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„Pazza Inter“ (NZZ), das verrückte Inter, siegt in Turin – Alberto Zaccehroni, der unterschätzte Taktier auf der Inter-Bank – Chelsea siegt gegen Manchester United und ist nun ein Spitzenteam u.v.m.

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für „Pazza Inter“ (NZZ), das verrückte Inter, siegt in Turin – Alberto Zaccehroni, der unterschätzte Taktier auf der Inter-Bank – Chelsea siegt gegen Manchester United und ist nun ein Spitzenteam u.v.m.

Birgit Schönau (SZ 1.12.) berichtet den 3:1-Sieg Inters bei Juve: „Diesmal kam der Gärtner dran, denn Christian Vieri, der immer düster wirkende Inter-Star, war verhindert. Gärtner nennen sie Julio Ricardo Cruz aus Argentinien, weil sein Vater eben diesen Beruf ausübte und der Junior eigentlich in die Fußstapfen treten sollte. Der Junge aber, mit seinem dichten schwarzen Drahthaarschopf und den stechenden Augen, traktiert lieber den Ball anstatt den Rasen, und gegen die Alte Dame Juventus pflegt er besonders gnadenlose Arbeitseinsätze. Mit dem PSV Eindhoven versetzte Cruz der Juve schon einmal zwei Tore, mit dem FC Bologna eines, und das hatte man sich im abergläubischen Turin natürlich gemerkt. Dass aber mit Inter, wenige Tage nach der traumatischen Einszufünf-Demütigung durch Arsenal London, wieder der Gärtner mit seinen sensenscharfen Schüssen siegen würde, hatten sie beim Rekordmeister doch nicht glauben wollen. Zehn Jahre lang hatte beim Derby d’Italia stets die Juve gewonnen, seit fast einem Jahr im Alpenstadion kein Heimspiel mehr verloren, und nun, ausgerechnet, stieg die tagelang auf dem Scheiterhaufen der Presse geröstete Internazionale wie Phönix aus der Asche und gewann 3:1. Zwei Tore, ein messerscharf ins äußerste rechte Eck gezogener Freistoß und das Gegenstück mit einem von Torwart Buffon zurückgeprallten Ball in die extreme Linke, machen Cruz zum schwersten Juve-Kreuz seit Felix Magath.“

