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1. FC Nürnberg – Hertha Berlin 0:3

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für 1. FC Nürnberg – Hertha Berlin 0:3

Zur verhinderten Entlassung Klaus Augenthalers bemerkt Volker Kreisl (SZ18.3.). „Das Präsidium des abstiegsbedrohten 1. FC Nürnberg hat seinem Trainer das Vertrauen ausgesprochen. Vollumfänglich, einstimmig. Vertrauen, das ist ein Wort, das in Politik, Wirtschaft und manchmal auch im Sport so beliebig hin- und hergetreten wird wie ein Fußball. Vertrauen steht eigentlich für die Gewissheit, der andere denke und handele im eigenen Sinne. Was er anpackt, wird genehmigt. Nach allem, was sich vor dem plötzlichen und heftigen Nürnberger Vertrauensvotum abgespielt hatte, steht nur eines fest: Vertrauen sieht anders aus, die Einigkeit wirkt gespielt (…) Augenthaler stammt zwar vom FCBayern, doch mittlerweile wird er in Nürnberg geliebt. Zunächst haben die Anhänger nur ein Zeichen gesetzt: Der Jubel für Augenthaler war eine Niederlage für Roth. Dem FCN-Management und dessen oberflächlichen Entscheidungen haben die Fans am Sonntagabend ihr vollumfängliches, einstimmiges Misstrauen ausgesprochen.“

Michael Ashelm (FAZ 18.3.) meint dazu. „In aller Öffentlichkeit tat der Präsident des 1. FC Nürnberg dann jedenfalls so, als habe der bei seinem Verein beschäftigte Cheftrainer nie zur Disposition gestanden. Dabei waren von Roth in den Tagen vor der zum Schicksalsspiel aufgebauschten Begegnung mit der Berliner Hertha andere Töne zu hören, die eigentlich nur einen Schluß zuließen: Verlöre Augenthaler, hätte er nach drei Jahren beim Club gehen müssen. Dazu hatte der Präsident zu viele negative Andeutungen gemacht. So, als er einem Fernsehreporter vergangene Woche sagte, andere Trainer hätten von sich aus gesagt: Ich mach‘ den Weg frei. Das setzte die Spekulationen in Gang, Augenthaler sprach nach dem Spiel vieldeutig von einem Spießrutenlauf. Die volle Wahrheit nach einer Woche der Andeutungen wird nur schwer zu ermitteln sein, aber vielleicht wurden Roths harte Worte ja wirklich nur falsch interpretiert und er wollte Augenthaler gar nicht von seinem Job entbinden. Schließlich soll der Franke den Niederbayern Augenthaler schätzen. Neben Magath ist er der Beste, den wir je hatten, gab er gerade offenherzig zu. Der heutige Erfolgstrainer des VfB Stuttgart verließ seinerzeit fluchtartig den Club – nach Streitigkeiten über nicht eingehaltene Zusagen von Roth.“

„Dass der 1. FC Nürnberg an Augenthaler festhält, wirkt nun wie eine große Geste an die Fans, das Auftreten an diesem Wochenende zeichnet dennoch ein wenig professionelles Bild“, bemerkt Volker Kreisl (SZ 18.3.). „Wie unsicher einer ist, lässt sich oft nur an Details ablesen. An der Gesichtsfarbe, am Wippen der Fersen, an der Lautstärke der Stimme. Es war eine schwierige Woche, die Michael A. Roth, der Präsident des 1. FC Nürnberg, hinter sich hat, geprägt von Spekulationen und Gefühlsausbrüchen, vom 0:3 gegen Hertha BSC und dem Absacken des Vereins auf einen Abstiegsplatz, schließlich von der überraschenden Wende in der Trainerfrage. Roth gelang es immer, Haltung zu wahren. Fast immer zumindest. Im Grunde, das musste Roth unmittelbar nach der Niederlage gegen Hertha wissen, waren die Schlagzeilen von der Entlassung des Trainers Klaus Augenthaler schon formuliert. Doch dann stellten sich die Anhänger des 1. FC Nürnberg hinter ihren Trainer, und der Präsident musste die Inszenierung ändern. Vor der ersten Live-Stellungnahme für die Sportschau musste er etwas warten, sich am Monitor die Bilder ansehen, wie Augenthaler zuvor gefeiert worden war, wie ihm die Fans Tücher mit Treueschwüren entgegenhielten, und Roth wirkte auf einmal sehr einsam im Stadion. Er wippte mit den Füßen auf und ab, und vielleicht dachte er auch schon an die ungemütliche Pressekonferenz am nächsten Tag. Was der Präsident auf dem Platz in den 90 Minuten zuvor gesehen hatte, war nichts Neues. Ein verunsichertes Nürnberger Team, das nach einem frühen Gegentor nicht die Kraft aufbrachte, sich aufzurappeln, das sich bemühte, als ob es im Schlamm aufzustehen versucht, aber doch jedes Mal einbricht. Die Schlussfolgerungen sind auch bekannt: Augenthalers Mannschaft hat zu wenig Routine, zu wenig Selbstvertrauen. Doch Roth dachte vor dem Monitor vielleicht auch an etwas ganz anderes: Dass er diesen vom Volk geliebten Trainer nun nicht mehr feuern könne, dass er sich nun vor ihn stellen müsse und gleich gefragt werde, warum er ihm dann ein Ultimatum gestellt habe. Dann würde er alles abstreiten und die Schuld auf die Medien schieben müssen.“

