die verletzten Arjen Robben und Holger Badstuber agierten die Bayern abwartend. Die Stuttgarter waren im Abschluss ungefährlich und offenbarten erneut Schwächen in der Hintermannschaft. So fiel es den Münchnern leicht, das Spiel nach Stuttgarts engagierter erster Viertelstunde an sich zu reißen.“

Dortmund behält Winterspeck

Andrea Diener (FAZ.net) porträtiert Shinji Kagawa: „Die japanische Presse steht dick vermummt in Daunenanoraks am Absperrband tief unten im Bauch des Frankfurter Stadions und wartet auf Shinji Kagawa. Seit er für den BVB spielt, ein halbes Jahr inzwischen, interessiert man sich in seiner Heimat verstärkt für Bundesligafußball. Und seit er Tore schießt, acht Stück bislang, kommt man auch in Deutschland kaum um ihn herum. Im September erzielte er zwei Treffer im Spiel gegen den Lieblingsrivalen Schalke, seitdem ist er fast so etwas wie ein Dortmunder Lokalheld und sein Name immer öfter auf den gelben Trikots der Fans zu lesen.  Die japanische Presse ist müde, die zwei Stunden herumstand und an diesem Samstag vergeblich wartete. Jetzt ist erst einmal Winterpause, und im Januar spielt Kagawa dann mit der japanischen Nationalmannschaft im Asien-Cup – in Qatar, immerhin ist es dort nicht so eisig wie an diesem Tag in Frankfurt. Borussia Dortmund wird einen Monat ohne ihn auskommen müssen, aber er soll Dortmund bis 2013 erhalten bleiben, so sieht es der Vertrag vor. Genug Zeit also für bessere Tage und bessere Spiele als dieses.“

Klaus Hoeltzenbein (SZ) schreibt ein Kapitel in die Geschichte von Borussia Dortmund: „Diesen Fehlschuss nehmen die Dortmunder jetzt mit in die kurze Pause, die am 14. Januar beendet wird, auswärts in Leverkusen, bei einem, der sich Verfolger nennen darf. Falls es dort auch schiefgeht, hätte die Borussia immer noch viel von ihrem Zehn-Punkte-Winterspeck, den sie in der Tabelle als Vorsprung angesetzt hat, und der schwer zu verspielen sein wird. Was ihr aber jetzt schon auf ewig gehört, ist die Erinnerung an eine Hinrunde, die aufregend war wie ein gutes Buch: Eine Niederlage zum Start (0:2 gegen Leverkusen) und eine zum Abschluss (0:1 in Frankfurt) bilden die dicken Deckel – auf den Seiten mittendrin jedoch stehen all die schönen Geschichten. Von den Kunstschüssen des Nuri Sahin, den Dribblings des Shinji Kagawa oder tausendundeinem Kopfball des Mats Hummels. Dieses Buch ist zu, das bleibt für immer, das kann ihnen keiner mehr nehmen.“

Ein später Dank an Andreas Müller

Richard Leipold (FAZ) analysiert die Lage in Köln und Gelsenkirchen: „Nach dem Seitenwechsel schufen die Schalker rasch klare Verhältnisse. Jefferson Farfan, seit einigen Wochen in bestechender Form, brachte eine Flanke, die noch abgefälscht wurde, in den Sechzehnmeterraum; dort vollstreckte Raul abermals eiskalt, diesmal mit dem Fuß. Damit war der Widerstand der Kölner gebrochen. Von nun an war der Sieg des FC Schalke nur noch eine Frage der Höhe. Trotz guter Chancen versäumte es die Heimelf zunächst, den Vorsprung auszubauen. Doch Senor Raul war noch nicht fertig. Kurz vor Schluss krönte er seine Leistung mit einem weiteren Tor und machte seinen zweiten Dreierpack perfekt – schon beim 4:0 gegen Bremen im November hatte er dreimal getroffen. Eine Erfolgsmeldung verbuchten die Kölner immerhin abseits des Spielfeldes. Die Rheinländer verpflichteten Volker Finke, den ehemaligen Coach des SC Freiburg, als Sportdirektor. Finke tritt das Amt zum 1. Februar 2011 an und wird einen Vertrag über zweieinhalb Jahre erhalten.“