Unscheinbarer Taktiker

Peter Hartmann (NZZ 2.12.) wundert sich über Inter und macht den Aufschwung an Trainer AlbertoZaccheroni fest: „„Pazza Inter“, Inter, der verrückte Klub, der zu allem fähig ist und auch zum Gegenteil von allem. Zur pathetischen Verschwendung von Kapital (über eine halbe Milliarde Euro hat der Präsident Moratti in sein Spielzeug gepumpt) und Menschen (der letzte, der frustriert ging, war Ronaldo), zum grossen Melodram (die Meisterschaft vor zwei Jahren im letzten Spiel weggeworfen) und zur undurchsichtigen Intrige (wird der egozentrische, widerborstige Goalgetter Vieri verkauft?). Doch jetzt applaudiert Italien einer Meisterleistung des Trainers Alberto Zaccheroni und seiner dezimierten Internazionale: Vier Tage nach der chaotischen 1:5-Schlappe gegen Arsenal besiegten die Mailänder in Turin den bisherigen Leader Juventus diskussionslos 3:1. „Zac“, wie der unscheinbare 51-jährige Taktiker genannt wird, hat die Blössen der seit dem Mai ungeschlagenen „Alten Dame“ freigelegt. Es gelang ihm, der Niederlage gegen Arsenal in San Siro alle traumatische Wirkung zu nehmen und sie in einen Betriebsunfall umzudeuten. Und vielleicht war es kein Unglücksfall, dass Vieri mit gestauchtem Steissbein – eine Dreingabe des Arsenal-Verteidigers Campbell – zu Hause vor dem Fernsehapparat lag. Das Inter-Konzept ist auf den Stürmer-Rambo zugeschnitten, aber Vieri spürt, dass er nicht in Form kommt. Er spielt seit Wochen mit mürrischer Miene den Unverstandenen, den plötzlich die Krise der dreissig befallen hat, der unerbittlich durch die Klatschspalten geschleppt und von den Paparazzi belagert wird, die darauf lauern, dass seine flatterhafte Geliebte, das TV-Sternchen Elisabetta Canalis, wieder zu ihm zurückkehrt. Das ist die Stunde des „Gärtners“ (…) Mit zwei Zügen brach Zaccheroni die Juve-Abwehr auf: Cruz spielte etwas zurückhängend und lockte den langsam gewordenen Stopper Montero auf die linke Seite heraus, und der 19-jährige nigerianische Kugelblitz Obafemi Martins spielte mit dem andern Innenverteidiger, Legrottaglie, Katz und Maus. Martins hat Inter 1,2 Millionen Franken gekostet und zeigt nach jedem Treffer eine artistische Gratisnummer für alle Fernsehstationen des Erdballs: eine Kaskade von atemberaubenden Salti. Der frühere Trainer Hector Cuper wollte sie ihm verbieten. Zaccheroni hat erst am 20.Oktober den argentinischen Defensivprediger abgelöst und die Mannschaft sofort vom rigiden 4:4:2-Schema auf ein elastisches 3:4:3-System umgestellt. Seither hat Inter vier Siege gebucht, einmal – gegen die AS Roma – unentschieden gespielt und ist auf Platz vier hochgeklettert. Das direkte taktische Duell gegen den Meistertrainer Marcello Lippi hat der in Italien immer wieder unterschätzte „Zac“ klar gewonnen. Mit dem Aussenseiter Udinese hatte er schon 1998 einen dritten Platz belegt und 1999 mit Milan auf Anhieb, sozusagen ausser Programm, den Titel erobert. Auf eine Fortsetzung seiner Arbeit konnte er damals nicht hoffen: Präsident Berlusconi entliess ihn wegen politischer Unverträglichkeit – Alberto Zaccheroni ist bekennender Neokommunist.“

Ist in der Vip-Bar schon der Wodka ausgegangen?

Beim 1:0 Chelseas über Manchester erlebt Raphael Honigstein (SZ 2.12.) die Geburt einer Spitzenmannschaft: „Nicht mal im schicken Südwesten Londons haben sich bisher genügend Mieter für die zwanzig „Millenium-Logen“ gefunden, die für satte 15 Millionen Euro zehn Jahre lang gute Sicht auf die Spiele des FC Chelsea an der Stamford Bridge garantieren. Doch am Sonntag waren die exklusivsten Plätze des Hauses zum ersten Mal komplett belegt: Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch hatte für 900 000 Euro seine 400 besten Freunde zum Spiel gegen den Meister eingeflogen. Kurz nach dem Anpfiff machte in der Pressebox das Gerücht die Runde, in der Vip-Bar sei schon der Wodka ausgegangen, doch auf dem Platz herrschte keinerlei Mangel: 42 000 Zuschauer durften begeistert miterleben, wie in einem denkwürdigen Spiel aus den neureichen Titelaspiranten echte Favoriten wurden. Chelsea FC gegen Manchester United 1:0. Das Ergebnis war knapp, so wie es Manchesters Trainer Alex Ferguson vorausgesagt hatte, doch nach den 90 Minuten war in seinem hochroten Gesicht eine gewisse Fassungslosigkeit unverkennbar – die Niederlage war deutlicher ausgefallen als es das Resultat besagte. Es war nur ein Schönheitsfehler, dass die Londoner lediglich mit einem Tor Abstand gewannen. Chelsea war die weitaus bessere Mannschaft. Die für 150 Millionen Euro zusammengekaufte Mannschaft hat Gegner wie Lazio Rom und Newcastle United mit unwiderstehlichem Angriffsspiel auseinander genommen. Gegen weniger namhafte Gegner wie Southampton und Everton hat man auswärts schmeichelhafte 1:0-Siege erkämpft und damit den Ruf der unzuverlässigen Söldnertruppe abgelegt. Und jetzt gelang auch die Reifeprüfung mit einer meisterlichen Stil-Synthese: In der ersten Halbzeit spielten die Gastgeber äußerst clever, aber druckvoll nach vorne, in der zweiten verteidigten sie mit viel Geschick und Übersicht. United kam in der gesamten Spielzeit zu keiner richtigen Torchance. Man muss lange suchen, um ein besseres Duo in der Innenverteidigung zu finden als John Terry und William Gallas. Vor dem englischen/französischen Nationalspielerduo wirkt der unermüdliche Claude Makelele – „unsere Batterie“, nennt ihn Trainer Claudio Ranieri – als Räumkommando. „Er gibt unserem Spiel Geometrie“, sagt Ranieri. Sein unnachahmliches Lernkassetten-Englisch hatte dem römischen Trainer auf der Insel den Spitznamen „Clownio“ eingebracht, doch nun wendet sich das Blatt. Die ruhige Souveränität, mit der er auf die ständigen Gerüchte um seine bevorstehende Ablösung durch Sven-Göran Eriksson reagiert, hat ihm viele Sympathien eingebracht. Seine Höflichkeit gegenüber Konkurrenten und Offiziellen ist in der Liga beispiellos. Nur sein lächelndes Understatement nimmt ihm bald keiner mehr ab.“