siehe auch Der Club is a Depp (Kommentar )

1860 München – VfB Stuttgart 0:1

Christian Zaschke (SZ 18.3.) kommentiert die Reaktionen von Falkko Götz. „Nach dem Spiel, nachdem er all das Übliche zu Protokoll gegeben hatte, sagte Götz: „Ich möchte Punkte holen, ich möchte nach oben, und die Mannschaft ziehe ich mit.“ Unvermittelt brach dieser Satz aus dem beherrscht wirkenden Götz heraus. Was er meinte: Wenn die Mannschaft nicht zu ihm passt, dann wird sie passend gemacht. Er hat schließlich Ziele. Falko Götz ist ehrgeizig. „Wir werden doch nicht die Saison abschreiben, bloß weil wir im Niemandsland stehen“, sagte er, „das gibt es nicht.“ Natürlich gibt es es das, es ist sogar die Regel bei Sechzig. Er meinte, dass es das bei ihm nicht geben wird, weil es seinem Ehrgeiz widerspricht. Götz vermittelt den Eindruck eines Mannes, der persönlich Erfolg haben will. Also muss die Mannschaft mitziehen. Ohne Mannschaft kein Erfolg. Das ist ein interessanter Wechsel der Perspektive. Kaum ein Trainer formuliert so offen, dass es ihm um den eigenen Erfolg geht, und dass er deshalb die Mannschaft entsprechend „mitziehen“ wolle. Sonst steht in Trainerreden an erster Stelle: das Wohl des Vereins, die Fans, das Übliche. Götz’ überraschender Satz ist ehrlich. Er zeugt von dem unbedingten Ehrgeiz, der seinem Vorgänger Peter Pacult fehlte.“

Martin Hägele (NZZ 18.3.) analysiert den Einstand des „modisch gestylten Herrn, der über ein halbes Jahr lang als die Nummer eins unter den potenziellen Nachrückern für gehobene Jobs in der Branche deutscher Fussball-Lehrer galt“. „Normalerweise will sich ein junger Fussballtrainer über seinen prominenten Klub profilieren, Götz aber sieht schon vor dem Einstand die eigene Person als „Transportriemen“ eines Vereins und einer Mannschaft, in der sich zuletzt immer weniger bewegt hat. Der TSV 1860 München, über lange Jahre hinweg der Gegenentwurf zum FC Bayern München, den die Fans wegen seiner Leidenschaft, seines Stolzes und seiner Originalität geliebt haben, ist immer mehr zu einem gesichts- und eigenschaftslosen Produkt geworden. Die Anhänger wollen sich nicht mehr länger mit einer Equipe identifizieren, die einzig und allein auf ihre Qualitäten in den Gegenstössen baute. Um selbst das Spiel zu machen oder gar nach einem Rückstand eine Partie umzubiegen, dazu fehlen dem Team die Möglichkeiten (…) Am verdienten 1:0-Sieg der Stuttgarter gab es nichts zu rütteln. Auch ausserhalb des Platzes entschieden 3000 Schwaben den akustischen „Länderkampf“ gegen 25.000 Bayern zu ihren Gunsten. Schlimm, wenn sich die „Löwen“ nicht einmal mehr an solch einem Tag zu brüllen getrauen. Vor dem ehemaligen DDR-Vorzeigesportler Götz liegen demnach Aufgaben, wie sie vor ein paar tausend Jahren in den griechischen Mythen dem berühmten Sisyphus gestellt worden sind: Aus ein paar aufstrebenden Talenten wie Torhüter Jentzsch, Goalgetter Lauth, dessen Sturmpartner Schroth, dem Chinesen Shao sowie einer Handvoll Österreicher und Schweizer muss Götz ein Team bilden, das irgendwo mit dem Weltklasse-Ensemble aus der Nachbarschaft konkurrieren oder ein ganz anderes ideologisches Erscheinungsbild verkörpern soll als Olli Kahn und die anderen Stars vom FC Hollywood. Im Grunde genommen stehen die Chancen von Götz heute noch schlechter als beim tragischen Helden der Antike, der Felsblöcke den Berg hoch rollen musste – und stets war aller Einsatz vergebens. Die historischen Fragen im TSV 1860 München müssten deshalb heissen: Lässt sich der schleichende sportliche Verfall überhaupt noch stoppen? Und befindet sich der Uefa-Cup-Aspirant vom März 2003 nicht schon jetzt direkt auf dem Weg zum Bundesliga-Abstiegskandidaten 2004?“

