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Geschehnisse vom Bundesliga-Wochenende

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Geschehnisse vom Bundesliga-Wochenende

Bezug nehmend auf die Geschehnisse vom Bundesliga-Wochenende spricht Roland Zorn (FAZ) heute von der „deutschen Fußballkrankheit“, womit er auf das offensichtlich „zerrüttete Vertrauensverhältnis zwischen Schiedsrichtern hüben und Spielern, Trainern, Funktionären drüben“ anspielt. Sowohl in München als auch in Gelsenkirchen trat das sportliche Geschehen zu Gunsten von Zank und Kampf in den Hintergrund. „Vom angekündigten Spitzenspiel war weit und breit nichts zu sehen. Statt dessen fiese Fouls, überflüssige Redeschlachten und heftige Attacken auf den Schiedsrichter.“ Dass nun ausgerechnet Franz Beckenbauer, der schon zahllose Schiedsrichter öffentlich anprangerte und ihnen das Karriereende o.ä. nahe legte (Wer erinnert sich nicht? „In Deutschland werden jedes Wochenende Tausende Jugendspiele gepfiffen…“, „Wenn der zu den besten Europas gehören soll: dann gute Nacht, Uefa!“), allerdings in seiner Bild-Kolumne mehr Respekt gegenüber den Referees heuchelt, ist mit wenigen Worten und an dieser Stelle nicht mehr zu beschreiben. Das ist Stoff für einen historischen Roman.

Bundesliga

Roland Zorn (FAZ 12.11.) fragt. „Was ist bloß los in Deutschlands schönsten Fußballstadien, wo die Sitten der Aktiven, nicht die der teils entgeisterten Zuschauer, allmählich verrohen wie im Eishockey und die Unparteiischen nicht mehr genau zu wissen scheinen, wie sie aus den Rudeln und Trauben um sie herum entkommen können. Zugegeben, die Qualität der besten deutschen Unparteiischen war schon weitaus besser; zugegeben, Schiedsrichter Michael Weiner beurteilte die Dortmunder unnachsichtig, die Münchner aber nicht; zugegeben, dessen Kollege Franz-Xaver Wack schockierte die Schalker mit seinem Elfmeterpfiff zum Finale der vorher schon rüden Auseinandersetzung mit Bayer Leverkusen – doch sollen deswegen die inzwischen zum Bundesliga-Standardprogramm zählenden ausdauernden Händel untereinander und Diskussionen mit den Unparteiischen toleriert werden?“

Michael Witt Oliver Müller (Welt 12.11.) fassen die Reaktionen aus München und Dortmund noch einmal zusammen. „Während der Torhüter sich gestern Redeverbot erteilte, wetterten seine Klubchefs auch zwei Tage nach dem Liga-Spitzenspiel gegen den FC Bayern, der durch gezielte Provokationen den Schiedsrichter beeinflusst haben soll. „Es ist schade, wenn solche unsportlichen Verhaltensweisen auch noch belohnt werden“, sagte Manager Michael Meier. „Und es ist schon eigentümlich, dass durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit und psychologische Tricks etwas erreicht wird, das rein sportlich in dieser Situation nicht möglich gewesen wäre.“ Die Lieblingsfeinde mal wieder im verbalen Nahkampf. Wobei sich die Dortmunder in der Rolle des Opfers sehen. Diesmal habe Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld mit seiner Äußerung, BVB-Stürmer Jan Koller neige dazu, Freistöße zu schinden, Stimmung gemacht. „Die Masche kennt jeder“, sagte Meier, „früher wurde Chapuisat diskreditiert, dann Addo, jetzt Koller. Das ist kein Stil, es gibt nach wie vor einen gewissen Ethos.“ Auch Trainer Sammer echauffierte sich: „So etwas macht man nicht. Das ist eine Charakterfrage und nicht mein Niveau.“ Schlechte Verlierer? „Ich möchte gar kein guter Verlierer sein“, sagt Sammer, „Niederlagen machen mich rasend.“ Seit neun Jahren machen die beiden Klubs nun schon die Meisterschaft unter sich aus, unterbrochen nur 1998 durch Kaiserslautern. „Es ist doch gut für den Fußball, wenn es so eine Rivalität gibt. Das ist das Salz in der Suppe“, sagte Borussen-Präsident Gerd Niebaum nach dem „Fußball-Krieg“ („Bild“). Und das, obwohl Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz-Rummenigge vor der Partie Anlegern abgeraten hatte, Fußball-Aktien zu kaufen und damit einen Seitenhieb gegen den einzigen börsennotierten Verein in Deutschland gelandet hatte. Niebaum sagte gestern, mit den Klubchefs aus München habe es „ein sehr entspanntes Mittagessen gegeben“, betonte aber auch, sein Klub werde sich „nicht alles gefallen lassen“. Aussagen wie die von Hitzfeld könne er sich nur so erklären, dass „die Bayern in ihrer Lage zu allen Mitteln gegriffen haben. So etwas macht Hitzfeld nur in Ausnahmesituationen“.“

Martin Hägele (NZZ 12.11.) recherchiert. „Nicht nur die Hardliner vom Boulevard klagen bei den Idolen des Unterhaltungsbetriebs Anstand, Moral und Ordnung ein. Die fehlende Kinderstube auf dem Platz trifft diesen Sport vor allen Dingen auf der untersten Ebene; bei den Spielen der Kinder, Jugendlichen und Amateure wird all das nachgemacht, was man im Stadion oder Fernsehen gesehen hat. 9.828 Fussball-Schiedsrichter sind im Jahr 2001 bundesweit ausgebildet worden, 11.928 haben im gleichen Zeitraum ihren Dienst quittiert. Jahr für Jahr verliert der DFB 35 Prozent seiner Referees wegen verbaler oder körperlicher Attacken. Diese Zahlen, zusammen mit den Vorgängen der letzten zwei Wochen, haben nun aufgeschreckt. Die Schiedsrichter verlangen von Direktor Schmidt und Präsident Mayer-Vorfelder mehr Schutz und einen härteren Kurs gegen Provokateure.“