Martin Pütter (NZZ 2.12.) fügt hinzu: „Ranieri hat es geschafft, aus der grossen Menge an neuen Spielern, die der neue Chelsea-Eigentümer Abramowitsch im Sommer für 111 Millionen Pfund zusammengekaufte, eine Mannschaft zu formen. Eine Mannschaft notabene, die in den letzten sechs Spielen ohne Gegentor blieb -Ähnliches gelang den Londonern zuletzt in der Saison 1905/06. Zudem sind Unmutsäusserungen von Spielern, die wegen des grossen Kaders nicht immer zum Einsatz kommen, wesentlich geringer als in anderen Klubs.“

Georg Bucher (NZZ 2.12.) stellt fest, dass Atletico Osasuna auf dem Weg nach oben sei: „Ohne grosse Veränderungen vorzunehmen, hat Atletico Osasuna das Image der grauen Maus abgelegt. Die Equipe aus der Stierkampfmetropole Pamplona setzt vor allem auf athletische Tugenden und bildet auch insofern ein Gegenmodell zu den „Königlichen“, die am Wochenende ohne Zidane, Figo und Roberto Carlos, allerdings mit der Hypothek, die beiden letzten Spiele an gleicher Stelle verloren zu haben, nach Navarra kamen. Der kleine Platz sowie eine britisch inspirierte Atmosphäre im Estadio El Sadar scheinen ihnen nicht zu behagen (…) Obwohl drei Punkte verdient und die Rückkehr auf einen Champions-League-Rang möglich gewesen wären, darf Osasuna weiter in Richtung San Sebastian blicken. Real Sociedad spielte drei Jahre hintereinander gegen den Abstieg, dann gelang wie aus heiterem Himmel der grosse Wurf. Als Zweitklassierte verpassten die in der Vorrunde unbesiegten Basken nur knapp den Titel und debütieren heuer -mit guten Aussichten, den Achtelfinal zu erreichen -in der Champions League. Markenzeichen beider Vereine ist die Nachwuchsarbeit, freilich gibt es einen markanten Unterschied. Ausländer vom Niveau Kovacevics, Nihats oder Karpins können sich die Navarros aus finanziellen Gründen (13,8 Millionen Euro Budget; 29 Millionen Euro Schulden) nicht leisten. Auch für spanische Professionals sei Osasuna unattraktiv, meint der Secretario tecnico Martin Gonzalez, der früher selber den roten Dress und die schwarzen Hosen trug. Entlegenere Märkte muss man ins Visier nehmen.“

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