„Falko Götz muss erkennen, dass er den verunsichernden Geist seines Vorgängers noch lange nicht vertrieben hat. Dennoch stellt er erste Fortschritte fest“, schreibt Thomas Becker (taz 18.3.). „Seit Mittwoch ist Götz im Amt, und es ist erstaunlich, wie er das zuvor so teilnahmslose Löwen-Team aufgeweckt hat. Würden Punkte in der Bundesliga nicht nur nach Toren, sondern auch nach Leidenschaft, Einsatzbereitschaft etc. vergeben, wäre 1860 München beim 0:1 gegen Stuttgart nicht ohne Belohnung geblieben. Die Sechziger spielten zwar noch nicht wie die zeitweise filigranen Schwaben, rannten und grätschten aber wie lange nicht mehr – allein: ohne das so genannte Zählbare (…) Wird also alles gut bei Sechzig. Es sei denn, es kommt doch noch der Abstieg dazwischen. Sieben Punkte sind es bis dahin, einer mehr als zum eigentlich angestrebten Uefa-Cup-Platz in der anderen Tabellenrichtung. Da will Götz natürlich hin: Ich bin nicht bereit, die Saison herzuschenken, weil wir irgendwo im Niemandsland stehen. Er will eine Grundordnung finden und hinter die sehr vielen Negativerlebnisse zuletzt einen großen Haken machen. Überhaupt scheint der Pacult noch sehr tief im Löwen zu stecken: Auf dem Feld nahm der kollektive Bammel zunächst fast groteske Züge an, als vor allem die Abwehr ohne Not Fehlpässe und Querschläge serienmäßig produzierte. Vor den Kameras wiederholten sich später dann die Vokabeln: Eine Verunsicherung ist da (Lauth), die letzten Wochen stecken noch in den Köpfen (Cerny), wir haben nicht gerade vor Selbstvertrauen gestrotzt (Götz) – alles indirekte Vorwürfe gegen den Vor-Götz Peter Pacult, der ansonsten geflissentlich nicht erwähnt wurde. Was Götz anders macht als Pacult? Tja. Wiesinger und Agostino durften mal wieder von Anfang an, Borimirow durfte immer noch. Ansonsten? Kleinigkeiten. Beim ersten Training wollten die Profis zum Warmlaufen die gewohnte Richtung nehmen – und mussten prompt umdrehen: Andersrum, meine Herren! Folgte das Schauspiel mit dem ersten Geheimtraining in der Vereinsgeschichte des TSV 1860: Das scheiterte an der mangelnden Ortskenntnis des Sachsen Götz. Kiebitze und TV-Sender lugten halt von anderer, ungewohnter Stelle Richtung Trainingsplatz. Aber keine Sorge: Auch dazu wird Falko Götz etwas einfallen.“

Elisabeth Schlammerl (FAZ 18.3.). „Beim TSV München 1860 hat man seit je das Gefühl, feiner Zwirn am Spielfeldrand sei verpönt, weil unangemessen für das Image des Arbeitervereins, das die Löwen noch immer pflegen. Diese Trainingsanzugstradition paßt aber überhaupt nicht zu Falko Götz, dem neuen Coach, und deshalb setzte der sich am Sonntag abend bei seinem Debüt auch in Flanellhose und schickem Pullover auf die Bank oder besser, stellte sich davor. Götz hebt sich ab von seinen Vorgängern, aber die Spielweise der Mannschaft erinnert noch an die vergangenen Wochen, ein wenig zumindest.“

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