Borussia Mönchengladbach – Energie Cottbus 3:0

Christoph Albrecht-Heider (FR 12.11.) bereitet den Nachruf auf Energie Cottbus vor. „Der Fußball-Bundesligist FC Energie Cottbus ist nur ein Missverständnis gewesen. Der Klub, vor drei Jahren aufgestiegen, ist im Oberhaus nie wirklich angekommen. Das hat nur peripher mit dem Ost-Stempel zu tun, der auf dem Verein in der westlich geprägten Klassengesellschaft des Fußballs prangt. Die Cottbuser behielten ihr Energie-Label aus alten DDR-Zeiten, gehörten also zu den wenigen Klubs, die das ökonomische Fundament des Stadtlebens auch in der neuen Zeit im Vereinsnamen behielten. Energie lässt einen autoritären Trainer walten, „Ede“ Geyer, den man sich nur schwer an anderer gleichrangiger Stelle vorstellen kann. Die Energie-Spielstätte heißt, eigentlich unverfänglich, Stadion der Freundschaft, doch so, wie die deutsche Geschichte nun mal gelaufen ist, klingt es nach Kommunismus. Aber wie gesagt, die Ossi-Prädikate allein machen aus Cottbus keinen Fremdkörper (…) Cottbus wird sein Intermezzo in der höchsten Klasse beenden, und außerhalb Cottbus‘ werden die Beileidsbekundungen den Charakter der höflichen Floskel nicht überschreiten. Und dann wird wieder Fußball-Alltag sein in der Stadt am Spreewald.“

Christoph Biermann (SZ 12.11.). „226 Tage sind eine lange Zeit. So lange dauert es, bis die laufende Bundesligasaison beendet ist. Noch 22 Partien müssen die Klubs in den kommenden sieben Monaten absolvieren, um ihren Meister zu finden, die Teilnehmer für Champions League und Uefa-Cup und jene Unseligen zu ermitteln, die im kommenden Jahr nur noch in der Zweiten Liga mitspielen dürfen. Nichts ist entschieden – nur in Cottbus dürften die Blätter demnächst unerträglich langsam vom Kalender fallen. Denn früh wie selten scheint das Schicksal des FC Energie festzustehen; die Fahrt durch einen langen, dunklen Zeittunnel beginnt. Neun Punkte beträgt der Abstand auf einen Platz, der den Verbleib in der Bundesliga sichern würde, und nichts deutet darauf hin, dass dieser Rückstand noch aufgeholt werden könnte. Wie ein trauriger Klepper zockelt Cottbus in der Bundesliga dem Feld hinterher (…) Selbst beim Drittletzten der Tabelle in Mönchengladbach war Energie Cottbus nicht annähernd konkurrenzfähig. Einen erbarmungswürdigen Eindruck hinterließ die Mannschaft und war schon nach 23 Minuten und drei Gegentreffern besiegt. Cottbus wird es in dieser Saison wohl nur noch momenthaft vergönnt sein, in der Bundesliga mitzuhalten. Am Bökelberg offenbarte der Erstligist aus dem Osten bestenfalls unteres Zweitliga-Niveau. Wenig ist zudem übrig geblieben von jener zähen Kampfkraft, mit der die Mannschaft von Eduard Geyer zwei Spielzeiten lang die Vorteile der Konkurrenz ausgleichen konnte. Längst geht es nur noch darum, halbwegs würdig durchs Spieljahr zu kommen. Nur auf diese Weise kann der Klub verhindern, dass die Saison zu einem völligen Debakel wird und sich das Publikum in Scharen abwendet. Mitgefühl hatte der Präsident Krein daher vor allem mit der traurigen Hundertschaft von Anhängern, die am Sonntag 650 Kilometer quer durchs Land gefahren waren, um in der unüberdachten Kurve tropfnass vor sich hin zu leiden – ohne Signale der Hoffnung vom Rasen.“

Jörg Stratmann (FAZ 12.11.). „In der Lausitz macht sich unter den Fußballfreunden so etwas wie Herbststimmung breit. Die Verantwortlichen des Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga, Energie Cottbus, sehen es mittlerweile realistisch. Spätestens nach dem deprimierenden Erlebnis des 0:3 am zwölften Spieltag bei der gleichfalls nicht sorgenfreien Borussia aus Mönchengladbach hat Präsident Dieter Krein jedenfalls die Parole ausgegeben, für die nächste Zweitliga-Saison zu planen. Es sei für beide Klubs „eine komplizierte Situation“ gewesen, sagte der Gladbacher Trainer Hans Meyer. Doch während sich seine Mannschaft mit entschlossenem Schwung, dem Glück dreier früher Treffer und dank einer soliden Tordifferenz vorläufig von den Abstiegsrängen bis auf Position 14 verabschieden konnte, trug der Cottbuser Kollege Eduard Geyer anschließend „maßlos enttäuscht“ noch tiefere Trauer. „Das hatte wenig mit Energie zu tun und noch weniger mit der Mannschaft, die wir weiter entwickeln wollen“, sagte er. Da erscheint sogar die Aufgabe hoffnungslos, nun bis zum nächsten Abstiegsduell gegen Arminia Bielefeld am kommenden Wochenende eine Elf zu finden, die – wie Geyer sagte – „hundertprozentig zum Verein steht“ und die vielleicht gar noch einmal das Ruder herumreiße.“

