indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ballschrank

Quälend langsam tickt die Uhr

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Quälend langsam tickt die Uhr

Chinas WM-Qualifikation löst Enthusiasmus aus: Wie kann ausgerechnet ein WM-Neuling und krasser Außenseiter den Fußball als Plattform „nationaler Selbstdarstellung und öffentlicher Anerkennung für Größe und Macht“ entdecken?

„Quälend langsam tickt die Uhr“, beschreibt Peter Heß (FAZ) das Warten der Spieler, Trainer und Betreuer auf den Beginn des Turniers. Im Vorfeld des Weltereignisses droht nicht nur dem deutschem Kader „innere Abstumpfung und Lagerkoller“ (SZ)

Außerdem: begeisternder Empfang für die Italiener in Japan und: Gegensätzliches in Spaniens Fußballkultur.

„Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“, scheint die Devise im irischen Lager zu sein. Nachdem Mick McCarthy noch definitiv ausgeschlossen hatte, sich mit Roy Keane zu versöhnen, berichtet die Irish Times (24.5.), dass die Rückholaktion Keane bereits auf vollen Touren läuft: „Premierminister Ahern bestätigte, dass er sich gegebenenfalls aus den Verhandlungen über eine neue Regierung zurückziehen werde, um über den irischen Kader zu verhandeln. Ein Regierungssprecher bestätigte weiterhin, dass Mr. Ahern bereits Kontakt zu Vertrauten von Roy Keane und Mick McCarthy aufgenommen habe und sich als Vermittlungspartner angeboten habe. Mr. Ahern bleibe jedoch auf alle Fälle neutral in diesem Konflikt. Die öffentlichen Sympathien sind hingegen klar auf Seiten von Mick McCarthy, der auch vom irischen Fußballverband volle Rückendeckung erfährt.“

Über das Erfolgsgeheimnis von Kameruns Nationaltrainer berichtet Christoph Biermann (SZ 25.5.). Schäfer nimmt sich offensichtlich im richtigen Maße zurück. „Er war intelligent genug, zu verstehen, was afrikanische Fußballerbrauchen und hat uns Freiheiten gegeben“, sagt Mboma (Nationalspieler), „wir können essen, was wir wollen. Wir müssen nicht zu früh aufstehen. Wir haben Spaß im Training. Wenn wir lachen, heißt es nicht gleich, dass uns Konzentration fehlt.“ Angesichts dieser Bereitschaft, seinem Team Freiräume zu lassen, ist der Trainer mit der blonden Mähne aus Sicht von Mboma „fast zum Afrikaner geworden“. Die eher emotionale Arbeitsweise von Schäfer passt zu einer Mannschaft, die sowieso weiß, worum es geht.“

Zur Bedeutung des Fußballs im Land nimmt Hardy Hasselbruch (FAZ 25.5.) Stellung. „Solidität, Stabilität und Kontinuität sind nicht gerade verbreitet im afrikanischen Fußball, und Kamerun macht da keine Ausnahme. Man lebt auch sportlich von der Hand in den Mund. Trotzdem bringt das Land mit seinen 16 Millionen Einwohnern Jahr für Jahr so viele Talente hervor, dass sich keiner der begeisterungsfähigen Anhänger um Gegenwart oder Zukunft der Nationalmannschaft sorgen muss. Fußball ist in Kamerun Staatsangelegenheit. Vor jedem großen Turnier lässt Staatspräsident Paul Biya die Mannschaft nach Yaoundé einfliegen, um sie mit markigen Worten auf die bevorstehende Aufgabe einzustimmen. Die übrigen Minister folgen. Jeder will sich im Glanz der Fußballhelden sonnen, jeder malt mit Pathos und vor allem Patriotismus die glorreiche sportliche Zukunft in den hellsten Farben. Und zum Abschluss wird gemeinsam die Nationalhymne gesungen.“

Für die deutsche Nationalmannschaft gibt es neben Kamerun, Irland und Saudi-Arabien einen weiteren gefährlichen Gegner: den Lagerkoller im Vorfeld des Turniers. Ludger Schulze (SZ 25.5.) berichtet von der „längsten Woche des Jahres“. „Wie viele seiner Kollegen sucht der Leverkusener Bernd Schneider harmlose Zerstreuung bei Computerspielen und an der Playstation, scheiterte aber an technischen Unzulänglichkeiten: „Keinen Anschluss gefunden, das macht uns Kopfzerbrechen.“ Schließlich hat nicht jeder eine Bibel dabei wie Gerald Asamoah oder gleich fünf Bücher wie Marco Bode.“

„Mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu werben“, wie Christian Zaschke (SZ 25.5.), „ist etwas Besonderes. Die großen Unternehmen werben nicht einfach, sie werden Partner der Mannschaft. Die Idee dahinter ist recht einfach nachzuvollziehen. Wer eine Anzeige in einer Zeitung schaltet oder einen Spot im Fernsehen zeigt, der verweist nur auf sich. Als Partner profitiert man vom Image des anderen. Oder, wie zuletzt bei der Nationalelf, leidet darunter. Bei der Europameisterschaft 2000 ist die deutsche Mannschaft ausgeschieden. Die Bild-Zeitung rief den nationalen Notstand aus. Partner Mercedes gab bekannt, selbstverständlich stehe man auch in der Krise zum Team. Partner, hieß es, gingen durch dick und dünn (…) Das funktioniert, weil die Deutschen nicht auf ihre Geschichte stolz sind, nicht auf ihre Kraft oder etwas in der Art. Wie alle Völker wollen sie dennoch öffentlich stolz sein, aber unverdächtig. Die Lösung: die deutsche Nationalmannschaft.“

Die Knieverletzung Sebastian Deislers wird ihn zu einer halbjährigen Spielpause zwingen. Christian Ewers (FAZ 25.5.) macht sich Sorgen um die Zukunft des 22-Jährigen. „Deisler, der von Hertha BSC für neun Millionen Euro Ablösesumme nach München wechselt, sollte gemeinsam mit dem ehemaligen Leverkusener Ballack Regie im Mittelfeld führen. Aus diesem Plan wird in naher Zukunft nichts. Es ist sogar fraglich, ob sich Deisler jemals von seinem Knieschaden erholt. Denn er reiht sich ein in die prominente Riege von Profis, die durch eine Knieverletzung zu Sportinvaliden wurde: Karsten Bäron, Michael Skibbe und auch Matthias Sammer. Ihre Krankheitsgeschichten zeigen, wie schwer das Knie, das sensibelste Gelenk eines Fußballprofis, zu heilen ist.“

Über den herzlichen Empfang der italienischen Nationalmannschaft in Sendai (Japan) berichtet La Repubblica (24.5.). Die Azzurri wurden begeistert aufgenommen: Applaus, Lächeln, Verbeugungen allenthalben. Bereits vor Monaten wurden überall in Sendai „Club Azzurri“ gegründet, in denen Fan-Artikel feilgeboten werden. Die italienischen Restaurants erleben einen Boom. Selbst Trapattonis Entscheidung, den einzigen buddhistischen Fußballspieler Italiens, Roberto Baggio zuhause zu lassen, tat der kollektiven Leidenschaft für die italienische Elf keinen Abbruch. Im Hotel finden in diesen Wochen besonders viele Hochzeiten statt – traditionsgemäß finden japanische Hochzeiten an Orten statt, die besonders von Fortuna geküsst sind. Nur unter den Bossen der japanischen Mafia herrscht Trauer, nachdem die Polizei just zur WM den Sex-Markt einer „Säuberungsaktion“ unterzogen hat. Die Yazuka hatte in der ganzen Stadt Flyer verteilt und Plakate aufgehängt, in denen sich japanische „Studentinnen“ begierig zeigten, die schönen Italiener kennen lernen zu wollen. Die Polizei hat jedoch alle Plakate inzwischen entfernen lassen.