Philipp Selldorf (SZ) schwärmt von Jefferson Farfan: „Außer den übrigen 60000 Zuschauern bestaunte auch Andreas Müller Schalkes 3:0-Sieg gegen den 1. FC Köln, und wäre die Welt gerecht, dann wären die Leute dem ehemaligen Manager dankbar um den Hals gefallen, als er nach dem Spiel in der großen Stadion-Schänke vom rheinischen Kartoffelsalat kostete. Aber Müller, der vor anderthalb Jahren an den Fehlern seiner Transferpolitik scheiterte, wurde von den meisten Besuchern eher beiläufig zur Kenntnis genommen.  Dabei gab es gerade am Samstag Grund, ihn zu preisen und zu loben, denn Müller waren bei seinen Einkäufen nicht nur Unfälle wie Zé Roberto II, Streit, Großmüller oder Engelaar widerfahren. Er hat aus Eindhoven auch Jefferson Farfan importiert, und den hat Schalkes Generaldirektor Felix Magath, Müllers Nachfolger, soeben öffentlich und offiziell zum zweitwichtigsten Spieler seiner Mannschaft erklärt. Versehen mit dem Kompliment für ‚eine ganz starke Vorrunde‘ und verbunden mit der bangen Hoffnung, dass der Angreifer ’seine Form über Weihnachten nicht verliert‘ – aus diesem Wunsch sprach dann wieder der erfahrene Skeptiker Magath. Bis Farfan wegen einer Fersenprellung das Feld verließ, hatte er dem Spiel die aufregendsten Momente beschert. An guten Tagen wie diesem ist sein Spiel wie ein Actionfilm. Von seinem Stammplatz an der rechten Außenbahn drängte er immer wieder mit Macht und Wucht in den Kölner Strafraum, und manchmal nahm er es wie der große Bud Spencer mit allen roten Gegnern auf einmal auf, mit dem Unterschied, dass Farfan eine feinere Technik zum Einsatz brachte.“

Aus der Provinz in die Metropole

Philipp Selldorf (SZ) zweifelt ob Volker Finke der richtige Mann am Rhein ist: „Weitere Prognosen sind dem höchsten Falschmeldungsrisiko unterworfen. Finke hat zwar in Freiburg gleichermaßen als Trainer wie als Sportchef gearbeitet, in Köln wird er jedoch Berufsanfänger sein. Der FC ist kein einfach zu beherrschender Klub, das Milieu in der Stadt ist tückisch. Die Entlassungen des Trainers Zvonimir Soldo und des Managers Michael Meier sowie die rebellische Stimmung im Fanvolk gegen den Präsidenten Wolfgang Overath haben bei den Verantwortlichen aber zur Erkenntnis geführt, dass der Verein sportlich und strategisch erneuert werden muss. Dass jene Reform in Finkes Hände gelegt wird, erscheint manchen Beobachtern widersprüchlich. Finke hatte in Freiburg eine strenge Alleinherrschaft praktiziert, wie soll er also mit Overath zurechtkommen, der nicht von seinem Einfluss lassen will?“

Jan Christian Müller (FR) kommentiert die Finke-Verpflichtung: „Tatsächlich hat der zur Dünnhäutigkeit neigende Niedersachse in 16-jähriger Arbeit im vorherigen Fußball-Niemandsland Breisgau Hervorragendes geleistet, er hat den deutschen Fußball mit der Erfindung der raum- und ballorientierten Deckung und des Kurzpassspiels revolutioniert, er hat ein vorbildliches Nachwuchszentrum mit aufgebaut. Er ist zudem international bestens vernetzt. Seine Fähigkeit, strategisch und systematisch zu denken, fehlt dem 1. FC Köln seit Jahr und Tag. Es spricht also mindestens genauso viel dafür wie dagegen, dass Finke ein guter Griff sein könnte.“

Keine Rendite an der Weser

Ralf Wiegand (SZ) sorgt sich um Werder Bremen: „Die Choreographie der inszenierten Fröhlichkeit sieht zum Ausklang so einer Halbserie immer wieder Dinge vor, die einer Mannschaft, wenn sie nicht erfolgreich ist, direkt auf die Füße fallen können. So hatten Werders Profis wie jedes Weihnachten das Danke-Plakat im Mittelkreis aufgespannt, das der Platzwart 364 Tage wahrscheinlich irgendwo zwischen der Freistoßmauer aus Plastik und dem Karton mit den nie benutzten Pokalsieger-T-Shirts aufbewahrt hat. Den Dank zurückgeben konnte das Publikum freilich nicht, denn nach der schlechtesten Hinrunde seit 15 Jahren murren die geduldigsten unter den Zuschauern vielleicht gerade noch ein ‚bitte, gern geschehen‘. So eine Dauerkarte, auch wenn sie wie bei Werder für die Baustelle Weserstadion galt und auch noch teurer geworden war, kauft man irgendwie getragen von der Hoffnung auf gute Unterhaltung und Erfolg. Eine Art Optionsgeschäft. Eigenes Risiko. Wenn die Rendite dann aber aus Platz 14 und einer grünen Filz-Zipfelmütze besteht, verfinstern sich auch unter den gutmütigsten Hanseaten die Mienen.“