Hertha Berlin – Hansa Rostock 3:1

André Görke (Tsp 12.11.) ist überrascht. „Seit Wochen wird der Mannschaft nachgesagt, dass sie nur guten Fußball spiele, wenn auch Marcelinho gut spiele. Wenn also Marcelinho wie am Sonntag nicht auf dem Platz steht, dann hätte Hertha nach dieser Theorie gegen Hansa untergehen müssen. Ein wenig erinnert die Geschichte an die vergangene Saison – und an Sebastian Deisler. Er war Herthas fußballerisch wichtigster Mann. Über ihn liefen die Angriffe, er musste flanken und schießen und grätschen, und Deisler war die größte Hoffnung, wenn die Mannschaft hinten lag. Diese Abhängigkeit kann den Spielfluss hemmen. Als sich Deisler dann am Knie verletzte und monatelang ausfiel, blühte die Mannschaft auf. Es standen plötzlich andere in der Pflicht. Es ist ein bisschen so wie bei einem Platzverweis: dass zehn Leute plötzlich einen Schritt mehr laufen, um den Ausfall zu kompensieren. Gegen Rostock war dieser Deisler-Effekt bei Hertha wieder zu beobachten.“

Christian Ewers (FAZ 12.11.). „Alves kämpfte am Sonntag abend verbissen – und das vor allem gegen die eigenen Schmerzen. Im Uefa-Cup-Spiel gegen Apoel Nikosia hatte er sich die Schulter ausgekugelt, er mußte ausgewechselt werden, sein Einsatz gegen Hansa Rostock schien unmöglich. Erst am Morgen des Spieltages meldete sich Alves bei Trainer Huub Stevens einsatzbereit. Und der sagte verblüfft: „Okay, wir gehen auf Risiko und probieren es.“ Stevens wurde für seine mutige Aufstellung belohnt. Alves, dem seit Jahren das Image einer „hypochondrischen Diva“ anhaftet wie ein schweißnasses Trikot, stürzte sich unerschrocken in die Zweikämpfe und schwang sich zum Ballverteiler im Mittelfeld auf. Eigentlich hätte Stefan Beinlich die zentrale Position besetzen sollen, doch der machtbewußte Alves ließ ihm kaum Platz. Allerdings gönnte sich der Brasilianer schnell eine Auszeit. Nach einer Viertelstunde, Hertha führte mit 2:1, fehlte die Ordnung im Spiel. Die Berliner dösten vor sich hin, und oben auf den Tribünen blätterten die Zuschauer gelangweilt im Stadionheft, das als Weihnachtsgeschenk einen Nasenhaarschneider im Hertha-Look vorschlägt. Nach dem Wiederanpfiff war die lethargische Phase beendet (…) Tatsächlich wird das schwache Zweikampfverhalten den Rostockern zum Verhängnis. Zu Saisonbeginn überraschten sie die Liga noch mit attraktivem Kombinationsfußball und belegten sogar kurzzeitig den zweiten Platz. Doch nun ist Hansa mit seiner Schönspielerei im Tabellenkeller angekommen. Nur die Tordifferenz trennt die Mannschaft noch von einem Abstiegsrang.“

Bayern München in/raus aus der Krise?

Zur Situation des Münchner Teams heißt es bei Elisabeth Schlammerl (FAZ 9.11.). „Das Team befindet sich im Umbruch, die alte Hierarchie wurde zerschlagen, eine neue hat sich noch nicht gefunden. „Es fehlen uns ein paar Führungsspieler, die die anderen mitziehen“, hat Hitzfeld festgestellt. Und schon wissen neunmalkluge Fußball-Experten guten Rat: Dem FC Bayern fehle vor allem ein Typ wie Stefan Effenberg. Dabei hatten die gleichen noch vor fast einem Jahr dem Klub geraten, den alternden Spielmacher schnellstmöglich vor die Tür zu setzen. Damals waren die Münchner genau zu dem Zeitpunkt in die Krise geschlittert, als Effenberg nach längerer Verletzungspause in die Mannschaft zurückgekehrt war. Die Verantwortlichen in München waren sich darüber klar, daß Michael Ballack ein anderer Spielertyp ist als Effenberg. Hitzfeld wurde nicht müde, dies am Saisonanfang immer wieder zu betonen. Die Rolle des gefürchteten Antreibers, der andere für sich laufen läßt, liegt Ballack nicht. Er ist eher der nette Anführer, der auch für andere kämpft, sich allerdings nicht scheut, Verantwortung zu übernehmen: „Aber nicht auf Knopfdruck. Nicht durch Sprücheklopfen oder indem ich die anderen zusammenstauche.“ Aber war Effenberg mit 25 Jahren schon der „Leitwolf“? Es hat erste Anzeichen gegeben, daß er einmal einer werden könnte, weil er schon damals polarisiert hat mit seiner egozentrischen Art. Aber er war in diesem Alter nicht mehr als ein Rebell. Zur Führungspersönlichkeit ist er erst später gereift, im Laufe seines zweiten Gastspiels in Mönchengladbach, als er schon bald 30 Jahre alt war. Ballack braucht noch Zeit, um sich in der Münchner Hackordnung weit oben festzusetzen (…) Die vakante Antreiberrolle zu übernehmen wäre eigentlich eine Aufgabe für Oliver Kahn gewesen, der Torhüter ist aber im Moment viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Giovane Elber als sein Stellvertreter hat wohl großen Einfluß bei der Südamerika-Fraktion der Bayern, aber beim Rest der Mannschaft gilt er mehr als netter Spaßvogel denn als Respektsperson. Jens Jeremies hat in den vergangenen Wochen und Tagen versucht, das kleine Machtvakuum zu füllen. Er redete Klartext, als es den meisten anderen die Sprache verschlagen hatte angesichts ihrer Vorstellungen. Aber er hat sich nur nach dem Spiel abgehoben von seinen Kollegen, nicht im Spiel.“

