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Ballschrank

Position des Spielmachers zeitgemäß ausgefüllt

Oliver Fritsch | Donnerstag, 25. März 2004 Kommentare deaktiviert für Position des Spielmachers zeitgemäß ausgefüllt

Peter Unfried (Spiegel-Online) bricht eine Lanze für Stefan Effenberg. „Nur falls das in all der Häme ein bisschen untergegangen sein sollte: Effenberg war einige Jahre eine singuläre Erscheinung im deutschen Fußball – der stärkste, aber auch umstrittenste Führungsspieler seit Jahrzehnten. Und – nach Matthias Sammers frühem Ende – der beste deutsche Feldspieler seiner Generation, der einzige Weltstar, den der deutsche Fußball am Ende der neunziger Jahre noch aufzuweisen hatte. Er hat den FC Bayern nicht nur zu drei deutschen Meistertiteln in Folge geführt. Ohne ihn hätte sich niemals der sehnlichste Wunsch der Clubchefs erfüllt – der Gewinn der Champions League 2001. Entscheidend war seine fußballerische Klasse und dazu die psychische Professionalität, um erstere bei höchstem Druck auch umzusetzen. Effenbergs Klasse bestand darin, die Position des Spielmachers zeitgemäß auszufüllen. Einerseits schwärmten manche nostalgisch-naiv noch immer von Günter Netzer (Wolfgang Overath und Bernd Schuster) oder riefen mal den meist am rechten Rand agierenden Thomas Häßler, mal den mit dem Rücken zum Gegner spielenden Andreas Möller zum Spielmacher aus. Andererseits hatten international längst unspektakuläre, aber effektive Profis wie Didier Deschamps und Carlos Dunga die Spieleröffnung übernommen. Effenberg stand relativ solitär da, denn er war beides – zentral vor der Abwehr ein solider Ballgewinner. Und ein Künstler, der als einer von ganz wenigen selbst gegen eine formierte Abwehr einen Ball spielen konnte, der eine Situation entscheidend veränderte. Auch wenn die Balleroberung beim VfL Wolfsburg verstärkt Aufgabe von Kollegen wie Miroslav Karhan, Hans Sarpei oder Pablo Thiam geworden war: Diese Bälle hat er immer noch gespielt. Zumindest in der Hinrunde. Manchmal musste man beim Zusehen aufstöhnen vor Ehrfurcht. Nun spielt sie keiner mehr.“

Überschätzte Karriere

Anmerkung (of) im Hinblick auf den sportlichen Stellenwert Effenbergs, der in den zahlreichen Analysen der letzten Tage um dessen Charakter offenbar als immens vorausgestzt wird: Aus meiner Sicht werden Wirken und Karriere von Effenberg nach wie vor überschätzt. Schließlich hat er im Gegensatz zu Häßler und Möller zu seinen besten Zeiten darauf verzichtet, das Trikot der deutschen Nationalmannschaft zu tragen. Warum findet dieses Faktum keine Erwähnung? Neben Ehemaligen wie Sammer und Kohler oder Aktiven wie Beckham und Kahn verblasst er. Zudem kann ich mich an schwache Auftritte Effenbergs in entscheidenden Spielen (Barcelona 1999, Hamburg 2001) erinnern. Fazit: Sicherlich ein sehr guter Fußballer und Charakterspieler, aber eben kein ganz Großer. Dazu fehlen ihm mindestens 30 Länderspiele respektive ein gutes WM/EM-Turnier.

Als Mensch ist er ein A

Martin Hägele (NZZ 8.4.) blickt zurück. „Im Grunde genommen wurde in der Norddeutschen Tiefebene nur jener natürliche Altersprozess fortgeschrieben, der über ein Jahr zuvor schon in München im Olympiastadion und auf dem Trainingsgelände an der Säbener Strasse zu beobachten gewesen war. Dass im Briefkopf des Rekordmeisters bisher erst 17 Meistertitel stehen und die Silberschale im vergangenen Jahr nach Dortmund gegangen ist, erklären manche Bayern- Professionals mit der Tatsache, dass ihr Spielmacher nach einer längeren Verletzungspause durch die Rückrunde mitgeschleppt werden musste: aus Anerkennung für dessen Verdienste beim Gewinn der Champions League in der Saison zuvor. Schon damals hat ein bekannter Internationaler den Kollegen Effenberg im kleinen Kreis einmal so beschrieben: „Als Mensch ist er ein A…, aber jeder ist froh, wenn er Effenberg in seiner Mannschaft oder als Captain hat.“ Vor Einsatz, erst recht vor Verantwortung auf dem Platz hat sich der grosse Blonde nie gedrückt. Dazu brauchte er nicht einmal solch optische Signale wie einen in die Frisur tätowierten Tigerkopf – was Fussballcharakter betrifft, hat es in Deutschland nicht viele gegeben, die es dabei mit Effenberg hätten aufnehmen können. Doch Fussballcharakter lässt sich nicht konservieren, Respekt und Akzeptanz muss man sich in dieser Branche, erst recht im Alter, immer wieder aufs Neue verschaffen. Die Kluft zu den Ansprüchen, der ehemalige Weltstar könne den VfL Wolfsburg wenn nicht gleich in die europäische Königsklasse, dann aber wenigstens ins internationale Geschäft führen, ist mit der Zeit immer grösser geworden, zuletzt unüberwindbar. Diese Ziele hat Manager Pander nun auf die nächsten drei Jahre verschoben; Trainer Röber wird dem Team dafür eine ganz andere Struktur verpassen, vor allem wird er das Kader um einiges verjüngen müssen. Das Experiment, ein im FC Bayern ausrangierter Topstar tauge noch allemal als Chef eines Provinzorchesters ist jedoch nicht so fehlgeschlagen, wie es Effenbergs Kritiker jetzt gerne darstellen. Noch nie in der Geschichte des VfL Wolfsburg ist so viel aus dieser fussballerischen Diaspora berichtet worden wie in den 229 Tagen, in welchen Stefan Effenberg das grüne Hemd der Autobauer getragen hat.“

Effenbergs Abschied aus Wolfsburg

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