Matti Lieske (Berliner Zeitung) verabschiedet Wolfsburg in eine ungewisse Zukunft: „Dank Grafite wieder ein Punkt für Wolfsburg, der wie ein Sieg gefeiert wurde, aber hinten und vorne nicht reicht. Man darf gespannt sein, wer nach der Winterpause wiederkommen wird. Manager Dieter Hoeneß? Ganz bestimmt. Trainer Steve McClaren? Eher nicht. Und der unzufriedene Edin Dzeko, den Manchester City so gern möchte, und umgekehrt? Wohl auch nicht. Grafite, wird es vorn dann allein richten müssen. Es sei denn, Manchester City fällt auf, dass Dzeko ohne Grafite nur die Hälfte wert ist, es lässt entweder die Finger vom Bosnier – oder nimmt Grafite gleich noch mit.“

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Kommentare

10 Kommentare zu “Warten auf den Frühling”

  1. Manfred
    Montag, 20. Dezember 2010 um 16:18

    Auf ein Wort, Herr Leipold: 3 Tore in einem Spiel nennt der Fußballfachmann ‚Hattrick‘. Werden sie doch auch einer und benutzen sie das mal und nicht diese ran’sche Wortkrätze ‚Dreierpack‘.

  2. Joern
    Montag, 20. Dezember 2010 um 17:39

    Ist der Ausdruck „Dreierpack“ eine Messgröße für Fußballsachverstand?

    Eher ist „Wortkrätze“ für mich ein Ausdruck sprachlicher Überheblichkeit.

  3. Manfred
    Montag, 20. Dezember 2010 um 18:43

    Liegt sowas nicht im Auge bzw Sprachempfinden des Betrachters? Dreierpack klingt für mich nach Tetrapack und vor meinem geistigen Auge sehe ich 3 Dosen Bier im Pappschuber (oder wie die Dinger auch heißen mögen). Gut, Alkohol und Fußball haben sich immer prima ergänzt (es gibt auch lecker Wein im Tetrapack), sei es auf den Rängen oder als Werbepartner, aber warum krampfhaft einen völlig sachfremden Begriff mit aller Macht zu implementieren versuchen, wenn es schon einen gibt, der seit langer Zeit existiert?
    Und um etwaigen Diskussionen bezüglich der unsäglichen deutschen Besserweisheit vorzubeugen (von wegen ‚lupenrein‘ und dem ganzen Quatsch): wäre es kein Hattrick gewesen hätte Raúl den Ball nicht bekommen. Hat er aber. Schon wieder 🙂

  4. Gottes Rache X
    Montag, 20. Dezember 2010 um 20:54

    Herrje, im deutschen Fußball-Diskurs wird „Hattrick“ nun mal verbunden mit drei Toren nacheinander in einer Halbzeit. Und wenn Gomez oder Raul zu blöd sind, das hinzubekommen, dann müssen sie eben in die Premier League wechseln oder sich mit ihren „Dreierpacks“ zufrieden geben.

  5. Heffer
    Montag, 20. Dezember 2010 um 21:13

    „Liegt sowas nicht im Auge bzw Sprachempfinden des Betrachters?“

    wenn das so ist, warum beschwerst du dich denn eigentlich? Solltest du dir dann nicht einfach denken: „Mir gefällt es anders besser, aber wenn jemand eine abweichende Meinung hat, ist es auch ok.“

  6. Arne
    Montag, 20. Dezember 2010 um 22:11

    Muss ja ein langweiliger Spieltag gewesen sein, wenn Hattrick/Dreierpack das einzige Diskussionsthema ist…

  7. anderl
    Montag, 20. Dezember 2010 um 22:40

    @arne
    den drohenden Niedergang des BVB wagt sich keiner anzusprechen 😉

  8. Manfred
    Dienstag, 21. Dezember 2010 um 00:37

    @ Heffer: meine von dir zitierte Frage bezieht sich imo eindeutig auf Joerns Einwand bezüglich ‚Wortkrätze‘ und daß ich den Begriff ‚Dreierpack‘ für eben das halte.
    Und von Gottes Rache X erführe ich zu gern, was der deutsche Fußball-Diskurs eigentlich ist. Ich finde es jedenfalls ziemlich bescheuert, daß hier unbedingt noch eine Extrawurst gebraten werden muß, während überall in der restlichen (Fußball)Welt Konsens bezüglich eines Hattricks herrscht.
    Und Dortmund wird Fünfter.

  9. anderl
    Dienstag, 21. Dezember 2010 um 11:11

    @Manfred: Danke!

  10. Ulfert
    Dienstag, 21. Dezember 2010 um 16:31

    @Manfred: Wo bleibt ihre Beschwerde, dass der Schütze des Hattricks nur einen Ball bekommt, aber keinen Hut? 🙂

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