Thomas Kistner (SZ 9.11.) analysiert die Machtkonstellation in der Münchner Führungsetage der. „Beckenbauer behagt die Rolle als Frühstücksdirektor nicht wirklich. Operativ wurde er ausgeschaltet, auch gab es Verwerfungen bei der Umgestaltung der Führungscrew. Sein wirtschaftlicher Sachverstand war in Zweifel gezogen und Kritik laut geworden an seiner endemischen Selbstvermarktung, die auffallend konsequent mit den Werbeinteressen des Vereins kollidiert. Beckenbauers kürzlich verstorbener Manager Robert Schwan hat ein duales Werbesystem installiert: Warb der Klub mit Opel, fuhr der Franz Mercedes, trank der Klub Erdinger, stieß der Franz mit Warsteiner an, Energie holte er sich bei Yello statt beim Klubsponsor e.on, telefoniert wurde mit E-plus, dem Marktrivalen des damaligen Klubsponsors Viag Intercom. Im Frühjahr der erste Showdown: Rummenigge/Hoeneß zogen den Großsponsor Telekom an Land und ließen Beckenbauer mit dessen Kandidaten Deutsche Post AG abblitzen. Zum Trost verbandelte sich der Werbekaiser selbst mit der Post, und kaum war die öffentliche Ruhe wieder hergestellt, sattelte er einen drauf, indem er bei Telekoms Marktrivalen O2 andockte (…) Sein letzter Coup: Während die Bayern an ihrer neuen Allianz-Arena basteln, tritt Beckenbauer mal eben für die Hamburg-Mannheimer an. Auf Dauer erodiert das die Glaubwürdigkeit – bei einem Klub, der seit langer Zeit beispiellos seriös geführt wird im nationalen wie internationalen Vergleich. So legte sich Rummenigge jüngst mit dem DFB wegen dessen Markenpolitik an – es ginge nicht, dass Bedienstete des FC Bayern, der jährlich fünf Millionen Euro von Audi kassiert, bei jedem Länderspiel für Mercedes posieren. Aber wie kann man saubere Linien bei anderen fordern, wenn man sie im eigenen Haus nicht hat? (…) Der Konflikt wurde und wird nicht bewältigt, also befindet sich das Binnenklima im fortgeschrittenen Zerfallsstadium. Um so mehr scheuen die Vorständler jedes öffentliche Kräftemessen. Jedes starke Wort könnte Angriffsfläche bieten – und ihre größte Angst gilt der medialen Macht hinter Beckenbauer. Der Präsident hat Springer und Premiere im Kreuz und erste Warnschüsse zur sportlichen Krise bereits gegeben. Letzte Woche verhängte Beckenbauer die Höchststrafe über Hitzfelds Ensemble: Da sei „kein Leben drin“, verriet er bei Premiere. Tage später gab sein alter Intimus Lothar Matthäus in Bild den Büchsenspanner: „Franz muss eingreifen!“ Die sportliche Krise können Rummenigge/Hoeneß auch ohne Beckenbauer meistern: Die absehbare Trennung von einem verdienten Trainer, den sie alle drei nicht mehr erreichen. Aber was einst der Kaiser per Bulle verfügte (sorry, Otto Rehhagel), müssen die anderen heute eleganter lösen. Das Fußballvolk misst sie eben nicht mit dem Beckenbauer-Maß.“

Michael Horeni (FAZ 11.11.) schreibt zu diesem Thema. „Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nutzten dann die Gelegenheit, um in fast schon regierungsamtlichen Erklärungen nach den mittleren Beben, die den mächtigsten deutschen Klub zuletzt durchgeschüttelt hatten, alte Souveränität zu vermitteln. Rummenigge schwärmte von „wunderbaren Gesprächen“, die es am Mittwoch auch mit Franz Beckenbauer gegeben habe und wonach die bayrische Troika den „Schulterschluß“ vollzogen habe. Vier Stunden dauerten die Unterredungen in „lockerer Atmosphäre“ (Hoeneß), nachdem die Stimmung sich zwischen den Bayern-Anführern zuletzt, wie auch der Manager zugab, eingetrübt hatte. Hoeneß stellte zudem klar, daß Hitzfeld trotz des tagelangen präsidialen Schweigens stets wußte, woran er war. „Wir haben aber unsere Aufgaben zu Hause gemacht“, sagte der Manager, und auch in Zukunft werde der Klub erst wieder an die Öffentlichkeit treten, wenn er etwas Substantielles zu erklären habe. Die Bayern ließen sich nicht zum Spielball der Medien machen, und auch Kommentator Beckenbauer werde Rücksicht auf die Interessen des Klubs nehmen, sagte Hoeneß. Beckenbauer hat sich noch nicht geäußert.“

Martin Hägele (NZZaS 10.11.) wirft ein. „„Der Verein hat intern Ruhe bewahrt, und die Mannschaft hat die richtige Reaktion gezeigt“, so Hitzfeld kurz gefasste Analyse. Bezeichnenderweise sprach der ins Fadenkreuz der Kritik geratene Erfolgstrainer erst vom Klub – und dann erst von den Spielern, was den Schluss zulässt, dass diese schwierige Phase vor allem aus der Führungsetage ausgelöst wurde. Von dem zum Aufsichtsratsvorsitzenden weg gelobten Franz Beckenbauer, der mit seinem medialen Gefolge von Fernsehen und Boulevard seine Stunde gekommen fühlte, um richtig draufzuhauen: vordergründig auf die Mannschaft und den Trainer, in Wirklichkeit galten seine Attacken aber den Vorständen Rummenigge und Hoeness, die im FC Bayern das Tagesgeschäft und die Politik machen. Deren beharrliches Schweigen erwies sich nun als die richtige Antwort auf des „Kaisers“ Getrommel. Was nur eins zur Folge haben kann: Franz Beckenbauer, die Übergestalt des deutschen Fussballs wird im eigenen Verein in Zukunft noch weniger ernst genommen als zuletzt. Seine Nachfolger Hoeness und Rummenigge aber haben sich in der wohl schwierigsten Lage des vergangenen Jahrzehnts weiter profiliert.“

