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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Champions League

Kalt, kälter, Uefa

Kai Butterweck | Freitag, 14. April 2017 1 Kommentar

Kurz nach dem die Mannschaft von Borussia Dortmund dem Terror-Tod von der Schippe springt, muss sie bereits wieder auf dem heiligen Rasen funktionieren. Die Presse reagiert mit Fassungslosigkeit

Nicht einmal 24 Stunden nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Mannschaftsbus stehen die Herren Aubameyang, Kagawa und Co bereits wieder auf dem Platz. Oliver Fritsch (Zeit Online) ist fassungslos: „Was man auf dem Dortmunder Rasen sah, stellte alle marxistischen Zerrbilder vom Kapitalismus in den Schatten. Doch Fernsehvertrag ist Fernsehvertrag und der Fußballkalender ist der Gott der Gegenwart. Die Uefa wollte offenbar sogar schon am Tag des Anschlages spielen lassen. Man muss sich fast fragen, was ihr Heer aus Juristen und Salesmanagern davon abgehalten hat. Vielleicht waren es abdiskontierte, nichtpekuniäre Kosten. Hätte der anonyme Machtapparat der Uefa eigentlich die Dortmunder bestraft, wenn sie nicht angetreten wären? Es wäre schon irgendein Paragraf dafür vorgesehen gewesen.“

Der Mensch dahinter zählt offenbar nicht viel

Auch Julian Graeber (Tagesspiegel) schüttelt den Kopf: „Bis zum Champions-League-Halbfinale Anfang Mai sind Dortmund und Monaco alle drei bis vier Tage im Einsatz. Um den BVB-Profis die nötige Zeit zur Bewältigung dieser Ausnahmesituation zu geben, hätten Ligaspiele verlegt oder das schon terminierte Halbfinale nach hinten verschoben werden müssen. Das ist aus organisatorischen und finanziellen Gründen für die Verbände, Vereine und Fans sicher nicht einfach, unmöglich wäre es aber nicht. Doch es fehlt der Wille. Fußballprofis müssen auch mit Anschlägen auf ihr Leben zurecht kommen. Der Mensch dahinter zählt offenbar nicht viel.“

Sebastian Huld (n-tv.de) ist nicht nach Feiern zumute: „Profifußball ist eine gigantische Geldmaschine. Jeder der Beteiligten – Verbände, Vereine, Spieler, Sponsoren und Medien – verdient daran. Sie alle haben den Fußball zu dem Milliardengeschäft aufgeblasen, das es heute ist. Aber muss man deshalb das Produkt derart über den Menschen stellen? Das gestrige Spiel war kein Fußballfest, wie es die Uefa auf ihrer Internetseite weismachen will. Es war der Beweis für die Gefühlskälte in einem zynischen Milliardengeschäft. Die Show muss immer weitergehen. Koste es, was es wolle.“

Anno Hecker (FAZ) hingegen spricht von einer „notwendigen Zumutung“: „Es wird bei Massenveranstaltungen niemals eine Schutzgarantie für die Hauptdarsteller in der Arena geben können. Gleichzeitig lastete nach der Neuansetzung durch die Uefa ein enormer Spielsystem- sowie ein Erwartungsdruck der Öffentlichkeit auf den Stars. Auch einen Gruppenzwang innerhalb eines Ensembles mit ausgeprägter Team-Hierarchie ist nicht auszuschließen. Zudem wussten die Spieler von der Wirkung ihrer Entscheidung auf die Haltung ihrer Fans, sogar auf die Stimmung in der Gesellschaft. Das haben die weltweiten Reaktionen der Menschen am Mittwoch gezeigt, die rührseligen Geschichten über Verbrüderungen unter gegnerischen Fans in Dortmund, der in sozialen Medien verbreitete Stolz von Borussia-Anhängern, dass ihr Team nicht in die Knie geht.“