Ulrich Schmid (NZZ 25.5.) berichtet über die historischen Hintergründe des Fußball-Booms in China, einem von vier WM-Neulingen. „Der bescheidene, wenn auch medienerfahrene Milutinovic kann sich so optimistisch geben, weil er weiß, dass er im Grunde bereits jetzt die Erwartungen der meisten Chinesen mehr als erfüllt hat. Nach einer Serie von Beinahe-Qualifikationen ist China erstmals an einer Endrunde mit dabei, und das allein versetzt die Fans, bescheiden geworden in den 44 Jahren des Misserfolgs, in Ekstase. „Milu“, wie er seit seiner Erfolgssträhne liebevoll genannt wird («Bora» will den Chinesen – das garstige r – nicht so recht über die Lippen), ist derzeit wohl der bekannteste und vorläufig sicher auch der beliebteste Ausländer in China. Am Fernsehen ist er omnipräsent als charmanter Werber für die Produkte seiner Sponsoren und als rhetorischer Verwalter jenes fußballerischen Tiefsinns – „man weiß nie“; „wir werden unser Bestes geben“; „die andere können auch Fußball spielen“ –, von dem die Fernsehmoderatoren seit den Zeiten Sepp Herbergers nie genug bekommen können (…)Bis jetzt hat das Reich der Mitte vor allem auf die passive Methode der Öffnung gesetzt: Man hat Spieler und Trainer aus den traditionellen Fußballländern importiert, meist abgetakelte Profis des mittleren Stärkegrads, die für gutes Geld bereit waren, die letzten drei, vier Jahre ihrer Karriere in China zu verbringen. In wirtschaftlicher Hinsicht entsprach diese Taktik der Bildung von Joint Ventures und der sporadischen Herbeiziehung westlicher Manager und Buchhaltungsmethoden für chinesische Firmen. Was fehlte, war in beiden Fällen die Konkurrenz. China hat sich jahrzehntelang vom Weltmarkt abgeschottet und schützt seine maroden Staatsbetriebe noch heute mit massiven Subventionen, und die Fußballer scheuten bis vor kurzem geradezu ängstlich die internationale Konkurrenz. Im Jahre 1999 spielte China kein einziges Freundschaftsspiel (…) Daran, dass es im Sport nicht immer mit rechten Dingen zugeht, haben sie sich längst gewöhnt. Wie im politisch-gesellschaftlichen Bereich Chinas ist auch im Fußball die Korruption praktisch zur Normalität geworden, und viele Fans sind überzeugt, dass schon vor Beginn der nationalen Meisterschaft feststeht, wer sie gewinnt (…)Die kapitalistische Revolution im chinesischen Fußball hat schon lange vor dem Auftritt Milutinovics begonnen. In Peking merkte man Anfang der neunziger Jahre, dass ein offeneres, marktwirtschaftlicheres System mit höheren Löhnen (und Preisen) nicht nur die einheimischen Spieler beflügelt, sondern auch ausländische Cracks noch auf ein kurzes Gnadenbrot nach China bringen kann, und entsprechend rasch wurde liberalisiert (…) Bis vor etwa 20 Jahren war Sport, ähnlich wie in der Sowjetunion, praktisch die einzige Möglichkeit, auf internationaler Ebene Größe zu demonstrieren. Zur Hebung des nationalen Prestiges wurden Unsummen an staatlichen Ressourcen aufgeworfen, Die Coaches avancierten in diesem Habitat zu wichtigen Identifikationsfiguren; sie waren es, die den Erfolg „garantierten“ (und die im Falle des Misserfolges sofort entlassen wurden). Auffallend war jedoch, dass es den Chinesen sehr viel leichter fiel, Siegertypen in Einzelsportarten – Kunstturnen, Leichtathletik, Schwimmen – zu produzieren und das die Teams, von den Fußballspielerinnen einmal abgesehen, weit weniger Erfolge einheimsten. Für ein Land, das nichts so sehr verehrt wie das Kollektiv, war das stets ein enormes Manko. Siege in Mannschaftssportarten, Fußball an erster Stelle, lassen das patriotische Herz auch in China höher schlagen.“

„Spaniens Vereine dominieren in Europa seit Jahren, auch diesmal standen wieder drei im Viertel- und zwei im Halbfinale der Champions League. Die eigene Nationalmannschaft gehört dagegen fast traditionell zu den Versagern.“ Ralf Itzel (SZ 24.5.) ist diesem Widerspruch auf den Grund gegangen. „Es gibt dafür sportliche Gründe, aber auch gesellschaftliche. Die Hymne hat nicht zufällig keinen Text, man würde sich ja nicht mal auf die Sprache einigen können: Hochspanisch, Katalanisch, Baskisch, Galizisch? Spanien ist ein dezentralisiertes Land, unterteilt in 17 autonome Regionen. Die Menschen fühlen sich in erster Linie als Katalanen oder Basken und erst dann als Spanier.“

Gewinnspiel für Experten

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

110 queries. 0,469 seconds.