Jan Christian Müller (FR 12.11.). „Der Sieg über die Borussia hat die unübersehbaren Risse im komplizierten Geflecht Aufsichtsrat/Vorstand/Trainer/Mannschaft übertüncht. Denn so furchtbar falsch, wie Uli Hoeneß es in seinem quotenträchtigen Auftritt beim Deutschen Sportfernsehen am Sonntag glauben machen wollte, hatten die Gazetten ja gar nicht gelegen. Hoeneß demaskierte sich selbst, als er auf die Frage nach dem angeblich drohenden Rauswurf von Ottmar Hitzfeld antwortete: „Das ist der größte Schwachsinn aller Zeiten. Wir wären ruhig geblieben.“ Um sodann hinzuzufügen: „Wir hätten erst mal versucht, in die Winterpause zu kommen. Schnellschüsse wird es beim FC Bayern nicht geben. Wenn wir fünf, sechs Spiele verlören und in der Meisterschaft keine Chance mehr hätten, dann hätten wir uns natürlich Gedanken machen müssen.“ Das wäre dann doch bald der Fall gewesen, wenn die Bayern sowohl gegen Hannover als auch gegen Dortmund verloren hätten, was angesichts der Spielverläufe möglich gewesen wäre (…) Hoeneß wird am besten wissen, dass der mediale Mehraufwand, der in den vergangenen Wochen für Bayern München nicht nur in bayerischen Redaktionsstuben betrieben wurde, seinen Ursprung nicht im Wunschdenken bösmeinender Lohnschreiber hatte. Zumal nicht bekannt ist, dass irgendein Fußball-Reporter von Belang Hitzfeld – ganz im Gegensatz etwa einst zu Otto Rehhagel – aus persönlicher Abneigung Schlechtes wünscht. Hitzfeld stand bis zum Wochenende derart schutzlos da, dass der kicker es wagte, seine vorab gedruckte Vierfarbausgabe mit einem ungewohnten Schwarzweiß-Bild des Fußballlehrers aufzumachen. Visuell wirkte das fast schon wie ein Nachruf auf einen großen Trainer. Längst hatte die Süddeutsche Zeitung auf der Trainerbank ein „Knäuel aus Glück“ entdeckt. Wie sich Hoeneß und Hitzfeld gemeinsam diabolisch freuten, ist auch Ausdruck dafür, dass die Luft dünn und der Druck groß geworden war für den Trainer am Alpenrand. Nicht nur der Druck von außen.“

Zur nationalen Torwartdiskussion meinte Thomas Kilchenstein (FR 9.11.) vor dem letzten Spieltag. „Jens Lehmann und Oliver Kahn, die sich heute im Olympiastadion im direkten Duell gegenüberstehen, sind nach wie vor Deutschlands beste Handwerker. Wobei sich der Dortmunder im Augenblick wohl nicht nur in der Form seines Lebens befindet, sondern derzeit auch mehr als einen Tick stärker ist als sein Münchner Dauerrivale. Lehmann hat in elf Bundesligaspielen nur sieben Tore kassiert, Kahn in zehn Spielen zehn, darunter auch solche Raben wie letzten Sonntag in Bremen. Lehmann hält momentan selbst die Unhaltbaren, Kahn nicht mal die Haltbaren. Auffallend ist freilich, dass Lehmann in dem Maße Pluspunkte sammelt, wie Kahns Status als glorreichster Held der jüngeren deutschen Fußballgeschichte bröckelt. Kahn in der Disco, Kahn auf dem Golfplatz, Kahn auf der Flucht aus Deutschland, heißen die Schlagzeilen, vom Torwart Kahn ist immer weniger die Rede, und wenn, dann wird über dessen Unsicherheiten im Tor geschrieben. „Er patzt weiter“ (Bild). Und: Erstmals seit Andreas Köpke spürt Oliver Kahn wieder einen Konkurrenten im Nacken, der ihm gefährlich werden könnte. Denn es ist mittlerweile nicht mehr so, wie Lehmann einst resignierend gesagt hat, dass „ich nur dann die Nummer eins werde, wenn der Olli eine Affäre mit der Frau von Rudi Völler anfängt.“ Dabei, auch das ist frappierend, sind sich die beiden Torsteher durchaus ähnlich in ihrer Art. Beide provozieren und lassen sich gern provozieren, beide haben größte Mühe, ihre Emotionen im Kasten zu lassen, oft gelingt ihnen das nicht. Sei es, dass der eine (Kahn), wie zuletzt, einen Gegenspieler hart in den Nacken greift, wie ein Kung-Fu-Fighter auf andere zuspringt oder am Hals schnappt, sei es, dass der andere (Lehmann) einen am Boden Liegenden mit Füßen tritt oder einen mit einem Ellenbogencheck zur Seite rammt. Beide geben zu, „eine gewisse Aggressivität“ für ihre Spitzenleistungen zu brauchen, beide legten und legen bislang eine reichlich unerträgliche Großmannssucht an den Tag, beiden ist die Person im Tor manchmal fremd.“

Evi Simeoni (FAZ 9.11.) kommentiert augenzwinkernd. „Wo, bitte, bekommt man eigentlich die Aufnahmeanträge für den Klub der Trübsinnigen? Oder sind die nun auch noch knapp geworden, so wie zuvor schon die Zuversicht und der Sonnenschein? Man schaut auf der Suche nach zündenden Ideen aus dem Fenster und sieht doch nur, wie vor grauem Hintergrund kalte Regentropfen die Scheibe hinunterlaufen, und das nicht einmal um die Wette. Wieso auch: Im November hat doch ohnehin kaum jemand Lust auf Sport. Und doch gibt es irgendwo da draußen Leute, die gerade auf einem schlammigen Stückchen Sportplatz Fußball spielen. Und andere, die unter den letzten fallenden Blättern ihre Dauerläufe machen. Das müssen aber tapfere Leute sein, die einfach ignorieren können, daß ihr Körper nach einer Decke aus Kaschmir schreit, und lieber keuchend durch das Unterholz brechen. Aber ist ihre Überwindung wirklich so groß, wie es scheint? Am Ende tut ein jeder doch nur, was er muß. Der eine flieht ein unbehagliches Zuhause, den anderen zieht die Hoffnung auf Ruhm und Geld hinaus, und der dritte folgt dem inneren Diktator, der stärker ist als jeder Verstand (…) Und was zieht Oliver Kahn zwischen die Pfosten? Das wollen wir wohl alle gerne wissen. Er gilt zwar meistens als einer der besten Torhüter der Welt. Trotzdem scheint es so, als litte er in jedem Spiel Höllenqualen. Nach jahrelangem, schwerem, unendlich mühseligem Training schafft er es meistens, den Ball unter Kontrolle zu halten – wenn auch nicht immer sich selbst. Er will der beste sein, der allerbeste, und das genügt auch noch nicht, er will der perfekte Torhüter sein (…) Das Schicksal, das lernen wir mit Kahn, hat einen präzisen Sinn für Timing. So rutschte ihm bei der Weltmeisterschaft der Ball erst in dem Moment aus den Händen, als dieser Mißgriff ihn den Titel kostete. Und nun passiert ihm ein Fehler nach dem anderen, obwohl er sicher ist, daß er eigentlich das emotionale Absterben des FC Bayern München aufhalten muß. Er wird es nicht schaffen. King Kahn ist nur ein Mensch. Bild feiert diese Entdeckung genüßlich Tag für Tag und serviert dem gebeutelten Mann auf der verregneten Straße täglich eine Portion Schadenfreude. Das ist nicht leicht für Kahn, gibt aber seiner Berufswahl wieder Sinn: Ein Torhüter ist ein Mensch, der seine Qualitäten beweist, wenn er unter Beschuß steht.“