Frank Nägele (ksta.de) steht unter Schock: „Auch beim Abgebrühtesten bleibt der Gedanke, was passiert wäre, wenn die drei versteckten Sprengsätze noch stärker gewesen wären. Er ist unerträglich. Die Konsequenz wird sein, dass jetzt auch noch jeder Meter, den ein Mannschaftsbus auf dem Weg ins Fußball-Stadion zurücklegt, gesichert werden muss.“

Besser kann Zusammenhalt nicht deutlich gemacht werden

Jens Wolters (swr.de) applaudiert den Fans beider Lager: „Das ist kein Spiel – nicht Gut gegen Böse. Nicht Welt-Terror gegen Welt-Frieden, sondern einfach nur Fußball! Die Botschaft der Fans aus Dortmund und Monaco war am Dienstag schon klar: Die Täter dieses gezielten Sprengstoffanschlags werden nicht gewinnen. Schlafplätze für die angereisten Anhänger aus dem Fürstentum wurden schnell privat organisiert. Besser kann Zusammenhalt wohl nicht deutlich gemacht werden.“

Klaus Hillenbrand (taz) schließt sich an: „Während fanatische Fußballfans üblicherweise dazu neigen, ihr gegnerisches Publikum zumindest in Gesängen zu schmähen, haben die Dortmunder BVB-Anhänger den Fans aus Frankreich ganz selbstverständlich ihre Klappbetten angeboten, damit diese das um einen Tag verschobene Spiel am Mittwoch verfolgen konnten. Sie haben sie verköstigt und mit Bier versorgt. Die Zuschauer im Dortmunder Stadion haben nicht randaliert, als sie am Dienstag von der Spielabsage erfuhren, sondern sie sind friedlich nach Hause gegangen. Alles in allem haben diese Menschen gezeigt, wie man vorbildlich mit einem Terroranschlag umgehen sollte – mit Ruhe und Gelassenheit statt Angst und Wut.“

Die Dortmunder rissen alle mit

Pierre Winkler (focus.de) verneigt sich nach dem Spiel vor der kompletten BVB-Mannschaft: „Es folgte die herzergreifendste Leistung seit sehr langer Zeit auf einem Fußballplatz. Die Dortmunder spielten sich frei, körperlich und geistig und rissen alle mit. Dass sie das 1:3 den in dieser Phase überwältigten Gästen schenkten und damit ihr Aus fast schon besiegelten, passt auch ins tragische Bild. Aber was rannten sie, was drückten sie, was kombinierten sie! Auf einmal war da eine Wucht, die für einen Moment all den Unsinn der vergangenen Stunden vergessen ließ. Tuchel und seine Spieler und ihr Mut waren das einzig Positive, das einzig Gute an dieser grausamen Veranstaltung.“

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Kommentare

1 Kommentar zu “Kalt, kälter, Uefa”

  1. wowiki
    Freitag, 14. April 2017 um 10:40

    Der Mensch dahinter zählt offenbar nicht viel.“
    Zitat aus : Tagesspiegel ;

    Nun Herr Graeber,
    was zählt denn ein Fußball-Profi überhaupt ?
    Seitdem diese horrenden Summen – für einen Menschen !! bezahlt werden – wenn er woanders hin wechselt !!! Wohl kaum , grundsätzlich , noch etwas !

    Regt sich da die Presse drüber auf ??
    Ich lese in dieser Richtung nichts ( mehr ) !

    Das ist doch nur noch Sklavenhandel,
    mit Profit für Berater UND
    entsprechendem Mensch,
    der es sogar billigt oder möchte oder sogar vorausetzt !

    Man darf darüber schon lange nicht mehr nachdenken !
    Vor einigen Jahren wurde noch gemeckert über derart , Heute etabliertem System ….
    ( Trotzdem fand ich diese Aktion in der Sache nicht korrekt ! Aber es soll doch Herr W.vom BvB sofort ! dafür gewesen sein , wenn man – alles – liest ! ? !! )

    Frohe Ostern

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