Zweite Liga

Roland Leroi (SZ 11.11.) vergleicht den neuen Duisburger Interimstrainer Bernard Dietz mit seinem Vorgänger. „Einer, der alles für den Verein gibt. Beim Vorgänger war das nicht mehr der Fall. Im Sommer 2001 kam Littbarski nach Duisburg und wollte den biederen Verein nach vorne bringen – sowohl auf dem Spielfeld als auch in der Außendarstellung. Ein Anspruch, an dem beim MSV schon viele scheiterten. Auch Littbarski dämmerte schließlich, was er zunächst nicht wahrhaben wollte: Mehr als Mittelmaß ist in Duisburg nicht drin. Für einen wie ihn keine verlockende Perspektive. Zumal bald fortlaufend Kritik ertönte. Die Fans stellten sich gegen Littbarski, ihm wurde permanent vorgehalten, dass er im Sommer acht Wochen Urlaub machte, anstatt sich um die Mannschaft zu kümmern. Und die sportliche Bilanz ließ zu wünschen übrig. In 47 Pflichtspielen unter seiner Regie blieb der versprochene Aufschwung aus. Littbarski trat die Flucht nach vorne an, kritisierte solange Mannschaft, Management und Vorstand, bis der Vorsitzende Walter Hellmich den Trainer vor die Tür setzte.“

Auslandsfußball

Italien

Birgit Schönau (SZ 11.11.) beleuchtet die Lage des verschuldeten Lazio Rom. „Roberto Mancini ist als Mensch zu konkret und als Fußballer zu erfahren, um abergläubisch zu sein. Deshalb denkt er auch nicht, es läge womöglich an ihm. Mancini, 38, war einer der begabtesten italienischen Spieler, ein Idol der Tifosi zunächst bei Sampdoria Genua, dann bei Lazio Rom, bevor er im vergangenen Jahr beim AC Florenz als Trainer anheuerte. Dass bei der Fiorentina schon Monate vorher keine Gehälter mehr gezahlt wurden, machte ihm offenkundig nichts aus: Il Mancio, wie sie ihn halb kumpelhaft, halb ehrfürchtig nennen, arbeitete umsonst wie die meisten seiner Spieler, aber das konnte seinen Job und den Klub am Ende doch nicht retten: Der AC Florenz ging Pleite, wurde in die Vierte Liga relegiert, und Mancini wechselte zu seinem alten Verein Lazio Rom. Dass auch dort schon seit Monaten keiner seinen Lohn bekam, scherte ihn nicht, dass der Patron Sergio Cragnotti im Sommer die besten Spieler verkauft hatte, ließ den neuen Trainer kalt. Kapitän Alessandro Nesta, der letzte Römer in der Truppe, ging zum AC Mailand, der argentinische Torjäger Hernan Crespo zu Inter. Mancini biss die Zähne zusammen, schaffte es, in der allgemeinen Krisenstimmung Pflichtbewusstsein, sogar Enthusiasmus zu vermitteln („Was für eine Krise? Unsere Trikots sind gewaschen und gebügelt wie immer, also spielen wir auch!“), und führte Lazio auf Platz vier. Sie kicken wie in alten Zeiten, als sie noch Veron und Vieri hatten, Nesta und Nedved, dabei treten jetzt Pancaro, Fiore und Castroman den Ball, Männer, nach denen außerhalb der Kapitale kein Hahn kräht.“

Peter Hartmann (NZZ 12.11.). „Juventus gegen Milan: ein Prestigeduell, zehn Scudetti“ (Meisterschafts-Abzeichen) haben die beiden Klubs in den letzten 15 Jahren unter sich aufgeteilt. Juventus ist der gegenwärtige Meister, Milan gewann den Titel letztmals 1999, worauf Präsident Silvio Berlusconi den Trainer Zaccheroni entliess, weil er ihm politisch nicht passte. Zaccheroni ist Anhänger des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo und nach einem Überbrückungsjob bei Lazio derzeit arbeitslos. Auch ein fussballideologisches Duell: Marcello Lippi, der Juve-Erfolgstrainer der neunziger Jahre, kehrte vor einem Jahr nach einem Abstecher zum Problemklub Inter (man müsse „die Mannschaft an die Wand stellen und jeden Spieler einzeln in den Hintern treten“, sagte er im Sommer 2000 nach dem ersten Meisterschaftsspiel und ging) zu Juventus zurück. Als Nachfolger Ancelottis. Carlo Ancelotti war bei Juve gekündigt worden, weil er zweimal hintereinander nur Platz zwei erreicht hatte. Präsident Berlusconi hat ihm den Auftrag erteilt, bei Milan eine Revolution durchzuziehen wie einst Arrigo Sacchi (siehe auch http://www.indirekter-freistoss.de/index/Nachschuss/nachschuss.html) in den achtziger Jahren. Der Padrone verstärkte die Mannschaft mit Nesta und Rivaldo und verlangt von Ancelotti eine moderne, kreative Spielweise, angelehnt an die grossen europäischen Vorbilder Manchester United und Real Madrid.“

England

Zum Abschied von der Maine Road besiegte Manchester City den Lokalrivalen mit 3:1 Christian Eichler (FAZ 11.11.) berichtet. „„Solch eine Anfeuerung von den Fans habe ich seit den siebziger Jahren, als der Kop, die legendäre Stehtribüne in Liverpool, noch 20.000 Leute faßte, nicht mehr gehört“, sagte City-Trainer Keegan. „Wir müssen umziehen, weil ein Stadion mit 48.000 Plätzen uns hilft, den Abstand zu den großen Klubs wie United zu verringern. Aber wir brauchen weiter ein Stadion, das den Gegnern Furcht einflößt.“ Das tat es am Samstag in atemraubender Weise, und Keegan vermutete: „Die Fans wollten einfach nicht weg von der Maine Road, ohne wenigstens noch einmal Manchester United zu schlagen.“ Die Mannschaft der City, die noch vor drei Jahren in der dritten Liga dümpelte, spielte mit ihrer Leidenschaft die halbherzigen Millionäre der United, vor drei Jahren noch an Europas Spitze, vor 34.600 Zuschauern geradezu an die Wand (…) Spötter sagen bereits, daß Sir Alex Ferguson in dieser Saison größere Erfolge mit seinen Rennpferden habe als mit seiner Mannschaft. Der United-Trainer hatte sich beim Anpfiff auf die Tribüne gesetzt, doch bald schon sah man ihn, erfolglos Kommandos hineinbrüllend, am Spielfeldrand. Nach dem Spiel sagte er lieber gar nichts mehr. Längst droht der Serienmeister der neunziger Jahre im Mittelmaß zu versinken. Auch die Befürchtungen, das Derby werde von einer Vendetta-Stimmung geprägt sein, bewahrheiteten sich nicht. Dazu trug die Sperre von Roy Keane bei, der beim letzten Stadtduell im April 2001 im Stadion Old Trafford seinen norwegischen Gegenspieler Alf Inge Haaland schwer verletzt hatte, und das, wie er in seiner in diesem Sommer erschienenen Autobiographie zugab, mit voller Absicht. Die Attacke war so brutal, daß der damalige City-Trainer Joe Royle sagte: „Alfie hatte Glück, daß sein Bein in der Luft war, sonst würden wir es heute noch suchen.“ Haaland kämpft seitdem, obwohl erst 29 Jahre alt, gegen die Sportinvalidität, ihm droht nun die dritte Knieoperation. Er hat seit dem Foul kein vollständiges Match mehr bestreiten können. Keane sitzt derzeit nach seinem autobiographischen Rachegeständnis eine Verbandssperre von fünf Spielen ab, eine nach verbreiteter Meinung in England lächerliche Strafe. Und doch, die Vendetta an der Maine Road blieb aus. Es gab keine Jagdszenen, keine offene Brutalität, keine Rachegelüste, nur exakt die Strafe, die das Team von Roy Keane und Alex Ferguson mehr schmerzte, als es jede Unsportlichkeit könnte: eine sportlich verdiente Niederlage.“

Eine empfindliche Niederlage mußte ManU gegen den Stadtrivalen ManCity an der Maine Road einstecken, wobei die Squad aus Old Trafford mit dem Ergebnis noch gut bedient war. Nicolas Anelka eröffnete bereits in der fünften Spielminute den Torreigen für das Team des Ex-Nationaltrainers Kevin Keegan. Nachdem Ole Gunnar Solskjaer in der 8. Minute den Ausgleich erzielen konnte, sicherte Shaun Goater durch einen Doppelpack City die drei Punkte. City konnte somit erstmals seit 1989 das Stadtderby für sich entscheiden und unterstrich den positiv Trend von drei gewonnen Premier-League Spielen in Folge.

Middlesbrough vs. Liverpool 1:0

Einen Rückschlag im Kampf um die Tabellenspitze mußte Liverpool durch eine bittere 1:0 Niederlage in Middlesbrough verkraften. In der 82. Minute unterlief dem polnischen Internationalen und Torhüter der Reds Jerzy Dudek ein folgenschwerer Fehler, den Gareth Southgate zum 1:0 zu nutzen wußte. Trotz der Hinausstellung von Alen Boksic in der 88. Minute konnte Boro den Sieg über die Zeit retten und so den Kontakt zum oberen Tabellendrittel halten.

Aus dem Patzer Liverpools konnte Arsenal Kapital schlagen und durch ein 1:0 gegen Newcastle in Highbury den Abstand zu Liverpool auf nun mehr einen Zähler verkürzen. Matchwinner war der französische Nationalspieler Sylvain Wiltord, der in der 24. Minute den Siegtreffer für die Gunners erzielte. Arsenal konnte durch den Sieg seine negativ Serie mit drei verlorenen Heimspielen in Folge beenden.

Europas Fußballöffentlichkeit schaut diese Woche auf den FC Basel

Christian Eichler (FAS 10.11.). „Vorwarnung: Es geht um Schweizer Fußball. Aufstöhnen. Muß das sein? Arme Schweizer. Den ösigen Nachbarn gelingt es wenigstens ab und zu, sich mit großer Geste zu blamieren. Die braven Schweizer dagegen fallen im großen Fußball nur durch Villenlagen für internationale Verbände auf und durch ihren Fifa-Chef, dessen blatterhafte Wendigkeit die jedes eidgenössischen Stürmers mühelos übertrifft. Bald könnte sich das ändern. Erst schaffte das Schweizer Nationalteam, was Deutschland nicht schaffte: einen Sieg gegen die Iren, deren Trainer prompt zurücktrat. Diesen Dienstag kann der Schweizer Meister sogar erreichen, was Bayern München nicht erreichte: Runde zwei der Champions League. Der FC Basel ist Tabellenzweiter, vor dem FC Liverpool. Mit einem Remis würde er Englands Rekordmeister aus Europas Luxusklasse befördern.“

Sven Gartung (FAS 10.11.). „Auch der Fußballverband sieht die sportlichen Meriten Basels mit Wohlwollen. Selten war die Welle der Begeisterung um Fußballspiele in der „Confoederatio Helvetica“ so einmütig. Das ist durchaus von Belang: Denn am 12. Dezember wird über die Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft 2008 entschieden. Die Schweiz, im Verbund mit Österreich, hat sich diesbezüglich gewissenhaft vorbereitet und rechnet sich – bestärkt durch den breiten Rückhalt in der Bevölkerung – durchaus reelle Chancen auf den Zuschlag aus. Die an den Erfolgen einer Vereinsmannschaft wachsende landesweite Fußballbegeisterung kommt also gerade recht. Die Erfolge der Nationalmannschaft liegen nämlich mit den Teilnahmen an der EM 1996 und der WM 1994 ein gutes Weilchen zurück. In Zürich schauen sie derweil ein wenig argwöhnisch herüber nach Basel: Der Grashopper-Club (GC), jahrelang auf Erfolg abonniert und international immer genannt, droht – obschon Tabellenführer und im UEFA-Cup dabei – hinter dem FC Basel zurückzubleiben. Wirtschaftlich müßte der Verein in neue Dimensionen stoßen, ansonsten würde sich fortsetzen, was mit Torwart Zuberbühler, den beiden Yakins, Verteidiger Haas, Mittelfeldspieler Esposito und Trainer Christian Gross begonnen hat: Nach einem Intermezzo beim GC stehen die Spieler nun in den Reihen des größten Rivalen aus Basel und eilen von Sieg zu Sieg. Der GC-Vorstand, der die gewinnbringende Erfolgssträhne im lange als Zürcher Vorort verspotteten Basel mit wachsender Sorge beobachtet, will nun seinerseits die Weichen für eine bessere Zukunft stellen. Aber was ist in diesen Tagen schon der GC?“

Ist der FC Liverpool für das entscheidende Spiel in Basel gerüstet? Felix Reidhaar (NZZaS 10.11.) dazu. „Nichts brachte Gérard Houllier letzte Woche derart auf die Palme wie «die Schweizer Presse». Den Zorn des pauschalisierenden Liverpool-Managers hatte der „Blick“ provoziert mit dem angeblichen Zitat von Stéphane Henchoz, der FC Basel sei kein Champions-League-Hindernis für seinen Klub. Das Gegenteil treffe zu, er kenne seinen Verteidiger und traue ihm solchen verbalen Unsinn nicht zu, sie alle hätten grossen Respekt vor dem Schweizer Meister, der dank guter Qualität zurecht auf Platz 2 stehe. In der scharfen Reaktion manifestierte sich eine Spur von Nervosität des empfindlichen Franzosen.“

Sonstiges

Zur Entscheidung, Gehaltsobergrenzen im europäischen Fußball einzuführen, bemerkt Wolfgang Hettfleisch (FR 9.11.). „Was die Aristokratie des europäischen Klub-Fußballs da beiläufig in die Welt gesetzt hat, ist eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit: Seht her, bei uns wird bald solide gewirtschaftet. Das angewandte Prinzip erinnert irgendwie an die politische Kultur der Kohl-Ära. Selbstverpflichtungen der Wirtschaft etwa in Sachen Schadstoffausstoß waren damals en vogue. Natürlich mit dem einzigen Ziel, einer gesetzlichen Verpflichtung zuvorzukommen. Ähnliches gilt auch für den G14-PR-Gag. Geboten ist ein einheitliches Regelwerk für Grundlagen des Geschäftsgebarens im Profifußball in Europa, kein fadenscheiniges Salary-Cap-Imitat als Demutsgeste der Großen (…) Es bedarf eines europaweit verbindlichen Verfahrens zur Feststellung nicht nur der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch der finanziellen Redlichkeit der Klubs, einer Harmonisierung der nationalen Prüfungsanforderungen und -methoden. Und es ist diesbezüglich richtig, dass das Lizenzierungsverfahren der Deutschen Fußball-Liga ungeachtet des Sommer-Tourneetheaters zwischen Frankfurt und Unterhaching in Teilen durchaus Vorbildfunktion haben kann. Die Europäische Fußball-Union Uefa kann den nötigen Schritt wegen überkommener Verbandsstrukturen und mangels Know-how kaum machen. Aber sie kann die Beteiligten (Nationale Fußballverbände und Ligabetreiber, Europäische Spielergewerkschaft, Brüsseler Emissäre, Klub-Chefs) an einen Tisch rufen und ihr Logo draufkleben. Dann käme vielleicht mehr heraus als ein 70-Prozent-Placebo.“

Javier Cáceres (SZ 12.11.). „Dass er vom Saddam-Regime vereinnahmt werden könnte, hält er für ausgeschlossen. Er habe sich schließlich vertraglich zusichern lassen, sich nicht zu politischen Angelegenheiten äußern zu müssen. Andererseits ist Saddam Husseins Sohn Uday Präsident des irakischen Verbandes; auf dessen Betreiben hin sollen Spieler nach Länderspielniederlagen gefoltert worden sein. Stange meint, dass er sportlich das Sagen haben werde. Auch das sei im Kontrakt verankert. Zwar gesteht Bernd Stange ein, dass er das Angebot der Iraker auch um des persönlichen Vorteils willen angenommen habe. Sie hätten ihm ein „krankhaft hohes“ Salär geboten; und er sei „dieser gottverdammten Arbeitslosigkeit“ überdrüssig gewesen, die über ein Jahr angedauert hatte. Mitentscheidend dürfte aber gewesen sein, dass er sich als Trainergröße verkannt fühlt.“

Gewinnspiel für Experten

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